Sunday, October 28, 2012

Was bedeutet das EuGH-Urteil zur Datenschutzkommission für die "unabhängigen Regulierungsbehörden"?

Mit Urteil vom 16.10.2012, C-614/10, Kommission/Österreich, hat der EuGH (Große Kammer) ausgesprochen, dass die österreichische Datenschutzkommission (DSK) dem Kriterium der Unabhängigkeit, wie es in Art 28 Abs 1 Unterabs 2 der Datenschutz-RL 95/46/EG für die mitgliedstaatlichen Datenschutz-Kontrollstellen festgelegt ist, nicht entspricht. Die Entscheidung war nicht überraschend: nach dem - ebenfalls in der Großen Kammer entschiedenen - Urteil des EuGH vom 09.03.2010 in der Rechtssache C-518/07, Kommission/Deutschland, zu den Datenschutz-Kontrollstellen der deutschen Länder;und nach den Schlussanträgen von Generalanwalt Mazák war nichts anderes zu erwarten gewesen.

Spannend könnte aber sein, ob die Auslegung des Begriffs der "Unabhängigkeit" in Art 28 Abs 1 der RL 95/46/EG durch den EuGH auch Hinweise für die Auslegung anderer Richtlinien geben kann, nach denen die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, unabhängige Einrichtungen zu schaffen. Für den Themenbereich dieses Blogs denke ich dabei natürlich an die sogenannten "unabhängigen Regulierungsbehörden" in den Bereichen Telekommunikation und Rundfunk. Dazu muss ich aber zunächst kurz auf das Urteil zur Datenschutzkommission und die zugrunde liegenden Rechtsgrundlagen eingehen:

Kontrollstelle "in völliger Unabhängigkeit" - zum EuGH-Urteil zur Datenschutzkommission
Art 28 Abs 1 der Datenschutz-RL lautet:
(1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, daß eine oder mehrere öffentliche Stellen beauftragt werden, die Anwendung der von den Mitgliedstaaten zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen einzelstaatlichen Vorschriften in ihrem Hoheitsgebiet zu überwachen.
Diese Stellen nehmen die ihnen zugewiesenen Aufgaben in völliger Unabhängigkeit wahr.
Der EuGH sieht dieses Kriterium der "völligen Unabhängigkeit" bei der Datenschutzkommission aus drei Gründen als nicht erfüllt an, und zwar weil:
  • das geschäftsführende Mitglied der Datenschutzkommission ein der Dienstaufsicht unterliegender Bundesbediensteter ist,
  • die Geschäftsstelle der Datenschutzkommission in das Bundeskanzleramt eingegliedert ist und
  • der Bundeskanzler über ein unbedingtes Recht verfügt, sich über alle Gegenstände der Geschäftsführung der Datenschutzkommission zu unterrichten.
In der Begründung des Urteils verwirft der EuGH alle Einwendungen Österreichs, darunter auch den Hinweis darauf, dass die DSK eine "Kollegialbehöde mit richterlichem Einschlag" (nach der noch bis 31.12.2013 geltenden Fassung des Art 133 Z 4 B-VG) und damit ein unabhängiges Gericht im Sinne von Art 267 AEUV und Art 6 EMRK sei.

Der EuGH hält dazu fest, dass der Ausdruck "in völliger Unabhängigkeit" in Art 28 der RL 95/46/EG "autonom, und damit unabhängig von Art 267 AEUV," auszulegen ist (RN 40). Er bezieht sich dabei zwar auf das Urteil zu den deutschen Datenschutz-Kontrollstellen, wonach die Bestimmung ausgehend vom Wortlaut der RL sowie von deren Zielen und Systematik auszulegen ist; der ausdrückliche Hinweis auf die autonome, von Art 267 AEUV losgelöste Auslegung findet sich in jenem Urteil aber noch nicht.

