Friday, March 04, 2016

Der ORF-Stiftungsrat und das Rechtsgutachten als Mediationsersatz

Der Österreichische Rundfunk hat nach § 4 Abs 2 ORF-G "ein differenziertes Gesamtprogramm von Information, Kultur, Unterhaltung und Sport für alle anzubieten." Diese Verpflichtung bezieht sich - Stichwort: Gesamtprogramm - eigentlich nicht auf die Tätigkeit der ORF-Organe, zumal diese ja eher nicht zum "Programm" gehört, das den HörerInnen und SeherInnen angeboten wird.

Nach den Berichten über die gestrige Sitzung des ORF-Stiftungsrats kann man aber zweifeln, ob das auch der Stiftungsrat selbst so sieht. Da war etwa ein großer Sportblock, in dem es um violette Krawatten, Austria Wien und Rapid ging, auch Information (zB über das vorläufige Jahresergebnis) und Kultur (Generalsanierung und Bundesdenkmalamt) waren vertreten. Und nicht zuletzt gab es auch Unterhaltung, wurde doch eine neue Runde in der reality soap "ORF's next Generaldirektor/in" eingeläutet. Um den Unterhaltungswert zu steigern, hat der Stiftungsrat sogar ein neues Spannungselement eingebaut: ein professorales Rechtsgutachten, fein austariert erstellt von zwei Professoren, denen der Stiftungsrat vertraut (wenn auch vielleicht der eine Freundeskreis dem einen Professor und der andere Stiftungsrat dem anderen Professor jeweils etwas mehr vertraut*).

Das Gutachten wird für den Fall erstellt, dass ein Kandidat/eine Kandidatin entweder entgegen der Ausschreibung die Bewerbung verspätet abgibt oder sich gar nicht erst bewirbt, sondern sonst ins Spiel gebracht - von Mitgliedern des Stiftungsrats "nachnominiert" - wird.

Die Rechtsfragen dazu sind seit langem bekannt, höchst überschaubar und vergleichsweise einfach. Bräuchte der Stiftungsrat - dem einige Mitglieder mit juristischem Hintergrund angehören - dazu wirklich inhaltliche (juristische) Unterstützung, so könnte das Gremienbüro des ORF oder die hauseigene Rechtsabteilung die entscheidenden Fragen aus dem Stand genauso "rechtssicher" beantworten wie das durch ein extern erstelltes professorales Rechtsgutachten möglich ist.

Warum wird also ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben? Wohl nicht allein zur Förderung des rundfunkrechtlichen Schrifttums (so nett ich das auch fände). Der Vorsitzende des Stiftungsrats meint, es gebe "ernst zu nehmende unterschiedliche Rechtsmeinungen", nach dem Vorsitzenden des anderen Freundeskreises geht es "um die Frage des Handlungsspielraums für das Gremium." Ja, eh. Bloß: wenn es jetzt ernst zu nehmende unterschiedliche Rechtsmeinungen gibt - warum sollten diese dann weniger ernst zu nehmen sein, nur weil es ein Gutachten zweier Verfassungsrechtler gibt? Fände, wer das wollte, nicht für eine jetzt ernst zu nehmende abweichende Rechtsansicht auch noch einen anderen Professor/eine andere Professorin für ein Gegengutachten?

Rechtssicherheit ist mit einem Rechtsgutachten nicht zu erreichen. Tatsächlich erfüllen solche Gutachten ja meist andere Zwecke, mit denen ich mich an anderer Stelle ("Das professorale Gutachten als juristische Allzweckwaffe") schon einmal näher befasst habe. Das vom Stiftungsrat nun beauftragte Gutachten lässt sich aber nicht so einfach in die von mir dort angesprochenen Kategorien (PR-, Alibi-, Tarnkappen-Gutachten) einordnen, weil es weder der PR-mäßigen Behübschung der eigenen Rechtsauffassung dient, noch der Rechtfertigung für ein Handeln in der rechtlichen Grauzone, und weil zudem auch offengelegt wird, dass die beauftragten Professoren das im Auftrag des ORF schreiben und nicht aus eigenem wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse.

Das Rechtsgutachten als ausgegliederte Konfliktlösung (oder statt einer Mediation)
Die "unterschiedlichen Rechtsanschauungen" bestehen - folgt man den einschlägigen Medienberichten - zwischen den sogenannten "Freundeskreisen". Ich kann mir den Auftrag für das Rechtsgutachten daher nur so erklären, dass damit ein gesichtswahrender Ausweg für die Auflösung dieses - weniger juristisch als (personal)politisch erklärbaren - Konflikts gefunden wurde: Weil sich rot und schwarz im Stiftungsrat nicht auf das Procedere einigen können (und weil ein "Nachgeben" einer Seite sofort, gerade auch von den Medien, als Niederlage für diese Seite gesehen würde), wird die Auflösung dieses Konflikts delegiert.

Die Situation ähnelt einem Schiedsverfahren: jede Seite benennt einen SchiedsrichterGutachter, diese würden sich üblicherweise auf einen Vorsitzenden/eine Vorsitzende einigen. Hier hat man auf diesen weiteren Schritt verzichtet (obwohl das dem zu unterhaltenden Publikum noch mehr Spannung hätte bieten können), die beiden Gutachter müssen sich eben so einigen (was freilich juristisch kein großes Problem darstellen sollte). Man kann das als stellvertretende Konfliktlösung sehen oder als Ersatz für ein Mediationsverfahren, in dem die Freundeskreise zu einem gemeinsamen Verständnis hätten kommen können, wie sie ihre Aufgabe (den/die am besten geeignete/n Generaldirektor/in zu bestellen) in prozeduraler Hinsicht abwickeln wollen.

Spannend wird natürlich, ob der mit dem Gutachten dann stellvertretend geschlossene Frieden zwischen den Konfliktparteien auch halten wird, oder ob (oder vielleicht besser: wann und wo) neue Konfliktlinien aufbrechen. In diesem Sinne: weiterhin gute Unterhaltung!

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*) Disclosure: ich kenne beide und vertraue natürlich beiden (werde aber mit ihnen sicher nicht über ihr Gutachten reden).

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