Tuesday, March 22, 2016

EGMR: keine Verletzung des Art 8 EMRK durch Unterbleiben der Strafverfolgung nach Talkshow-"Witzen" auf Kosten eines TV-Moderators

Manuel Luís Sousa Goucha ist ein populärer portugiesischer Fernsehmoderator, seit fast 40 Jahren in den Medien aktiv. 2008 hat er öffentlich bekannt gegeben, homosexuell zu sein. Durch einen "Witz" in einer Comedy Talk Show, der als Anspielung auf seine Homosexualität verstanden werden konnte, sah er sich in seiner Ehre verletzt. Weil er die nationalen Gerichte nicht zur Strafverfolgung der Sendungsmacher bewegen konnte, wandte er sich mit einer auf Art 8 EMRK gestützten Beschwerde an den EGMR. Dieser hat mit seinem heute bekannt gegebenen Urteil Sousa Goucha gegen Portugal (Appl. no. 70434/12) aber gegen den Beschwerdeführer entschieden und festgestellt, dass keine Verletzung des Art 8 - Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - vorliegt.

Ausgangsfall
In einer nach-mitternächtlichen Comedy Talk-Show fragte der Moderator seine Gäste, wer die beste portugiesische TV-Moderatorin sei und gab dafür vier Namen zur Auswahl an, darunter drei Frauen und Herrn Sousa Goucha. Dieser erstattete Strafanzeige wegen Beleidigung, unter anderem gegen den Moderator und die Programmverantwortlichen. Sein Ruf und seine Würde seien dadurch geschädigt worden, dass sein Name in die Liste der möglichen Antworten aufgenommen worden war.

Das Strafverfahren wurde jedoch vom Staatsanwalt nicht fortgeführt, auch eine Art Subsidarantrag von Sousa Gouche blieb erfolglos und wurde vom Gericht verworfen. Dabei wurde festgestellt, dass die Sendungsmacher weder beabsichtigt hatten, die Ehre des Beschwerdeführers anzugreifen, noch es als möglich ansahen, dass seine Ehre dadurch beeinträchtigt würde; die subjektive Tatseite lasse sich damit nicht verifizieren. Weiters hielt das Gericht fest
It should be taken into account that we have before us a comedy show, and that the moment at which the defendant asked her guest a question, referring to Manuel Luís Goucha as ‘one of the best female Portuguese hosts’, was considered to be one of the many jokes said throughout the show, typical of such shows.
[Manuel Luís Goucha] is a public figure and so must be used to having his characteristics captured by comedians in order to promote humour; it being public knowledge that [the applicant’s characteristics] reflect behaviour that is attributed to the female gender, such as his way of expressing himself, his colourful [feminine] clothes, and the fact that he has always lived in a world of women (see, for example, the programmes he has always presented on television).
(Video mit Bildern von Sousa Goucha mit Co-Moderatorin)

Auch in der Instanz blieb der Beschwerdeführer erfolglos; das Berufungsgericht sah durch die Äußerungen in der Sendung noch nicht die Schwelle für den Schutz der Ehre erreicht:
...the expression used in a playful and irreverent context and in the normal style previously adopted by the television show under consideration, even though one may consider it as being in bad taste, does not reach the threshold required by law for the protection of honour and consideration.
Urteil des EGMR

- Hinweis auf EuGH-Rechtsprechung
Zunächst ist bemerkenswert, dass der EGMR das EuGH-Urteil in der Rechtssache C‑201/13, Deckmyn und Vrijheidsfonds zitiert (im Blog dazu hier); dabei ging es um die Frage der urheberrechtlichen Zulässigkeit einer Parodie. Der EGMR nimmt auf dieses Urteil dann auch ausdrücklich Bezug (in Abs 50), um zu begründen, dass für Parodie ein besonders weiter Beurteilungsspielraum im Kontext der Freiheit der Meinungsäußerung eingeräumt werden müsse.

- Zur Zulässigkeit/Anwendbarkeit des Art 8 EMRK
Der Beschwerdeführer wurde in der Talk Show in einer Reihe weiblicher Moderatorinnen genannt; nach seiner Ansicht wurde damit Geschlecht und sexuelle Orientierung vermischt. Der EGMR hält dazu fest, dass Geschlecht und sexuelle Identität "two distinctive and intimate characteristics" sind. Jede Vermengung dieser Charakteristika stellt einen Angriff auf den Ruf der Person dar; Art 8 EMRK kommt daher zur Anwendung.