Unabhängige Regulierungsbehörden?
Auch für manche Regulierungsbehörden gibt es unionsrechtliche Vorgaben, in denen ihre Unabhängigkeit verlangt wird (eine Übersicht über einschlägige Richtlinienvorgaben zu Regulierungsbehörden im Bereich elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste, Elektrizität, Erdgas, Eisenbahn, Postdienste, audiovisuelle Mediendienste und Flughäfen ist - in englischer Sprache, zum Stand März 2011 - hier zu finden). Oft wird aber nur eine relative Unabhängigkeit verlangt: nämlich unabhängig von den regulierten Unternehmen zu sein (so im Wesentlichen bei den Regulierungsbehörden für Schienenverkehr, Postdienste und Flughafenentgelte); für audiovisuelle Mediendienste besteht unionsrechtlich kein (jedenfalls kein ausdrückliches) Gebot, unabhängige Regulierungsbehörden einzurichten. Für diese Regulierungsbehörden lässt sich daher aus dem DSK-Urteil des EuGH jedenfalls nichts gewinnen.

Weitergehende Anforderungen an die Unabhängigkeit bestehen aber für Regulierungsbehörden in den Bereichen Elektrizität und Erdgas sowie elektronische Kommunikationsnetze und -dienste; für letztere bestimmt Art 4 der RahmenRL:
(2) Die Mitgliedstaaten gewährleisten die Unabhängigkeit der natio­nalen Regulierungsbehörden, indem sie dafür sorgen, dass sie rechtlich und funktional von allen Unternehmen unabhängig sind, die elektroni­sche Kommunikationsnetze, -geräte oder -dienste anbieten. Wenn Mit­gliedstaaten weiterhin an Unternehmen beteiligt sind, die elektronische Kommunikationsnetze und/oder -dienste bereitstellen, oder diese kon­trollieren, müssen sie eine wirksame strukturelle Trennung der hoheit­lichen Funktion von Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Eigentum oder der Kontrolle sicherstellen.
[...]
(3a) Unbeschadet der Absätze 4 und 5 handeln die für die Vorab­regulierung des Markts oder für die Beilegung von Streitigkeiten zwi­schen Unternehmen nach den Artikeln 20 oder 21 zuständigen nationa­len Regulierungsbehörden unabhängig und holen im Zusammenhang mit der laufenden Erfüllung der ihnen nach den nationalen Rechtsvor­schriften zur Umsetzung des Gemeinschaftsrechts übertragenen Aufga­ben weder Weisungen einer anderen Stelle ein noch nehmen sie solche entgegen. Dies steht einer Aufsicht im Einklang mit dem nationalen Verfassungsrecht nicht entgegen. [...]
Während also Art 4 Abs 2 der RahmenRL noch das "klassische" Gebot enthält, von den regulierten Unternehmen unabhängig zu sein, geht Art 4 Abs 3a hinsichtlich bestimmter Aufgaben der Regulierungsbehörde (Marktanalyse, Streitentscheidung) darüber hinaus: hier wird auch (absolut) unabhängiges Handeln sowie Weisungsfreiheit verlangt. Eine verfassungsrechtlich vorgesehene Aufsicht (ohne Weisungszusammenhang) wird aber ausdrücklich akzeptiert.

In Österreich ist nun nach Art 20 Abs 2 (letzter Satz) B-VG für weisungsfreie Organe (wie zB die Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag oder sonstige weisungsfreie Regulierungsbehörden) "durch Gesetz ein der Aufgabe des weisungsfreien Organs angemessenes Aufsichtsrecht der obersten Organe vorzusehen, zumindest das Recht, sich über alle Gegenstände der Geschäftsführung der weisungsfreien Organe zu unterrichten" (vgl zur Telekom-Control-Kommission § 18 Abs 6 KOG). Dieses Unterrichtungsrecht der Bundesministerin ist aber aufgrund der oben zitierten Bestimmung in Art 4 Abs 3a RahmenRL wohl unproblematisch, da es sich dabei um eine "Aufsicht im Einklang mit dem nationalen Verfassungsrecht" handelt.

Zudem ist im Vergleich zwischen Telekom-Control-Kommission und Datenschutzkommission zu bedenken, dass die DSK unter anderem auch für die Kontrolle des Bundeskanzlers (im Hinblick auf Datenschutzvorschriften) zuständig ist. Aus diesem Grund waren auch die beiden anderen vom EuGH herangezogenen Kriterien dort besonders problematisch: das geschäftsführende Mitglied unterliegt der Dienstaufsicht des Bundeskanzlers und die Geschäftsstelle ist organisatorisch dem Bundeskanzleramt eingegliedert. Die Telekom-Control-Kommission hingegen wird zwar auch von einer Geschäftsstelle (der RTR-GmbH) unterstützt, die der Weisung eines obersten Organs (der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie) unterliegt (jedoch nur soweit sie nicht für die Telekom-Control-Kommission tätig ist). Die Telekom-Control-Kommission hat aber insbesondere keine Kontrollaufgaben gegenüber der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie, und es gehören ihr keine der Ministerin weisungsgebundene Mitglieder an, sodass meines Erachtens die in Art 4 Abs 3a RahmenRL geforderte Unabhängigkeit nicht in Zweifel steht.

