Heute, 8. Mai 2025, ist der letzte Tag, an dem man sich noch für die am 9. April 2025 vom Bundeskanzler ausgeschriebene Funktion eines Mitglieds des Verfassungsgerichtshofes bewerben kann (eine weitere Ausschreibung ist bereits abgelaufen, eine Ernennung ist noch nicht erfolgt).
Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs werden vom Bundespräsidenten ernannt, hinsichtlich der beiden aktuell zu besetzenden Mitglieder auf Vorschlag der Bundesregierung. Beschlüsse der Bundesregierung haben einstimmig zu erfolgen (§ 69 Abs. 3 B-VG).
Nun gab es in den vergangenen beiden Legislaturperioden einige Aufregung über (zunächst) geheime Absprachen, wie die von der Bundesregierung (oder auf deren Vorschlag) zu besetzenden Funktionen auf die jeweiligen Parteien "aufgeteilt" werden. Diese Absprachen waren in Sidelettern zur jeweiligen Koalitionsvereinbarung festgehalten worden und sollten eigentlich nicht offengelegt werden.
Aber auch vor dem Bekanntwerden der konkreten Sideletter war bekannt, dass (ua) die Bestellung von Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofes jeweils auf (den Regierungsparteien zugeordneten) "Tickets" erfolgte; meist war auch vor der Bestellung in Fachkreisen schon bekannt, ob eine Neubestellung gerade auf einem schwarzen oder roten, später auch auf einem blauen und noch später auch auf einem grünen Ticket erfolgen sollte (was nichts über Parteizugehörigkeit oder Qualifikation der bestellten Mitglieder aussagt, sondern nur, welche politische Partei letztlich über die Bestellung bestimmte).
Diese politisch geprägte Auswahl ist beim Verfassungsgerichtshof kein Fehler, sondern Folge des von der Bundesverfassung vorgesehenen Systems, in dem gewählte bzw. indirekt demokratisch legitimierte Organe (Nationalrat, Bundesrat, Bundesregierung) die Auswahl der Mitglieder vornehmen - wie man heute so schön sagt: "it's not a bug, but a feature".
[Ob die aktuelle Form der Auswahl, etwa im Hinblick auf die Verteilung der Vorschlagsrechte auf Bundesregierung, National- und Bundesrat, in jeder Hinsicht optimal ist - darüber könnte man lange diskutieren und verschiedene Optionen erörtern, gerade auch im Hinblick auf eine mögliche Verbesserung der Resilienz in schwieriger werdenden Zeiten. Aber wir leben mit diesem System, und wir haben bisher auch nicht schlecht damit gelebt, und das stärkste Argument dafür ist sicher - sehr verknappt - auch, dass damit gerade die Verfassungsgerichtsbarkeit, die über viele politisch sensible Themen zu entscheiden hat, auf recht direkte Weise auf demokratisch legitimierte Organe zurückgeführt werden kann].
Die aktuelle Koalition hat die Sideletter-Absprachen aus dem (halb) Geheimen ins Offene gebracht. Das letzte Kapitel des Regierungsprogramms ist mit "Transparente Personalauswahl und -besetzung" überschrieben und hält nach drei allgemeinen Absätzen (in denen u.a. angekündigt wird, dass "stets bestqualifizierte Personen" ausgewählt werden) penibel fest, für welche Funktionen jeweils welchem Regierungsmitglied das "Vorschlagsrecht" zukommen soll.
Dieses "Vorschlagsrecht" kann verfassungskonform nur so verstanden werden, dass der jeweilige (einstimmig zu fassende) Beschluss der Bundesregierung, mit dem über die jeweilige Personalfrage entschieden wird, auf Antrag des in diesem Kapitel jeweils genannten Regierungsmitglieds zustandekommen soll. Politisch haben sich die Regierungsparteien also dazu verpflichtet, derartige Beschlüsse nur auf Antrag des jeweils genannten Regierungsmitglieds zu treffen.
