Der Werberat ist eine Selbstregulierungseinrichtung der Werbewirtschaft. Er beschränkt seine Tätigkeit ausschließlich auf "Wirtschaftswerbung" und schließt politische Werbung, Werbung aus dem Bereich Kunst und Kultur sowie von und für Non-Profit-Organisationen ausdrücklich aus seinem Zuständigkeitsbereich aus (Art 2 Abs 2 und 4 der Verfahrensordnung). Der Werberat befasst sich einerseits mit Beschwerden, und andererseits kann er auch "Vorprüfungen von Werbemaßnahmen im Rahmen des Services 'Copy Advice' vornehmen" (Art 2 Abs 7 der Verfahrensordnung).
Bei Beschwerden sieht der Werberat die Abgrenzung der Wirtschaftswerbung sehr eng: so hat er jüngst etwa die Auffassung vertreten, dass es sich bei einem Spiel auf der Website einer "volkstümlichen" Musikgruppe nicht um Wirtschaftswerbung bzw. kommerzielle Kommunikation handle (obgleich die Website zumindest der mittelbaren "Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds" dieser Musikgruppe diente und daher durchaus als kommerzielle Kommunikation angesehen werden könnte).
Anders hält es der Werberat offenbar beim "Copy Advice"-Service. Auch dieses Service sollte nach der Verfahrensordnung nur für Wirtschaftswerbung angeboten werden - ausgerechnet bei der "Es gibt keinen Gott"-Kampagne hat der Werberat aber eine Ausnahme gemacht und eine Vorprüfung durchgeführt. Er hätte es besser nicht getan, denn das Ergebnis ist erschreckend:
"'Wir sind mit einer sehr knappen Mehrheit zur Überzeugung gekommen, dass auch für den Atheismus das Prinzip der Religionsfreiheit gilt', sagte [Werberat-]Geschäftsführer Markus Deutsch." (Der Standard)Das muss man langsam und nochmals lesen, um es verarbeiten zu können: da erzählt der Geschäftsführer der zentralen Selbstregulierungseinrichtung der österreichischen Werbewirtschaft ganz unbekümmert, dass der Werberat nur mit einer sehr knappen Mehrheit zur Überzeugung gekommen sei, dass die Religionsfreiheit auch für den Atheismus gelte. Mit anderen Worten: fast die Hälfte der Werberatsmitglieder ist offenbar der Ansicht, dass ein elementares Menschenrecht für Atheisten nicht gelten solle (wieviele und welche Werberatsmitglieder an der Entscheidung beteiligt waren, wurde nicht bekannt gegeben, auf der Website des Werberats steht zu diesem Fall gar nichts - ist wohl auch besser so).
Glücklicherweise sind aber die Menschenrechte in Österreich keine Sache der persönlichen Überzeugung von Werberatsmitgliedern. Dennoch ist es zutiefst erschütternd, welches Grundrechtsverständnis bei einem substanziellen Teil der Werberatsmitglieder hier zutage getreten ist.
PS - Falls noch jemand überzeugt werden muss, dass die Religionsfreiheit auch die Freiheit der Atheisten ist: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte betont in ständiger Rechtsprechung die Bedeutung der Religionsfreiheit auch für Atheisten, Agnostiker, Skeptiker und "the unconcerned" - hier ein Zitat aus dem Urteil der Großen Kammer des EGMR vom 10.11.2005, LEYLA ŞAHİN v. TURKEY, Application no. 44774/98:
"The Court reiterates that, as enshrined in Article 9, freedom of thought, conscience and religion is one of the foundations of a 'democratic society' within the meaning of the Convention. This freedom is, in its religious dimension, one of the most vital elements that go to make up the identity of believers and their conception of life, but it is also a precious asset for atheists, agnostics, sceptics and the unconcerned. The pluralism indissociable from a democratic society, which has been dearly won over the centuries, depends on it. That freedom entails, inter alia, freedom to hold or not to hold religious beliefs and to practise or not to practise a religion". [Betonung hinzugefügt]PPS: Bisherige Stationen Räte-Republik-Rundreise waren der "Medienrat" und der PR-Ethik-Rat; bei Gelegenheit werde ich die Reise fortsetzen und dabei nochmals auf den Werberat zurückkommen
2 comments :
Danke für diese Serie und die pointierte Darstellung.
Lieber Herr Professor Lehofer! Sie betreiben offenbar eine "Kritik der reinen Vernunft" - anders als etwa zwei Wirtschaftsprofessoren in Deutschland (siehe http://www.satnews.de/mlesen.php?id=725db6d33ba3e694a6724787d4e3c1ea).Sie wollen öffentlich rechtlich produzierte Fernsehinhalte im online-Bereich nicht als legitim finanziert anerkennen. Bei einer rein wirtschaftspolitischen Argumentation kann auch nichts anderes herauskommen ... Besten Gruß. Gerhard Geiger
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