Wednesday, April 30, 2014

EuGH: Anbieten von Sat-TV (mit Zugangsberechtigungssystem) ist elektronischer Kommunikationsdienst

Der EuGH hat heute in seinem Urteil in der Rechtssache C-475/12, UPC DTH (Pressemitteilung des EuGH), geklärt, dass auch der Anbieter von (verschlüsselten) Sat-TV-Diensten als Erbringer elektronischer Kommunikationsdienste iSd RahmenRL 2002/21/EG anzusehen ist und dabei der Kontrolle jenes Mitgliedstaates unterliegt, in dem er die Dienste anbietet. Das Ergebnis überrascht nicht, aber es wird die Kommission sicher in ihrem Ziel bestärken, auch im Telekommunikationsbereich von der Aufsicht durch die jeweiligen Mitgliedstaaten, in denen Dienste erbracht werden, abzugehen und - wie im Bereich audiovisueller Mediendienste seit langem verwirklicht - eine reine Sitzstaatskontrolle zu verwirklichen.

Zum Ausgangsverfahren
UPC DTH ist eine in Luxemburg eingetragene Handelsgesellschaft, die vom luxemburgischen Hoheitsgebiet aus in anderen Mitgliedstaaten, insbesondere in Ungarn, wohnhaften Teilnehmern Hörfunk- und audiovisuelle Programmpakete anbietet, die einer Zugangsberechtigung unterliegen und über Satellit empfangen werden können. UPC ist nicht Eigentümerin der Satelliteninfrastruktur und bedient sich zu diesem Zweck der Dienstleistungen Dritter. UPC übt auch keine redaktionelle Kontrolle über die Programme aus. Das Entgelt, das den Nutzern der Dienstleistung in Rechnung gestellt wird, umfasst sowohl die Übertragungskosten als auch die Gebühren, die an die Rundfunkanstalten und kollektiven Verwertungsgesellschaften im Zusammenhang mit der Veröffentlichung ihrer Inhalte gezahlt werden.

Die ungarische Regulierungsbehörde führte ein Marktüberwachungsverfahren gegen UPC und verlangte dabei auch Auskünfte zu vertraglichen Beziehungen. UPC verweigerte die Auskunft und verwies auf eine Stellungnahme der luxemburgischen Regulierungsbehörde, "wonach die luxemburgischen Behörden für die von der UPC erbrachten Dienstleistungen territorial zuständig seien und nach luxemburgischem Recht die von diesem Unternehmen erbrachte Dienstleistung keine Dienstleistung der elektronischen Kommunikation sei." Im nachfolgenden Veraltungsstrafverfahren legte das von UPC angerufene ungarische Gericht dem EuGH Fragen zur Auslegung der RahmenRL sowie des AEUV vor.

(Verschlüsseltes) Sat-TV als elektronischer Kommunikationsdienst
Der EuGH hat bereits in der Rechtssache C-518/11 UPC Nederland (zu den Schlussanträgen im Blog hier) ausgesprochen, dass "ein aus der Bereitstellung eines über Kabel zugänglichen Basisangebots an Hörfunk- und Fernsehprogrammen bestehender Dienst, für den Übertragungskosten sowie die an Rundfunkanstalten und kollektive Verwertungsgesellschaften im Zusammenhang mit der Veröffentlichung ihrer Inhalte gezahlten Gebühren in Rechnung gestellt werden, unter den Begriff 'elektronischer Kommunikationsdienst' und damit in den sachlichen Anwendungsbereich [ua der RahmenRL] fällt, [...] sofern dieser Dienst in erster Linie die Übertragung von Fernsehinhalten über das Kabelnetz bis zum Empfänger des Endnutzers umfasst."

