(Ausschnitt eines litauischen Antikorruptionsposters: Išgirdau. Pamačiau.Pranešiau - ich habe gehört - gesehen - berichtet) |
Dort hatte die Staatssicherheit ein Gespräch zwischen Jurij Borisov - einem russischen "Geschäftsmann", der zum Präsidentschaftswahlkampf von Rolandas Paksas eine namhafte Summe beigetragen hatte - und Algirdas Drakšas (damals Parteikollege des Präsidenten und Stadtrat in Vilnius) abgehört, in dem Borisov sich ziemlich verärgert zeigte, dass der Präsident die ihm gemachten Zusagen nicht einhalten wolle. Borisov kündigte in diesem Telefonat unter anderem an, dass er sein Geld zurückholen werde, wenn der Präsident die Zusagen nicht einhalte; "the President, you understand, is a corpse already", heißt es an einer Stelle im vom EGMR übersetzten Transkript der Aufzeichnung. (Als Präsident hat Rolandas Paksas tatsächlich nicht überlebt, er wurde 2004 nach einem Urteil des Verfassungsgerichts vom Parlament seines Amtes enthoben; zu Borisov - später wegen Erpressung verurteilt und seiner Staatsbürgerschaft wieder verlustig gegangen - gibt es auch ein Urteil des EGMR.)
Gegen Drakšas waren nach dem ersten von der Staatssicherheit abgehörten Gespräch von den Justizbehörden weitere Überwachungen angeordnet worden, auch im Zusammenhang mit anderen Vorwürfen gegen ihn wie zB des Schmuggels. Die Aufzeichnung des Gesprächs mit Borisov wurde später - unter nie aufgeklärten Umständen - geleakt und im Fernsehen gespielt; andere Gesprächsaufzeichnungen aus der weiteren Telefonüberwachung wurden im Zuge des Verfahrens gegen den Präsidenten vor dem Verfassungsgericht öffentlich vorgespielt.
Der EGMR, der von Drakšas wegen Verletzung seines Rechts auf Privatleben nach Art 8 EMRK angerufen wurde, fand sowohl die von der Staatssicherheit durchgeführte als auch die von den Justizbehörden angeordnete Telefonüberwachung gesetzlich gedeckt, ausreichend begründet, einem legitimen Ziel (nationale Sicherheit und Verbrechensverhütung) dienend und erforderlich.
Hinsichtlich der Veröffentlichung der Telefonaufzeichnungen unterschied der EGMR zwischen dem geleakten Gespräch mit Borisov und den Gesprächen mit dem Präsidenten und Geschäftspartnern, die im Zuge des Amtsenthebungsverfahrens öffentlich gemacht wurden. Zum Gespräch mit Borisov hielt der EGMR fest, dass dieses zwar vom Geheimdienst deklassifiziert wurde, aber nach der litauischen Strafprozessordnung dennoch hätte vertraulich bleiben müssen. Weiter heißt es in Absatz 60 des Urteils:
Nonetheless, the conversation became known to the public. [...] The Court thus concludes that despite the legal provisions designed to ensure that the surveillance is carried out in strict accordance with the law in order to protect a person’s privacy against abuse, the actual practice followed in this case was different. Whilst acknowledging the Government’s argument that the public had a right to information about one of its civil servants, the Court nevertheless considers that the SSD [State Securit Department] was responsible for keeping the information confidential. Lastly, the Court cannot fail to observe that to this day the Lithuanian authorities have not discovered who leaked the conversation to the media [...]. In these circumstances, the Court concludes that the lack of protection exercised in respect of the applicant’s telephone conversation with J.B. was not in accordance with the law. This gives rise to a violation of Article 8 of the Convention.Schon der faktisch unterbliebene Schutz vor einer - gesetzlich nicht gedeckten - Veröffentlichung des abgehörten Telefonats führte also zur Feststellung einer Verletzung des Art 8 EMRK!
Anders lag das bei den Gesprächen, die der Beschwerdeführer mit Geschäftsparnern und dem Präsidenten geführt hatte, denn diese wurden entsprechend den nationalen Gesetzen im Zuge des Amtsenthebungsverfahrens und mit Bewilligung der Strafverfolgungsbehörde öffentlich gemacht. Dass dabei - wie vom Beschwerdeführer vorgebracht - von ihm selbst wie auch vom Präsidenten(!) "words which were obscene and used only in a very familiar environment" verwendet worden waren, wird vom EGMR zwar berücksichtigt, reicht aber nicht, um angesichts der konkreten Umstände die Veröffentlichung als Verletzung des Art 8 EMRK zu beurteilen:
Given the bad language used by the applicant during those telephone calls, the Court attaches a certain weight to his sentiment that the disclosure thereof might to a certain extent have discredited his name in business circles and with public in general. That being so, the Court cannot overlook the fact that those conversations were disclosed in the framework of Constitutional Court proceedings strictly adhering to the requirements of the domestic law and having obtained authorisation from a prosecutor [...]. Moreover, the reasons to play the conversations, on the basis of which the State President was later impeached, at the Constitutional Court’s hearing appear to be weighty. On this point the Court also reiterates that reporting, including comment, on court proceedings contributes to their publicity and is thus perfectly consonant with the requirement under Article 6 § 1 of the Convention that hearings be public. Not only do the media have the task of imparting such information and ideas; the public also has a right to receive them. This is all the more so where public figures are involved, such as, in the present case, the applicant, who was a founding member of the State President’s political party and a member of the Vilnius City Municipality Council, and the head of State. Such persons inevitably and knowingly lay themselves open to close scrutiny by both journalists and the public at large [...]. Furthermore, as it appears from the materials presented by the parties, the disclosed telephone conversations did not contain any details about the applicant’s private life. The Court therefore concludes that the disclosure of the applicant’s telephone conversations during the Constitutional Court proceedings was in accordance with the law and can be regarded as necessary in a democratic society for the protection of the rights of others. In view of the above, the Court finds no violation of Article 8 of the Convention as regards this part of the complaint.Der EGMR stellte weiters auch eine Verletzung des Art 13 EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde) fest, weil der Beschwerdeführer in den spezifischen Umständen seines Falles kein wirksames Rechtsmittel gegen die Handlungen der Staatssicherheit hatte, und sprach dem Beschwerdeführer 4.000 Euro Entschädigung zu.
Das Urteil wurde mit wechselnden - aber jeweils 6:1 ausfallenden - Mehrheiten beschlossen. Richter Pinto de Albuquerque sieht in seinem Sondervotum auch in der Veröffentlichung des Gesprächs mit Borisov keine Verletzung des Art 8 EMRK, die litauische Richterin Jočienė spricht sich gegen die Zuerkennung der Entschädigung aus, und Richter Sajó vertritt in seinem Sondervotum die Auffassung, dass auch die Veröffentlichung der Gespräche im Zuge des Amtsenthebungsverfahrens eine Verletzung des Art 8 EMRK darstellte, da es sich dabei nicht um ein Strafverfahren gehandelt habe.
PS: Rolandas Paksas - dessen lebenslanger Ausschluss vom passiven Wahlrecht als Folge seiner Amtsenthebung in einem Urteil der Großen Kammer des EGMR vom 06.01.2011 als unverhältnismäßig beurteilt wurde (Verstoß gegen Art 3 1. ZP EMRK) - ist übrigens seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments. Er gehört dort der - laut Standard - "euroskeptischen und nationalistischen Rechtsfraktion" "Europa der Freiheit und Demokratie" an, die aber die Aufnahme der FPÖ-Abgeordneten abgelehnt hat (was immerhin weitere Kärnten-Vergleiche erspart!).
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