Tuesday, March 25, 2014

Österreich-Quote (oder "Mundl-Quote"?) für die Fernsehfilmproduktion

"20% der ORF-Gebühreneinnahmen für die Vergabe von Produktionen in Österreich!" fordert eine aktuelle Petition von "Filmfernsehfreunden", hinter der Verbände der österreichischen Filmbranche stehen. Der ORF lehnt eine Quote ab, unter anderem mit dem Argument, dass dann "Interventionen [...] Tür und Tor geöffnet" wären (offensichtlich meint man, sich solcher Interventionen leichter erwehren zu können, wenn ein Ausweichen auf ausländische Produktionen möglich ist).

Eine Verpflichtung, einen bestimmten Anteil der Einnahmen für "Produktionen in Österreich" zu verwenden, wäre freilich aus ganz anderen Gründen problematisch. Sie würde nämlich in mehrere EU-Grundfreiheiten eingreifen: den freien Dienstleistungsverkehr, die Niederlassungsfreiheit, den freien Kapitalverkehr und die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Dies hat der EuGH in der Rechtssache UTECA (Urteil vom 05.03.2009, C-222/07) jedenfalls für das spanische Modell festgehalten, das eine Verpflichtung aller spanischen Fernsehveranstalter vorsah, einen bestimmten Anteil ihres Umsatzes für Produktionen in einer in Spanien als Amtssprache anerkannten Originalsprache auszugeben (zu diesem Urteil im Blog hier, zu den Schlussanträgen hier). Bei einer Verpflichtung, die nicht auf die Amtssprache(n), sondern auf den Produktionsort abstellt, wäre der Eingriff in die Grundfreiheiten noch intensiver (Näheres zu den berührten Grundfreiheiten in der Rechtssache UTECA in den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott, RNr 78-87).

Eine Beschränkung der Grundfreiheiten ist zulässig, "wenn sie zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entspricht, geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist" (EuGH, UTECA, RNr 25). Das Ziel eines Mitgliedstaats, eine oder mehrere seiner Amtssprachen zu schützen und zu fördern, wurde vom EuGH als zwingender Grund im Allgemeininteresse anerkannt. Vor diesem Hintergrund hat der EuGH daher das spanische Förderungsmodell akzeptiert, weil das Anknüpfungskriterium der Maßnahme ein sprachliches war. Dass dieses Kriterium "einen Vorteil für Filmproduktionsunternehmen darstellen mag, die in der Sprache arbeiten, auf die dieses Kriterium abstellt, und die deshalb in der Praxis mehrheitlich aus dem Mitgliedstaat stammen können, in dem diese Sprache eine Amtssprache ist," stehe in einem inneren Zusammenhang mit dem verfolgten Ziel und sei für sich genommen kein Beleg, dass die Maßnahme unverhältnismäßig wäre (EuGH, UTECA, RNr 35).

Eine Anknüpfung an den Produktionsort hingegen stünde jedenfalls im Verdacht, eine "protektionistische, allein aus wirtschaftlichen Gründen erlassene Maßnahme" zu sein, wie Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen im Fall UTECA (RNr 110) unter Hinweis auf das EuGH-Urteil Federación de Distribuidores Cinematográficos (Fedicine) darlegt. In diesem Urteil hatte der EuGH zu einem (wiederum spanischen) Lizenzsystem im Filmverleih festgehalten, dass der damit verfolgte Zweck, den Verleih einer großen Anzahl inländischer Filme sicherzustellen (was zugleich den Produzenten solcher Filme ausreichende Einnahmen sicherte) als ausschließlich wirtschaftliches Ziel anzusehen sei, das keinen Grund der öffentlichen Ordnung darstellen könne.

Der Vorschlag der "Filmfernsehfreunde" bezieht sich allerdings - anders als das spanische Modell - nur auf den ORF, nicht auch auf private Fernsehveranstalter. Er ist damit auch nicht als "allgemeine Regelung" anzusehen, sondern wäre wohl als (versteckte) staatliche Beihilfe zu qualifizieren, da es sich um eine Maßnahme unter unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handelt, die geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, durch die weiters den Begünstigten ein Vorteil gewährt wird, und die schließlich den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht (das Programmentgelt des ORF ist in beihilfenrechtlicher Hinsicht als öffentliche Abgabe anzusehen [siehe RNr 86 der Beihilfenentscheidung der Kommission zur ORF-Finanzierung]; eine gesetzliche Verpflichtung, davon 20% an die österreichische Filmwirtschaft durchzureichen, würde gewissermaßen nur den Begünstigten austauschen: Filmwirtschaft statt ORF).

