Thursday, May 14, 2009

Die Katharsis des Sektors, das Wesen der Netze und dazwischen ein "Superdummkopf" - Schlussanträge in der Rs C-192/08 TeliaSonera

Generalanwalt Dámaso Ruiz-Jarabo Colomer ist für seine manchmal exzentrischen Schlussanträge bekannt (siehe dazu zB hier, hier, hier, hier oder hier). Auch die heute veröffentlichten Schlussanträge in der Rechtssache C-192/08 TeliaSonera werden diesen Ruf wohl eher bestärken, denn auch diesmal gibt es wieder eher philosophische Ausflüge in Geschichte und Grundkonzeption der Telekomregulierung, eine manchmal ungewöhnliche Wortwahl* und schließlich Literaturzitate, deren Bezug zur Rechtssache nicht unnmittelbar einleuchtend scheint.

Colomer spricht etwa von der "Läuterung des Sektors", die gewisse Impulse von außen erfordert habe (Nr. 41, im spanischen Original: "la catarsis del sector precisaba de ciertos impulsos externos"), oder er fordert "die Untersuchung des Wesens der Netze" (Nr. 49, "desvelar ... a naturaleza de las redes"). Und in Nr. 50 merkt er zum Wortlaut des Art 4 der ZugangsRL an, dass dieser "eine synallagmatische Verbindung erkennen [lässt], die für die einen Vorteile, für die anderen aber häufig Nachteile mit sich bringt" - und umittelbar dazu stellt er eine Fußnote, die (vollständig) so lautet:
"Der italienische Wirtschaftshistoriker Cipolla, C. M., schildert in Allegro ma non troppo, Ed. Crítica, Biblioteca de bolsillo, Barcelona, 2001, mit köstlicher Ironie 'die Gesetze der menschlichen Dummheit' und ordnet die Personen anhand einer einfachen Gewinn- und Verlustrechnung in vier Kategorien ein: 'Der Leichtgläubige' führt eine Handlung aus, durch die er Schaden erleidet, aber dem Nächsten einen Vorteil verschafft, 'der Intelligente' erzielt einen Vorteil und lässt einen anderen daran teilhaben, 'der Bösewicht' erzielt einen Gewinn und schadet dabei einem anderen, und dem 'Dummkopf', einem absurden Geschöpf, das anderen schadet, ohne dabei etwas zu gewinnen, fügt er eine Unterkategorie 'Superdummkopf' hinzu, der wegen seines unglaublichen Verhaltens den anderen und sich selbst schadet."
Was das mit der Verhandlungspflicht über die Zusammenschaltung, die in Art 4 der ZugangsRL geregelt ist, zu tun haben soll, erschließt sich mir nicht. Ebenso zusammenhanglos könnte ich also hier zB auf Cipollas erstes Grundgesetz der menschlichen Dummheit hinweisen: "Sempre ed inevitabilmente ognuno di noi sottovaluta il numero di individui stupidi in circolazione." (ungefähr übersetzt: "Jeder unterschätzt immer und unvermeidlich die Zahl der im Umlauf befindlichen dummen Personen").

Nun aber zur Rechtssache, die sich eigentlich vergleichsweise einfach zusammenfassen lässt: iMEZ AB, ein Anbieter von SMS und MMS-Diensten, der ein "Short Message Service Center" betreibt und in Schweden mit allen Mobiltelefonbetreibern Verträge abgeschlossen hat, will auch in Finnland stärker ins Geschäft kommen und mit dem stärksten Betreiber, TeliaSonera, einen (Zusammenschaltungs?)Vertrag abschließen, um seine Dienste auch über dieses Netz anbieten zu können (in Finnland hatte iMEZ zu diesem Zeitpunkt nur einen Vertrag mit Elisa Oyj). TeliaSonera bietet aber, nach Ansicht der Regulierungsbehörde, nur sehr einseitige Bedingungen an und wird daher von der Regulierungsbehörde verpflichtet, nach Treu und Glauben über die Zusammenschaltung für SMS und MMS zu verhandeln und die "Operabilität" dieser Dienste herzustellen. (Weder TeliaSonera noch iMEZ haben auf einem hier relevanten Markt beträchtliche Marktmacht im Sinne des Art 14 RahmenRL.) TeliaSonera geht gegen die Entscheidung der Regulierungsbehörde zu Gericht und das oberste finnische Verwaltungsgericht legt dem EuGH Fragen zur Vereinbarkeit einer Verhandlungs- und Zusammenschaltungspflicht, wie sie im finnischen Gesetz vorgesehen ist, mit den Art 4, 5 und 8 der ZugangsRL vor.

Wesentliches Ergebnis der Schlussanträge: Die Verhandlungspflicht nach Art 4 ZugangsRL trifft nur Netzbetreiber, nicht auch Diensteanbieter. Da es sich nicht um eine Mindestregelung handelt, dürfen die Mitgliedstaaten diese Verpflichtung auch nicht ausweiten. Unter bestimmten Bedingungen könnte die Regulierungsbehörde aber nach Art 5 Abs 4 der ZugangsRL iVm Art 20 Abs 1 der RahmenRL auch für Dienste eingreifen - denn Art 5 Abs 4 der ZugangsRL gilt auch für den Zugang, der - anders als die Zusammenschaltung nach dem neuen Rechtsrahmen - auch Dienste, nicht nur Netze, betrifft.

Ob iMEZ allerdings ein Netzbetreiber ist oder nur ein Diensteanbieter, lässt sich aus dem Vorlagebeschluss nicht beurteilen. Dass iMEZ von der schwedischen Regulierungsbehörde ein Mobile Network Code zugeteilt wurde, ist für den Generalanwalt dabei nicht von Bedeutung; in Nr. 100 schreibt er: "Doch darf dieser Sachverhalt, der sich in Schweden ereignete, keine transnationalen Auswirkungen haben und sich in maßgeblicher Art und Weise auf den Telekommunikationsmarkt in Finnland auswirken". Das scheint mir im Hinblick auf Art 8 Abs 3 der RahmenRL doch recht kurz gegriffen.

*) Gelegentlich hat man den Eindruck, dass die deutsche Übersetzung des spanischen Originals noch merkwürdiger ist als das Original selbst, etwa wenn in Nr. 55 von den "übrigen Unternehmen der Zunft" die Rede ist (spanisch: "El resto de entidades del gremio").

1 comment :

Helge said...

Die Übersetzung von "El resto de entidades del gremio" ist so falsch, dass ich mir nicht einmal vorstellen kann, dass das im Kontext einer freien, sinngemäßen Übersetzung korrekt sein kann.