Aber darum geht es in diesem Beitrag gar nicht - sondern ganz off topic um eine Frage richterlicher Berufsethik, die mit einem überraschend zu Tage getretenen (entfernten) Österreich-Bezug von Scalia zusammenhängt: der Mitgliedschaft in diskriminierenden Organisationen.
Wie die Washington Post nämlich vor wenigen Tagen berichtete, war Scalia bei seinem Jagdausflug unter hochrangigen Mitgliedern des Internationalen St. Hubertus-Ordens, ein - nach Angaben der Washington Post - 1695 von Graf Franz Anton von Sporck in Böhmen gegründeter, österreichischer - und: ausschließlich männlicher - Orden. Die Washington Post ließ offen, ob Scalia Mitglied des Ordens war. Die Antwort darauf lieferte heute die österreichische Tageszeitung Kurier, wo es heißt:
Damit aber wäre Scalia Mitglied einer Vereinigung gewesen, die offen Geschlechterdiskriminierung praktiziert. Nach den Regularen des Ordens können nämlich nur Männer Mitglied werden (dass den Männern auch Frauen "gleichzusetzen" sind, die "als Souverän ein Land regieren", ändert nichts an der geschlechtsspezifischen Diskriminierung bei der Aufnahme):
Nun ist aber die Mitgliedschaft in "all boys clubs" mit der richterlichen Berufsethik, wie sie in den USA vor allem im "Code of Conduct for United States Judges" festgelegt ist, schwer vereinbar. Canon 2C des Code of Conduct lautet:
Hintergrund dieser Bestimmung ist natürlich, dass die Mitgliedschaft in einer Organisation, die (zB) bei der Aufnahme nach Geschlechtern diskriminiert, Anlass für Zweifel an der Unabhängigkeit geben kann: wenn ein Richter etwa Mitglied in einem "all boys"-Club ist, kann der Eindruck entstehen, dass er Frauen und Männer vielleicht nicht gleich behandeln würde. Dass das auch bei Supreme Court Justices so gesehen wird, zeigte sich zuletzt bei der Bestellung Sonia Sotomayors, die vor ihrer Ernennung Mitglied in einem elitären "women only"-Club war: Nach Kritik von Republikanern beendete sie noch vor den Confirmation Hearings im Senat diese Mitgliedschaft (Kritik kam damals unter anderem auch von Ed Whelan in der rechtskonservativen National Review, der freilich ein großer Scalia-Verehrer ist).
Scalia berührt das natürlich nicht mehr - und es hätte ihn, der auch sonst in Fragen der richterlichen Berufsethik nicht immer kleinlich war (und sich zB gern auf Reisen einladen ließ oder Befangenheitsfragen "großzügig" handhabte), wahrscheinlich schon zu Lebzeiten nicht besonders beeindruckt. In der Praxis legen die mit Fragen der richterlichen Berufsethik befassten Ausschüsse Canon 2C auch so aus, dass - wegen eines sonstigen Konflikts mit der Freiheit der Religionsausübung - religiöse Vereinigungen davon nicht betroffen sind; vielleicht könnte man den Hubertus-Orden in diesem Sinne auch als religiöse Vereinigung sehen.
Und bei uns?
In Österreich - und soweit ich das beurteilen kann auch in Deutschland - gibt es keine ausdrückliche Bestimmung, wonach die Mitgliedschaft in diskriminierenden Organisationen als Verstoß gegen die richterliche Berufsethik zu werten wäre. Die Ethikerklärung der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter ("Welser Erklärung") spricht in ihrem Art IX (Außerdienstliches Verhalten) zwar den Beitritt zu politischen Parteien an, nicht aber den Beitritt zB zu geschlechterdiskriminierenden Organisationen.
Der verstorbene Richter Scalia war Mitglied. Der Großprior des internationalen St. Hubertus Ordens, Maternus Lackner, Forstdirektor der Flick’schen Gutsverwaltung in Rottenmann, wundert sich über die Aufmerksamkeit, die sein christlicher Jägerkonvent plötzlich hat. Der bekannteste Verfassungsrichter der USA, Antonin Scalia, war ein Ordensmitglied, sagt der Großprior und beendet damit Spekulationen der Washington Post.Ich bin zwar nicht ganz sicher, wie weit dem zu trauen ist, denn nach der Website des Ordens ist Herr Lackner nur Großprior der "Ballei" (Ordensprovinz) Österreich, aber ich unterstelle einmal, dass er eine solche Aussage nicht leichtfertig trifft und der Kurier auch richtig berichtet.
