Tuesday, November 02, 2010

EuGH: Geldstrafe über Minderheitsaktionäre für Verstöße eines Rundfunkunternehmens verletzt Kapitalverkehrsfreiheit

Dass "golden shares" - Aktien, mit denen Sonderrechte verbunden sind, die über den Kapitalanteil des Aktionärs hinausgehen - gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen, hat der EuGH schon öfter, zuletzt auch einmal zu einem Telekomunternehmen (C-171/08 Kommission/Portugal, siehe dazu hier), ausgesprochen. In der Rechtssache C-81/09 Idryma Typou AE hatte es der EuGH nun gewissermaßen mit einer umgekehrten Situation zu tun: hier ging es nämlich nicht um Sonderrechte von Minderheitsaktionären, sondern um Sonderlasten.

Die griechische Rechtsordnung sieht vor, dass Geldbußen wegen Verstößen privater Fernsehveranstalter gegen nationales oder europäisches Recht oder gegen (journalistische) Standesregeln "gemeinschaftlich und gesamtschuldnerisch gegen die Gesellschaft und persönlich gegen ihren gesetzlichen Vertreter (oder ihre gesetzlichen Vertreter), gegen alle Mitglieder ihres Verwaltungsrats und gegen alle Aktionäre verhängt [werden], die einen Anteil an Aktien halten, der 2,5 % übersteigt."

Die vom griechischen Staatsrat (Συμβούλιο της Επικρατείας) dem EuGH vorgelegte Frage stellte sich in einem Verfahren betreffend eine Geldbuße, die wegen einer Ehrverletzung in einer Nachrichtensendung des Star Channel unter anderem auch einer (Minderheits-)Aktionärin auferlegt wurde. Der EuGH beurteilte diese Solidarbestrafung in seinem Urteil vom 21.10.2010 zwar nicht als Verstoß gegen die gesellschaftsrechtlichen Regeln der "Ersten Richtlinie" (68/151/EWG), wohl aber als Beschränkung der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit:
"57      Die nationale Maßnahme ermöglicht es nämlich, die Aktionäre einer Fernsehaktiengesellschaft für Geldbußen haftbar zu machen, die gegen diese Gesellschaft verhängt wurden, damit diese Aktionäre dafür Sorge tragen, dass diese Gesellschaft die griechischen Gesetze und Standesregeln beachtet, obwohl die Befugnisse, die diesen Aktionären nach den Regeln, die für das Funktionieren der Organe von Aktiengesellschaften gelten, eingeräumt sind, ihnen keine praktische Möglichkeit dazu geben.
58      Obwohl die Maßnahme unterschiedslos auf griechische Investoren und Investoren anderer Mitgliedstaaten anwendbar ist, ist die abschreckende Wirkung dieser Maßnahme für Investoren anderer Mitgliedstaaten größer als für griechische Investoren.
59      Soweit nämlich das Ziel des Gesetzes darin besteht, die Aktionäre dazu zu veranlassen, mit anderen Aktionären Allianzen zu schließen, um die Entscheidungen über die Führung der Geschäfte der Gesellschaft beeinflussen zu können, ist die Beachtung dieser Option, obgleich deren Wahrnehmung allen Aktionären aufgegeben ist, zweifellos schwieriger für Investoren anderer Mitgliedstaaten, die über die Verhältnisse der Medienlandschaft in Griechenland schlechter im Bilde sind und nicht notwendigerweise die verschiedenen Gruppen oder Allianzen kennen, die im Kapital einer Gesellschaft, die Inhaberin einer Erlaubnis für die Errichtung und den Betrieb eines Fernsehsenders ist, vertreten sind.
60      Folglich beschränkt eine nationale Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren streitige sowohl die Niederlassungsfreiheit als auch den freien Kapitalverkehr."
Interessant sind auch die Ausführungen zur - vom EuGH verneinten - Verhältnismäßigkeit dieses Eingriffs. Die Regelung sollte angeblich die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und der Standesregeln für Journalisten durch die Fernsehgesellschaften bewirken, und sie wurde von der griechischen Regierung auch damit gerechtfertigt, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes zahlreiche Journalisten Aktionäre mit zwischen 2,5 % und 25% des Gesellschaftskapitals gewesen seien. Das reichte dem EuGH natürlich nicht:
"65      Selbst wenn zum Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes Nr. 2328/1995 ein statistischer Zusammenhang zwischen Aktionären, die 2,5 % der Anteile einer Fernsehgesellschaft besaßen, und dem Journalistenberuf bestanden haben sollte, erscheint eine solche Verbindung nicht hinreichend, um anzunehmen, dass die fragliche Maßnahme geeignet wäre, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und insbesondere nicht über das hinausginge, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. [...]
67      Ist es das Ziel der Maßnahme, dass Journalisten die Gesetze und Standesregeln ihres Berufs befolgen, könnte es angemessen sein, ihnen persönlich für von ihnen begangene Verstöße Sanktionen aufzuerlegen, nicht aber Aktionären, die nicht notwendig Journalisten sind. [...]
69      Im Übrigen ist die Annahme, dass alle Aktionäre einer Aktiengesellschaft Fachleute in dem Bereich sind, in den der Gesellschaftszweck der Gesellschaft fällt, geradezu die Negation des freien Kapitalverkehrs, der u. a. auf Portfolioinvestitionen abzielt, d. h. auf den Erwerb von Wertpapieren auf dem Kapitalmarkt allein in der Absicht einer Geldanlage, ohne auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss nehmen zu wollen [...]"

1 comment :

GmbHRecht said...

Die Entscheidung des EuGH dürfte konkrete Auswirkungen auf die Haftung von Gesellschaftern in Österreich haben. Die Haftung der Gesellschafter für Anlaufkosten des Insolvenzverfahrens und die unbeschränkte Haftung von Kommanditisten dürften im Licht dieser EuGH-Enstcheidung europarechtswidrig sein: http://www.gmbhrecht.at/europaische-union/gesellschafter-haftung-fuer-insolvenzanlaufkosten-und-kommunalsteuer-eu-widrig/