Tuesday, July 12, 2016

Kameras im Gerichtssaal: der Verfassungsgerichtshof geht neue Wege

Ein neues Bild: TV-Mikros auf dem Richtertisch
(Screenshot von der ORF-Live-Übertragung der Verkündung)
Der Verfassungsgerichtshof geht oft neue Wege: er erfindet erkennt bisher in Österreich unbekannte (Grund-)Rechte - zuletzt etwa das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (dazu im Blog hier) - oder entwickelt kreativ seine Zuständigkeit weiter (beispielsweise durch Inanspruchnahme der Kompetenz zur Entscheidung über die Staatshaftung oder durch Erweiterung seines Prüfungsmaßstabs durch die Grundrechtecharta der EU) - Rechtsfortbildung ist eine wesentliche Funktion eines Verfassungsgerichts.

In seinem Erkenntnis vom 01.07.2016 zur Anfechtung des zweiten Wahlgangs der Bundespräsidentenwahl (bislang nur mündlich verkündet, noch nicht schriftlich ausgefertigt; siehe die Pressemitteilung; update 13.07.2016: nun gibt es auch die schriftliche Ausfertigung) ist der Verfassungsgerichtshof jedoch - jedenfalls dem Grundsatz nach (Aufhebung einer Wahl, wenn eine Rechtswidrigkeit im Wahlvorgang auf das Ergebnis Einfluss gehabt haben könnte) - nicht von seiner ständigen Rechtsprechung abgegangen (eine interessante Fortentwicklung sehe ich allerdings darin, dass die Weitergabe von Teilergebnissen aus den bereits ausgezählten Wahlsprengeln durch Wahlbehörden als Rechtswidrigkeit beurteilt wurde, die den "Grundsatz der Freiheit der Wahl" beeinträchtigt - diesbezüglich bin ich auf die nähere Begründung in der schriftlichen Ausfertigung, die in dieser Woche zu erwarten ist, gespannt).

Wirklich neu bei diesem Erkenntnis war allerdings die Art der Information der Öffentlichkeit: der Verfassungsgerichtshof hat bei der Verkündung der Entscheidung auch die Live-TV-Übertragung zugelassen. Das ist zwar nicht Teil der vom Gerichtshof getroffenen Entscheidung (sondern Angelegenheit der Sitzungspolizei) und wird daher auch nicht näher begründet. Höchst bemerkenswert ist es, weil der Verfassungsgerichtshof mit der Zulassung von TV-, Hörfunk- und Fotoaufnahmen - wie auch der Live-Übertragung - von einer Auslegung des § 22 Mediengesetz abgeht, die bislang einhellige Meinung in der juristischen Literatur und Praxis der Gerichte war.*)

Ob TV-Aufnahmen oder Übertragungen aus dem Gerichtssaal zulässig sein sollen, ist eine seit langem immer wieder diskutierte rechtspolitische Frage. Dabei stehen sich verschiedene Interessen gegenüber: auf der einen Seite vor allem der Persönlichkeitsschutz der Verfahrensbeteiligten und der Schutz des gerichtlichen Verfahrens an sich, auf der anderen Seite das Informationsinteresse der Öffentlichkeit, dem die mediale Berichterstattung dient.

Der österreichische Gesetzgeber hat sich bereits vor 35 Jahren im Mediengesetz dafür entschieden, diese Abwägung nicht den einzelnen Richter_innen zu überlassen, sondern eine klare und allgemeine Regelung zu treffen, die für alle Gerichte (und damit auch für den Verfassungsgerichtshof, siehe ausdrücklich den Ausschussbericht 439 BlgNR 25. GP 10) gilt: TV-Aufnahmen von Gerichtsverhandlungen sind - ausnahmslos - unzulässig. Es wird nach dem Gesetz auch nicht darauf abgestellt, ob im Einzelfall Verfahrensbeteiligte oder der Verfahrensablauf an sich zu schützen sind oder ob etwa ein besonderes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht. Die Bedenken wegen der nachteiligen Auswirkungen, so heißt es in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (2 Blg 15. GP, 36), können "nur durch ein absolutes Verbot solcher Übertragungen ausgeräumt werden."

