Die DSB hält in ihrem Schreiben an den EuGH fest, dass die von ihrer Rechtsvorgängerin, der Datenschutzkommission, gestellten Fragen zur Auslegung und Gültigkeit der Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsspeicherung von Daten hinfällig sind, da die anzuwendende Rechtsvorschrift durch das EuGH-Urteil vom 08.04.2014, C-293/12 und C-594/12 (siehe im Blog dazu zuletzt hier und hier) rückwirkend aus dem Bestand des Unionsrechts entfernt wurde.
Die Datenschutzkommission hatte allerdings auch eine Frage zur Auslegung der allgemeinen Datenschutzrichtlinie 95/46/EG gestellt. Diese Frage sei zwar für die von der DSB zu treffenden Entscheidungen noch von Bedeutung, heißt es nun im Schreiben der DSB. Die Stellung der DSB im österreichischen Rechtssystem unterscheide sich aber grundlegend von der der früheren Datenschutzkommission: die Entscheidungen der DSB unterliegen nämlich nun der Kontrolle durch zwei Gerichtsinstanzen (Bundesverwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof bzw Verfassungsgerichtshof). Daraus folge, dass die DSB - anders als die Datenschutzkommission - nicht mehr gemäß Art 267 AEUV aktiv legitimiert sei, dem EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen vorzulegen.
Die Zurückziehung des Vorabentscheidungsersuchens war zu erwarten (siehe dazu in meinem vorigen Blogbeitrag). Überraschend ist allerdings die Begründung: denn wenn man die Datenschutzkommission als Gericht im Sinne des Art 267 AEUV ansehen konnte (zu diesbezüglichen Bedenken siehe schon hier), dann müsste dies wohl auch für die DSB gelten. Dass anstelle einer weisungsfreien unabhängigen Kollegialbehörde nun ein weisungsfreies monokratisches Organ tätig wird, das noch unabhängiger ist als die Datenschutzkommission zum Zeitpunkt der Stellung des Vorabentscheidungsersuchens war, kann keinen Unterschied machen (auch ein Einzelrichter/eine Einzelrichterin eines ordentlichen Gerichts kann natürlich Vorabentscheidungsersuchen stellen). Wenn es sich bei der Datenschutzkommission daher um ein Gericht iSd Art 267 AEUV gehandelt hat, müsste auch die DSB als solches Gericht anzusehen sein (jeweils soweit sie zur Entscheidung über die verfahrensgegenständlichen Beschwerden berufen ist). Ob Rechtsschutz durch eine gerichtliche Instanz gewährleistet wird - wie es bei der Datenschutzkommission der Fall war - oder durch zwei gerichtliche Instanzen - wie nun bei der DSB - ändert an der Gerichtsqualifikation iSd Art 267 AEUV nichts: auch erstinstanzliche Gerichte können dem EuGH Vorabentscheidungsersuchen vorlegen.
Ich sehe die von der DSB gegebene Begründung für die Zurückziehung der Frage zur Datenschutzrichtlinie daher eher als Signal nach innen: die DSB als nationale Kontrollstelle im Sinn der Datenschutzrichtlinie, die für ihre Kernaufgaben ohnehin nur knappe Ressourcen zur Verfügung hat, wird in Zukunft keine Vorabentscheidungsersuchen stellen, sondern überlässt diese Aufgabe dem Bundesverwaltungsgericht bzw VwGH und allenfalls VfGH. Damit geht die DSB auch nicht mehr das Risiko ein, vom EuGH vielleicht doch nicht als vorlageberechtigtes Gericht anerkannt zu werden.
In den Ausgangsverfahren muss die DSB nun entscheiden, ob nach dem Wegfall der Vorratsdatenrichtlinie die Beschwerdeführer Auskunft darüber bekommen müssen, welche Vorratsdaten die Telekomunternehmen über sie gespeichert haben.
§ 102b Abs 1 TKG 2003 scheint einer solchen Auskunft entgegenzustehen; nach dieser Bestimmung ist nämlich eine Auskunft über Vorratsdaten "ausschließlich aufgrund einer gerichtlich bewilligten Anordnung der Staatsanwaltschaft zur Aufklärung und Verfolgung von Straftaten, deren Schwere eine Anordnung nach § 135 Abs 2a StPO rechtfertigt, zulässig."
Umso spannender ist daher, welche Bestimmungen des TKG 2003 die Gesetzesprüfung durch den Verfassungsgerichtshof überstehen werden: der VfGH wird die bei ihm anhängigen Gesetzesprüfungsverfahren jedenfalls in seiner kommenden Juni-Session fortsetzen.
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