Diese Vereinbarung im Regierungsprogramm enthebt die anderen Regierungsmitglieder freilich nicht ihrer Pflicht, an der Beschlussfassung teilzunehmen und diese auch mitzutragen. Dies setzt voraus, dass die anderen Mitglieder der Bundesregierung über alle eingelangten Bewerbungen informiert sind (oder sich zumindest informieren können) und dass sie sich - so sie dies für erforderlich oder zweckmäßig erachten - auch selbst ein Bild über die Eignung der Bewerber:innen verschaffen können. Kommt ein Regierungsmitglied zum Ergebnis, dass eine Person, die vom laut Regierungsprogramm "zuständigen" Regierungsmitglied vorgeschlagen wird, nicht geeignet - weil nicht bestqualifiziert - ist, dann darf es diesem Vorschlag auch nicht zustimmen. Zuständiges Kollegialorgan ist die Bundesregierung, nicht das laut Regierungsprogramm "vorschlagsberechtigte" Regierungsmitglied.
Parteiinternes Hearing?
Das heißt im Übrigen auch, dass die Beschlussfassung nicht durch die jeweilige Partei erfolgt, auch wenn das "Vorschlagsrecht" für ein bestimmtes Regierungsmitglied de facto als Vorschlagsrecht einer Regierungspartei zu verstehen ist. Wenn man - wie das Bundeskanzleramt derzeit - die Ansicht vertritt, dass die Namen der Bewerber:innen nicht offengelegt werden dürfen (meines Erachtens könnte man dies auch anders sehen, es geht immerhin um die - nicht ehrenrührige - Bewerbung um ein hohes öffentliches Amt), dann dürfen die Bewerber:innen auch nur den Mitgliedern der Bundesregierung (und den mit der Vorbereitung der Beschlüsse der Bundesregierung befassten Mitarbeiter:innen in den Ministerien) bekannt gegeben werden - aber nicht auch Mitgliedern der parlamentarischen Klubs oder Parteiangestellten bzw. Parteimitgliedern. Ein "parteiinternes Hearing", wie es laut Presse von den NEOS beabsichtigt sein soll, wäre daher jedenfalls dann unzulässig, wenn die Teilnehmer an diesem Hearing über die von den NEOS gestellten Regierungsmitglieder (und den Staatssekretär) sowie deren ministerielle Mitarbeiter:innen hinausgehen würde.
Sind "Vorschlagsrechte" zulässig?
Wenn man das Regierungsprogramm im oben dargestellten Sinn versteht - dass der Beschluss der Bundesregierung auf Antrag des im Regierungsprogramm jeweils genannten Regierungsmitglieds zustandekommen soll -, ist die Aufteilung der "Vorschlagsrechte" für die VfGH-Mitglieder meines Erachtens nicht zu beanstanden (ich beschränke mich hier ausdrücklich auf die Vorschlagsrechte für die VfGH-Mitglieder, bei anderen Funktionen mag das anders zu beurteilen sein). Ich habe dazu vor drei Jahren schon zu den Sidelettern näher ausgeführt, weshalb ich das bei den VfGH-Mitgliedern für zumindest grundsätzlich - wenn nicht bereits Namen festgeschrieben werden und damit das Auswahlverfahren vorweggenommen wird - nicht problematisch erachte (dort kann man das etwas ausführlicher nachlesen).
Hier möchte ich daher nur ganz knapp zusammenfassen: für ein VfGH-Mitglied gibt es nicht nur genau eine einzige bestgeeignete Person, sondern es spielen verschiedene Aspekte eine Rolle - das kann ein spezifisches Fachgebiet sein, das man am VfGH (vielleicht: wieder oder stärker) vertreten sehen will, etwa Steuerrecht oder Sozialversicherungsrecht, eine bestimmte berufliche "Herkunft" (bemerkenswert ist ja derzeit etwa, dass der VfGH das einzige Gericht Österreichs ist, in dem keine Richter:innen vertreten sind), oder auch Fragen der Repräsentativität, die man zB regional oder geschlechterbezogen sehen kann, usw.
Vor diesem Hintergrund ist ein "Vorschlags-" oder "Nominierungsrecht" für ein bestimmtes Regierungsmitglied letztlich bloß die Festlegung einer Vorgangsweise, wie es die Bundesregierung bewerkstelligen will, sich auf eine ausgezeichnet geeignete Person für die jeweilige Funktion zu einigen und die - im weiteren Sinne eben politische - Auswahl vorzunehmen.