Sunday, November 03, 2013

"Staatsferne" des Rundfunks - Anmerkungen aus aktuellen Anlässen

1. Deutscher Mythos "Staatsferne des Rundfunks"
Am kommenden Dienstag, 5.11.2013, verhandelt das deutsche Bundesverfassungsgericht über einen Mythos, den es im Wesentlichen selbst geschaffen und - gegen jede Evidenz - in einer Reihe von Entscheidungen über die Jahre hindurch aufrechterhalten hat: die "Staatsfreiheit" (oder "Staatsferne") des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ausgerechnet zwei Länder (Rheinland-Pfalz und Hamburg) haben Normenkontrollanträge gestellt, mit denen sie den ZDF-Staatsvertrag angreifen, da sowohl Fernseh- als auch Verwaltungsrat des ZDF nicht ausreichend "staatsfern" seien.

Juristisch habe ich das jetzt natürlich sehr vereinfacht und notwendig unpräzise zusammengefasst, denn in der wunderbaren Welt der deutschen Rundfunkrechtsordnung müssen ja die Länder untereinander einen Staatsvertrag aushandeln, damit es ein deutschlandweites öffentlich-rechtliches Fernsehprogramm geben kann - und diesem Staatsvertrag (und jeder Änderung des Staatsvertrags) müssen sie dann auch durch Zustimmungsgesetze oder Zustimmungsbeschlüsse Wirksamkeit in ihren Ländern verleihen. Der Normenkontrollantrag der Regierung des Landes Rheinland-Pfalz muss daher erst einmal auf eineinhalb Seiten aufzählen, gegen welche konkreten landesrechtlichen Regelungen er sich richtet.

Das deutsche Rundfunkrecht ist aber nicht nur eine Blüte des mit viel Liebe gepflegten Föderalismus, sondern auch des mit noch mehr Liebe gepflegten juristischen Phrasenschnitzens und Schwurbelns. Je weniger eine Norm textlich hergibt (und Art 5 GG sagt zur Rundfunkorganisation ja gar nichts, sondern gewährleistet nach seinem Wortlaut nur die "Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk"), desto mehr Entfaltungsmöglichkeit besteht für formulierungsbegabte JuristInnen mit Gestaltungswillen, wie die Rundfunkurteile des Bundesverfassungsgerichtes belegen (siehe im Blog etwa zum Urteil aus 2007 hier).

Und schon aus Ehrfurcht vor dem Bundesverfassungsgericht kann auch der Verfasser des Normenkontrollantrags sein Anliegen natürlich nicht in einfachen Worten vorbringen, sondern formuliert zunächst einmal so:
"Der geltend gemachte Verstoß gegen die Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) liegt zentral in einer Verfehlung des Gebotes funktionsadäquater Staats- und Gruppenferne zum Rundfunk im Hinblick auf den Fernsehrat und den Verwaltungsrat des ZDF."
Für alle, die nicht den ganzen Normenkontrollantrag lesen wollen, fasst das Bundesverfassungsgericht kurz zusammen, worum es darin geht: "Die Antragsteller machen im Wesentlichen geltend, dass sich in den beiden Aufsichtsgremien ein zu großer Anteil von Staatsvertretern und staatsnahen Personen befinde". Instruktiv ist auch die vorgesehene Gliederung der mündlichen Verhandlung (hier, am Ende), in der zum Schluss auch "Praxistaugliche Möglichkeiten zur Änderung der Regelungen" erörtert werden sollen.

Ich habe ohnehin nie verstanden, wie man - angesichts einer Realität, in der zB Ministerpräsidenten der deutschen Länder Mitglieder entscheidender Gremien öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten sein können (und sind) - mit ernstem Gesicht von "Staatsferne" in der deutschen Rundfunkordnung sprechen konnte. Insofern ist der Begriff einer "funktionsadäquaten Staats- und Gruppenferne" sicher besser geeignet, denn da bleibt zumindest offen, wie weit der Staat vom Rundfunk tatsächlich entfernt sein muss, um dessen Funktion "adäquat" zu sein, sie also nicht zu stören. Wir werden sehen, welche Entfernung das Bundesverfassungsgericht da als grundgesetzlich gegeben ausmessen wird.


2. Staatsferne des Rundfunks in Österreich?
Für Österreich hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (die am Dienstag noch nicht fallen wird) unmittelbar keine Bedeutung - aber wenn die kommende Bundesregierung sich daranmacht, die schon wegen des VfGH-Erkenntnisses zur Wahl des Publikumsrates notwendige Reform der ORF-Gremien in Angriff zu nehmen, wird man sicher auch berücksichtigen, was das deutsche BVerfG so zur "Staatsferne" entscheidet.

