Thursday, April 16, 2015

EGMR: Armellini ua gegen Österreich - Bestechlichkeitsvorwurf gegenüber Fußball-Profis

Nach mehr als achtjähriger Verfahrensdauer hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte heute im Urteil Armellini und andere gegen Österreich (Appl. n. 14134/07) ausgesprochen, dass zwei Journalisten und die Medieninhaberin der Neuen Vorarlberger Tageszeitung durch eine Verurteilung wegen eines unrichtigen Bestechlichkeitsvorwurfs gegenüber drei Fußball-Profis nicht in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 10 EMRK verletzt wurden. Die Entscheidung bringt juristisch nichts wirklich Neues und wird hier nur wegen des Österreich-Bezugs kurz dargestellt.

Zum nationalen Verfahren
Vor gut zehn Jahren - am 19. Februar 2005 - veröffentlichte die Neue Vorarlberger Tageszeitung eine Aufmachergeschichte mit der Schlagzeile "Bregenz-Spieler mit 60.000 € bestochen" - darunter durckte sie ein Bild von drei Spielern, mit der Bild-Unterschrift: "Diesem Trio sind die Fahnder auf den Fersen: Es soll für Wett-Mafia Spiele manipuliert haben!". In einem Kasten, auch noch auf der Titelseite, stand weiters: "Schlimmer Vedacht gegen Fussball-Profis erhärtet". Im Hauptartikel auf Seite 29 der Zeitung wurde unter der Überschrift "Für 60.000 € Team verkauft und verraten?" berichtet, dass die drei Spieler von der Wett-Mafia in drei Spielen bestochen worden seien; Grund für die Manipulationen in den Spielen seien die finanziellen Probleme der Spieler gewesen, die seit Monaten keinen Lohn erhalten hätten. Alle Spieler hätten ein vom Vereinsmanagement vorbereitetes öffentliches Statement unterzeichnet, in dem jede Verwicklung in den Wettskandal abgestritten wurde (zu dieser Sache hier ein Bericht auf VOL.at, in dem auf den Artikel in der "Neuen" Bezug genommen wird).

Die Verfasser des Artikels wurden wegen übler Nachrede (§ 111 StGB) zu bedingt nachgesehenen Geldstrafen von 3.680 € bzw. 5.040 € verurteilt, die Medieninhaberin zu einer Entschädigung (nach § 6 Mediengesetz) von 12.000 € pro Spieler (zum Urteil des OLG Innsbruck vom 6. April 2006 siehe zB diesen Bericht auf orf.at).

Die Entscheidung des EGMR
Dass die Verurteilung einen Eingriff in das nach Art 10 EMRK geschützte Recht darstellt, war unstrittig; ebenso dass der Eingriff gesetzlich vorgesehen war (§ 111 StGB, § 6 MedienG) und einem legitimen Ziel (Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer) diente. Damit bleibt die Frage, ob der Eingriff im Sinne des Art 10 Abs 2 EMRK "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" war.

Der EGMR hält fest, dass der Artikel eine Angelegenheit von beträchtlichem öffentlichen Interesse - die Manipulation von Spielen und damit zusammenhängender Betrug - betraf. Das Interesse der Öffentlichkeit besteht dabei nicht nur am Verein, sondern auch an den - den Lesern des Sportteils bekannten - konkreten Spielern. Der Vorwurf der Bestechlichkeit wiegt aber schwer und berührt die "zentrale ethische Idee des Sports" ("the central ethical conption of sports").

Die Zeitung hat direkt drei Spieler angegriffen und ihnen vorgeworfen, Geld im Austausch für die Manipulation von Spielen genommen zu haben. Der Charakter des Artikels wurde vom nationalen Gericht sorgfältig geprüft, wobei nicht nur der Text, sondern auch Layout und Gesamtpräsentation berücksichtigt wurden. Dabei entstand der Gesamteindruck, dass es sich um Tatsachen handle, nicht bloß um die Äußerung eines echten Verdachts. Der vor dem nationalen Gericht angebotene Tatsachenbeweis misslang ebenso wie der Nachweis, dass die notwendige journalistische Sorgfalt eingehalten wurde (nach dem vom LG Feldkirch herangezogenen § 111 Abs 3 StGB "ist der Täter auch dann nicht zu bestrafen, wenn Umstände erwiesen werden, aus denen sich für den Täter hinreichende Gründe ergeben haben, die Behauptung für wahr zu halten."; an sich wäre für dieses Medieninhaltdelikt § 29 Mediengesetz ["Wahrnehmung journalistischer Sorgfalt"] einschlägig gewesen).

Der EGMR hält dazu fest, dass das nationale Gericht keine unverhältnismäßigen Anforderungen an den Wahrheitsbeweis gestellt hat. Auch die Anforderungen an den Nachweis der journalistischen Sorgfalt waren nicht überzogen. Insbesondere war es nicht unangemessen, dass die von den Spielern unterzeichnete öffentliche Erklärung nicht als ausreichend erkannt wurde, um den betroffenen Spielern eine angemessene Möglichkeit zur Stellungnahme zu den Vorwürfen zu geben.

Schließlich wurden auch die (bedingt nachgesehenen) Geldstrafen und die Entschädigung - angesichts der Länge des Artikels und des schwerwiegenden Eingriffs in die persönliche und berufliche Ehre - nicht als unverhältnismäßig beurteilt.

Conclusio
Was kann man aus dieser Sache allenfalls lernen: zunächst (wieder einmal), dass Fragezeichen am Ende einer Schlagzeile (hier: "Für 60.000 € Team verkauft und verraten?") nicht ausreichen, um eine in der Schlagzeile und der Gesamtaufmachung eines Berichts enthaltene Unterstellung so zu relativieren, dass eine reine Verdachtsberichterstattung übrig bleibt. Und zweitens, dass es zum Nachweis der journalistischen Sorgfalt notwendig ist, den Betroffenen tatsächlich Gelegenheit zu geben, konkret zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, auch wenn es bereits eine allgemeine öffentliche Erklärung von ihnen gibt.

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