Dasselbe gilt, so hält der EuGH im heutigen Urteil fest, auch für UPC DTH als Anbieter von Satelliten-TV, und zwar auch, wenn der Anbieter kein Signal überträgt und kein elektronisches Kommunikationsnetz in Form eines Satellitennetzes besitzt:
43   In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass der Umstand, dass die Übertragung des Signals über eine Infrastruktur erfolgt, die nicht der UPC gehört, für die Einordnung der Art der Dienstleistung unerheblich ist. Es kommt nämlich nur darauf an, dass die UPC gegenüber den Endnutzern für die Übertragung des Signals, die diesen die Bereitstellung des Dienstes, den sie abonniert haben, gewährleistet, verantwortlich ist.
44 Jede andere Auslegung würde die Tragweite des NRR [neuen Rechtsrahmens] beträchtlich verringern, die praktische Wirksamkeit seiner Vorschriften beeinträchtigen und damit die Verwirklichung der Ziele, die er verfolgt, vereiteln. Da das eigentliche Ziel des NRR, wie aus dem fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/140 hervorgeht, die Schaffung eines wirklichen Binnenmarkts für die elektronische Kommunikation ist, in dessen Rahmen diese letztendlich nur durch das Wettbewerbsrecht geregelt werden soll, würde der Ausschluss der Tätigkeiten eines Unternehmens wie der UPC von seinem Anwendungsbereich unter dem Vorwand, dass dieses nicht Eigentümer der Satelliteninfrastruktur sei, die die Übertragung der Signale erlaube, diesen Rahmen nämlich eines wesentlichen Teils seiner Bedeutung berauben (vgl. in diesem Sinne Urteil UPC Nederland, EU:C:2013:709, Rn. 45).
Dass die Teilnehmer der UPC erst nach Entschlüsselung Zugang zu den über Satellit übertragenen Programmen haben, ändert daran ebenfalls nichts. Entgegen der Ansicht des vorlegenden Gerichts schließt nämlich der Umstand, dass es sich bei einem Dienst um ein Zugangsberechtigungssystem iSd Art 2 lit f der RahmenRL handelt, nicht aus, dass er zugleich als elektronischer Kommunikationsdienst iSd Art 2 lit c der RahmenRL anzusehen ist. Die Einführung eines Zugangsberechtigungssystems ist, so der EuGH, unmittelbar mit der Leistung des geschützten Dienstes verknüpft:
51   [...] In allen Fällen, in denen der Betreiber des Zugangsberechtigungssystems gleichzeitig der Erbringer der Dienstleistung der Verbreitung von Hörfunk- oder Fernsehprogrammen ist, was im Ausgangsverfahren der Fall sein dürfte, handelt es sich um eine vereinheitlichte Dienstleistung, in deren Rahmen die Bereitstellung des Hörfunk- oder Fernsehdiensts den Kern der von diesem Betreiber ausgeübten Tätigkeit darstellt, während das Zugangsberechtigungssystem nur ein untergeordnetes Element ist.
52   Unter Berücksichtigung seines untergeordneten Charakters kann ein Zugangsberechtigungssystem mit einem elektronischen Kommunikationsdienst, der die Verbreitung von Hörfunk- oder Fernsehprogrammen zum Gegenstand hat, verknüpft werden, ohne dass der zuletzt genannte Dienst die Eigenschaft eines elektronischen Kommunikationsdiensts verliert.
Der EuGH kommt daher zum Ergebnis,
dass Art. 2 Buchst. c der Rahmenrichtlinie dahin auszulegen ist, dass eine Dienstleistung, die darin besteht, entgeltlich die Zugangsberechtigung zu einem aus Radio- und Fernsehprogrammen bestehenden Programmpaket, das über Satellit verbreitet wird, bereitzustellen, vom Begriff "elektronischer Kommunikationsdienst" im Sinne dieser Bestimmung erfasst wird. Der Umstand, dass dieser Dienst ein Zugangsberechtigungssystem im Sinne von Art. 2 Buchst. ea und f beinhaltet, ist in dieser Hinsicht ohne Bedeutung. Der Betreiber, der eine Dienstleistung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende erbringt, ist als Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste im Sinne der Rahmenrichtlinie zu betrachten.
Zum freien Dienstleistungsverkehr (Art 56 AEUV)
Schwieriger ist die Frage der Reichweite des freien Dienstleistungsverkehrs: Zwar ist klar, dass die Ausstrahlung von Fernsehsendungen wie auch ihre Übertragung den Bestimmungen des AEUV über den Dienstleistungsverkehr unterliegt (der EuGH verweist auf die Urteile De Coster und United  Pan-Europe Communications Belgium). Ob aber eine nationale Regelung im Sektor der elektronischen Kommunikation - wie das einschlägige ungarische Gesetz - anhand von Art 56 AEUV zu prüfen ist, hängt vom Grad der von der Union in diesem Bereich vorgenommenen Harmonisierung ab (RNr 61 u 62 des Urteils).

- keine Vollharmonisierung
Der EuGH verweist darauf, dass nach Art 1 Abs 3 der RahmenRL die von den Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Unionsrecht getroffenen Maßnahmen zur Verfolgung von Zielen, die im Interesse der Allgemeinheit liegen, unberührt bleiben (RNr 65), und dass er in der Rechtssache C-522/08 Telekomunikacja Polska/UKE (siehe dazu hier bei contentandcarrier) schon zum Ergebnis gekommen ist, dass die RahmenRL und die UniversaldienstRL keine vollständige Harmonisierung der Aspekte des Verbraucherschutzes vorsehen (RNr 69). [Die weiteren Verweise auf Art 8 Abs 1 der RahmenRL (in RNr 66), auf den 15. Erwägungsgrund der GenehmigungsRL (RNr 67) und gar auf Art 9 Abs 1 der ZugangsRL (RNr 68) sind aus meiner Sicht eher irreführend, zumal es gerade bei der letztgenannten Bestimmung nicht um den Grad der Harmonisierung geht, sondern Handlungsspielräume der nationalen Behörden (und nur dieser, also insbesondere nicht  des Gesetzgebers, siehe die Rechtssache C-424/07 Kommission / Deutschland, im Blog dazu ua hier) umschrieben werden.]

