Vor gut einer Woche wurden Nebenvereinbarungen zwischen den früheren Koalitionsparteien ÖVP und FPÖ und den aktuellen Koalitionsparteien ÖVP und Grüne bekannt (zB hier auf profil.at), in denen es auch (oder insbesondere) um die Besetzung wichtiger öffentlicher Funktionen - angefangen von Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofs über das Direktorium der Nationalbank bis hin zu Aufsichtsratsmitgliedern bei Unternehmen mit staatlicher Beteiligung - ging. Dabei wurde überwiegend festgelegt, welchem der Koalitionspartner ein Nominierungsrecht zukommt, ein einzelnen Fällen wurden auch schon Namen festgeschrieben.
Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk war Gegenstand solcher Nebenvereinbarungen, und zwar nicht nur in personeller Hinsicht, sondern - im ÖVP-FPÖ-Sideletter - auch im Hinblick auf eine grundlegende Änderung der Finanzierungsform (Budget- statt Beitragsfinanzierung). Die Sideletter werfen insofern Fragen im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlich verankerten Unabhängigkeit des Rundfunks auf. Darauf gehe ich im nächsten Blogbeitrag ein; hier aber vorweg einmal ein paar Überlegungen zur Personalauswahl in Koalitionszeiten, insbesondere im Hinblick auf den Verfassungsgerichtshof.
Zur Personalauswahl in Koalitionszeiten
Wenn Koalitionsparteien vereinbaren, eine Legislaturperiode lang gemeinsam zu regieren, dann ist es sinnvoll, schon absehbare Konfliktpunkte im Koalitionsvertrag vorweg zu regeln. Dazu zählen nicht nur inhaltliche Streitpunkte, sondern vor allem auch Verfahrensfragen, und darunter die Frage, wie man in der Bundesregierung – die nur einstimmig Beschlüsse fassen kann – zu einer Entscheidung kommt, wenn eine Ernennung in eine wichtige öffentliche Funktion durch die Bundesregierung (oder auf Vorschlag der Bundesregierung durch den Bundespräsidenten) zu erfolgen hat.
Dass man für solche Fälle vereinbart, welche der Koalitionsparteien das „Nominierungsrecht“ hat, kann zu einer möglichst reibungsfreien Entscheidungsfindung beitragen. Bestünde dazu nämlich keine vorweg vereinbarte Aufteilung, müsste in jedem Anlassfall während der Regierungsperiode ad hoc darüber das Einvernehmen erzielt werden, was die Gefahr unsachlicher Gegengeschäfte ("Junktimierungen") eher verschärfen als verringern würde (ob die in den Sidelettern festgeschriebenen Nominierungsrechte Gegenstand von Junktimierungen waren, werden wir wohl nie wissen, denn letztlich gilt bei Koalitionsvereinbarungen, dass Einigkeit über einen Punkt nur besteht, wenn über alle Punkte Einigkeit besteht und damit kein Punkt im Koalitionsabkommen - und seinen Sidelettern - völlig unabhängig von allen anderen Punkten ist).
Die Aufteilung von "Nominierungsrechten" heißt per se auch nicht, dass damit ein vorgeschriebenes Ausschreibungsverfahren umgangen oder präjudiziert würde oder dass ungeeignete Personen in die Funktion kommen. Es kann (und sollte) bloß bedeuten, dass die Ausschreibung erfolgt, danach das Auswahlverfahren durchgeführt wird und schließlich – nach „Nominierung“ durch Partei A oder B – von der Bundesregierung die Person, die sich in diesem Verfahren als bestgeeignete erwiesen hat, ernannt bzw. vorgeschlagen wird.
Das wirft die Frage auf: wenn ohnehin die bestgeeignete Person ernannt werden soll, wozu muss dann ein „Nominierungsrecht“ festgelegt werden?
Diese Frage lässt sich meines Erachtens leicht beantworten, wenn man das Offensichtliche einräumt: bei den wirklichen "Spitzenjobs", um die es in den nun bekanntgewordenen Sideletters geht, lässt sich zwar einigermaßen objektiv beurteilen, wer dafür jedenfalls nicht geeignet ist. Wer aber unter mehreren grundsätzlich gut geeigneten Personen die am besten geeignete ist, lässt sich kaum in unstrittiger Weise „objektivieren“.