Interessant könnte es hinsichtlich der Energie-Regulierungsbehörde sein. Art 35 der ElektrizitätsbinnenmarktRL 2009/72/EG (wie auch Art 39 der ErdgasbinnenmarktRL 2009/73/EG) verlangt unter anderem Folgendes:
(4) Die Mitgliedstaaten gewährleisten die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde und gewährleisten, dass diese ihre Befugnisse unparteiisch und transparent ausübt. Hierzu stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Regulierungsbehörde bei der Wahrnehmung der ihr durch diese Richtlinie und zugehörige Rechtsvorschriften übertragenen Regulierungsaufgaben
a) rechtlich getrennt und funktional unabhängig von anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen ist,
b) und sicherstellt, dass ihr Personal und ihr Management
i) unabhängig von Marktinteressen handelt und
ii) bei der Wahrnehmung der Regulierungsaufgaben keine direkten Weisungen von Regierungsstellen oder anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen einholt oder entgegennimmt. Eine etwaige enge Zusammenarbeit mit anderen zuständigen nationalen Behörden oder allgemeine politische Leitlinien der Regierung, die nicht mit den Regulierungsaufgaben und -befugnissen gemäß Artikel 37 im Zusammenhang stehen, bleiben hiervon unberührt.
(5) Zur Wahrung der Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde stellen die Mitgliedstaaten insbesondere sicher,
a) dass die Regulierungsbehörde unabhängig von allen politischen Stellen selbständige Entscheidungen treffen kann und ihr jedes Jahr separate Haushaltsmittel zugewiesen werden, sodass sie den zugewiesenen Haushalt eigenverantwortlich ausführen kann und über eine für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben angemessene personelle und finanzielle Ressourcenausstattung verfügt; und [...]
Die Unabhängigkeit der österreichischen Energie-Regulierungsbehörde E-Control soll insbesondere durch § 5 Energie-Control-Gesetz sichergestellt werden. Auch dort ist vorgesehen, dass das oberste Organ, der Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend, das Recht hat, "sich jederzeit über alle Gegenstände der Geschäftsführung und Aufgabenerfüllung zu unterrichten. Alle Organe der E-Control haben dem Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend unverzüglich und auf Verlangen schriftlich alle diesbezüglichen Anfragen zu beantworten."

Dieses - nach dem nationalen Verfassungsrecht (Art 20 Abs 2 letzter Satz B-VG) gebotene - unbedingte Informationsrecht des Ministers steht jedenfalls in einem Spannungsfeld zum Richtliniengebot, dass die Regulierungsbehörde "unabhängig von allen politischen Stellen selbständige Entscheidungen treffen kann". Anders als nach Art 4 Abs 3a RahmenRL fehlt nämlich in der ElektrizitätsbinnenmarktRL jede Bezugnahme auf eine "Aufsicht im Einklang mit dem nationalen Verfassungsrecht". Geht man aber mit dem EuGH (siehe RN 63 des DSK-Urteils) davon aus, dass ein solches Unterrichtungsrecht dazu angetan ist, die E-Control einem mittelbaren Einfluss seitens des Bundesministers auszusetzen, weil es zum einen sehr weit gefasst zum anderen unbedingt ist, dann könnte dadurch vielleicht auch die Unabhängigkeit "von allen politischen Stellen" im Sinne des Art 35 Abs 5 lit a ElektrizitätsbinnenmarktRL (Art 39 Abs 5 lit a ErdgasbinnenmarktRL) in Frage gestellt werden.

Strengere Anforderung an die Unabhängigkeit als bei Gerichten?
Wie schon oben erwähnt, legt der EuGH den Begriff der "völligen Unabhängigkeit" nach Art 28 der DatenschutzRL "autonom, und damit unabhängig von Art 267 AEUV" aus. Auf den ersten Blick scheint es, als würden die Anforderungen an die Unabhängigkeit der Datenschutz-Kontrollstellen tatsächlich über jene hinauszugehen, die der EuGH an Gerichte im Sinne des Art 267 AEUV stellt.