Nun sind Beihilfen für die Filmwirtschaft weithin üblich (auch in Österreich), unterliegen aber der Kontrolle durch die EU-Kommission und müssen den allgemeinen Voraussetzungen des EU-Beihilfenrechts entsprechen. Die Kommission hat die Rahmenbedingungen, unter denen sie Beihilfen für die Filmwirtschaft genehmigt, im vergangenen November in ihrer Mitteilung über staatliche Beihilfen für Filme und andere audiovisuelle Werke dargelegt. Eine Bevorzugung österreichischer Unternehmen wäre demnach - wie im Beihilfenrecht allgemein - jedenfalls unzulässig: Beihilferegelungen dürfen "nicht so ausgestaltet sein, dass die Beihilfe ausschließ­lich Inländern gewährt wird, und dass der Empfänger ein nach nationalem Handelsrecht im Inland niedergelassenes Unternehmen sein muss" (RNr 49 der Mitteilung).

In gewissem Umfang zulässig ist hingegen die "Territorialisierung" (Verpflichtung, einen bestimmten Anteil der Beihilfenmittel im beihilfegewährenden Gebiet auszugeben bzw eine Berechnung der Beihilfe anhand der Produktionsausgaben im beihilfegewährenden Gebiet). Der Mindestanteil darf jedoch "nicht mehr als 50 % des gesamten Produktionsbudgets betragen. Zudem darf die territoriale Bindung in keinem Fall 80 % des gesamten Produktionsbudgets übersteigen" (RNr 50 der Mitteilung).

Zusammengefasst: Eine gesetzliche Mindestquote für Filme österreichischer Produzenten wäre - egal ob sie für alle Fernsehveranstalter oder nur für den ORF gelten sollte - nicht möglich. Im Lichte des UTECA-Urteils denkbar wäre eine allgemeine Regelung mit Mindestquoten zB für Filme in der österreichischen Varietät des Deutschen, in österreichischen Mundarten (ich habe das hier schon mal als "Mundl-Quote" bezeichnet) oder in den anerkannten Minderheitensprachen.

Eine Förderung von Filmen, die nicht (nur) von österreichischen Produzenten gemacht werden, aber für eine relevante Wertschöpfung im Inland sorgen (überwiegende Produktionsausgaben im Inland, egal ob ein österreichisches oder ausländisches Unternehmen produziert) wäre im Rahmen der oben zitierten Beihilfenmitteilung zur Filmwirtschaft möglich, allerdings mit entsprechender Vorlaufzeit zur notwendigen Genehmigung durch die EU-Kommission. So einfach also die Forderung nach einer "Österreich-Quote" klingt, so heikel wären die Detailfragen einer rechtssicheren Ausgestaltung.*)

Ganz abgesehen von all dem ist der ORF übrigens verpflichtet, für "die angemessene Berücksichtigung und Förderung der österreichischen künstlerischen und kreativen Produktion" zu sorgen, wie dies in § 4 Abs 1 Z 6 ORF-Gesetz als Teil des öffentlich-rechtlichen Kernauftrags festgelegt ist.

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*) Ergänzung (26.03.2014): Dass die Kommission Filmförderungsmaßnahmen im Wege des ORF aber beihilfenrechtlich nicht von vornherein ablehnend gegenüber steht, kann man aus den Begleitmaßnahmen zur sogenannten "Gebührenrefundierung" herauslesen. Die (mittlerweile ausgelaufene) "Gebührenrefundierung" wurde in der Beihilfenentscheidung der Kommission vom 28.10.2009 bereits vorweg akzeptiert (RNr 215) - und sie war nach § 31 Abs 11 Z 2a ORF-Gesetz geknüpft an den Fortbestand des Film-Fernsehabkommens, was von der Kommission meines Wissens auch nicht beanstandet wurde. 

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