§ 22 Mediengesetz ("Verbot von Fernseh-, Hörfunk-, Film- und Fotoaufnahmen") lautet:
Fernseh- und Hörfunkaufnahmen und -übertragungen sowie Film- und Fotoaufnahmen von Verhandlungen der Gerichte sind unzulässig.
Die rechtspolitische Frage wurde damit durch den Gesetzgeber eindeutig entschieden. Dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit soll durch die Möglichkeit der Teilnahme von Medienvertreter_innen an der Verhandlung ausreichend gedient sein; die Berichterstattung in den audiovisuellen Medien kann auch durch Bild- und Tonaufnahmen, die vor und nach der Verhandlung aufgenommen werden, ergänzt werden. In der Verhandlung aber sind keine Kameras zuzulassen.

Das Verbot des § 22 MedienG richtet sich vor allem an den Richter/die Richterin, der/die die Verhandlung leitet, aber auch an die Medienmitarbeiter_innen und sonstige Verfahrensbeobachter_innen, die keine Aufnahmen machen dürfen, selbst wenn es vom Gericht erlaubt würde. "Allen an der Verhandlung Beteiligten [...] - und zwar auch dem Vorsitzenden selbst - ist es nicht gestattet, Ausnahmen zuzulassen", schreibt etwa Hanusch (Kommentar zum Mediengesetz, Rz 1 zu § 22).

Was ist unter einer "Verhandlung" im Sinne des § 22 MedienG zu verstehen?
Wenn nun der Verfassungsgerichtshof bei der Verkündung erstmals TV-Aufnahmen zugelassen hat, kann dies also nur an einer geänderten Auslegung des in § 22 MedienG verwendeten Begriffs der "Verhandlungen" liegen.

In der ordentlichen Justiz wurde § 22 MedienG bisher einhellig so verstanden, dass Aufnahmen (und natürlich auch Live-Übertragungen) von der gesamten Verhandlung, einschließlich der Verkündung der Entscheidung, unzulässig sind.

Das sieht auch auch die Lehre so, und zwar - für die rechtswissenschaftliche Lehre durchaus überraschend - ausnahmslos: Berka (in Berka/Heindl/Höhne/Noll, Praxiskommentar MedienG, 3. Auflage, Rz 12) schreibt etwa, dass "auch Aufnahmen oder Übertragungen von der Urteilsverkündung" unzulässig sind; Rami (Wiener Kommentar zum StGB, Rz 5 zu § 22 MedienG) verweist darauf, dass § 22 MedienG für die Verhandlungen der Gerichte einen einheitlichen Begriff verwendet und sich dieser daher nicht mit den gleichlautenden Begriffen in StPO und ZPO deckt [und damit - meine Ergänzung - wohl auch nicht mit dem Verhandlungsbegriff im VfGG]; die "Verhandlung" im Sinne des § 22 MedienG, so Rami, erfasst "den gesamten Vorgang der Verhandlungssitzung, somit im Verfahren nach der StPO auch die Verkündung des Urteils".

Ähnlich sehen dies auch Brandstetter/Schmid (Kommentar zum Mediengesetz, 2. Aufl, Rz 8 zu § 22):
"Das Aufnahme- und Übertragungsverbot erstreckt sich auf die gesamte Verhandlung vom Aufruf der Sache an ... Es umfaßt auch das Plädoyer im Strafprozeß und die öffentliche Verkündung des Gerichtserkenntnisses, die im Beisein der Verfahrensbeteiligten erfolgt. Insofern ist der Begriff der Gerichtsverhandlung nicht im prozeßtechnischen Sinn zu verstehen, sondern im Sinn von öffentlicher Gerichtssitzung."
Auch Christian Broda, unter dessen Ägide als Bundesminister für Justiz das Mediengesetz entstand, teilte diese Ansicht: "Meines Erachtens umfaßt bei richtiger Gesetzesauslegung das Verbot der medialen Übertragung auch die Urteilsverkündung, obwohl dies nicht immer von den Gerichten so gehandhabt wird." Diese Aussage liegt mehr als 30 Jahre zurück (Vortrag bei der Eröffnung des Juristentages im September 1985, abgedruckt im AnwBl 1986, 107 [109]); die Praxis der Gerichte ist seither dieser Auslegung gefolgt - mit Ausnahme nun des Verfassungsgerichtshofs.

