Dabei ist das, was das Bundesverwaltungsgericht heute entschieden hat (BVerwG 6 A 2.12; vorerst liegt nur die Pressemitteilung vor) jedenfalls aus österreichischer Sicht zunächst recht unspektakulär: die Pressegesetze der Länder sind auf eine Bundesbehörde nicht anwendbar (auch wenn die Praxis bislang offenbar von der Anwendbarkeit der landesrechtlichen Auskunftsansprüche auch auf Bundesbehörden ausging, so hätte mich eine andere Entscheidung des BVerwG viel mehr überrascht, aber wahrscheinlich kenne ich mich einfach im deutschen Föderalismus zu wenig aus).
Meines Erachtens deutlich spannender ist hingegen die zweite wesentliche Aussage des Urteils: "mangels einer bundesgesetzlichen Regelung des presserechtlichen Auskunftsanspruchs [kann] dieser aber unmittelbar auf das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gestützt werden" (zitiert nach der Pressemitteilung des BVerwG). Das BVerwG erkennt damit einen Auskunftsanspruch unmittelbar gestützt auf das Grundrecht der Pressefreiheit an - was ich, anders als Zeit online, gerade nicht als Einschränkung des Auskunftsanspruchs sehen kann.**
[Zu diesem Urteil siehe auch die Blog-Beiträge von Thomas Stadler auf Internet-Law und von Fabian Rack auf Telemedicus]
Österreich: kein unmittelbar auf die Pressefreiheit gestützter Auskunftsanspruch
Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat einen unmittelbar auf das Grundrecht des - in Österreich in Verfassungsrang stehenden - Art 10 EMRK bislang in ständiger Rechtsprechung verneint. Nun ist zwar Art 5 des deutschen Grundgesetzes, in dem neben der Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit ausdrücklich auch die "Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film" gewährleistet wird, nicht undifferenziert mit dem Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK zu gleichzusetzen (siehe dazu auch die Entscheidung des EGMR, Annen gegen Deutschland), aber im materiellen Kern der Pressefreiheit, wie er eben gerade durch Art 10 EMRK auch völkerrechtlich verbrieft ist, sehe ich hier wenig relevante Unterschiede.
Der VfGH hat sich mit Auskunftsansprüchen primär unter dem Gesichtspunkt der Auskunftspflicht nach Art 20 Abs 4 B-VG befasst und ist dabei zum Ergebnis gekommen, dass diese Verfassungsbestimmung "kein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Auskunftserteilung seitens der mit Aufgaben der Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltung betrauten Organe bzw. seitens der Organe anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts" verbürgt (Erkenntnis vom 03.10.1991, B 4/91, VfSlg 12.838/1991). Auch Art 10 EMRK sei keine Verpflichtung des Staates zu entnehmen, den Zugang zu Informationen zu gewährleisten oder selbst Informationen bereitzustellen (so bereits im Erkenntnis vom 16.03.1987, B 154/85, VfSlg 11.297/1987; in diesem Erkenntnis führte der VfGH auch aus, dass die Informationsfreiheit im Medienbereich "den gleichen Inhalt und Umfang hat wie in jenen Fällen, bei denen die Informationsbeschaffung nicht dem Zweck der Verwertung durch ein Massenmedium dient.").