Beispiel Verfassungsgerichtshof
Nehmen wir als Beispiel den Verfassungsgerichtshof: für eine Ernennung zum Mitglied dieses Höchstgerichts gibt es in der Bundesverfassung nur wenige Formalvoraussetzungen, die von sehr vielen Personen (mehreren tausend!) erfüllt werden (Art 147 Abs 2 und 3 B-VG: abgeschlossenes Jus-Studium, mindesten zehnjährige juristische Berufserfahrung; die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Mitglieder müssen "aus dem Kreis der Richter, Verwaltungsbeamten und Professoren eines rechtswissenschaftlichen Faches an einer Universität" stammen).
Darüber hinaus gibt es in Fachkreisen (hier grob vereinfacht: Personen, die eine Vorstellung davon haben, was der VfGH tut und wie er arbeitet) ein zwar diffuses, aber doch ziemlich unstrittiges Bild davon, was man von einem zu bestellenden VfGH-Mitglied erwartet. Ich würde das ganz vereinfacht einmal so umschreiben: VfGH-Mitglieder sollten erfahrene Persönlichkeiten sein, die einen ausgezeichneten fachlichen und persönlichen Ruf haben und die in ihrem Berufsfeld (ob Wissenschaft, Verwaltung, Gerichtsbarkeit oder Anwaltschaft) bisher nachweisbar hervorragende Arbeit geleistet haben, also gewissermaßen im Spitzenfeld ihrer jeweiligen Disziplin mitmischen.
Legt man diesen groben Maßstab an, verengt sich die Auswahl schnell auf eine recht überschaubare Zahl von Personen – wohl weniger als hundert, wahrscheinlich eher zwei bis drei Dutzend Personen. Ich bin davon überzeugt, dass man sich in juristischen Fachkreisen unabhängig von jeder politischen Orientierung recht zuverlässig darauf einigen könnte, wer jedenfalls zu diesem harten Kern grundsätzlich fachlich und persönlich in Frage kommender Personen gehört. Wahrscheinlich wird man sich nicht auf jede einzelne Person einigen können, aber jedenfalls auf eine ausreichend große Schnittmenge, mit der der VfGH doppelt oder dreifach besetzt werden könnte.
Wie also aus diesem Kreis von grundsätzlich ausgezeichnet geeigneten Personen jene auswählen, die dem Bundespräsidenten zur Ernennung vorgeschlagen werden soll?
Dabei können viele Faktoren eine Rolle spielen, zum Beispiel auch, wer im Gremium der VfGH-Mitglieder gerade zu ersetzen ist: als etwa der Steuerrechtler Hans Georg Ruppe Ende 2012 aus dem VfGH ausschied, folgte ihm Markus Achatz nach, wiederum ein Professor für Steuerrecht – eine spezifische fachliche Expertise, die am VfGH gefragt ist. Ich weiß nicht, ob sich damals zB auch eine Umwelt- oder Strafrechtsexpertin beworben hat - aber wenn, hätte sie schon wegen ihrer Spezialisierung bei dieser konkreten Position einen Startnachteil gehabt, auch wenn ihre Qualifikation abstrakt ebenbürtig gewesen wäre.
Da die Bundesverfassung das Vorschlagsrecht für Mitglieder des VfGH auf Bundesregierung, Nationalrat und Bundesrat verteilt, ist es auch nachvollziehbar, dass politische Überlegungen eine Rolle spielen. Das müssen (und sollten) nicht parteipolitische Überlegungen sein, aber vielleicht würde zB eine Partei, die stark auf das Thema „Law and Order“ setzt, jemanden nominieren, der sich zu einem „Law and Order“-Thema habilitiert hat, oder eine ökologisch orientierte Partei jemanden, die sich im Bereich des Umweltrechts einen Namen gemacht hat. Das ist keine überraschende und rundheraus abzulehnende „Politisierung“ des VfGH, sondern logische Konsequenz des verfassungsrechtlich vorgebebenen Konzepts, dass eben Bundesregierung, Nationalrat und Bundesrat die Vorschläge erstatten müssen, womit auch eine (mittelbare) demokratische Legitimation gewährleistet sein soll.
