Der Oberste Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 18.11.2003, 4 Ob 219/03i, aus der (vom österreichischen Gesetzgeber gewählten) Formulierung "einschließlich seiner elektronischen Postadresse" logisch stringent abgeleitet, dass neben dieser mindestens ein anderer individueller Kommunikationsweg angegeben werden muss, worunter etwa Tefefon oder Telefax fallen.
Der deutsche Bundesgerichtshof hatte Zweifel, ob das nach der Richtlinie so klar sei, und legte dem EuGH die Frage vor, ob ein ausschließlich über das Internet tätiges Versicherungsunternehmen dazu verpflichtet sei, auf seiner Website eine Telefonnummer anzugeben, oder ob die Angabe einer Adresse für die elektronische Post genüge. Nach den nun von Generalanwalt Colomer erstatteten Schlussanträgen (Rechtsscahe C-298/07 deutsche internet versicherung AG) waren die Zweifel offenbar gerechtfertigt.
Getreu seinem Grundsatz "tief ist der Brunnen der Vergangenheit" holt Colomer auch diesmal weit aus und macht sich mit Marcel Proust auf die Suche nach der verlorenen Zeit:
"Schon immer hat es in der Menschheitsgeschichte Ablehnung und Skepsis gegenüber neuen Geschäftsformen gegeben, und das Telefon selbst, jetzt so alltäglich und vertauenswürdig, erweckte großes Misstrauen, als es begann, in die menschlichen Beziehungen vorzudringen."Zum Beleg dazu zitiert er Marcel Proust, der - so Colomer in Fußnote 9 der Schlussanträge - schildert, "wie Frau Bontemps mit Frau Swann anlässlich des Anschlusses von Elektrizität durch Frau Verdurin in ihrem neuen Haus die Geschichte der Schwägerin einer ihrer Bekannten bespricht, die Telefon in ihrer Wohnung installiert hat, mit dem sie bestellen könne, was sie wolle, ohne selbst ihr Zimmer zu verlassen! Frau Bontemps gibt eine gewisse Neugier auf den Apparat und eine unwiderstehliche Versuchung zu, seine Funktion zu erproben, zieht es jedoch vor, dies im Haus einer anderen Person zu tun, da er, ihrem Urteil nach, wenn das erste Vergnügen einmal vorüber sei, wirklich Kopfzerbrechen bereiten müsse."
Und was lässt sich daraus ableiten? Nach Colomer vor allem, dass auch die Skepsis gegenüber der Kommunikation über das Internet zurückgeht oder schon zurückgegangen ist, und "dass es vollkommen natürlich ist, dass die Kontakte zwischen dem im Netz tätigen Unternehmen und einem potenziellen Kunden auf diesem Weg, unter Ausschluss jedes anderen Weges, aufgenommen werden." Es sei daher mit den Zielen der Richtlinie besser zu vereinbaren, ausschließlich elektronische Post zu verlangen.
Dass das mit dem Text der Richtlinie nicht leicht vereinbar ist, sieht freilich auch Colomer, der daher meint, es sei "unumgänglich, die Wortlautauslegung des Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie ... zu nuancieren" (Hervorhebung hinzugefügt). Ich bin nicht überzeugt und gespannt, ob sich der Gerichtshof dieser so nuancierten Sichtweise anschließt.
Wie Colomer in seinen am selben Tag erstatteten Schlussanträgen in einer anderen Rechtssache (die nichts mit elektronischer Kommunikation zu tun hat) ausführt: "Manchmal entwickelt der Mensch mit großem Aufwand Kategorien, die nur in der Welt der Ideen Bestand haben. Wenn sich aber die Begriffssysteme festsetzen und ein Eigenleben für sich in Anspruch nehmen, entsteht die Gefahr, dass Diskussionen ausgelöst werden, die zu nichts führen."
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