Monday, October 24, 2022

Wenn Wissenschaft umsonst sein soll - zu einem Detail im Gesetzesentwurf über die Wiener Zeitung

Die Wiener Zeitung soll in ihrer aktuellen Form als (auch) gedruckte Tageszeitung per 1. Juli 2023 eingestellt werden. Das ist nicht mehr nur eine Ankündigung der Bundesregierung (wie der Rest des schon oft versprochenen "Medienpakets"), sondern es liegt dafür mittlerweile auch ein Begutachtungsentwurf für die dafür notwendige gesetzliche Regelung vor. In diesem Blogbeitrag beschäftige ich mich nicht mit den zentralen Fragen dieses Entwurfs für ein "Bundesgesetz über die Wiener Zeitung GmbH und Einrichtung einer elektronischen Verlautbarungs- und Informationsplattform des Bundes – WZEVI-Gesetz" (vielleicht finde ich dazu auch noch mal die Zeit). Statt dessen möchte ich nur ein kleines, an sich unwesentliches Detail herauspicken - das aber meines Erachtens durchaus als symbolisch angesehen werden kann: die Regelung für den neu einzurichtenden wissenschaftlichen Beirat (§ 1 Abs. 6 und 7 des Entwurfs). Diese Bestimmungen lauten: 

(6) Bei der Wiener Zeitung GmbH ist zur Beratung bei der Wahrnehmung der Aufgaben gemäß § 3 ein wissenschaftlicher Beirat mit fünf fachkundigen Personen aus dem Gebiet der Medien-, Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Internationale Politik und Außenpolitik und der Rechtswissenschaften einzurichten. Der Beirat muss zumindest zwei Frauen als Mitglieder umfassen. Die Mitglieder werden vom Bundeskanzler auf die Dauer von zwei Jahren bestellt. Eine einmalige Wiederbestellung ist zulässig. Der Beirat kann bei Ausscheiden von Mitgliedern Vorschläge für die Bestellung neuer Mitglieder unterbreiten. Er ist anzuhören, bevor ein neues Mitglied bestellt wird. Der Beirat tritt bei Bedarf, mindestens aber zweimal jährlich, zusammen. Der Beirat wählt aus seiner Mitte eine/n Vorsitzende/n und eine/n Stellvertreter/in und hat sich eine Geschäftsordnung zu geben, in der jedenfalls der Abstimmungsmodus zu regeln ist. Die Mitgliedschaft ist ein unbesoldetes Ehrenamt, es besteht jedoch ein Anspruch auf Aufwandsersatz (z. B. Reise- oder Aufenthaltskosten). Die Mitglieder sind zur gewissenhaften und objektiven Ausübung ihrer Funktion sowie zur Verschwiegenheit über die ihnen bei der Ausübung dieser Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen verpflichtet.

(7) Dem wissenschaftlichen Beirat dürfen Mitglieder der Bundesregierung, Staatssekretärinnen und Staatssekretäre, Mitglieder einer Landesregierung, Mitglieder des Nationalrats, des Bundesrats oder eines sonstigen allgemeinen Vertretungskörpers sowie Personen nicht angehören, die eine dieser Funktionen in den letzten vier Jahren ausgeübt haben.  

Es soll also ein aus fünf Wissenschafter:innen bestehendes Gremium geben, das die Wiener Zeitung GmbH bei der Wahrnehmung ihrer "Aufgaben gemäß § 3" beraten soll (nach § 3 des Entwurfs hat die Wiener Zeitung GmbH die Wiener Zeitung als Online-Medium und "nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Mittel" - also eher spärlich - auch in Print herauszugeben). Das Gremium soll sich interdisziplinär zusammensetzen - allerdings sind die exakten Disziplinen festgeschrieben, was natürlich die Frage aufwirft, wie man gerade auf diese Disziplinen kommt und wie man sie im Zweifel abgrenzt (etwa bei Politikwissenschaft und "Internationale Politik und Außenpolitik"). Auch für annähernde Geschlechterparität, ein Mindestmaß an Politikferne, und für einen steten Wechsel - mit einer maximal vierjährigen "Amtszeit" - ist gesorgt. 

Was mich aber (wieder einmal, wenn auch in anderem Zusammenhang) irritiert, ist  die Qualifikation der Tätigkeit "unbesoldetes Ehrenamt". 

Der Bund richtet per Gesetz ein wissenschaftliches Beratungsgremium ein, und man sollte davon ausgehen, dass er sich von diesem Gremium auch tatsächlich ernsthafte wissenschaftliche Beratung für die Wiener Zeitung  erwartet (ich weiß, das ist die erste Sollbruchstelle meiner Überlegungen: vielleicht soll das Gremium ja auch bloß als Feigenblatt dienen). Wissenschaftliche Arbeit erfordert Qualifikation, und sie erfordert zumindest Zeit (von sonstigen Ressourcen will ich hier einmal, sehr vereinfachend, absehen). Weshalb sollen die Wissenschafter:innen dafür nicht angemessen bezahlt werden?

