Tuesday, July 05, 2011

EGMR: unzureichende Entschädigung wegen Verletzung der Privatsphäre - Journalistinnen in Sauna-Video mit Polizisten im nationalen TV

Der heute vom EGMR entschiedene Fall Avram ua gegen Moldau (Appl. no. 415888/05) erinnert von der Ausgangslage ein wenig an den Fall Mosley (dazu hier und hier): da wie dort stand zu Beginn ein geheim aufgenommenes kompromittierendes Video, das seinen Weg in ein nationales Medium fand. Der interessante Unterschied: im Fall Avram ua waren Journalistinnen selbst Opfer (zunächst der Polizei oder staatlicher Agenten, die die Aufnahmen machten, und dann des nationalen Fernsehsenders, der das Video ausstrahlte).

Investigativer Journalismus in der Republik Moldau war zumindest zum Zeitpunkt des Ausgangssachverhalts eine gefährliche Angelegenheit (angeblich gab es in den vergangenen zwei Jahren deutliche Fortschritte bei der Pressefreiheit, Freedom House berichtet von einem "dramatic opening"). Ich kann nur raten, den vom EGMR zusammengefassten Sachverhalt zu lesen, um einen Eindruck von den Umständen zu bekommen, unter denen sich drei Journalistinnen und zwei ihrer Freundinnen schließlich mit vier Polizisten und einem dubiosen Geschäftsmann in einer Sauna fanden. Jedenfalls gab es ein Video von diesem Saunabesuch, das die Journalistinnen in Unterwäsche und offenbar betrunken zeigte, zwei der Betroffenen küssten und berührten einen der Männer, und eine führte einen erotischen Tanz auf. Das Video wurde in einer vom Präsidenten des nationalen Fernsehens moderierten Sendung ausführlich gezeigt, die Gesichter der Männer waren dabei unkenntlich gemacht worden, während das Band bei den betroffenen Frauen auch angehalten wurde, um sie besser identifizieren zu können.

Die Frauen erstatten Strafanzeige, die im Ergebnis zu nichts führte. Erst in einem Zivilverfahren konnten die Betroffenen schließlich - durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes - Schadenersatz erhalten, in der Höhe von jeweils umgerechnet ca. 214 € (für die erst- und zweitbeschwerdeführenden Frauen gab es zusätzlich noch 107 € bzw 214 € wegen weiterer Vorwürfe).

Obwohl demnach die Beschwerdeführerinnen im Ergebnis vor den nationalen Gerichten Schadenersatz wegen des erfolgten Eingriffs in ihre grundrechtlich geschützte Privatsphäre erhalten hatten, stellte der EGMR dennoch eine Verletzung des Art 8 EMRK fest, weil die Entschädigung - obwohl sie das im nationalen Gesetz vorgesehene Höchstmaß erreichte - zu niedrig war:
"The Court points from the outset that a State which awards compensation for a breach of a Convention right cannot content itself with the fact that the amount granted represents the maximum under domestic law. If a State chooses to apply its domestic legislation in dealing with alleged breaches of Convention rights, it shall ensure that the legislation in question is compatible with the Convention and the Court’s case-law. [...]
[T]he Court considers that the amounts awarded by the Supreme Court of Justice to the applicants were too low to be considered proportionate with the gravity of interference with their right to respect for their private lives. According to the applicants, the broadcasting of the video on national television has dramatically affected their private, family and social lives and the Court sees no reasons to doubt that."
Staatliche Höchstgrenzen für Entschädigungen (in Österreich etwa § 7 MedienG) können also vor dem EGMR nicht als Ausrede dienen. Bevor man jetzt aber allzu große Erwartungen an die Entschädigungshöhe hat: der EGMR sprach den fünf Beschwerdeführerinnen - die deutlich höhere Beträge gefordert hatten - "on an equitable basis" 5.000 €, 6.000 € und drei mal 4000 € an Schadenersatz für immateriellen Schaden zu.

Deutlicher wird der aus der Republik Moldau stammende Richter Poalelungi, der in seinem zustimmenden Sondervotum ausdrücklich bedauert, dass die Beschwerdeführerinnen sich nicht auch auf Artikel 10 EMRK getützt hatten; er schreibt:
"This case [...] is more serious [...] since the applicants were journalists working for a newspaper which had expressed opinions critical of the Government. Moreover, there is strong prima facie evidence that the applicants’ secret filming in the sauna was organised by agents of the State. The video was later broadcast on national television in a programme presented by the president of the national television service and remarks about the opposition being behind the newspaper employing the applicants were made. The facts clearly suggest that the authorities were directly involved in this case and that they not only failed to investigate the applicants’ allegations but, on the contrary, created obstacles and hindered the investigation in every possible way.
In such a context, I would not treat the applicants’ complaint concerning the State’s failure to investigate the circumstances of their secret filming as a petty case of voyeurism but rather as a serious assault on the freedom of speech.
It is a pity that the applicants did not complain also under Article 10 of the Convention. However, the principles applicable in that Article could have been referred to in the examination of their complaint under Article 8." [Hervorhebung hinzugefügt]
PS: Ich weiß leider viel zu wenig über die aktuelle Situation in der Republik Moldau, aber wirklich beruhigend klingen auch die aktuellen Meldungen nicht: so wurde heute durch das Parlament die Absetzung des Präsidenten des Obersten Gerichtshofs beschlossen, weil er seine Pflichten nicht erfüllt und sich nicht mit Recht, sondern mit Politik beschäftigt habe (offiziöse Meldung der staatlichen Nachrichtenagentur); falls das stimmt, ist es jedenfalls schlimm genug, dass er überhaupt auf den Präsidentenposten kam.

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