Dass in einer demokratischen Republik die gewählte Volksvertretung und die von deren Vertrauen getragene Bundesregierung eine wesentliche Rolle bei der Ernennung von Mitgliedern des Verfassungsgerichtes spielt, ist nicht wirklich überraschend oder gar skandalös. Natürlich wären andere Modelle denkbar, wobei meines Erachtens weniger an eine radikale Abkehr vom bestehenden Modell zu denken wäre als an eine gewisse Qualitäts- und Konsenssicherung und allenfalls eine Verbesserung und verstärkte Transparenz des Auswahlverfahrens. Nur als mögliche Beispiele: offene Bewerbungen, Anhörungen, eine Art Qualitätssicherungs-Panel (wie etwa den Ausschuss nach Art. 255 AEUV für den EuGH, Ansätze gibt es in Österreich auch für die Präsident*innen und Vizepräsident*innen von Bundesfinanzgericht und Bundesverwaltungsgericht, siehe § 5 Abs 5 BFGG und § 3 Abs 3 BVwGG). Denkbar wären zB auch erhöhte Quoren für Vorschläge durch den Nationalrat oder eine andere Verteilung der Vorschlagsrechte mit einer geringeren Dominanz der Bundesregierung.
Verfassungspolitisch könnte man also an verschiedenen Schrauben drehen, aber von der Illusion, dass es für jede ausgeschriebene Stelle eines VfGH-Mitglieds genau nur die eine bestgeeignete Person gäbe, auf die man sich bei einem objektiven Auswahlverfahren jedenfalls verständigen könnte, sollte man sich verabschieden.
Das heißt: „Nominierungsrechte“ für Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs in einem Sideletter zu einer Koalitionsvereinbarung schrecken mich nicht per se, solange man darauf vertrauen kann, dass nicht bereits vor der Ausschreibung feststeht, wer die Funktion erhält und dass bei der Nominierung nur ausgezeichnet für die Funktion geeignete Personen berücksichtigt werden. Kritisch wird es also, wenn in einer Vereinbarung zwischen Koalitionsparteien schon Namen festgeschrieben werden. Und unverständlich ist es für mich, wenn man sich in einem solchen Sideletter zwischen Koalitionsparteien darauf einigt, dass jemand VfGH-Mitglied werden soll, bei dem die Qualifikation dafür jedenfalls nicht augenfällig ist. Dass diese Person schließlich nicht bestellt wurde, ist immerhin ein Zeichen für ein Funktionieren gewisser Kontrollmechanismen. Aber trotzdem fragt man sich, wie die Einigung auf diese Person zustande kam: welche Informationen lagen den entscheidenden Personen (den Parteiobleuten) vor, wie haben sie sich über das potentielle Bewerber*innenfeld informiert, welche Qualifikation hatten sie selbst, um das Vorliegen der Qualifikation des im Sideletter schon „Nominierten“ zu beurteilen?
Natürlich hat die - traditionelle, jetzt eben auch mal nachlesbare - Aufteilung der Nominierungsrechte für VfGH-Mitglieder auch "Nebenwirkungen". Die wichtigste ist, dass Personen, die sich für diese Funktion interessieren, zumindest den Eindruck bekommen können, sie wären gut beraten, die Nähe jener zu suchen, die sie potentiell nominieren würden. Weil der Grundsatz "wen man nicht kennt, kann man nicht nominieren" gilt, scheint es sinnvoll, sich bekannt zu machen und sich als Bewerber*in im jeweiligen Umfeld strategisch zu positionieren. Das kann zB beratend sein, mit Gutachten, durch anwaltliche Vertretung im jeweiligen politischen Nahebereich oder ganz allgemein mit dem Bemühen, eher als kooperative*r Ansprechpartner*in aufzufallen und weniger durch konfrontative Kritik. Wer diese "Positionierungsarbeit" nicht leisten will oder nicht leisten kann, könnte eher außen vor bleiben. Auch hier gilt: das ist eine Folge der durch die Bundesverfassung im weiteren Sinne politisch angelegten Bestellung von VfGH-Mitgliedern (und man muss das auch nicht als Fehler beurteilen, sondern kann darin zB auch die Chance sehen, dass letztlich nur im politischen Umgang erfahrene, bewährte und verlässliche Personen in dieses Höchstgericht - das in vielen Fällen sehr politische Wertungsentscheidungen treffen muss - entsandt werden und dass dort im wesentlichen jenes Meinungsspektrum abgebildet wird, das im demokratischen Prozess die Oberhand gewonnen hat).
