Sunday, October 26, 2025

Der Bundeskanzler will unabhängige Behörden unter politische Kontrolle bringen (sagt aber nicht welche)

Auch wenn er es nicht ausspricht: aktuell steht vor allem die E-Control im Fokus.

Der Kurier probiert seit einiger Zeit, TV-Ähnliches zu produzieren (da kommen dann - wie zuletzt - so Dinge heraus wie ein Interview mit dem Raiffeisen-Generalanwalt), und er versucht sich auch an  einem Podcast, der - wenn nicht Kurier-Leute mit Kurier-Leuten diskutieren - im wesentlichen aus  mitgefilmten Interviews besteht.  

Ausschnitt aus dem Kurier vom 26.10.2025Beide Formate haben den Vorteil, dass man daraus Content für die Printzeitung machen kann, und heute bedeutet dies - neben einer Seite für den Raiffeisen-Generalanwalt - auch eine Seite für ein Interview mit Bundeskanzler Stocker.

Dieses Interview mit dem Bundeskanzler hat mich schon zu einem Thread auf BlueSky motiviert, und jetzt grife ich das Thema noch in einem kurzen Blogpost auf: der Bundeskanzler will nämlich - so muss man seine Aussagen wohl verstehen - zumindest einzelne derzeit unabhängige und weisungsfreie Behörden (wieder) unter politische Kontrolle bringen. Welche er meint, will er - auch auf Nachfrage - nicht sagen, und das ist Teil der Strategie. 

Zunächst zu den konkreten Aussagen: im Bild  links der relevante Ausschnitt aus dem Print-Kurier (man kann davon ausgehen, dass das in diesem Wortlaut auch explizit freigegeben wurde), und im Anschluss das Transkript vom YouTube-Video des Podcasts (ab Minute 22:37 bis 23:47; die Fragen stellte Kurier-Redakteurin Johanna Hager): 

[Hager] Herr Stocker, Sie haben vorher gesagt, Sie werden sich vielleicht Kompetenzen oder etwas zurückholen. Können Sie das noch näher definieren, wo der Staat vielleicht mehr klare Kante zeigen wird, künftig? 
[Stocker] Ich will es jetzt nicht an einem konkreten Beispiel festmachen, weil sonst wird sich an dem festgebissen und das alles zerlegt ... 
[Hager] An einem Bereich vielleicht, im Bereich des Schulwesens oder ...
[Stocker] Ich sage Ihnen die Grundstruktur, die ich in der Vergangenheit jetzt erlebt habe. Aus dem Bestreben, dass man Entscheidungen objektivieren will, hat man Vieles aus der Politik herausgenommen und in unabhängige und weisungsfreie Behörden verlagert. Und das kritisch zu hinterfragen, glaube ich, würde sich lohnen, überall dort, wo wir so unabhängige weisungsfreie Behörden haben, weil oftmals ist die Entscheidung dieser Behörde dann zwar unabhängig und weisungsfrei, aber die Politik wird dafür verantwortlich gemacht und wie gesagt, ich trage gerne Verantwortung für meine Entscheidungen, aber nicht für die anderer.
[Hager] Jetzt werden wir wahnsinnig gespannt, welche Institutionen sie meinen, aber sie wollen dezidiert keine nennen.
[Stocker] Richtig.
[Hager] Gut. 
Bemerkenswert: da sagt der Bundeskanzler, dass er unabhängige Behörden kritisch hinterfragen will, ist aber auch auf Nachfrage nicht bereit, die damit gemeinten Behörden zu nennen, einfach, weil "sonst wird sich an dem festgebissen" (aka: es könnte Kritik daran geben - wie bei jeder politischen Entscheidung). 

Wenn er schon - wie er sagt - gerne Verantwortung trägt für seine Entscheidungen: es wäre seine Entscheidung, welche Behörde er hinterfragen will, und es wäre auch eine legitime politische Entscheidung (des Gesetzgebers), im Rahmen der verfassungs- und unionsrechtlichen Möglichkeiten Behörden entweder weisungsfrei oder nicht weisungsfrei einzurichten, 

Tatsächlich sind weisungsfreie Behörden verfassungsrechtlich eine Ausnahme und nur unter bestimmten, sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (siehe im Detail Art. 20 Abs. 2 B-VG; u.a. zur Sicherung des Wettbewerbs und zur Durchführung der Wirtschaftsaufsicht, zur Aufsicht und Regulierung elektronischer Medien und zur Förderung der Medien, zur Durchführung einzelner Angelegenheiten des Dienst- und Disziplinarrechts, oder soweit dies nach Maßgabe des Rechts der Europäischen Union geboten ist). 

