Thursday, November 05, 2009

Eine neue Internet-Freiheit? Einigung zum Telekom-Paket

Als "neue Bestimmung zur Internet-Freiheit" verkauft die Europäische Kommission den Kompromisstext, auf den sich Rat und Parlament letzte Nacht im Vermittlungsausschuss zur Reform des Telekom-Rechtsrahmens geeinigt haben (Presseaussendung, aktuell nur in englischer Sprache; siehe auchdie Pressemitteilung des Parlaments, Berichte bei Telemedicus, orf-futurezone). Mit der Einigung ist nun die inhaltlich letzte Hürde für das neue Telekom-Paket genommen, formell sind natürlich noch Beschlüsse in Parlament und Rat erforderlich. Mit einer Veröffentlichung im Amtsblatt ist Anfang 2010 zu rechnen, sodass die nationalen Umsetzungsgesetze etwa Mitte 2012 in Kraft treten müssen (wie schon bei der letzten Reform können die Mitgliedstaaten die Anwendung des neuen Rechtsrahmens nicht vorziehen, sondern müssen die Bestimmungen einheitlich [erst] nach 18 Monaten nach dem Inkrafttreten der Richtline anwenden).

Das Paket besteht aus drei Rechtsakten:
Die beiden ersten Rechtsakte wurden bereits am 22.10.2009 vom Rat angenommen (Presseaussendung des Rates), der dritte Rechtsakt war Gegenstand des Vermittlungsausschusses, wegen des berühmten "Amendment 138" (einer Ergänzung zu Art 8 RahmenRL, demnach sollten die die Regulierungsbehörden auch "dem Grundsatz folgen, dass die Grundrechte und Freiheiten der Endnutzer, insbesondere gemäß Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zur Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit, keinesfalls ohne vorherige Entscheidung der Justizbehörden eingeschränkt werden dürfen, es sei denn, die öffentliche Sicherheit ist bedroht; in diesem Fall kann die Entscheidung der Justizbehörden im Nachhinein erfolgen."). Das Ganze hatte vor allem symbolische Bedeutung gehabt, denn im Hinblick auf die Platzierung in den regulatorischen Grundsätzen des Art 8 RahmenRL allein wäre die materiellen Folgen meines Erachtens vernachlässigbar gewesen.

Nun aber wurde das zahnlose Amendment 138 ersetzt durch eine meines Erachtens ebenso zahnlose neue Bestimmung in Art 1 der RahmenRL (Text weiter unten). Grundsatz ist, dass Maßnahmen von Mitgliedstaaten betreffend den Zugang zu oder die Nutzung von Diensten und Anwendungen mittels elektronischer Kommunikationsnetze die in der Europäischen Menschenrechskonvention (EMRK) garantierten Menschenrechte und Grundfreiheiten und die Grundsätze des Gemeinschaftsrechts respektieren müssen. Neuigkeitswert und normativer Gehalt dieser Bestimmung: null. [Update 6.11.2009: siehe für eine Ergänzung und kleine Relativierung hier]


Im zweiten Unterabsatz wird dann noch auf die Angemessenheit, Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft sowie angemessene Verfahrensgarantien verwiesen und noch zweimal die  EMRK sowie einmal die Grundfreiheiten und allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts erwähnt. All das geht meines Erachtens - bei einer ersten schnellen Durchsicht - nicht über das hinaus, was sich eben aus der EMRK und den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts schon ergibt, schränkt aber diese Freiheiten auch nicht ein. Nationalen Regeln, die Zugangsmöglichkeiten einschränken (Stichwort: HADOPI oder "three strikes out") steht die neue Bestimmung dann nicht entgegen, wenn die Vorgaben der EMRK eingehalten werden - aber diese Vorgaben müsste auch ohne den neuen Art 1 Abs 3a RahmenRL eingehalten werden.

Eine neue Internet-Freiheit ist die neue Bestimmung jedenfalls nicht, aber eine solche "neue Freiheit" hätte auch Amendment 138 nicht gebracht, und sie war auch im Telekom-Paket dem Grundsatz nach nicht angelegt.

Hier der Text des neuen Art 1 Abs 3a der RahmenRL laut Presseaussendung (Derzeit nur in englischer Sprache):
“Measures taken by Member States regarding end-users’ access to or use of services and applications through electronic communications networks shall respect the fundamental rights and freedoms of natural persons, as guaranteed by the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms and general principles of Community law.
Any of these measures regarding end-users’ access to or use of services and applications through electronic communications networks liable to restrict those fundamental rights or freedoms may only be imposed if they are appropriate, proportionate and necessary within a democratic society, and their implementation shall be subject to adequate procedural safeguards in conformity with the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms and general principles of Community law, including effective judicial review and due process. Accordingly, these measures may only be taken with due respect for the principle of presumption of innocence and the right to privacy. A prior fair and impartial procedure shall be guaranteed, including the right to be heard of the person or persons concerned, subject to the need for appropriate conditions and procedural arrangements in duly substantiated cases of urgency in conformity with the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms . The right to an effective and timely judicial review shall be guaranteed.”

Update 15.11.2009: hier nun der offizielle Text in deutscher Sprache:
"Maßnahmen der Mitgliedstaaten betreffend den Zugang zu oder die Nutzung von Diensten und Anwendungen über elektronische Kommunikationsnetze durch die Endnutzer wahren die in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschen­rechte und Grundfreiheiten sowie den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschafts­rechts verankerten Grundrechte und -freiheiten natürlicher Personen.
Alle diese Maßnahmen betreffend den Zugang zu oder die Nutzung von Diensten und Anwendungen über elektronische Kommunikationsnetze durch die Endnutzer, die diese Grundrechte und ‑freiheiten einschränken können, dürfen nur dann auferlegt werden, wenn sie im Rahmen einer demokratischen Gesellschaft ange­messen, verhältnismäßig und notwendig sind, und ihre Anwendung ist angemes­senen Verfahrensgarantien im Einklang mit der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie den allgemeinen Grund­sätzen des Gemeinschaftsrechts zu unterwerfen, einschließlich des Rechts auf effektiven Rechtsschutz und ein faires Verfahren. Dementsprechend dürfen diese Maßnahmen nur unter gebührender Beachtung des Grundsatzes der Unschulds­vermutung und des Rechts auf Schutz der Privatsphäre ergriffen werden. Ein vorheriges, faires und unparteiisches Verfahren, einschließlich des Rechts der betroffenen Person(en) auf Anhörung, wird gewährleistet, unbeschadet des Umstan­des, dass in gebührend begründeten Dringlichkeitsfällen geeignete Bedingungen und Verfahrensvorkehrungen im Einklang mit der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten notwendig sind. Das Recht auf eine effektive und rechtzeitige gerichtliche Prüfung wird gewährleistet."

2 comments :

Anonymous said...

Hmm... http://christianengstrom.wordpress.com/2009/11/06/landmarks-in-the-telecoms-text/

hplehofer said...

Zu lange für einen Kommentar: siehe meine Ergänzung zu diesem Thema in einem weiteren Blog-Beitrag