- Dienstleistung iSd Art 56 AEUV
Infolgedessen prüft der EuGH die nationale Regelung in Bezug auf die nicht vom NRR (neuer Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationssnetze und -dienste] erfassen Gesichtspunkte anhand von Art 56 AEUV. Der EuGH hält dazu fest, dass es sich bei der Tätigkeit von UPC DTH um eine Dienstleistung iSd Art 56 AEUV handelt, da es nicht darauf ankommt, dass die Gesellschaft die Dienstleistung auch in ihrem Sitzstaat anbietet oder nur gelegentlich in Ungarn anbietet; auch der Umstand, dass sich eine Unternehmen in einem Mitgleidstaat niedergelassen hat, um sich den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zu entziehen, schließt es nicht aus, seine Sendungen als Dienstleistungen iSd AEUV anzusehen (RNr 72-78).

- keine Sitzstaatskontrolle 
Da UPC DTH - entsprechend dem Ergebnis des EuGH zur Definition des elektronischen Kommunikationsdienstes - elektronische Kommunikationsdienste im ungarischen Hoheitsgebiet erbringt, unterliegt er dabei der Überwachung durch die ungarische Reguilierungsbehörde. Der EuGH betont (RNr 86), dass die GenehmigungsRL "beim derzeitigen Stand des Unionsrechts keine Verpflichtung der zuständigen nationalen Behörden zur Anerkennung der Genehmigungsentscheidungen vorsieht, die in dem Staat ergangen sind, von dem aus die betreffenden Dienstleistungen erbracht werden" (Hervorhebung hinzugefügt - der Vorschlag der Kommission für die "Connected Continent"-Verordrnung [siehe dazu im Blog hier] möchte ja genau das ändern!).Überwachungsverfahren in Bezug auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden elektronischen Kommunikationsdienste sind daher von den Behörden des Mitgliedstaats durchzuführen, in dem die Empfänger dieser Dienstleistungen wohnen (RNr 88). 

- Registrierungspflicht nach Art 2 Abs 3 der GenehmigungsRL zulässig
Nach Art 3 Abs 2 der GenehmigungsRL dürfen Mitgliedstaaten von Unternehmen, die elektronische Kommunikationsdienste anbieten, eine Meldung fordern werden (wobei der Umfang der Meldung in Art 3 Abs 3 der GenehmigungsRL beschränkt wird). Art 56 AEUV verwehrt es daher den Mitgliedstaaten nicht, den Dienstleistungserbringern eine Meldepflicht aufzuerlegen, sofern sie nicht über die Grenzen des Art 3 der GenehmigungsRL hinausgeht (vgl RNr 100 des Urteils). 

- Niederlassungspflicht verstößt gegen Art 56 AEUV
Der Mitgliedstaat kann also zwar eine Meldung der Diensteerbringung verlangen, nicht aber - wie dies in Ungarn offensichtlich der Fall ist - darüber hinaus auch noch die Errichtung einer Niederlassung. Die Antwort des EuGH auf die diesbezügliche Vorlagefrage ist keine Überraschung:
102   Es ist festzustellen, dass eine nationalrechtliche Bestimmung, wonach ein in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenes Unternehmen in dem Mitgliedstaat, in dem es elektronische Kommunikationsdienste bereitzustellen wünscht, eine ständige Niederlassung gründen muss, gegen das Verbot jeder Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs in Art. 56 AEUV verstößt.
103   Zwar können Beschränkungen dieser Freiheit allgemein im Rahmen der Ausnahmeregelungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, die in dem nach Art. 62 AEUV auf diesem Gebiet anwendbaren Art. 52 AEUV ausdrücklich vorgesehen sind, zulässig oder gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein (Urteil Garkalns, C‑470/11, EU:C:2012:505, Rn. 35).
104   Eine Niederlassungspflicht läuft jedoch dem freien Dienstleistungsverkehr direkt zuwider und nimmt damit Art. 56 AEUV jede praktische Wirksamkeit (vgl. in diesem Sinne Urteile Kommission/Deutschland, 205/84, EU:C:1986:463, Rn. 52, und Kommission/Deutschland, C‑546/07, EU:C:2010:25, Rn. 39).
105   Auf jeden Fall sind, wie die Generalanwältin in den Nrn. 83 und 91 ihrer Schlussanträge erwogen hat, die weiter reichenden Kontrollmöglichkeiten, die die Einrichtung einer Zweigniederlassung oder eines selbständigen Rechtssubjekts eröffnen würde, im Ausgangsverfahren nicht gerechtfertigt. 

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