Bei dieser sehr zurückhaltenden Auslegung ist der VfGH auch in jüngster Zeit geblieben. In einem Erkenntnis vom 02.12.2011, B 3519/05, VfSlg 19.571/2011, in dem ein recht weit gehendes Auskunftsersuchen (nicht von der Presse) zu beurteilen war, wird dies besonders deutlich:
Eine Verletzung von Art 10 EMRK, wie sie von der beschwerdeführenden Partei behauptet wird, kommt schon aus folgender Erwägung nicht in Betracht:Diese doch sehr apodiktische Ablehnung durch den VfGH ist vielleicht vor dem Hintergrund des konkret entschiedenen Falles zu verstehen, in dem die Information erst zu beschaffen gewesen wäre (insofern vergleichbar dem vom VfGH zitierten EGMR-Urteil im Fall Guerra). Allerdings hat der EGMR in jüngerer Zeit auch bereits anerkannt, dass die Weigerung eines staatlichen Organs, ein Dokument herauszugeben, eine Verletzung des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK darstellen kann (Urteil Társaság a Szabadságjogokért gegen Ungarn, siehe dazu im Blog hier).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte verbietet Art 10 EMRK hinsichtlich des Rechtes auf Zugänglichkeit und Empfang von Informationen in erster Linie die Beschränkung des Empfanges von Informationen, die andere einer Person zukommen lassen oder beabsichtigen zukommen zu lassen (EGMR 26.3.1987, Fall Leander, Appl. 9248/81, Z74). Der Staat ist in diesem Zusammenhang nach herrschender Ansicht verpflichtet, sein Informationssystem so einzurichten, dass man sich tatsächlich über wesentliche Fragen informieren kann (vgl. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention4 [2009], 269; Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2009], 348). Eine Verpflichtung des Staates zu einem aktiven Tun dahingehend, dass der Staat vertrauliche Informationen veröffentlichen oder den Zugang zu Informationen allgemein gewährleisten müsste, kann aus Art 10 EMRK dagegen nicht abgeleitet werden (EGMR 19.2.1998, Fall Guerra, Appl. 14.967/89, NL 1998, 59).
Auch der Verfassungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung (zB VfSlg. 11.297/1987, 12.104/1989, 12.838/1991) die Ansicht, dass aus Art 10 EMRK keine Verpflichtung des Staates resultiert, den Zugang zu Informationen zu gewährleisten oder selbst Informationen bereitzustellen. Die Zurückweisung eines Antrages auf Anonymisierung und Übermittlung von Bescheiden der belangten Behörde, die in einem bestimmten Zeitraum erlassen wurden, stellt - entgegen der Ansicht der beschwerdeführenden Partei - keinen Eingriff in Art 10 EMRK dar, da in diesem Fall keine Behinderung der Beschaffung oder der Ermittlung öffentlich zugänglicher Informationen durch (aktives) Eingreifen von Staatsorganen vorliegt, die ausschließlich unter den Voraussetzungen des Art 10 Abs 2 EMRK zulässig wäre (vgl. VfSlg. 11.297/1987, 12.104/1989). [Hervorhebung hinzugefügt]
Die Rechtsprechung zur Frage, inwieweit ein Recht auf Zugang zu staatlichen Informationen auf Art 10 EMRK gestützt werden kann, ist jedenfalls noch im Fluss (siehe auch - aus Anlass des Falls Gillberg [dazu im Blog hier] einen Beitrag von Dirk Voorhoof und Rónán Ó Fathaigh) - interessante Antworten erwarte ich mir vom EGMR in dem derzeit anhängigen Fall Bubon gegen Russland (siehe dazu das statement of facts).
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*) Dass im konkreten Fall dennoch der Auskunftsanspruch abgewiesen wurde, weil sich der Auskunftsanspruch nur auf Informationen bezieht, die bei der auskunftspflichtigen Behörde aktuell vorhanden sind und das Auskunftsrecht nicht zu einer Informationsbeschaffungspflicht der Behörde führt, wäre übrigens nach österreichischem Recht nicht anders; nach den deutschen Landespressegesetzen scheint eine weitergehende Auskunftsverpflichtung zu bestehen.
**) Etwas untergriffig finde ich auch, wie in mehreren Medien einem Mitglied des am BVerwG entscheidenden Senats, Prof. Jan Hecker, ein Aufsatz vorgeworfen wird, den er vor 7 Jahren in einer juristischen Fachzeitschrift veröffentlicht hat (Landesrechtliche Bindungen von Bundesbehörden - skizziert am Beispiel der pressegesetzlichen Auskunftspflichten; DVBl 2006, 1416).
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