Nun kann man selbstverständlich die Auffassung vertreten, dass Wissenschafter:innen über ihre engeren beruflichen Aufgaben hinaus etwas "für die Gesellschaft" tun sollen (Stichwort: "public engagement"). Das hat in manchen Konstellationen auch viel für sich: öffentlich bestellte, öffentlich bezahlte Wissenschafter:innen sollen der Gesellschaft, die für sie aufkommt, mehr zurückgeben als das absolute Minimum an Forschungs-, Lehr- (und Verwaltungs-)Tätigkeit, das sie vertragsgemäß jedenfalls leisten müssen. Aber erstens engagieren sich viele Wissenschafter:innen ohnehin weit mehr als sie unbedingt müssten, und sie suchen sich ihr öffentliches, unbezahltes Engagement gut (und selbst) aus. Und zweitens ist "Wissenschaft" nicht gleichzusetzen mit dem altmodischen Bild einer öffentlich finanzierten Gelehrtenuniversität, an der gut bezahlte Professoren alle erdenklichen Freiheiten genießen. Die Realität ist oft geprägt von Ressourcenknappheit, auch (und gerade) an öffentlichen Universitäten, von der Notwendigkeit, Drittmittelprojekte einzuwerben, von einer überbordenden Lehr- und Prüfungslast, die wenig Raum für Forschung lässt - und nicht zuletzt von einer Prekarisierung wissenschaftlicher Tätigkeit (zumindest) im sogenannten "Mittelbau". Wer etwa von Lehrauftrag zu Lehrauftrag lebt (hallo, Hanna!), der/die wird nicht ohne weiteres kostenlose Beratungstätigkeit für ein Unternehmen leisten können und wollen, auch wenn es ein Unternehmen des Bundes ist. 

Aber ein "unbezahltes" Ehrenamt wird - wie ich schon zum Stiftungsrat des ORF angemerkt habe - oft ohnehin nicht wirklich unentgeltlich wahrgenommen. Denn es kann sein, dass jemand ein "Ehrenamt" im Rahmen seiner sonstigen beruflichen Tätigkeit ausübt (dann wird es in der Regel auch inhaltlich in Übereinstimmung mit  den Interessen jener Einrichtung ausgeübt, die die Tätigkeit bezahlt). Oder jemand übernimmt das Ehrenamt, weil er/sie jemandem "etwas schuldig" ist (oder zumindest möchte, dass jemand ihm/ihr "etwas schuldig" ist). Und selbst wenn diese Konstellationen im Fall der Beratung der Wiener Zeitung GmbH nicht eintreten sollten, dann bleibt immer noch übrig, dass man sich ein solches  Ehrenamt erst mal leisten können muss - und zwar nicht nur finanziell, sondern vor allem auch zeitlich: wer sich gerade zur Habilitation kämpft und hoffen muss, damit rechtzeitig vor Ablauf der Befristung fertig zu werden, und wer vielleicht auch noch Familien- oder sonstige Care-Arbeit zu leisten hat, der/die wird hier eher nicht anstehen, um seine/ihre unbezahlte Beratungstätigkeit einzubringen. 

Möglicherweise ist ohnehin nicht daran gedacht, dass echte Beratung erfolgen soll: interessant ist nämlich, dass der wissenschaftliche Beirat nur bei der Herausgabe der Wiener Zeitung beraten soll, aber nicht bei der - akademisch durchaus auch spannenden - neuen Aufgabe der Wiener Zeitung GmbH, einen "Media Hub Austria" einzurichten, der "die Weiterentwicklung des Medienstandorts Österreich" fördern soll (§ 4 des Entwurfs - ungeachtet der hochtrabenden Worte dürfte es dabei vor allem um Aus- und Weiterbildung von Journalist:innen gehen). 

Jedenfalls hat die Bestimmung Signalcharakter: Wissenschaft darf nichts kosten. Talk may be cheap, but science should be free of charge?

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PS: Auf die Idee, dass zB der Aufsichtsrat nichts kosten soll, ist man für die Wiener Zeitung GmbH hingegen nicht gekommen. 

Vielleicht bin ich da aber auch zu streng: denn die Aufsichtsratstätigkeit bei der Wiener Zeitung GmbH ist zwar nicht unentgeltlich, aber de facto näher am Ehrenamt als typische Aufsichtsratstätigkeiten in anderen Unternehmen: der Corporate Governance Bericht der Wiener Zeitung GmbH für 2021 weist aus, dass dem (nun: der) Vorsitzenden des Aufsichtsrats ein Sitzungsgeld von 200 € pro Sitzung, den weiteren Mitgliedern des Aufsichtsrates ein Sitzungsgeld von 130 € pro Sitzung gezahlt wird. So kam etwa der stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrates, Rechtsanwalt Mag. Werner Suppan, im Jahr 2021 auf eine Entschädigung von 520 € (für vier Aufsichtsratssitzungen). Da bei - natürlich vorauszusetzender - sorgfältiger Wahrnehmung der Funktion als Mitglied des Aufsichtsrates zusätzlich zur Teilnahme an den Sitzungen noch einige Zeit für die Vorbereitung (zB zum Studium von Unterlagen) veranschlagt werden muss, bedeutet das einen Stundensatz, der näher beim kollektivvertraglichen Mindestlohn für Rechtsanwalts-Angestellte liegt als beim typischen Honoraransatz, den zB Mag. Suppan als Rechtsanwalt sonst lukrieren kann. 

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