Es gibt daher in Österreich gar nicht so viele weisungsfreie Behörden. Die meisten von ihnen sind deshalb unabhängig und weisungsfrei, weil das Unionsrecht dies verlangt, zumindest für einen Teil der  ihnen übertragenen Aufgaben (das betrifft vor allem die sektorspezifischen Regulierungsbehörden wie Telekom-Control-Kommission, Schienen Control-Kommission, KommAustria, E-Control, aber auch die Datenschutzbehörde und die Finanzmarktaufsichtsbehörde). Andere Behörden - wie die Personalvertretungsaufsichtsbehörde oder der Unabhängige Parteien-Transparenz-Senat - sind allein auf Grund nationalen (Verfassungs-)Rechts unabhängig gestellt - hier könnte also der nationale (Verfassungs-)Gesetzgeber eingreifen und die Unabhängigkeit beseitigen, ohne dass zunächst EU-Recht geändert werden müsste. 

Zur Übersicht: Liste unabhängiger österreichischer Behörden
(nicht ganz vollständig, ich hoffe aber die in der Praxis relevanten Behörden erfasst zu haben) 
Daneben gibt es zahlreiche unabhängige beratende Einrichtungen, diverse Anwaltschaften, Rechtsschutzbeauftragte, Räte, Kommissionen, Beiräte usw., die aber keine Behörden im engeren Sinne sind, die verbindliche, rechtskraftfähige Entscheidungen treffen (ich habe auch einzelne echte Behörden hier nicht erwähnt, weil sie ziemlich sicher nicht im Fokus des Bundeskanzlers stehen, so etwa der Vorstand der Post AG als [unabhängige] Dienstbehörde für die der Post zugewiesenen Beamten oder die Bundesverteilungskommission nach dem Verteilungsgesetz Bulgarien und ähnliche).

Wenn wir uns die obige Liste einmal anschauen: welche Behörden könnte der Bundeskanzler im Blick haben? Es geht ihm offenbar um den Eindruck, dass für bestimmte Entscheidungen die Politik verantwortlich gemacht wird, die aber nichts dafür kann, weil sie von einer unabhängigen Behörde getroffen wurde. 

Vor diesem Hintergrund kommen einige der hier genannten Behörden in Betracht:
Aber aktuell dürfte vor allem die E-Control im Fokus stehen. Grund dafür sind zunächst einmal hohe Netzkosten, die auf die Inflation durchschlagen - und damit dem vom Bundeskanzler stets und nachdrücklich betonten politisch prioritären Ziel der Inflationsbekämpfung zuwiderlaufen. Im profil hat sich der Bundeskanzler sogar selbst mit Ideen zur Senkung der Netzkosten zu Wort gemeldet, es ist also ein Thema, mit dem er sich persönlich beschäftigt. 

Zudem ist derzeit - noch bis Dienstag, 28. Oktober 2025 - der Vorstand der E-Control ausgeschrieben. Es ist kein Zufall, dass in diesem Kontext da und dort (geschäfts-)politisch motivierte Kritik von Energie-Unternehmen, besonders gerne von politisch gut vernetzten Landesenergieversorgern, an der Tätigkeit der Regulierungsbehörde geäußert wird (die zB hier von jenem Vorstandsmitglied der E-Control, das sich nach zwei Funktionsperioden nicht neuerlich bewerben kann, elegant gekontert wird).

Die Diskussion über das Hinterfragen der Unabhängigkeit weisungsfreier Behörden ist vor diesem Hintergrund vor allem als Signal zu sehen: an alle (Regulierungs-)Behörden, aber ganz besonders an die E-Control und hier wiederum speziell an jene, die sich für den Vorstand der E-Control bewerben.

Gerade indem der Bundeskanzler nicht deutlich macht, was er konkret vorhat, verbreitet er eine gewisse Unruhe unter allen potentiell betroffenen Behörden. Das kann durchaus chilling effects haben, zumindest bei jenen, die sich erstmals (oder neuerlich) um eine Funktion bei einer unabhängigen Behörde bewerben. 

Mag sein, dass bloß das auch Ziel der Botschaft des Bundeskanzlers war, und vielleicht hatte er wirklich nicht mehr vor, als zumindest eines in den Raum zu stellen: mit der Unabhängigkeit der Behörde könnte es schnell wieder vorbei sein - dann nämlich, wenn sie zu sehr davon Gebrauch macht.

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PS: ich beschäftige mich seit über 25 Jahren mit Fragen unabhängiger (Regulierungs-)Behörden, sowohl praktisch (ich war einmal Mitarbeiter einer solchen und danach Leiter einer - damals noch nicht unabhängigen - Regulierungsbehörde) als auch theoretisch (diverse einschlägige Publikationen und Vorträge). Dabei stellen sich komplexe Fragen, gerade zur Rückbindung weisungsfreier Behörden an demokratisch legitimierte Entscheidungsträger:innen, zu den Gründen und zu den Grenzen für die Weisungsfreistellung, zu regulatory capture, und zu vielem mehr; man kann da auch auf sehr viel Fachliteratur und auf Erfahrungen mit verschiedensten Behörden aus unterschiedlichsten Ländern zurückgreifen. Vielleicht kommt jetzt wieder einmal eine intensivere Diskussion dazu in Gang, aber vorerst scheint mir die Sache noch nicht so ausgegoren, dass man jetzt schon tiefer einsteigen müsste.

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