Wednesday, October 22, 2008

EuG zu TV2 Dänemark: Rundfunkgebühren als "staatliche Mittel", aber Überkompensierung nicht erwiesen

In seinem heutigen Urteil in den verbundenen Rechtssachen T-309/04 TV2/Kommission, T-317/04 Dänemark/Kommission, T-329/04 Viasat Broadcasting UK/Kommission und T-336/04 SBS und SBS Danish Television/Kommission hat das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (EuG) die Entscheidung der Kommission in der Beihilfensache C 2/2003 (ABl L 85 v. 26.3.2006, S. 20) wegen wesentlicher Verfahrensfehler der Kommission aufgehoben (siehe dazu auch die Presseaussendung des EuG sowie ein früheres Posting in diesem Blog - wer dänisch versteht, kann auch die erfreute Reaktion von TV2 sehen oder lesen).

Da eine Aufhebung wegen der Verfahrensmängel unumgänglich war, hat der EuG zwar nicht alle Klagegründe aller Parteien geprüft, aber dennoch einige wichtige Aussagen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk als "Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse" (SGEI) sowie zur Gebührenfinanzierung getroffen.

Erstens stellt das EuG klar, dass auch eine weite und qualitätsbezogene Festlegung des öffentlichen Auftrags möglich ist (vgl. dazu auch schon EuG 26.6.2008 T-442/03, SIC/Kommission, siehe dazu hier). Wörtlich heißt es in den RNr. 101 bis 113 des Urteils:

101 Zuerst ist daran zu erinnern, dass ... die Mitgliedstaaten bei der Definition dessen, was sie als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ansehen, über ein weites Ermessen verfügen. Deshalb kann die Definition dieser Dienstleistungen durch einen Mitgliedstaat von der Kommission lediglich im Fall eines offenkundigen Fehlers in Frage gestellt werden ...
103 Was insbesondere Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Bereich des Rundfunks angeht, hat der Gerichtshof mit Vorabentscheidungsurteil vom 30. April 1974, Sacchi (155/73, Slg. 1974, 409) ... im Wesentlichen festgestellt, dass die Mitgliedstaaten befugt sind, eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Bereich des Rundfunks in Form eines Vollprogramms zu definieren. ...
107 Die Möglichkeit für einen Mitgliedstaat, für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Bereich des Rundfunks eine weite Definition zu wählen, die die Ausstrahlung eines Vollprogramms erfasst, wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt außerdem kommerzielle Tätigkeiten, insbesondere den Verkauf von Werbeplätzen, betreibt.
108 Andernfalls hinge nämlich die Definition der Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Bereich des Rundfunks von ihrer Finanzierung ab. Eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse wird aber jedenfalls anhand des allgemeinen Interesses definiert, das mit ihr befriedigt werden soll, und nicht danach, mit welchen Mitteln die Dienstleistung erbracht werden soll. ...
109 Aus denselben Gründen machen SBS und Viasat auch zu Unrecht geltend, dass sich die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Bereich des Rundfunks zumindest dann, wenn der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt eine Mischfinanzierung zugutekomme, auf die Ausstrahlung nicht rentabler Sendungen beschränken müssten. Das Vorbringen, dass sich eine Rundfunkanstalt, die mit einer weit und qualitätsbezogen definierten Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sei und eine Mischfinanzierung erhalte, durch die künstlich niedrige Preispraxis beim Verkauf ihrer Werbeplätze unweigerlich veranlasst sehe, ihre kommerzielle Tätigkeit durch die staatliche Finanzierung der gemeinwirtschaftlichen Dienstleistung zu subventionieren, ist zurückzuweisen, da es auf einer bloßen Annahme beruht. Ein solches Verhalten ist nämlich allenfalls eine Gefahr, der die Mitgliedstaaten vorzubeugen haben und hinsichtlich deren es Sache der Kommission ist, gegebenenfalls Sanktionen zu ergreifen. ...
113 Nach alledem kann die Befugnis der Mitgliedstaaten, Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Bereich des Rundfunks weit und qualitätsbezogen zu definieren, so dass sie die Ausstrahlung eines weit gefächerten Programms umfassen, genauso wenig in Abrede gestellt werden wie ihre Möglichkeit, diese Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse über Werbung zu finanzieren.