Dass Kameras auch bei der Verkündung nicht zulässig sind, sehen im Übrigen auch jene so, die sich bisher kritisch zum "absoluten Verbot" in der gesetzlichen Regelung geäußert haben. Zacharias (in ÖJZ 1996, 681 [687]) schreibt: "Während die Medienöffentlichkeit mit Mikrofon und Kamera bei der Urteilsverkündung eines Gerichtshofs öffentlichen Rechts, trotz der sowohl in Österreich wie auch in Deutschland eindeutig gegenteiligen Rechtslage, in Grundsatzfragen von öffentlichem und demokratiepolitischem Interesse eventuell noch diskutierbar erscheint, stellt sich im Strafverfahren die Lage schon ganz anders dar." (Hervorhebung hinzugefügt). Und Bammer, der (soweit ich das überblicke: als einziger) Bedenken gegen die Verfassungskonformität des ausnahmslosen Ausschlusses von Kameras äußert, schlägt vor, ähnlich der in Deutschland für das Bundesverfassungsgericht getroffenen Sonderregelung auch für den Verfassungsgerichtshof bestimmte geeignete Verfahrensabschnitte "für die elektronische Medienöffentlichkeit" zu öffnen - auch er geht dabei davon aus, dass das Verbot von Fernseh- und Hörfunkaufnahmen sich auch auf die Verkündung erstreckt (in: Österreichische Juristenkommission [Hg.], Recht und Öffentlichkeit, 116 [125]).

Die übereinstimmende Auslegung durch die (ordentlichen) Gerichte und die Lehre hat natürlich gute Gründe, etwa dass der Persönlichkeitsschutz der Verfahrensbeteiligten bei der Verkündung eine ebenso große Rolle spielt wie in der mündlichen Verhandlung im engeren Sinne: sollen die Kameras wirklich auf Angeklagte oder Privatbeteiligte gerichtet sein, wenn sie vom Schuld- oder Freispruch erfahren - hingezoomt, um vielleicht Tränen oder andere Gefühlsaussbrüche einzufangen? Oder wenn man bedenkt, dass die Verfahrensbeteiligten "nicht zu Schauspielern degradiert werden sollen", wie Brandstetter/Schmid schreiben: das gilt natürlich in gleichem Maße für die Verkündung (und, gerade bei der Verkündung, besonders für die Richter_innen, die nicht für die Kameras Recht sprechen, sondern für die Verfahrensparteien). Da der Gesetzgeber sich gegen eine von den Richter_innen vorzunehmende Einzelfallabwägung entschieden hat, kommt es daher auch hier nicht darauf an, ob im Einzellfall etwa Erwägungen des Persönlichkeitsschutzes zum Tragen kommen.

Die Gesetzesmaterialien zu § 22 MedienG geben zur Frage, ob auch die Übertragung der Verkündung von Entscheidungen unzulässig ist, nicht viel her: die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (2 BlgNR 15. GP, 36) sprechen zwar von einem "absoluten Verbot", der Justizausschuss (JAB 743 BlgNR 15. GP, 10) erweiterte die zunächst nur für Strafverfahren vorgesehene Regelung auf "alle öffentlichen Gerichtsverhandlungen" - aber eine eindeutige Festlegung, dass damit auch eine - von der mündlichen Verhandlung im engeren Sinne abgesetzte - Verkündung der gerichtlichen Entscheidung noch vom Verhandlungsbegriff des § 22 MedienG erfasst ist, findet sich darin nicht.

Was den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes letztlich dazu bewogen hat, Kameras im Gerichtssaal zuzulassen, kann man nur vermuten. Da es sich um eine Angelegenheit der Sitzungspolizei handelt, gibt es dazu keine schriftliche (oder auch mündliche) Begründung. Einen Ansatzpunkt könnte man darin finden, dass das Verfassungsgerichtshofgesetz (wie freilich zB auch die ZPO oder die StPO) einen gewissen Trennstrich zwischen der "mündlichen Verhandlung" und der Verkündung der Entscheidung ziehen: § 26 Abs 1 VfGG sieht vor, dass das Erkenntnis, wenn möglich, "sogleich nach Schluss der mündlichen Verhandlung zu fällen" ist. Nach § 26 Abs 2 VfGG wird das Erkenntnis, wenn es nicht "sofort nach Schluss der mündlichen Verhandlung gefällt werden kann", entweder "mündlich in einer besonderen, den Beteiligten nach Schluss der Verhandlung sofort bekanntzugebenden öffentlichen Tagsatzung verkündet" oder schriftlich bekannt gemacht wird (Hervorhebung hinzugefügt).

