Vor mehr als zwei Jahren hat der Verfassungsgerichtshof einige Bestimmungen im ORF-Gesetz über die Wahl von 6 Mitgliedern des Publikumsrates durch die Rundfunkteilnehmer (die legendäre "Fax-Wahl") aufgehoben (Erkenntnis vom 27.09.2011, VfSlg 19.509/2011). Da der VfGH in diesem Verfahren seinen Prüfbeschluss überraschend eng gezogen hatte, blieben nach der Aufhebung noch zwei Bestimmungen im ORF-Gesetz übrig, die ohne die aufgehobenen Regeln über die Fax-Wahl ziemlich in der Luft hängen: eine eher technische Regelung in § 28 Abs 11 ORF-G, in der noch auf die Bestellung der gewählten Mitglieder Bezug genommen wird, und eine inhaltlich schwerwiegendere Bestimmung in § 30 Abs 1 Z 2 ORF-Gesetz: demnach bestellt der Publikumsrat sechs Mitglieder des Stiftungsrates, "wobei drei Mitglieder aus den auf Grund der Ergebnisse der Direktwahl bestellten sechs Mitgliedern des Publikumsrates stammen müssen und jedenfalls je ein Mitglied aus den Bereichen der gesetzlich anerkannten Kirchen und
Religionsgesellschaften, der Hochschulen und der Kunst zu bestellen ist".
Nun haben SPÖ- und ÖVP-Abgeordnete einen Initiativantrag im Nationalrat für eine Änderung des ORF-Gesetzes eingebracht, nach der § 28 Abs 11 ORF-G zu § 28 Abs 6 ORF-G werden und in dieser Bestimmung die Wortfolge "nach Bestellung der Mitglieder gemäß Abs. 10" entfallen soll. In Kraft treten soll die Regelung rechtzeitig vor Bestellung der neuen Stiftungsratsmitglieder am 1. März 2014.
Auffällig an diesem Initiativantrag ist, was er nicht enthält: die - wesentlich dringendere - Neufassung des § 30 Abs 1 Z 2 ORF-Gesetz, um klarzustellen, wie die vom Publkumsrat in den Stiftungsrat zu entsendenden Mitglieder auszuwählen sind. Die Bedeutung des Publikumsrats an sich ist überschaubar, machtpolitisch einzig entscheidende Kompetenz ist ja die Entsendung von 6 Stiftungsratsmitgliedern. Da bei der letzten Direktwahl von Publikumsräten die Mobilisierungskraft von ÖVP-nahen Einrichtungen - anders als die beiden Male davor - stärker war als die von SPÖ-nahen Einrichtungen, sind aktuell zwei der drei Stiftungsräte, die vom Publikumsrat aufgrund der Direktwahl (nach § 30 Abs 1 Z 2 ORF-G) entsendet wurden, selbstverständlich genauso unabhängig wie alle anderen, aber halt doch dem konservativen Lager zuzurechnen. Das könnte sich ändern, wenn der Publikumsrat frei mit Mehrheitsbeschluss aus seiner Mitte jene Mitglieder auswählen könnte, die er in den Stiftungsrat entsendet.
Dass nun die nach dem VfGH-Erkenntnis notwendig gewordene Neuregelung über die Entsendung von Publikumsratsmitgliedern in den Stiftungsrat nicht im Initiativantrag enthalten ist, deutet darauf hin, dass zwischen den Koalitionsparteien noch keine Einigung darüber erzielt wurde (der Initiativantrag musste aber aufgrund des parlamentarischen Fahrplans schon eingebracht werden, wenn man ein Inkrafttreten mit 1. März noch ermöglichen will). Man kann also gespannt sein, ob es eine rechtzeitige Einigung in der Koalition gibt und die "Trägerrakete" damit zündet - und auch, ob sie noch zusätzlichen Ballast aufnehmen wird.
Update 02.04.2014: Der Nationalrat hat mittlerweile die Novelle beschlossen und in letzter Minute im Plenum zumindest noch die minimalst notwendigen Anpassung in § 30 Abs 1 Z 2 ORF-G vorgenommen. Das Gesetz soll - nach Zustimmung des Bundesrats - am 15. April 2014 in Kraft treten (Übersichtsseite auf der Parlaments-Website).
Thursday, January 30, 2014
Baustelle Publikumsrat - Initiativantrag für Änderung des ORF-Gesetzes
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