Das EuG, das in diesem Zusammenhang auch Art 16 EG, das Protokoll von Amsterdam und die Entschließung des Rates und der Mitgliedstaaten über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus dem Jahr 1999 zitiert, kommt zu einem bemerkenswerten Ergebnis (RNr. 117), was die Präzision des öffentlichen Auftrags betrifft:

Der Auftrag von TV2 ist ... völlig klar und bestimmt: der gesamten dänischen Bevölkerung ein auf Qualität, Vielseitigkeit und Abwechslung ausgerichtetes Fernsehprogramm mit breitem Spektrum zu bieten.

Dass sich die Programmgestaltung von TV2 nicht von der der kommerziellen Kanäle unterscheide, wie die privaten Rundfunkveranstalter vorbrachten, ist für das EuG nicht relevant (RNr. 123), denn

... die Definition der Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Bereich des Rundfunks mittels einer vergleichenden Programmanalyse
vom Programmumfang der kommerziellen Fernsehanstalten abhängen zu lassen, würde dazu führen, dass den Mitgliedstaaten ihre Befugnis genommen würde, die gemeinwirtschaftliche Dienstleistung zu definieren. Die Definition der Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse hinge nämlich letztlich von den kommerziellen Anstalten und ihren Entscheidungen, bestimmte Programme auszustrahlen oder nicht, ab.

Zweitens hält das EuG fest, dass es sich bei der Finanzierung durch Rundfunkgebühren um "staatliche Mittel" im Sinne des Beihilfenrechts handelt (diese Gebühren wurden in Dänemark im fraglichen Zeitraum vom Kulturminister festgelegt, von Danmarks Radio, dem größten öffentlich-rechtlichen Anbieter eingezogen und "aufgrund eines Entscheids des Ministers für Kultur gemäß einer Medienvereinbarung mit dem dänischen Parlament unter DR und TV2 aufgeteilt"). Allerdings ist aus österreichischer Sicht darauf hinzuweisen, dass das EuG bei seiner Entscheidung berücksichtigt (RNr. 158f) dass die Höhe der Gebühren von den dänischen Behörden festgesetzt wird, dass die Pflicht zur Zahlung nicht auf eine vertragliche Verbindung zwischen TV2 und dem Gebührenschuldner zurückgeht, sondern auf den bloßen Besitz eines Fernseh- oder Radiogeräts, dass ihre Einziehung gegebenenfalls nach den Vorschriften über die Einziehung von Steuern erfolgt und dass schließlich die Entscheidung, welcher Teil der Gebühren an TV2 fließt, bei den dänischen Behörden liegt. Die dänischen Behörden könnten daher über die Einnahmen aus den Rundfunkgebühren verfügen und sie kontrollieren, so dass diese staatliche Mittel sind. Dass auch (bestimmte) Werbeeinnahmen de facto staatliche Mittel gewesen wären, hat die Kommission zwar behauptet, aber nicht ausreichend begründet.