Zwar kann also zwischen der der mündlichen Verhandlung und der Verkündung unterschieden werden. Das sagt aber noch nichts darüber aus, ob die Verkündung (nach Schluss der mündlichen Verhandlung bzw in einer besonderen Tagsatzung) noch zur "Verhandlung" - nicht nur im Sinne des Mediengesetzes, sondern auch des VfGG - zählt. Das VfGG verwendet nämlich die Begriffe "Verhandlung" und "mündliche Verhandlung" meist - wenn auch nicht durchgängig - differenziert: als mündliche Verhandlung könnte man damit, ähnlich wie im Zivilverfahrensrecht, jenen Teil des Verfahrens verstehen, in dem sich die dazu geladenen Verfahrensparteien an der Erörterung der Rechtssache vor Gericht beteiligen. Die Verhandlung (ohne Einschränkung auf "mündliche Verhandlung") könnte man als Überbegriff verstehen, der über die mündliche Verhandlung hinaus auch den Verfahrensabschnitt der Verkündung mit umfasst.

§ 22 MedienG betrifft, wie schon gesagt, Verhandlungen aller Gerichte. Auch für den Verfassungsgerichtshof bestehen derzeit keine besonderen Regelungen, selbst wenn dieser Gerichtshof sonst in verschiedener Hinsicht eine Sonderstellung einnimmt. Die Sonderstellung zeigt sich etwa bei der Bestellung seiner Mitglieder, die auch keine Berufsrichter im Sinne des B-VG sind, vor allem aber bei der Art der ihm zur Entscheidung übertragenen Rechtssachen: der Verfassungsgerichtshof entscheidet vielfach über Angelegenheiten, die weit über den Kreis der Verfahrensparteien hinaus von Bedeutung für das demokratische Gemeinwesen sind: Wahlanfechtungen, Kompetenzstreitigkeiten im Bundesstaat, Verfassungswidrigkeiten von Gesetzen und Ähnliches mehr.

Es läge daher rechtspolitisch durchaus nahe, die Frage der Zulässigkeit der TV-Übertragung von (Teilen der) Verhandlungen des Verfassungsgerichtshofes, insbesondere der Verkündung, anders zu regeln als bei Verhandlungen der ordentlichen Gerichte, selbst wenn auch dort immer wieder Fälle mit besonderem öffentlichen Interesse vorkommen - man denke etwa an die Verkündung der Entscheidungen in den Strafverfahren gegen einen ehemaligen Innenminister oder einen einst mächtigen Bankvorstand (in beiden Fällen wurden natürlich von den ordentlichen Gerichten - trotz entsprechenden Andrangs - Kameras bei der Verkündung nicht zugelassen).

Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes über eine Wahlanfechtung unterscheidet sich wesentlich von jenen Fällen, die dem Gesetzgeber bei der Schaffung des § 22 MedienG besonders vor Augen standen: Strafsachen, in denen über Schuld und Strafe von Einzelnen entschieden wird. Im Verfahren über die Wahlanfechtung gibt es zwar auch Verfahrensparteien, deren Persönlichkeitsrechte aber - jedenfalls bei der Bundespräsidentenwahl - nur sehr eingeschränkt geschützt werden müssen. Der Verfahrensausgang betrifft über die Verfahrensparteien hinaus alle Wahlberechtigten und einen wesentlichen Aspekt des demokratischen Prozesses; insofern besteht ein ganz besonderes Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Es mag sein, dass für die Zulassung der TV-Übertragung im Hintergrund auch verfassungsrechtliche Überlegungen maßgebend waren: so könnte ein Verbot der Live-Übertragung der Verkündung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen im Lichte des Art 10 EMRK als bedenklich beurteilt und § 22 MedienG dementsprechend eingeschränkt interpretiert worden sein.

Dazu kommt aus Kommunikationssicht noch, dass der Verfassungsgerichtshof in Zeiten des "Live-Tickers" - wie er etwa bei der Verkündung des Erkenntnisses über die Vorratsdatenspeicherung (bei der es noch keine Live-Übertragung im TV gab) zum Einsatz kam - mit seiner bisher üblichen Kommunikation, insbesondere Pressegesprächen des Präsidenten, zeitlich ins Hintertreffen geraten kann: auch wenn der Präsident unmittelbar nach der Verkündung ein TV-Interview bzw. eine (allenfalls live übertragene) Pressekonferenz gibt, wäre das Ergebnis in den elektronischen Medien bereits bekannt und vielleicht von den einen oder anderen Interessierten schon mit einem gewissen "Spin" versehen, der im Nachhinein schwer wieder einzufangen ist.