Denn wie Österreich im Vertragsverletzungsverfahren vorgebracht hatte, ist die Datenschutzkommission eine "Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag", und der EuGH hat solche Kollegialbehörden (ebenso wie die unabhängigen Verwaltungssenate) schon mehrfach als Gerichte iSd Art 267 AEUV (bzw der Vorgängerbestimmung Art 234 EG) anerkannt. So hat er etwa hinsichtlich des Umweltsenates im Urteil vom 10.12.2009, C-205/08 Umweltanwalt von Kärnten, in RNr 36 ausgeführt: "Dazu ist zum einen festzuhalten, dass Art. 11 Abs. 7, Art. 20 Abs. 2 und Art. 133 Z 4 B‑VG sowie die §§ 1, 2, 4 und 5 USG 2000 zweifelsfrei erkennen lassen, dass der Umweltsenat die Kriterien [...] der Unabhängigkeit einer solchen Einrichtung erfüllt." Besonders instruktiv dazu sind die Schlussanträge, in denen Generalanwalt Colomer die Frage der Gerichtsqualität des Umweltsenats iSd Art 234 EG ausführlich (RNr 21-61) erörtert und letzten Endes ebenfalls bejaht hat.

Auch beim Bundeskommunikationssenat hatte der EuGH keine Zweifel an der Unabhängigkeit; siehe RNr 21 des Urteils vom 18.10.2007, C-195/06, KommAustria: Zum anderen gewährleistet § 12 KOG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes die Unabhängigkeit des Bundeskommunikationssenats." (Generalanwalt Colomer hatte in seinen Schlussanträgen übrigens noch die Gerichtsqualität verneint). Und schließlich wurde auch der Oberste Patent- und Markensenat, ebenfalls eine nach Art 133 Z 4 B-VG weisungsfreie Kollegialbehörde, vom EuGH als vorlageberechtigtes Gericht iSd Art 234 EG beurteilt (Urteil vom 14.06.2007, C-246/05, Häupl, RNr 18), ebenso der Wiener Vergabekontrollsenat (Urteil vom 10.04.2008, C-393/06, Ing. Aigner).

Dass ein Vorabentscheidungsersuchen der Telekom-Control-Kommission vom EuGH hingegen zurückgewiesen wurde (C-256/05 Telekom Austria AG; siehe dazu hier), lag nicht an der fehlenden Unabhängigkeit, sondern daran, dass die Telekom-Control-Kommission im konkreten Fall als Verwaltungsorgan beurteilt wurde und damit die weitere Voraussetzung für die Gerichtseigenschaft nach Art 267 AEUV fehlte, wonach ein Rechtsstreit anhängig sein muss, "der auf eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter abzielt". Ob die Schienen-Control-Kommission als vorlageberechtigtes Gericht anzusehen ist, wird der EuGH in der Rechtssache C-136/11 Westbahn Management GmbH zu beurteilen haben; in den Schlussanträgen (RN 26-30) ließ Generalanwalt Jääskinen aber keinen Zweifel daran, dass er die Gerichtsqualität als gegeben ansieht.

Zusammenfassend kann man also festhalten, dass der EuGH österreichische Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag (wie auch die unabhängigen Verwaltungssenate, vgl etwa EuGH 04.03.1999, C-258/97, Hospital Ingenieure), sofern sie Entscheidungen mit Rechtsprechungscharakter zu treffen haben, bislang als Gerichte im Sinne des Art 267 AEUV angesehen hat.

Diese Kollegialbehörden sind zudem in aller Regel auch als unabhängige und unparteiische, auf Gesetz beruhende Gerichte ("Tribunale") anzusehen, wie sie Art 6 EMRK für die Entscheidung "über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit [einer] strafrechtlichen Anklage" verlangt (siehe dazu vor allem das grundlegende Urteil des EGMR vom 16.07.1971 im Fall Ringeisen, Appl. no. 2614/65, zu einer Grundverkehrskommission; RN 95ff; zu einem Ausnahmefall betreffend einen unabhängigen Verwaltungssenat siehe VfGH 02.10.1997, B 2434/95). Da sich Art 47 Abs 2 der Grundrechtecharta an Art 6 EMRK orientiert, würde ich auch für den Anwendungsbereich des Unionsrechts nicht daran zweifeln, dass solche Kollegialbehörden grundsätzlich als Gerichte im Sinne des Art 47 Abs 2 GRC anzusehen sind.

