Sunday, January 18, 2009

EGMR: Das Recht auf die eigene Sat-Schüssel

Gibt Art 10 EMRK einem Mieter das Recht, gegen den Willen des Vermieters eine eigene Sat-Schüssel zu montieren? Mit dieser Frage befasste sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 16. Dezember 2008 im Fall Khurshid Mustafa and Tarzibachi v. Sweden (Application no. 23883/06).

Der Fall nahm seinen Ausgang in Schweden: ein schwedisches Ehepaar irakischer Herkunft nutzte eine Parabolantenne, die schon beim Einzug in die Mietwohnung an der Fassade angebracht gewesen war, um Programme in Arabisch und Farsi zu empfangen. Nach einem Vermieterwechsel verlangte der neue Vermieter die Demontage der Antenne und beantragte bei Gericht die Räumung der Mietwohnung, da das Anbringen der Sat-Schüssel entgegen einer Klausel im Mietvertrag erfolgt war. Die Mieter nahmen die alte Sat-Schüssel ab, montierten aber eine neue, allerdings nicht an der Fassade, sondern auf einem eisernen Ständer in der Küche; die Antenne war auf einem Ausleger montiert, der durch das Küchenfenster ins Freie ging, und sie konnte bei Nichtgebrauch eingezogen werden. Ein Sachverständiger einer Mieterorganisation bestätigte, dass die Konstruktion sicher war. Das Mietengericht (Rent Review Board) gab den Mietern recht, das Berufungsgericht dem Vermieter - die Mieter mussten schließlich ausziehen.

Der von den Mietern angerufene EGMR betonte zunächst, dass die effektive Ausübung der Äußerungsfreiheit nach Artikel 10 EMRK positive Maßnahmen des Staates erfordern kann. Entsprechend seinem Prüfschema in Artikel 10-Fällen hielt der EGMR dann fest, dass ein Eingriff in die Rechte nach Artikel 10 EMRK vorlag, dass dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen war und auch ein legitimes Ziel - den Schutz der Rechte anderer - verfolgte. Zur Frage, ob der Eingriff auch in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war, verwies der EGMR darauf, dass die Kläger dadurch effektiv vom Empfang bestimmter, nur über Satellit verbreiteter Informationen ausgeschlossen wurden. Interessant ist, dass der EGMR in diesem Zusammenhang besonders auch auf die Bedeutung der Unterhaltung hinweist:
"...the freedom to receive information does not extend only to reports of events of public concern, but covers in principle also cultural expressions as well as pure entertainment. The importance of the latter types of information should not be underestimated, especially for an immigrant family with three children, who may wish to maintain in contact with the culture and language of their country of origin. The right at issue was therefore of particular importance to the applicants."
Dass die Programme über den vom Vermieter geplanten Breitbandzugang hätten empfangen werden können, wurde nicht aufgezeigt. Die Sat-Schüssel begegnete auch keinen Sicherheitsbedenken, und die vom Vermieter behaupteten ästhetischen Schäden konnten vom EGMR auch nicht nachvollzogen werden - wörtlich heißt es: "In this connection, it should be mentioned that the applicants' flat was located in one of the suburbs of Stockholm, in a tenement house with no particular aesthetic aspirations." Alles in allem kam der EGMR zum Ergebnis, dass die Räumung der Mietwohnung keinesfalls mehr verhältnismäßig war und dass - auch wenn man den nationalen Gerichten einen gewissen Beurteilungsspielraum ("a certain margin of appreciation") lässt - der Eingriff nicht in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war.

Wie wäre das in Österreich? Nach § 9 Abs 2 Z 5 MRG ist "die Anbringung der nach dem Stand der Technik notwendigen Antennen und sonstigen Einrichtungen für den Hörfunk- und Fernsehempfang sowie für Multimediadienste, sofern der Anschluß an eine bestehende Einrichtung nicht möglich oder nicht zumutbar ist" eine Veränderung des Mietgegenstands, die einem wichtigen Interesse des Hauptmieters dient und der der Vermieter daher in der Regel zustimmen muss. Dabei geht es um eine Abwägung im Einzelfall, wie der OGH etwa in seinem Beschluss vom 30. Mai 200, 5 Ob 140/00z, festgehalten hat: dort war es einem türkischen Mieter nicht zumutbar, anstelle der Sat-Schüssel, über die er zehn türkische Kanäle empfangen konnte, auf den Kabelanschluss verwiesen zu werden, der nur ein türkisches Programm anbot.

Mit der gemeinschaftsrechtlichen Dimension befasste sich der OGH in seinem Beschluss vom 21. Oktober 2003, 5 Ob 199/03f: er kam dabei unter Hinweis auf die Dienstleistungsfreiheit, das Urteil des EuGH in der Rs C-17/00 De Coster, und schließlich die Mitteilung der Kommission über die Anwendung der allgemeinen Grundsätze des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs - Artikel 28 und 49 EG Vertrag - Auf dem Gebiet der Nutzung von Parabolantennen (KOM/2001/0351 endg.), zu einem sehr ähnlichen Ergebnis wie der EGMR. Art 10 EMRK findet dabei gewissermaßen über den Umweg der Kommissionsmitteilung Eingang in die Argumentation des OGH. In der Kommissions-Mitteilung wurde nämlich - ua mit Hinweis auf Art 10 EMRK - ein "individuelles Recht auf die Antenne" postuliert; der OGH schließt sich den Überlegungen der Kommission - die "ein durchaus schlüssiges und überzeugendes Rechtsverständnis" vermitteln - ausdrücklich an und überträgt sie auch auf das Mietrecht:
"Nicht explizit beschäftigt hat sich die Kommission mit den Problemen, die sich bei eingeschränkten Möglichkeiten privatautonomer Rechtsgestaltung im Mietrecht, insbesondere durch Interessengegensätze zwischen dem Eigentümer und dem Mieter eines Objekts ergeben. Die nicht nur beiläufige Ableitung des individuellen Rechts auf Nutzung der Empfangsmöglichkeiten einer Parabolantenne aus dem Grundrecht der Informationsfreiheit zwingt jedoch zum Schluss, dass es auch im Mietrecht nur jenen Beschränkungen unterworfen werden darf, die ihm durch gemeinschaftsrechtlich anerkannte, höherwertige Allgemeininteressen gesetzt sind. Wenn daher die Kommission mit Blick auf Art 10 [EMRK] ausführte, die Möglichkeit eine Parabolantenne zu nutzen, müsse im Allgemeinen jedem, der eine solche Antenne besitzen möchte, zuerkannt werden, hat dies auch für die Parteien eines Mietverhältnisses zu gelten. Für die Lösung der hier interessierenden Rechtsfrage nach möglichen Alternativen für eine vom Mieter gewünschte Satellitenempfangsanlage bedeutet dies, dass ihm die Errichtung einer solchen Anlage jedenfalls nicht allein mit dem Argument verwehrt werden kann, ihm stehe ohnehin die Möglichkeit des Anschlusses an ein im Haus bereits vorhandenes Telekabel offen".
Update: 14.05.2013: siehe zur deutschen Rechtslage nun den Beschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 31.03.2013, 1 BvR 1314/11 (Pressemitteilung), wonach im Wesentlichen ein Verbot des Vermieters betreffend die Anbringung von "Satellitenschüsseln" nur nach vorheriger konkreter Interessenabwägung im Einzelfall zulässig ist; siehe zu diesem Beschluss (nun, 16.05.2013) auch den Beitrag
"Der jüngste Parabolantenne-Beschluss: Karlsruhe doing diversity" von Cengiz Barskanmaz (Verfassungsblog).

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