Die TV-Übertragung der Erkenntnis-Verkündung zuzulassen bietet einen Ausweg aus diesem Dilemma, der im konkreten Fall vom "Publikum" - insbesondere den Medienmitarbeiter_innen, soweit dies aus diversen Glossen und Kommentaren abzulesen ist - sehr gut aufgenommen wurde. Auch wenn der Präsident des Verfassungsgerichtshofes die Verkündung nicht mit "Im Namen der Republik!" begann, sondern zuvor noch einige allgemeine Worte eher an das Fernsehpublikum als an die anwesenden Verfahrensparteien richtete**), blieb der Charakter der förmlichen Verkündung gewahrt; man hatte nicht den Eindruck, dass Verkündung und Pressekonferenz vermischt oder die Verfahrensparteien und VfGH-Mitglieder - in den Worten von Brandstetter/Schmid - "zu Schauspielern degradiert" worden wären.

Ich bin gespannt, wie der Verfassungsgerichtshof in Zukunft mit der Zulassung von Hörfunk- und Fernsehaufnahmen umgehen wird. Immerhin gab es bisher auch bei hohem Medieninteresse (zB zuletzt bei der Entscheidung über die Vorratsdatenspeicherung) noch keine Live-Fernsehbilder von der Verkündung.

Und gespannt bin ich auch, ob die Diskussion über "Kameras im Gerichtssaal" nun wieder einmal aufflammen wird. Denn die ordentlichen Gerichte werden nicht von ihrem - auch in der Literatur einhellig vertretenen - Verständnis des § 22 MedienG abgehen, wonach auch die Verkündung der gerichtlichen Entscheidung Teil der "Verhandlung" im Sinne des § 22 MedienG ist.

In Deutschland hat man, was die Medienöffentlichkeit betrifft, eine Sondernorm für das Bundesverfassungsgericht geschaffen. § 17a BVerfGG bestimmt nun, abweichend von der generellen Regelung für andere Gerichte (§ 169 Gerichtsverfassungsgesetz), dass Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen bei Verhandlungen des Bundesverfassungsgerichts in folgenden zwei Fällen zulässig sind:
  1. in der mündlichen Verhandlung, bis das Gericht die Anwesenheit der Beteiligten festgestellt hat,
  2. bei der öffentlichen Verkündung von Entscheidungen.
Der österreichische Gesetzgeber hat eine vergleichbare Sonderregelung für den Verfassungsgerichtshof bisher nicht vorgesehen. Der Verfassungsgerichtshof hat sie sich - wohl durch entsprechende einschränkende Auslegung des § 22 MedienG - de facto selbst geschaffen.

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*) In der ursprünglichen Fassung dieses Beitrags, wie sie eine knappe halbe Stunde online war, habe ich von einer erstmaligen Zulassung von TV- und Tonaufnahmen gesprochen; der Sprecher des VfGH hat mich darauf hingewiesen, dass es "seit mehr als zehn Jahren" Praxis sei, bei der Verkündung solche Aufnahmen zuzulassen - das ist allerdings mir (und nicht nur mir) tatsächlich entgangen. Ich habe den Text dementsprechend geändert. Die Live-Übertragung im Fernsehen war aber jedenfalls erstmalig.
Update 31.08.2016: mittlerweile wurde ich auch darauf hingewiesen, dass der VfGH bereits 1985 - und damit schon während der Geltung des Mediengesetzes - Aufzeichnungen im Verhandlungssaal zuließ, und zwar beim Verfahren gegen den Salzburger Landeshauptmann, der im Fernsehbeitrag auch während der Entscheidungsverkündung gezeigt wurde (nachzusehen hier auf der ORF-Website).
Und in Deutschland wurde heute ein Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren vorgestellt (Gesetzesentwurf; Pressemitteilung des Justizministeriums). Wenn dieser Entwurf Gesetz wird, werden sie Obersten Gerichtshöfe des Bundes die Übertragung von Verkündungen von Entscheidungen zulassen können. Zudem soll die Übertragung in Arbeitsräume von Medienvertretern ermöglicht werden sowie die audio-visuelle Dokumentation von Gerichtsverfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung.

**) "Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wahlen sind das Fundament unserer Demokratie. Es ist die vornehmste Pflicht des Verfassungsgerichtshofes, dieses Fundament funktionstüchtig zu halten. Die Entscheidung, die ich jetzt verkünden werde, macht niemanden zum Verlierer und niemanden zum Gewinner. Sie soll allein einem Ziel dienen, das Vertrauen in unseren Rechtsstaat und damit in unsere Demokratie zu stärken."

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