Ich habe zur österreichischen Version der Staatsfreiheit des Rundfunks schon vor einigen Jahren ausführlicher geschrieben (hier - ich finde, das kann man heute immer noch lesen). Damaliger Anlass war eine völlig überraschende Veränderung in der kaufmännischen Direktion des ORF, die natürlich nichts mit der knapp zuvor erzielten politischen Einigung auf die (befristete) "Gebührenrefundierung" zu tun hatte. Mein Ergebnis damals: "So staats- und politikfern wie in Deutschland ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Österreich also allemal."

ORF-Generaldirektorin auf Wunsch des Bundeskanzlers
Dass es mit der Staatsferne tatsächlich auch in Österreich nicht allzu weit her ist (oder zumindest: war), bestätigt nun auch die frühere ORF-Generaldirektorin und nunmehrige Nationalratsabgeordnete Astrid Monika Eder-Lindner, die ihren Aufstieg zur Generaldirektorin wie folgt schildert:
"Irgendwann hat mich der Erwin Pröll zu sich eingeladen und gesagt, Du, es kann sein, dass Dich der Schüssel fragt, ob Du nach Wien gehen willst." Der Anruf von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel kam laut Lindner knapp vor der Wahl im ORF-Stiftungsrat. "Ich habe ja gesagt. Und am nächsten Tag wurde ich über Hintertreppen ins Bundeskanzleramt eingeschleust. Damit mich ja niemand sieht, sonst wäre das gleich in der Zeitung gestanden."
Mit anderen Worten: der Landeshauptmann kündigte der ORF-Landesdirektorin an, dass der Bundeskanzler sie zur ORF-Generaldirektorin machen wolle - und das, nachdem mit der großen Rundfunkrechtsnovelle 2001 angeblich eine Entpolitisierung des ORF erfolgen sollte ("Kernstück der Reform ist die Entpolitisierung", meinte zB ÖVP-Klubobmann Andreas Khol). Dass Eder-Lindner auch ihre Bestellung zur Landesintendantin dem - nach ihrer Schilderung offenbar mühsam errungenen - Wohlwollen des Landeshauptmanns verdankt, rundet das Bild des "staatsfernen" öffentlich-rechtlichen Rundfunks nur ab (formal hatte der Landeshauptmann damals keine Mitwirkungsbefugnis; nach der aktuellen Rechtslage - § 23 Abs 2 Z 3 ORF-G - muss der Generaldirektor vor der Erstattung von Vorschlägen für LandesdirektorInnen eine Stellungnahme des betroffenen Landes einholen, die freilich - rechtlich - nicht bindend ist).

Die "staatsferne" Art der Bestellung von Leitungsfunktionen, wie sie Eder-Lindner nun auch selbst schildert, liegt allerdings weniger in der Verantwortung jener, die in die Funktion berufen werden; verantwortlich dafür sind vor allem die Organmitglieder des für die Bestellung zuständigen Organs - konkret also die Mitglieder des Stiftungsrates, wenn diese mehrheitlich zulassen bzw in Kauf nehmen, dass ihnen die Entscheidung von der Politik aus der Hand genommen wird.

Vom Bundeskanzler ausgesucht - und mehr als der Bundeskanzler verdient
"Geldgier ist mir zu banal", sagte NAbg. Eder-Lindner in einem Zeitungsinterview im Zusammenhang mit ihrem Einzug in den Nationalrat, und das muss man ihr wohl glauben. Immerhin ist ihr aktuelles Einkommen samt den Bezügen aus der Abgeordnetentätigkeit nämlich deutlich geringer als jenes, das sie als ORF-Generaldirektorin erhielt.

Anders als die Bezüge des aktuellen Generaldirektors, um die der ORF in seinen Jahresabschlüssen (rechtlich zulässig: § 241 Abs 4 UGB bzw § 266 Z 7 UGB) ein Geheimnis macht, sind die Bezüge seiner Vorgängerin durch einen Rechnungshofbericht (S. 139 ff) vergleichsweise gut dokumentiert: demnach erhielt die Generaldirektorin ein Jahresgehalt von zuletzt (2006) € 348.000, dazu kamen noch Bonifikationen von höchstens 15% (wenn ich den RH-Bericht auf Seite 143, 2. Absatz, richtig verstehe, wurde de facto dieser Höchstsatz auch gezahlt), sowie schließlich eine Abfertigung von 12 Monatsgehältern. Mit knapp 400.000 € bezog die Generaldirektorin damit nicht nur weit mehr als der Bundeskanzler, sie war auch im internationalen Vergleich nicht unterbezahlt: die Bezüge der Chefs der deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten liegen teils deutlich darunter (seit wenigen Jahren legen die meisten Anstalten - ausgenommen der Hessische Rundfunk - diese Bezüge offen; siehe zB die Darstellung im Handelsblatt; auch inklusive Nebenverdiensten kommt demnach keiner der Intendanten aktuell auf mehr als 400.000 €, Spitzenverdiener ist - laut Spiegel - Tom Buhrow mit 367.232 €).*)


