Tuesday, December 16, 2008

EuGH: SMS-Mitteilungen können journalistische Tätigkeit sein

Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Probleme auch von gewinnorientierten Medienunternehmen musste es vielleicht einmal gesagt werden: grundsätzlich schließt Gewinnerzielungsabsicht nicht aus, dass das entstehende Produkt journalistische Zwecke verfolgt. Wörtlich sagte der EuGH in seiner heutigen Entscheidung der Rechtssache C-73/07 Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia:
"die Tatsache, dass eine Veröffentlichung ... mit der Absicht verbunden ist, Gewinn zu erzielen, [schließt] nicht von vorneherein aus, dass sie als eine Tätigkeit angesehen werden kann, die 'allein zu journalistischen Zwecken erfolgt'. ... Ein gewisser kommerzieller Erfolg kann sogar die unverzichtbare Voraussetzung für den Fortbestand eines professionellen Journalismus sein."
Das Verfahren betraf die Auslegung der Datenschutzrichtlinie 95/46/EG, nach deren Artikel 9 die Mitgliedstaaten "für die Verarbeitung personenbezogener Daten, die allein zu journalistischen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, Abweichungen und Ausnahmen" vorsehen können, allerdings nur insofern, "als sich dies als notwendig erweist, um das Recht auf Privatsphäre mit den für die Freiheit der Meinungsäußerung geltenden Vorschriften in Einklang zu bringen."
In Finnland erscheint im Verlag von Satamedia eine Zeitung, deren "Hauptzweck die Veröffentlichung persönlicher Steuerdaten" ist. In dieser Zeitung werden jährlich "Namen und Vornamen von etwa 1,2 Millionen natürlichen Personen, deren Einkommen bestimmte Schwellenwerte überschreitet, sowie auf 100 Euro genau deren Einkommen aus Kapital und Erwerbstätigkeit und Angaben zur Besteuerung ihres Vermögens" veröffentlicht. Die Daten werden legal von den Steuerbehörden bezogen. Strittig war nun die Weiterverarbeitung der Daten, denn Satamedia bietet auch einen SMS-Dienst an, "der es Nutzern von Mobiltelefonen ermöglicht, sich gegen Zahlung von etwa zwei Euro die in der Zeitschrift Veropörssi veröffentlichten Daten auf ihr Telefon senden zu lassen." Die Datenschutzbehörden wollten diesen Dienst untersagen. Der Oberste Verwaltungsgerichtshof ersuchte den EuGH um Vorabentscheidung.

Der EuGH kommt zusammengefasst zum Ergebnis, dass eine Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinne der RL 95/46/EG vorliegt, dass aber der SMS-Infodienst, wenn er "ausschließlich zum Ziel [hat], Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten," zulässig ist, weil er in diesem Fall "allein zu journalistischen Zwecken erfolgt". Bemerkenswert - gerade auch für Veröffentlichungen im Internet (zB in Blogs!) - sind die Ausführungen zur journalistischen Tätigkeit; der EuGH weist ausdrücklich (RNr. 60) darauf hin, dass "die Entwicklung und die Vervielfältigung der Mittel zur Kommunikation und zur Verbreitung von Informationen berücksichtigt werden" muss. Der Träger, mit dem die verarbeiteten Daten übermittelt werden – "ob es sich um einen klassischen Träger wie Papier oder Radiowellen oder aber um einen elektronischen Träger wie das Internet handelt" –, ist daher nicht ausschlaggebend für die Beurteilung, ob es sich um eine Tätigkeit "allein zu journalistischen Zwecken" handelt. Ausdrücklich sagt der EuGH auch (RNr. 61): "Journalistische Tätigkeiten sind nicht Medienunternehmen vorbehalten".

Update 23.06.2010: Laut EMR-Newsletter 6/2010 hat das vorlegende finnische Gericht schließlich eine journalistische Tätigkeit im Ergebnis verneint und den Rechtsstreit zur Entscheidung an die Datenschutzkommission zurückverwiesen. Die Europäische Kommission hat in diesem Zusammenhang ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Finnland wegen mangelhafter Umsetzung der RL 95/46/EG eingeleitet (siehe die Presseaussendung der Kommission, die allerdings den Inhalt des EuGH-Urteils unrichtig referiert).

Update 13.02.2011: Die Sache geht vor dem EGMR weiter: der finnische Verwaltungsgerichtshof hat im fortgesetzten Verfahren nach der Vorabentscheidung durch den EuGH die Entscheidungen der Unterinstanzen behoben und dem Datenschutzrat aufgetragen, die Verarbeitung von Steuerdaten, wie sie 2002 durch die betroffenen Medieninhaber erfolgt ist, zu untersagen. Die Veröffentlichung der gesamten Steuerdatenbank sei keine journalistische Aktivität und nicht im öffentlichen Interesse geboten. Der Chefredakteur von Veropörssi wandte sich daraufhin an den EGMR, bei dem der Fall als Anttila gegen Finnland, Appl. no. 16248/10, anhängig ist. Er macht geltend, dass die Entscheidung des finnischen Verwaltungsgerichtshofes eine Vorzensur und damit eine Verletzung des Art 10 EMRK darstelle. Am 13.02.2012 teilte der EGMR mit, dass die Beschwerde dem Mitgliedstaat kommuniziert wurde (Statement of Facts).
Udpate 13.12.2013: Der EGMR hat die Beschwerde mit Entscheidung vom 19. November 2013, Anttila gegen Finnland (Appl. no. 16248/10) ratione personae zurückgewiesen, weil die Entscheidung der Datenschutzbehörde gegenüber den Unternehmen, die den SMS-Dienst betrieben, erlassen wurde, nicht aber gegenüber dem Beschwerdeführer selbst, und diesem daher kein Opferstatus im Sinne des Art 34 EMRK zukam.

1 comment :

Christian said...

Der EGMR hat inzwischen (Urteil v. 21.07.2015, Beschwerde-Nr. 931/13 ) über die Beschwerde der Unternehmen entschieden: keine Verletzung von Art. 10 EMRK, aber 9.500 EUR wegen überlanger Verfahrensdauer. Dazu gibt es ein abweichendes Sondervotum einer georgischen Richterin, die (m. E. zurecht) bezweifelt, dass Journalismus nur dann vorliegen kann, wenn die Menge der verarbeiteten Daten noch überschaubar ist. Nur weil durch eine Veröffentlichung viele Personen betroffen sind, wird die Angelegenheit nicht allein dadurch schlimm, schließlich bleibt ein möglicher Eingriff in für jeden Einzelnen immer noch sehr gering. Zudem war die Veröffentlichung jedes einzelnen Datensatzes auch nicht zu beanstanden, warum soll dass dann in der Masse unzulässig sein? Mir kommt auch unweigerlich der Gedanke an das Sandhaufenparadoxon...