Damit aber wäre Scalia Mitglied einer Vereinigung gewesen, die offen Geschlechterdiskriminierung praktiziert. Nach den Regularen des Ordens können nämlich nur Männer Mitglied werden (dass den Männern auch Frauen "gleichzusetzen" sind, die "als Souverän ein Land regieren", ändert nichts an der geschlechtsspezifischen Diskriminierung bei der Aufnahme):
Nun ist aber die Mitgliedschaft in "all boys clubs" mit der richterlichen Berufsethik, wie sie in den USA vor allem im "Code of Conduct for United States Judges" festgelegt ist, schwer vereinbar. Canon 2C des Code of Conduct lautet:
Nondiscriminatory Membership. A judge should not hold membership in any organization that practices invidious discrimination on the basis of race, sex, religion, or national origin.Eine statutarisch festgelegte Beschränkung der Aufnahme auf ein bestimmtes Geschlecht ist wohl eine offene unfaire ("invidious") Diskriminierung ("An organization with a by-law explicitly denying membership to persons on the basis of race, sex, religion, or national origin obviously practices discrimination within the meaning of Canon 2C", heißt es schon in diesem Leitfaden aus 1996).
Hintergrund dieser Bestimmung ist natürlich, dass die Mitgliedschaft in einer Organisation, die (zB) bei der Aufnahme nach Geschlechtern diskriminiert, Anlass für Zweifel an der Unabhängigkeit geben kann: wenn ein Richter etwa Mitglied in einem "all boys"-Club ist, kann der Eindruck entstehen, dass er Frauen und Männer vielleicht nicht gleich behandeln würde. Dass das auch bei Supreme Court Justices so gesehen wird, zeigte sich zuletzt bei der Bestellung Sonia Sotomayors, die vor ihrer Ernennung Mitglied in einem elitären "women only"-Club war: Nach Kritik von Republikanern beendete sie noch vor den Confirmation Hearings im Senat diese Mitgliedschaft (Kritik kam damals unter anderem auch von Ed Whelan in der rechtskonservativen National Review, der freilich ein großer Scalia-Verehrer ist).
Scalia berührt das natürlich nicht mehr - und es hätte ihn, der auch sonst in Fragen der richterlichen Berufsethik nicht immer kleinlich war (und sich zB gern auf Reisen einladen ließ oder Befangenheitsfragen "großzügig" handhabte), wahrscheinlich schon zu Lebzeiten nicht besonders beeindruckt. In der Praxis legen die mit Fragen der richterlichen Berufsethik befassten Ausschüsse Canon 2C auch so aus, dass - wegen eines sonstigen Konflikts mit der Freiheit der Religionsausübung - religiöse Vereinigungen davon nicht betroffen sind; vielleicht könnte man den Hubertus-Orden in diesem Sinne auch als religiöse Vereinigung sehen.
Und bei uns?
In Österreich - und soweit ich das beurteilen kann auch in Deutschland - gibt es keine ausdrückliche Bestimmung, wonach die Mitgliedschaft in diskriminierenden Organisationen als Verstoß gegen die richterliche Berufsethik zu werten wäre. Die Ethikerklärung der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter ("Welser Erklärung") spricht in ihrem Art IX (Außerdienstliches Verhalten) zwar den Beitritt zu politischen Parteien an, nicht aber den Beitritt zB zu geschlechterdiskriminierenden Organisationen.
6 comments :
Sehr geehrter Herr Hans Peter Lehofer,
Zitat aus Ihrem Blog-Artikel: "Hintergrund dieser Bestimmung ist natürlich, dass die Mitgliedschaft in einer Organisation, die (zB) bei der Aufnahme nach Geschlechtern diskriminiert, Anlass für Zweifel an der Unabhängigkeit geben kann"
Die Zweifel an der Unabhängigkeit aus der Tatsache abzuleiten, erscheinen mir etwas vage.