Schadet das "Unterrichtungsrecht" der obersten Organe der Gerichtsqualität von "Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag"?
Allerdings hatte der EuGH bislang noch nicht über die Gerichtseigenschaft (iSd Art 267 AEUV bzw Art 6 EMRK/Art 47 Abs 2 GRC) einer Kollegialbehörde zu entscheiden, bei der das "Unterrichtungsrecht" der obersten Organe gemäß Art 20 Abs 2 letzter Satz B-VG bereits bestand.*) Dieses Unterrichtungsrecht wurde erst mit der B-VG-Novelle BGBl I 2008/2 eingeführt und war gemäß Art 151 Abs 38 B-VG bis 31.12.2009 umzusetzen.

Es ist also keineswegs ausgemacht, dass das Unterrichtungsrecht nach Art 20 Abs 2 B-VG (in Verbindung mit dem jeweiligen Materiengesetz) einer Kollegialbehörde nicht vielleicht doch die Gerichtsqualität nehmen könnte. Wegen der Besonderheiten der Datenschutz-Kontrollstellen (insbesondere ihrer gegen den Staat gerichteten Kontrollaufgaben) und auch im Hinblick auf die vom EuGH ausdrücklich betonte autonome Auslegung des Art 28 Datenschutz-RL würde ich zwar aus dem DSK-Urteil des EuGH keine weitreichenden Schlüsse ziehen - aber dass das unbedingte und umfassende "Unterrichtungsrecht" als solches in einem Spannungsverhältnis zu einer richterlich verstandenen Unabhängigkeit steht, ist nicht zu leugnen.

Ob EuGH und/oder EGMR mit einer solchen Frage noch einmal befasst werden, ist allerdings offen: denn die mit Rechtsprechungsaufgaben befassten Kollegialbehörden sollen ja mit der Einführung der durchgängig zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit ab 1.1.2014 Geschichte sein (siehe die Liste der aufgelösten unabhängigen Behörden in der Anlage zur B-VG-Novelle BGBl I 2012/51 [Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012]).

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*) Hinsichtlich der Schienen-Control-Kommission ist übrigens das nach Art 20 Abs 2 letzter Satz B-VG erforderliche Unterrichtungsrecht der Bundesministerin bislang nicht umgesetzt worden (§ 83 EisbG); aus dem Urteil über das Vorabentscheidungsersuchen der Schienen-Control-Kommission in der Rechtssache C-136/11 Westbahn Management GmbH wird man daher für diese Frage nichts gewinnen können (Update 2.12.2012: siehe dazu in diesem Post, im Update unten) .

2 comments :

Anonymous said...

Der "Test" ob die DSK ein Gericht ist, kommt nun doch noch. Zu C-46/13 liegt dem EuGH seit 28.1.2013 ein Vorabentscheidungsersuchen der DSK vor. Es geht um die Frage, ob die VDS-RL (und die allgemeine DS-RL) die Pflicht der Telekoms zur Auskunftserteilung bei Vorratsdaten einschränkt. Der EuGH wird Farbe bekennen müssen: Ist die "völlige Unabhängigkeit" im Sinne seines jüngsten Urteils auch Maßstab für die unionsrechtliche Qualität eines Gerichts?

Anonymous said...

Inzwischen gibt es auch eine Antwort auf die Frage, ob die mangelnde Unabhängigkeit der DSK die Wiederaufnahme eines höchstgerichtlichen Verfahrens ermöglicht: der VwGH hat dies klar verneint (in der Sache wurde damals sogar öffentlich-mündlich vor dem VwGH verhandelt), seinen Zurückweisungsbeschluss (vom 21. Dezember 2012, Zlen. 2012/17/0465 und 0466) aber nicht nur formal (mit Versäumung der Frist nach § 45 Abs. 2 2. Fall VwGG) sondern auch materiell unter Berufung auf EuGH-Judikatur zur Frage der Rechtskraft recht ausführlich begründet.
https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Dsk&Dokumentnummer=DSKTE_20050802_K121047_0006_DSK_2005_00 (bis ans Ende blättern/scrollen)