Drittens - und für Österreich besonders interessant - befasst sich das EuG auch mit der Frage der "Kapitalreserven" (Rücklagen) und deren Überprüfung, da TV2, ähnlich wie der österreichische öffentlich-rechtliche Veranstalter ORF, zu seiner Finanzierung sowohl auf Gebührengelder als auch auf Werbeeinnahmen angewiesen ist. Die Kommission hatte eine Überkompensierung durch die Gebühreneinnahmen behauptet (RNr. 104 bis 130 der Kommissionsentscheidung) und die Ansicht vertreten, dass der bei TV2 aufgebaute Kapitalüberschuss für den reibungslosen Betrieb von TV2 nicht erforderlich gewesen wäre. Das EuG fand, dass die Kommission dies nicht ausreichend (bzw. wörtlich in RNr. 203: "in keiner Weise ernsthaft") geprüft hatte, vor allem im Hinblick auf das besondere Ziel, die Erbringung des öffentlichen Auftrags auch bei fluktuierenden Werbeeinnahmen sicherzustellen. Die Kommission, so das EuG weiter, hätte auch die genauen Bedingungen näher überprüfen müssen, wie im fraglichen Zeitraum die Rundfunkgebühren festgesetzt wurden, und sie hätte auch das dänische Vorbringen betreffend die regelmäßige Überprüfung der angesammelten Kapitalreserven von TV2 durch die dänischen Behörden nicht so einfach verwerfen dürfen. In RNr. 228 des Urteils heißt es:

Außerdem kann ... nicht ausgeschlossen werden, dass die ... Modalitäten der Festlegung des TV2 zukommenden Gebührenbetrags objektive und transparente Modalitäten darstellen könnten, da sie u. a. die Mitwirkung des dänischen Parlaments implizierten, sich auf wirtschaftliche Analysen stützten, die von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im Beistand einer aus Sachverständigen bestehenden Gruppe, an der die Konkurrenten von TV2 beteiligt waren, vorgenommen worden waren, und diese Analysen genau wie die Jahresabschlüsse von TV2 veröffentlicht wurden. Somit ist nicht auszuschließen, dass eine ernsthafte Analyse dieser Modalitäten gegebenenfalls zu dem Ergebnis geführt hätte, dass das Königreich Dänemark sogar bereits vor der Aufstellung der Altmark-Voraussetzungen durch den Gerichtshof die Einhaltung der zweiten dieser Voraussetzungen im Wesentlichen sichergestellt hatte.

Gegenüber der Kommission findet das EuG recht deutliche Worte; in RNr. 230 heißt es etwa, dass die Behauptungen der Kommission zur zweiten Altmark-Voraussetzung (objektive und transparente Parameter zur Berechnung des Ausgleichs) "nicht auf einer ernsthaften Analyse der konkreten rechtlichen und wirtschaftlichen Umstände, anhand deren der TV2 zukommende Gebührenbetrag festgelegt wurde", beruhen; auch die Begründung hinsichtlich des vierten Altmark-Kriteriums (ohne Auschreibung dürfen nur Kosten eines durchschnittlichen, gut geführten Unternehmens ersetzt werden) stelle sich "in Wirklichkeit als rein formale Begründung dar" (RNr. 233).

Vor dem Hintergrund dieses EuG-Urteils (gegen das den Parteien noch der Rechtszug an den EuGH offen steht) kann man in einer ersten groben Einschätzung im Hinblick auf die österreichische Situation einmal festhalten, dass die Definition des öffentlich-rechtlichen Auftrags im ORF-Gesetz beihilfenrechtlich unproblematisch sein dürfte. Das war auch schon bisher wohl common ground (zuletzt habe ich das etwa auch hier vertreten); allenfalls bleiben noch kleine Restunklarheiten in Randbereichen. Auch dass das Beihilfenrecht kein Instrument ist, in die Programmgestaltung einzugreifen, hat das EuG sehr deutlich gemacht (siehe dazu insbesondere auch die RNr. 118 des Urteils zur Unabhängigkeit des Rundfunks auch im Hinblick auf Art 10 EMRK). Die Frage des Programmentgelts als "staatliche Mittel" kann angesichts der unterschiedlichen rechtlichen Konstruktion nicht eins zu eins umgelegt werden; ebensowenig die Frage der Festlegung und Kontrolle der Gebührenhöhe und Verwendung. Ein interessantes Detail ist noch, dass das EuG die Kontrolle durch die Rigsrevision (Rechnungshof) keineswegs als unbeachtlich angesehen hat, wie dies die Kommission - unter Hinweis auf die fehlende Befugnis des Rechnungshofs, eine Überkompensierung abzustellen - getan hat (RNr. 219).

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