Ich versuche meine These anhand von Beispielen, die als Fragen an Sie gedacht sind, zu untermauern:
1. Angenommen eine US-Richterin wäre Mitglied oder Ehrenmitglied des christlichen Ordens der Klarissen. In diesem Fall wären nach Ihrer Logik Zweifel bzgl. der Unabhängigkeit gegenüber Atheisten, Muslimen, Buddhisten, Juden und sonstigen Nicht-Christen vorhanden und Zweifel gegenüber der Unabhängigkeit gegenüber Männern.
2. Ein Richter ist in einer Sportvereinsmannschaft (wie z.B. Hobby-Fußballverein, Basketball- oder Eishockey-Team der Jursiten, deren Zweck es ist, das wenig sportliche Image der Juristen zu verbessern und die in der untersten Liga spielt; also z.B. im Fußballverein "Anwälte nicht nur Verteidiger, sondern auch Vorstopper").
Es gibt in Ligavereinsmannschaften nur in den wenigsten Sportarten "mixed teams" und jeder Richter und jede Richterin würde dann in einem Sportverein Mitglied sein, der nur ein Geschlecht aufnimmt. (Das gilt auch für Frauenfußballvereine)
Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Klarissen
https://de.wikipedia.org/wiki/Geschlechts%C3%BCberpr%C3%BCfung_beim_Sport
Freundliche Grüße,
Heinrich Elsigan
Ich gehe noch einen Schritt weiter.
Kein Richter / keine Richterin dürfte, wenn man Ihre Logik weiter verfolgt, streng genommen in einer Glaubensgemeinschaft, Kirche, Freikirche Mitglied sein, die "Frauen" oder andere diskriminiert, damit wären allen orthodoxen Juden, Katholiken, einige Freikirchen und alle konservativen sunnitischen und schiitischen Strömungen des Islams ausgenommen. Selbst, wenn der Richter sich in einer Reformationsbewegung der entsprechenden Glaubensgemeinschaft befände (liberaler Flügel oder Reformisten), dann müsste er aus der Glaubensgemeinschaft austreten oder im worst case exkommuniziert werden. Dies würde dann aber von den Mitgliedern dieser Glaubensgemeinschaft höchstwahrscheinlich und von den offiziellen Organen der Glaubensgemeinschaft ziemlich sicher als Diskriminierung wahrgenommen werden.
Warum ich die Reformisten explizit erwähne, ist, weil diese erst gerade in manchen Religionen im Entstehen sind und noch nicht den legalen Status einer anerkannten Religionsgemeinschaft inne haben. So wäre aber ein Reformist mit nur noch minimaler Diskriminierung ausgeschlossen, wáhrend ultra orthoxe, ultra konservative zugelassen wären.
Damit habe ich persönlich ein ethnisches Problem.
zu Heinrich Elsigan: es geht immer um "invidious" discrimnation, also sachlich nicht gerechtfertigte - bei Sportvereinen wird das von den Ethik-Ausschüssen idR als gerechtfertigt angesehen, bei rein gesellschaftlichen Vereinen/Netzwerken ist das schwer zu argumentieren.
Religiöse Vereinigungen sind wieder etwas anderes: im allgemeinen Code of Conduct für US-Richter steht dazu zwar keine Ausnahme (wohl aber in einigen Codes der Staaten), hier geht es immer um die Grundrechtsabwägung, die natürlich auch Richtern Religionsfreiheit einräumt. Generell gilt zudem, dass es einem Richter auch freisteht, in einem diskriminierenden Verein zu bleiben, wenn er sich dafür einsetzt, dass die Diskriminierung aufgehoben wird; zwei Jahre hat er dafür Zeit - aus dem Kommentar zum Code:
When a judge determines that an organization to which the judge belongs engages in invidious discrimination that would preclude membership under Canon 2C or under Canons 2 and 2A, the judge is permitted, in lieu of resigning, to make immediate and continuous efforts to have the organization discontinue its invidiously discriminatory practices. If the organization fails to discontinue its invidiously discriminatory practices as promptly as possible (and in all events within two years of the judge’s first learning of the practices), the judge should resign immediately from the organization.
Zu Hans Peter Lehofer Kommentar vom 27.2.2016 10:31
Vielen Dank für die ausführlichen Informationen, dennoch frage ich mich folgendes:
Ist der Hubertus Orden ein Verein (Vereinsgesetz) oder eine religiöse Gemeinschaft?