3. "Staatsferne" Abberufung des ORF-Generaldirektors?
Weil Überlegungen zu einer Neugestaltung der ORF-Spitze jetzt wieder durch die Zeitungen gehen: wenn man den Generaldirektor abberufen möchte, so würde der rechtlich vorgesehene Weg über einen Beschluss des Stiftungsrates nach § 22 Abs 5 ORF-Gesetz gehen, wofür eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist. Dabei muss man zwischen der Abberufung aus der Organfunktion und der Vertragsauflösung unterscheiden, sodass bei vorzeitiger Abberufung wohl die vertraglichen Ansprüche weiter bezahlt bzw abgefunden werden müssten (wie dies im Detail aussieht, darüber könnte man nur spekulieren, da der Vertrag nicht öffentlich ist). Die Stiftungsratsmitglieder sind bekanntlich weisungsungebunden, ihre Entscheidung wäre also genauso staatsfern oder -nah wie jede ihrer sonstigen Entscheidungen.

Alternativ dazu könnte der Generaldirektor natürlich auch mit einer Novelle zum ORF-Gesetz von seiner Funktion abberufen werden. Ich würde das derzeit zwar eher nicht erwarten, aber die Sorge ist offenbar so groß, dass die Verteidigungsstellungen schon aufgebaut werden, diesmal auch mit ungewöhnlichen Argumenten:

Und wie teuer wäre das?
"Eine vorzeitige Ablöse der ORF-Geschäftsführung und -Direktoren könnte den öffentlich-rechtlichen Sender bis zu acht Millionen Euro an Abschlagszahlungen kosten", habe Wrabetz erklärt, schreibt die APA unter Bezugnahme auf ein Wrabetz-Interview in "Österreich". In diesem Interview lautet die Passage (auf der Website) so:
... Wie viel würde die Ablöse insgesamt kosten? Man hört von 8 Millionen?
Wrabetz: Mit dem gesamten Team käme es in diese Größenordnung."
Dass der Generaldirektor darauf hinweist, wie teuer es wäre, ihn - mit "dem gesamten Team" - loszuwerden, ist für mich neu und angesichts der in Österreich gern und lustvoll geführten Neiddebatten (siehe gerade jetzt auch im Zusammenhang mit NAbg. Eder-Lindner) auch durchaus mutig, da er damit seine Bezüge - und die seines Teams - zum Diskussionsgegenstand macht.

Wieviel der Generaldirektor derzeit verdient (und wie teuer daher gegebenenfalls seine alleinige Ablöse käme) ist - wie erwähnt - nicht öffentlich. Nach dem bereits zitierten Rechnungshofbericht aus 2009 (S. 140) betrug sein Jahresgrundgehalt im Jahr 2007 349.000 € (zuzüglich Bonifikationen von höchstens 15%), wobei eine Inflationsanpassung mit einem Schwellwert von 3% vereinbart wurde. Nach der Neubestellung Ende 2011 für die Funktionsperiode 2012 bis 2016 war aber ein neuer Vertrag abzuschließen - die Dimensionen werden sich wohl nicht wesentlich verändert haben.

Mit dem "gesamten Team", desse Ablösung er in den Raum stellte, dürfte Wrabetz offenbar die vier DirektorInnen und auch die neun LandesdirektorInnen meinen (diese könnten vom Stiftungsrat aber nur auf Vorschlag des Generaldirektors abberufen werden). Geht man vom letzten Einkommensbericht des Rechnungshofs (S. 198) aus -, so käme man für das "gesamte Team" mit DirektorInnen und LandesdirektorInnen auf der Basis der Werte von 2010 für ein Jahr auf einen Betrag von ca. 4 Mio €. Das würde nahelegen, dass den angenommenen Kosten von 8 Mio € eine Abschlagszahlung im Umfang von (nur) zwei Jahresbezügen (die Funktionsperiode dauert noch bis Ende 2016) zugrunde liegen dürfte.

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*) Weil ich den Rechnungshofbericht schon zitiert habe, möchte ich zur Ergänzung auch noch auf diesen Blog-Beitrag zum Thema Qualitätssicherungssystem hinweisen.

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