Dass zumindest der Eindruck entsteht, dass es Bewerber*innen nicht schaden kann, mit den jeweils wesentlichen Personen in der vorschlagsberechtigten Partei in gutem Einvernehmen zu stehen, mag auch ein wenig die Professor*innen- und Beamt*innen-Dominanz im VfGH erklären, denn diese Gruppen tun sich meist deutlich leichter, sich bei vorschlagsberechtigen Parteien „in Erinnerung zu rufen“ als zB Richter*innen. Im Übrigen ist bei Professor*innen auch die Sichtbarkeit ihrer Qualifikationen meist besser, denn sie müssen publizieren und sich so der Fachwelt stellen, viele treten auch mit Gutachten hervor, aus denen man gegebenenfalls bestimmte Orientierungen ableiten kann. Die Qualifikationen von Personen aus der Gerichtsbarkeit (die aber in letzter Zeit ohnehin kaum gefragt sind, siehe im Blog dazu hier) oder aus der Anwaltschaft, die berufsbedingt weniger wissenschaftlich publizieren und oft auch nicht in gleichem Maße in der Öffentlichkeit stehen (können), sind in der Regel deutlich weniger sichtbar.
Eine mich (als Unbeteiligten) eher belustigende Nebenwirkung des Systems parteipolitisch verteilter Nominierungsrechte ist es auch, dass sich gewisse "infights" zwischen Personen, die sich für die Funktion eines VfGH-Mitglieds bewerben möchten, auf eine ganz andere Ebene als die Ausschreibung verlagern. Wenn klar ist, dass das Nominierungsrecht für ein VfGH-Mitglied der Partei A zukommt, muss man das Rennen in dieser Partei für sich entscheiden, und da kann es um die Frage gehen, ob zB Bundesland A oder Bundesland B in dieser Partei gerade stärker ist, ob in dieser Partei gerade Föderalismus oder Zentralismus en vogue ist, oder wessen ehemalige Assistent*innen (oder Freunde oder Feinde aus Uni-Zeiten) in welchem politischen Büro mehr Einfluss auf ihre Chef*innen haben. Die der Partei A zuzurechnenden Kandidat*innen kämpfen da viel mehr gegeneinander als mit Kandidat*innen, die der Partei B zuzurechnen sind (falls sich diese überhaupt bewerben - weil man sich ja typischerweise für die Funktion eines VfGH-Mitglieds nur bewirbt, wenn man ein Signal bekommt, dass es aussichtsreich sein könnte).
Zusammenfassung (tl;dr)
Die Aufteilung von "Nominierungsrechten" für die Erstattung von Vorschlägen für die Bestellung von VfGH-Mitgliedern ist eine logische Folge davon, dass die Bundesverfassung dafür Vorschlagsrechte für Bundesregierung, Nationalrat und Bundesrat - und damit eine politisch dominierte Entscheidung - vorsieht. Damit das in einer Koalitionsregierung funktioniert, ist es auch zweckmäßig, ein Procedere festzulegen, wie die (notwendig einstimmige) Entscheidung der Bundesregierung oder die (um den Koalitionsfrieden zu wahren ebenfalls notwendig gemeinsame) Entscheidung von National- oder Bundesrat zustande kommt, und sei es dadurch, dass für bestimmte Funktionen entweder der Koalitionspartei A oder der Koalitionspartei B das Recht zukommt, die dem Bundespräsidenten vorzuschlagende Person auszuwählen. Wird nur das "Nominierungsrecht" festgelegt, aber noch kein Name fixiert, bedeutet dies auch nicht zwingend, dass das Ausschreibungsverfahren umgangen würde oder eine unsachliche Auswahl erfolgt, zumal es für die Besetzung einer derartigen Spitzenfunktion in der Regel nicht nur genau eine einzige bestgeeignete Person gibt, sondern eine - durchaus im weiteren Sinne politische - Auswahl zu treffen ist.
Diese Überlegungen gelten freilich nur für jene Funktionen, bei denen - wie beim VfGH - der Bundesregierung oder National- und Bundesrat eine Entscheidungsbefugnis zukommt. Dort, wo das Verfassungsrecht einem derartigen Einfluss von Bundesregierung, National- und Bundesrat aber Grenzen setzt, wie das beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufgrund des Bundesverfassungsgesetzes über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks der Fall ist, gelten andere Regeln - auf diese gehe ich im folgenden Blogbeitrag ein.
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