Denn im Jahr 2008 stellte Karttunen im Rahmen der Ausstellung "Ekstatische Frauen" ihr Werk mit dem Titel "Neitsythuorakirkko" ("Jungfrauenhurenkirche", laut Übersetzung im art-Magazin) aus. Dieses Werk, so wieder das art-Magazin, "besteht aus einer Garagenkonstruktion, deren Innenraum mit rund 150 pornografischen Bildern ausgelegt ist. Dabei handele es sich um vorgefundenes Material, das die Künstlerin von öffentlich zugänglichen Seiten bezog." In der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 10.5.2011, Karttunen gegen Finnland (Appl. no. 1685/10), liest sich das, basierend auf den Angaben von Frau Karttunen, so: "The work included hundreds of photographs of teenage girls or otherwise very young women in sexual poses and acts. The pictures had been downloaded from free Internet pages and some of them were extremely violent or degrading."
Kurz nach der Ausstellungseröffnung beschlagnahmte die Polizei die Bilder und die Ausstellung wurde geschlossen; einige Tage später wurde auch der Computer der Künstlerin beschlagnahmt (siehe auch die Berichte von Helsingin Sanomat hier, hier und hier). In der Folge wurde Karttunen wegen Besitz und Verbreitung sexuell obszöner Bilder von Kindern verurteilt. Da das Gericht der Auffassung war, dass die Künstlerin eine allgemeine Diskussion über Kinderpornographie provozieren wollte, wurde über sie keine Strafe verhängt, die Bilder wurden aber beschlagnahmt.
Karttunen erhob, gestützt auf Art 10 EMRK, Beschwerde an den EGMR, da ihr Recht als Künstlerin auf freie Meinungsäußerung verletzt worden sei. Sie habe die pornographischen Bilder in ihr Werk integriert, um die Diskussion zu fördern und das Bewusstsein dafür zu heben, wie weit verbreitet und leicht zugänglich Kinderpornographie sei. Pornodarsteller würden so viel Publicity wie möglich wollen und daher sei die Notwendigkeit, deren Ruf oder deren Privatsphäre zu schützen weniger wichtig als das Recht der Beschwerdeführerin auf Freiheit der Meinungsäußerung.
Der EGMR konnte dieser Argumentation nicht folgen. Er hielt zunächst fest, dass auch Künstler den möglichen Beschränkungen der Meinungsfreiheit nach Art 10 Abs 2 EMRK unterworfen seien:
"The Court notes that artists and those who promote their work are certainly not immune from the possibility of limitations as provided for in paragraph 2 of Article 10. Whoever exercises his freedom of expression undertakes, in accordance with the express terms of that paragraph, “duties and responsibilities”; their scope will depend on his situation and the means he uses [...]"Im konkreten Fall sei die Verurteilung der Künstlerin auf eine strafgesetzliche Bestimmung zum Schutz der Moral und der Rechte anderer gestützt worden; vor allem sei es dabei um die Notwendigkeit des Schutzes von Kindern gegen sexuellen Missbrauch und gegen die Verletzung ihrer Privatsphäre gegangen, aber auch moralische Überlegungen hätten eine Rolle gespielt.Auch wenn sich sexuelle Moralvorstellungen in den letzten Jahren verändert hätten, könne - so der EGMR - die Ansicht der finnischen Gerichte nicht als unangemessen beurteilt werden, insbesondere da der Fall Minderjährige betreffe oder Personen, die wahrscheinlich minderjährig seien. Die nationalen Gerichte hätten ausführlich das Verhältnis zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und den Rechten anderer abgewogen und seien zum Ergebnis gekommen, dass das Recht der Beschwerdeführerin auf freie Meinungsäußerung nicht den Besitz und die öffentliche Ausstellung von Kinderpornographie rechtfertige.
Dass die Künstlerin mit ihrer Arbeit gute Absichten verfolgt habe, sei von den nationalen Gerichten anerkannt und durch Absehen von der Verhängung einer Strafe berücksichtigt worden; dennoch sei der Besitz und die Verbreitung von sexuell obszönen Bildern von Kindern strafrechtlich verboten; der EGMR konnte nicht erkennen, dass die Verurteilung der Künstlerin, unter den Umständen des Einzelfalles, nicht eine echte gesellschaftliche Notwendigkeit (genuine social need) gewesen sei.
Die Beschwerde wurde daher einstimmig als offensichtlich unbegründet und damit unzulässig beurteilt. Wie die Künstlerin die Angelegenheit sieht ("Revealing reality is illegal in Finland"), kann man hier nachlesen.
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