- In der Sache
Die vom Beschwerdeführer behauptete Verletzung des Art 8 EMRK resultiert nicht aus einem Urteil, sondern aus der Verweigerung der Strafverfolgung gegenüber den Sendungsmachern. Für den EGMR stellt sich daher die Frage, ob der Staat im Rahmen seiner positiven Verpflichtungen nach Art 8 EMRK einen angemessen Ausgleich zwischen dem Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seines Privatlebens und dem Recht der anderen Parteien auf freie Meinungsäußerung erreicht hat.

Der EGMR berücksichtigt dabei, dass der Beschwerdeführer ein prominenter TV-Moderator und damit eine "public figure" im Sinne der Rechtsprechung war. Außerdem spielt Umfeld und Art der als ehrverletzend angesehenen Äußerung - der "Witz" wurde in einer Late-Night Comedy Show gemacht - eine wesentliche Rolle. Satire ist eine Form des künstlerischen Ausdrucks und zielt - mit ihren Eigenschaften der Übertreibung und Realitätsverzerrung - auch auf Provokation. Jeder Eingriff in das Recht von Künstlern, sich in satirischer Form auszudrücken, muss daher besonders sorgfältig geprüft werden (Hinweis ua auf das Urteil Vereinigung bildender Künstler [im Blog dazu hier]). Der EGMR habe, so heißt es in Abs 50 weiter, im Fall Nikowitz (im Blog dazu hier) das Kriterium des "verständigen Lesers ("reasonable reader") eingeführt, der bei satirischem Material zu berücksichtigen sei (tatsächlich kommt im Urteil Nikowitz das Kriterium des verständigen Lesers nicht vor, nur das Kriterium des durchschnittlichen Lesers ["average reader"] - eine doch überraschende Unschärfe in diesem Urteil).

Unter diesen Umständen könne eine Verpflichtung des Staates nach Art 8 EMRK zum Schutz des guten Rufs des Beschwerdeführers dann entstehen, wenn die Aussagen über das nach Art 10 EMRK akzeptable Maß hinausgingen. Das kann der EGMR hier aber nicht feststellen. Die nationalen Gerichte hatten den spielerischen und respektlosen Stil der Sendung und den dort üblichen Humor berücksichtigt und waren zum Ergebnis gekommen, dass eine verständige Person den "Witz" nicht als Beleidigung/üble Nachrede ansehen würden, weil er auf das Verhalten des Beschwerdeführers und seine Ausdrucksweise abgezielt habe. Eine Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit zum Schutz des Rufs des Beschwerdeführers wäre in diesem Fall unverhältnismäßig gewesen.

- Zu Artikel 14 EMRK
Auch das Verbot der Diskriminierung nach Art 14 EMRK wurde nicht verletzt: Der EGMR hielt dazu fest, dass sich die nationalen Gerichte mit der farbenfrohen Kleidung des Beschwerdeführers befasst hatten und mit den TV-Shows, die er moderierte und die vorwiegend von Frauen gesehen wurden. Es gäbe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Gerichte zu einem anderen Ergebnis gekommen wären, wenn der Beschwerdeführer nicht homosexuell wäre (was an sich ein schwaches Argument ist, weil der Beschwerdeführer ja gerade der Auffassung war, dass ein derartiger "Witz" bei nicht homosexuellen Moderatoren nicht gemacht worden wäre). Der EGMR kommt jedenfalls zum Ergebnis, dass die Entscheidung, keine Strafverfolgung einzuleiten, durch das Ergebnis einer Abwägung zwischen den nach Art 8 und Art 10 EMRK geschützten Interessen bestimmt war und die Homosexualität des Beschwerdeführers dabei keine Rolle spielte.

Zusammengefasst:
Dass in Late-Night Shows respektlose Witzchen gemacht werden, muss man als Betroffener, wenn man eine "public figure" ist, schon aushalten - jedenfalls wenn es einen entsprechenden Anknüpfungspunkt gibt (wie hier den "femininen" Kleidungsstil des Betroffenen).

Update 03.04.2016: siehe nun auch den Beitrag von Hugh Tomlinson auf Inforrm's Blog.

1 comment :

Christian said...

Das Strafrecht ist das schärfste Schwert des Rechtsstaats. Das allein hätte m. E. genügt, die Beschwerde abzuweisen. Gute Analyse der Entscheidung, vielen Dank dafür!