Wednesday, April 06, 2011

Der General steht nicht zur Wahl (und andere kleinliche Anmerkungen in Sachen ORF)

Gestern kündigte ORF-Generaldirektor Wrabetz an, sich wiederum um die Funktion des ORF-Generaldirektors zu bewerben. Wirft man einen Blick auf die Reaktionen in den Presseaussendungen im OTS-Portal der APA, so könnte man meinen, eine politische Richtungswahl stehe an: innerhalb kurzer Zeit gab es Aussendungen der ÖVP-Bundesparteileitung, der FPÖ-Wien, des freiheitlichen Parlamentsklubs, des BZÖ-Parlamentsklubs, des SPÖ-Parlamentsklubs, des burgenländischen Landeshauptmanns und noch einmal des SPÖ-Parlamentsklubs. Durchgängig war von der "Wahl" zum ORF-Generaldirektor und/oder von der (Wieder-)Kandidatur Wrabetz' die Rede. Der Eindruck, es würde sich um eine politische "Wahl" handeln, verstärkt sich noch, wenn man die Berichterstattung auf orf.at verfolgt - siehe Screenshot:
Ich habe schon vor einigen Monaten (hier) dargelegt, weshalb ich den "Wahl"-Begriff im Zusammenhang mit der Bestellung des Generaldirektors - oder anderer Führungsfunktionen im ORF - für unzutreffend halte, und will das angesichts der aktuellen Diskussion neuerlich bekräftigen: so wie ORF-Informationsdirektor Oberhauser nicht "abgewählt" wurde (sondern gemäß § 21 Abs 1 Z 5 ORF-G vom Stiftungsrat auf Vorschlag des Generaldirektors abberufen), so wird auch der/die nächste ORF-Generaldirektor/in nicht gewählt werden, sondern (gemäß § 21 Abs 1 Z 2 ORF-G) vom Stiftungsrat bestellt. Es geht, wie ich schon geschrieben habe, nicht um eine Wahl im Sinne einer "interessengeleiteten Auswahl unter mehreren grundsätzlich gleichrangigen Bewerbern, sondern um die Bestellung der für die Exekutivfunktion am besten geeigneten Person" (zum Bestellungskriterium der fachlichen Eignung siehe § 27 Abs 2 ORF-G).

Zurückkommend auf die Berichterstattung auf ORF.at: die ÖVP stellt natürlich nicht zwölf Stiftungsratsmitglieder, sondern eines (Ing. Mag. Peter Koren, Ex-Ministersekretär und stv. Generalsekretär der Industriellenvereinigung), die SPÖ stellt zwei Mitglieder (Mag. Werner Muhm, Direktor der AK Wien, und Nikolaus Pelinka, MSc, ex-Ministersekretär und derzeit irgendwo in der ÖBB beschäftigt). Alle Stiftungsratsmitglieder - einschließlich der drei genannten, gemäß § 20 Abs 1 Z 1 ORF-G von der Bundesregierung auf Parteivorschlag hin bestellten - "sind bei der Ausübung ihrer Funktion im Österreichischen Rundfunk an keine Weisungen und Aufträge gebunden; sie haben ausschließlich die sich aus den Gesetzen und der Geschäftsordnung ergebenden Pflichten zu erfüllen" (§ 19 Abs 2 ORF-G) - und sie sind auch zur Verschwiegenheit verpflichtet (§ 19 Abs 3 ORF-G). Wenn dem Stiftungsrat nach der Ausschreibung im Sommer dann die Bewerbungen für die Funktion des Generaldirektos (der Generaldirektorin) vorliegen werden, dürfen die Stiftungsratsmitglieder daher mit niemandem außerhalb des Stiftungsrates über die Bewerbungen sprechen - auch nicht mit Klubobleuten, Mediensprechern, Ministern, Interessenvertretern etc. Natürlich gehe ich davon aus, dass sich die Stiftungsratsmitglieder an das Gesetz halten werden ... 

Verhaltenskodex
Nach Zeitungsberichten hat sich ORF-Generaldirektor Wrabetz mit dem Redakteursrat auf einen Verhaltenskodex für journalistische Tätigkeit geeinigt, wie er in § 4 Abs 8 ORF-G vorgesehen ist (auf derstandard.at im Wortlaut zu lesen). Noch immer nicht gibt es aber den seit nun schon fünf Jahren diskutierten Corporate Governance Kodex des ORF, der Verhaltensregeln für die Organmitglieder aufstellen sollte. Ein solcher Kodex war auch im Regierungsprogramm vorgesehen; dort hieß es: "Es soll ein Corporate Governance Kodex gelten, differenziert nach Organmitgliedern und MitarbeiterInnen." Nur der Verhaltenskodex für journalistische Tätigkeit hat den Weg in das ORF-Gesetz gefunden, aber das würde den Stiftungsrat nicht hindern, sich selbst einen Verhaltenskodex zumindest als Empfehlung für die eigenen Mitglieder zu geben.  

Jahresbericht
Letzte Woche hat der ORF auch den Jahresbericht für das Jahr 2010 (gemäß § 7 ORF-G, früher § 8) online gestellt. Wer will, kann dort nachlesen, wie der ORF die Erfüllung seiner Aufträge nachweist; auffällig ist die doch bedeutende Anzahl von Sendungen, die nur mit Beiträgen von dritter Seite zustandekommen (zB "Mei liabste Weis" oder verschiedene Dokus). Aber das Location Placement zieht sich ohnehin durchs Programm, und Deals mit Niederösterreich ermöglichen es auch, dass in einer Serie zu einem steirischen Pferdegestüt Niederösterreich "sehr prominent als zweiter Standort" vorkommt, "weil[!] wir auch da eine entsprechende Förderung bekommen haben", wie ORF-Generaldirektor Wrabetz kürzlich betont hat.

Im Jahresbericht des ORF ist nach dem Gesetz übrigens auch "eine Darstellung über die Anwendung und Einhaltung der durch das Qualitätssicherungssystem (§ 4a) vorgegebenen Kriterien und Verfahren bei der Gestaltung des Inhaltsangebots anzuschließen"; mir gefällt dabei besonders der letzte Absatz des Jahresberichts: "Kontinuierliche Adaptionen des Qualitätssicherungssystems reagieren auf neue und zusätzliche Anforderungen, die sich aus dem wissenschaftlichen Diskurs, vergleichbaren Qualitätskontrollmechanismen und den Forderungen von Publikum, Öffentlichkeit und ORF-Gremien ergeben." Alles klar?

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