Für den Österreichischen Orden müsste demnach das Vereinsgesetz gelten, oder etwa nicht?
Sind gesellschaftliche Vereine innerhalb der europäischen Union zulässig, die in ihren Statuten die Mitgliedschaft auf ein Geschlecht begrenzen?
Wenn nein, dann wäre das doch innerhalb der Union nach bestehendem Recht einklagbar oder etwa nicht?
Sicherlich gibt es Vereine / Selbsthilfegruppen, die in der Praxis nur ein Geschlecht per Definition ansprechen (wie etwa "Verein, der nach Scheidung obdachlos gewordenen" oder "Verein für Vergewaltigungsopfer in der Ehe", ...), da in der Praxis als Zielgruppe für die Mitgliedschaft zu >90% nur ein Geschlecht in Frage kommt, aber dennoch wird das dort nicht explizit durch die Vereinsstatuten definiert sein.
Die essentiellen Frage nochmals kurz zusammen gefasst:
Welche Rechtsform hat der Hubertus-Orden innerhalb der europäischen Union?
(NGO: Verein, Verband, Dachverband, Religionsgemeinschaft, Körperschaft oder Unternehmen, wie Genossenschaft, GmbH, AG, & CO KG, KEG, LTD, ...)
Ist Diskriminierung in bestehender Rechtsform explizit jur. festgelegt (wie etwa in den Statuten bei Vereinen oder in der Formulierung der Genossenschaft) und ist das mit europäischen Recht kompatibel? (Grundrechte-Charta, AEU-Vertrag, ...)
Hat dieser Orden die richtige Rechtsform innerhalb der EU?
Wenn der Hubertus Orden die wirtschaftliche und soziale Förderung seiner Mitglieder als tatsächliches effektives Ziel verfolgt, aber sich als Verein ausgibt, dann wäre es rechtlich meiner Meinung nach eine Genossenschaft und kein Verein, da nur eine Genossenschaft ein Zusammenschluss von natürlichen beziehungsweise juristischen Personen ist, deren Ziel der Erwerb oder die wirtschaftliche beziehungsweise soziale Förderung ihrer Mitglieder durch einen gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb ist.
zu Heinricht Elsigan: hier geht es aus meiner Sicht nicht um die Frage, ob solche Vereinigungen gesetzeskonform sind oder nicht (oder welche konkrete Rechtsform sie haben), sondern um die Frage, ob die Mitgliedschaft eines Richters/einer Richterin in einer derartigen Vereinigung den Verdacht der Befangenheit begründen könnte. Es gibt natürlich Vereinigungen, die völlig legal sind, in denen aber RichterInnen nicht Mitglied sein sollten, um (zumindest in bestimmten Fällen) nicht den Verdacht der Befangenheit zu begründen. In besonderem Maße gilt dies für Vereinigungen, die bei der Mitgliedschaft unsachlich diskriminieren: wie könnte ich zB als Person mit nichtweißer Hautfarbe Unparteilichkeit von einem Richter erwarten, der seine Freizeit in einem Gesellschaftsclub verbringt, der aus prinzipiellen Gründen nur "Weiße" aufnimmt? Und wie unterscheidet sich das von einer Situation, in dem - wiederum als fiktives Beispiel - ein Richter Mitglied eines gesellschaftlichen Vereins ist, der Frauen die Mitgliedschaft verwehrt, bloß damit die Männer "unter sich" bleiben können? Bei Sportvereinen oder Männergesangsvereinen mag eine Differenzierung nach Geschlecht nicht unsachlich sein (obwohl es beim "Männergesangsverein" wohl auch ausreichen würde, nach Stimmlagen zu unterscheiden und eine Frau, die Bass singt, daher nicht wegen ihres Geschlechts abzulehnen). Bei reinen "Geselligkeitsvereinen", die typischerweise auch zum Netzwerken dienen oder in denen "Seilschaften" entstehen können, würde ich aber keinen sachlichen Grund sehen - so auch bei einem Jagdverein (in welcher Rechtsform immer), denn natürlich gehen auch Frauen auf die Jagd. Nochmals, es geht nicht darum, ob diese Organisationen als solche legal sind, sondern nur um das Signal, das RichterInnen mit einer Mitgliedschaft bei einer solchen Organisation gegenüber jenen aussenden, die als Parteien vor ihnen - vor Gericht - stehen.
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