Wednesday, September 29, 2010

Nochmal, zur Klarstellung: mögliche Grenzen des Redaktionsgeheimnisses

In den letzten Tagen habe ich in diesem Blog dreimal Einzelaspekte im Zusammenhang mit dem Schutz des Redaktionsgeheimnisses angesprochen. Insbesondere mein Hinweis auf den Fall Nordisk Film & TV (Unzulässigkeitsentscheidung des EGMR) dürfte gelegentlich als Indiz gewertet worden sein, ich könnte den Beschluss des OLG Wien, dem ORF die Herausgabe von Rohfilmmaterial zu einer "Am Schauplatz"-Sendung aufzuerlegen, als möglicherweise "richtig" ansehen (siehe Salzburger Nachrichten, APA-Meldung/Standard online). Also möchte ich nochmals klarstellen, dass ich zum konkreten Beschluss des OLG Wien schon deshalb gar nichts sagen will (und kann), weil dieser Beschluss weder veröffentlicht noch mir sonst bekannt ist.
Ich will mich auch nicht einreihen in die Zahl jener, die das konkrete Urteil oder auch das diesbezügliche Verhalten des ORF kommentieren oder bewerten, sondern sehe mein kleines Nischenblog eher als Möglichkeit, für Interessierte ein paar ergänzende Informationen zu bieten (oder auch ein paar eher wenig bedeutsame Randaspekte anzusprechen). Mein Hinweis auf den Fall Nordisk Film & TV diente daher vor allem zur Illustration, worauf es bei der Prüfung eines solchen Falles durch den EGMR ankommen kann, und ich habe dabei ausdrücklich auf die notwendige sorgfältige Abwägung durch das nationale Gericht (zur Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des Eingriffs) hingewiesen.

[Kurzer Einschub für Nichtjuristen: wird eine Verletzung des Art 10 EMRK geltend gemacht, prüft der EGMR 1. ob überhaupt ein Eingriff vorliegt, 2. ob der Eingriff gesetzlich vorgesehen ist, 3. ob der Eingriff einem legitimen Ziel dient, 4. ob der Eingriff "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, und 5. ob der Eingriff verhältnismäßig ist. Scheitern kann eine Sache auf jeder Ebene: im kürzlich entschiedenen Fall Sanoma Uitgevers (dazu hier) war etwa die gesetzliche Basis nicht ausreichend, im Fall Financial Times (dazu hier) wurde der Eingriff als nicht in einer demokratischen Gesellschaft notwendig beurteilt.]

Wer eine Stimme der Vernunft in dieser Sache lesen will, den verweise ich auf den Kommentar von Walter Berka im Standard, der - offenbar in Kenntnis des Beschlusses - meint, dass das OLG Wien auf die grundrechtliche Dimension des Redaktionsgeheimnisses nicht eingegangen ist.

Zu den engen Grenzen, unter denen ein Eingriff in das Redaktionsgeheimnis zulässig ist, hier noch ein Zitat aus einer einschlägigen Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats, die der EGMR regelmäßig in seinen einschlägigen Entscheidungen zitiert (Recommendation No. R (2000) 7 of the Committee of Ministers to member states on the right of journalists not to disclose their sources of information)
The disclosure of information identifying a source should not be deemed necessary unless it can be convincingly established that:
i. reasonable alternative measures to the disclosure do not exist or have been exhausted by the persons or public authorities that seek the disclosure, and
ii. the legitimate interest in the disclosure clearly outweighs the public interest in the non-disclosure, bearing in mind that:
- an overriding requirement of the need for disclosure is proved,
- the circumstances are of a sufficiently vital and serious nature,
- the necessity of the disclosure is identified as responding to a pressing social need, and
- member states enjoy a certain margin of appreciation in assessing this need, but this margin goes hand in hand with the supervision by the European Court of Human Rights.
Und weil ich mich gestern auch zu einem Vergleich mit der Situation in den USA geäußert habe: das US-Justizministerium hat ein Policy-Statement veröffentlicht, unter welchen Umständen es einen Eingriff in das Redaktionsgeheimnis als zulässig ansieht; hier drei kurze Zitate daraus, vielleicht auch zur Illustration, dass sich natürlich vergleichbare Fragestellungen ergeben:
"In criminal cases, there should be reasonable grounds to believe, based on information obtained from nonmedia sources, that a crime has occurred, and that the information sought is essential to a successful investigation—particularly with reference to directly establishing guilt or innocence. The subpoena should not be used to obtain peripheral, nonessential, or speculative information. ...
The government should have unsuccessfully attempted to obtain the information from alternative nonmedia sources. ... 
Subpoenas should, wherever possible, be directed at material information regarding a limited subject matter, should cover a reasonably limited period of time, and should avoid requiringproduction of a large volume of  unpublished material."

1 comment :

Anonymous said...

Der ORF will ja jetzt, vereinfacht gesagt, die Bänder nicht herausgeben, da die Politik über das Redaktionsgeheimnis diskutieren wird.
Mich verwundert an dieser Argumentation, dass hier auf eine zukünftige Politische Debatte abgezielt wird, es jedoch keine Ankündigung o.ä. gibt Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen zu wollen.