Ausgangspunkt war ein Verfahren über die Belegung der analogen Kabelkanäle im Netz der Kabel Deutschland im Bundesland Niedersachsen. Nach den dort geltenden Rechtsvorschriften wurden von der Niedersächsischen Landesmedienanstalt (NLM) 18 der 32 verfügbaren Kanäle Rundfunkveranstaltern zugeteilt, die bereits über DVB-T terrestrisch verbreitet wurden (wenn auch nicht im gesamten Bundesland), ein Kanal wurde für das "Bürgerfernsehen" vorgesehen und für die übrigen 13 Kanäle legte die NLM die Rangfolge fest. Kabel Deutschland vertrat die Auffassung, dass die Bestimmungen des Niedersächsischen Mediengesetzes (NMedienG) nicht mit Art 31 Abs 1 der Universaldienst-RL vereinbar seien.
Nach dieser Bestimmung können die Mitgliedstaaten "zur Übertragung bestimmter Hör- und Fernsehrundfunkkanäle und -dienste den unter ihre Gerichtsbarkeit fallenden Unternehmen, die für die öffentliche Verbreitung von Hör- und Fernsehrundfunkdiensten genutzte elektronische Kommunikationsnetze betreiben, zumutbare Übertragungspflichten auferlegen, wenn eine erhebliche Zahl von Endnutzern diese Netze als Hauptmittel zum Empfang von Hörfunk- und Fernsehsendungen nutzen. Solche Verpflichtungen dürfen jedoch nur auferlegt werden, soweit sie zur Erreichung klar umrissener Ziele von allgemeinem Interesse erforderlich sind; sie müssen verhältnismäßig und transparent sein. Sie werden regelmäßig überprüft."
Da der Empfang über Kabel in Deutschland 57% der Haushalte erreicht, ist das Kriterium der "erheblichen Zahl von Endnutzern" erfüllt; auch das Erfordernis einer "bestimmten" Festlegung der zu übertragenden Kanäle ist auf Grund der gesetzlichen Regelung, die auf alle zur terrestrischen Verbeitung zugelassenen Kanäle abstellt, erfüllt.
Besonders betont der EuGH die Abgrenzung zwischen dem Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, der keine Regulierung der Inhalte vorsieht, einerseits und den im Allgemeininteresse gelegenen Regeln insbesondere in Bezug auf die Regulierung von Rundfunkinhalten (RNr. 32-34 des Urteils); er verweist auch ausdrücklich auf die Bedeutung von Art 10 EMRK (RNr 33 und 37). Wörtlich heißt es in RNr. 34:
"Daraus folgt, dass die Auslegung von Art. 31 Abs. 1 der Universaldienstrichtlinie nicht die nationalen Regelungen beeinträchtigen darf, die unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts Ziele von allgemeinem Interesse verfolgen, insbesondere in Bezug auf die Regulierung von Inhalten und die audiovisuelle Politik. Entsprechend dieser Aufteilung der Zuständigkeiten begründet Art. 31 Abs. 1 der Universaldienstrichtlinie, der sich in deren Kapitel IV („Interessen und Rechte der Endnutzer“) einfügt, kein Recht des Kabelnetzbetreibers, die auszustrahlenden Kanäle zu wählen, sondern schränkt dieses Recht ein, soweit es nach dem anwendbaren nationalen Recht besteht."Die Aufrechterhaltung eines pluralistischen Rundfunkwesens, die das NMedienG gewährleisten soll, steht - so der EuGH - im Zusammenhang steht mit der durch Art. 10 EMRK garantierten Meinungsfreiheit, die zu den von der Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechten gehört. Die betreffende Regelung im NMedienG verfolgt demnach ein Ziel des Allgemeininteresses, da sie den pluralistischen Charakter des Fernsehkanalangebots im Land Niedersachsen erhalten soll und damit Teil einer Kulturpolitik ist, die die Meinungsfreiheit der verschiedenen gesellschaftlichen, kulturellen und sprachlichen Strömungen im audiovisuellen Bereich in diesem Land schützen soll.
Eine Grenze finden die Übertragungspflichten dort, wo sie sich für den Kabelnetzbetreiber als unzumutbar erweisen, "weil sie solcher Art sind, dass der Betreiber sie – gegebenenfalls im Hinblick auf die Gesamtheit seiner Tätigkeiten – nicht unter wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen erfüllen kann." Dies zu beurteilen, ist allerdings Sache des nationalen Gerichts, das dabei auch zu berücksichtigen hat, ob die auferlegten Pflichten die Gewährung eines Entgelts im Sinne des Art 31 Abs 2 Universaldienst-RL erforderlich machen. Grundsätzlich ist aber auch die vollständige Belegung aller verfügbaren Kanäle durch die Behörde "im Rahmen eines transparenten, die Rechte des Kabelnetzbetreibers wahrenden Verfahrens" zulässig, um der größtmöglichen Zahl von Nachfragern, die dies aufgrund der ausgestrahlten Kanäle verdienen, den Zugang zum analogen Kabelnetz zu ermöglichen.
Auch bei der Frage, ob unter Fernsehdiensten im Sinne des Art 31 Universaldienst-RL auch Anbeiter von "Mediendiensten bzw. Telemedien, z.B. Teleshopping" zu verstehen seien, verweist der EuGH auf die Trennung zwischen der den Betreibern von Kommunikationsnetzen und -diensten auferlegten Übertragungspflicht und der inhaltlichen Beurteilung, die nicht Gegenstand des Art 31 der Universaldienst-RL sind; diese Vorschrift "bezieht sich nämlich nicht auf den Inhalt der Fernsehkanäle und ‑dienste, sondern regelt ihre Übertragung mit Hilfe von Telekommunikationsnetzen." (RNr. 60) Auch Telemedien wie zB Teleshopping sind aber nach der Fernseh-RL Fernsehdienste (und dieses Verständnis ist auf die Universaldienst-RL übertragbar), sodass im Ergebnis die Mitgliedstaaten sogar Übertragungspflichten für Teleshopping-Programme festlegen könnten. Wie weit aber must carry-Regeln für Teleshopping noch mit Zielen des Allgemeininteresses begründet werden können, dies zu prüfen ist wiederum Sache des nationalen Gerichts.
Der EuGH ist in diesem Urteil erkennbar bemüht, bei der Entscheidung über Übertragungspflichten nach der Universaldienst-RL auf keinen Fall der mitgliedstaatlichen Beurteilung im Hinblick auf die Regulierung von Rundfunkinhalten vorzugreifen, selbst wenn die konkrete Regulierung noch so überbordend ist wie nach dem NMedienG. Die Befürchtung mancher Rundfunkjuristen, dass der "Telekom-Rechtsrahmen" zum Einfallstor für einen "Eingriff Brüssels" in nationale Traditionen der Inhalteregulierung wird, scheint sich damit jedenfalls für die must carry-Regeln nicht zu bewahrheiten.
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