Der EuGH hat heute in der Rechtssache C-283/11 Sky Österreich über ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundeskommunikationssenates (siehe dazu im Blog hier) zur Vereinbarkeit von Art 15 Abs 6 der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-RL) mit Art 17 (Eigentumsrecht) und Art 16 (unternehmerische Freiheit) der EU-Grundrechtecharta (GRC) entschieden. Im Ergebnis - aber nicht zur Gänze in der Begründung - folgte der EuGH dabei den Schlussanträgen von Generalanwalt Bot (siehe dazu im Blog hier).
Im Kern ging es um die Frage, ob der EU-Gesetzgeber ohne unzulässigen Eingriff in das durch die GRC geschützte Eigentumsrecht einem Inhaber von TV-Exklusivrechten an Ereignissen von großem öffentlichen Interesse die Verpflichtung auferlegen darf, anderen Rundfunkveranstaltern zum Zwecke der Kurzberichterstattung Zugang zum Sendesignal zu gewähren, ohne dafür mehr ersetzt zu bekommen, als die "unmittelbar mit der Gewährung des Zugangs verbundenen zusätzlichen Kosten", wie dies Art 15 Abs 6 der AVMD-RL vorsieht. Nach dieser Regelung kann der Exklusivrechteinhaber dem "Kurzberichterstatter" also insbesondere die Kosten für den Rechteerwerb auch nicht anteilig verrechnen, sodass etwas vereinfacht auch von einem "kostenlosen" Kurzberichterstattungsrecht die Rede ist (denn die zu ersetzenden technischen Zugangskosten fallen im Vergleich zu den Kosten der Senderechte nicht ins Gewicht).
Vor Inkrafttreten der AVMD-RL geltende ähnliche Regelungen auf nationaler Ebene hatten sowohl den österreichischen Verfassungsgerichtshof (Erkenntnis vom 1.12.2006, B 551/06 ua) als auch das deutsche Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 17.02.1998, 1 BvF 1/91) beschäftigt, die jeweils grundrechtliche Bedenken hatten: der VfGH sah eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes im Fall der Einräumung eines Rechtes zur unentgeltlichen Kurzberichterstattung, das BVerfG sah einen Eingriff in die Berufsfreiheit.
Der EuGH sah einen Eingriff in das Eigentumsrecht nach Art 17 GRC schon deshalb als nicht gegeben an, wiel Sky Österreich die fraglichen Rechte im Augst 2009 erworben hatte und das Unionsrecht damals bereits eine dem Art 15 Abs 6 AVMD-RL entsprechende Regelung kannte (diese war zwar noch nicht in Kraft, allerdings bis 19. Dezember 2009 umzusetzen). Sky kann sich daher nicht auf eine gesicherte Rechtsposition berufen, die eine selbständige Ausübung ihres Exklusivübertragungsrechts ermöglicht (Generalanwalt Bot hatte einen Eingriff in das Eigentumsrecht angenommen, ihn aber - ebenso wie den Eingriff in die unternehmerische Freiheit - als zulässig angesehen). Allerdings stellte der EuGH ausdrücklich klar, dass es sich bei Exklusivrechten um vermögenswerte Rechte handelt, die grundsätzlich durch Art 17 GRC geschützt wären (Rn 35):
Die exklusiven Fernsehübertragungsrechte werden Fernsehveranstaltern zwar gegen Entgelt durch eine vertragliche Bestimmung eingeräumt und ermöglichen es diesen Veranstaltern, bestimmte Ereignisse exklusiv zu übertragen, so dass jedwede Übertragung dieser Ereignisse durch andere Fernsehveranstalter ausgeschlossen ist. Deshalb sind diese Rechte nicht als bloße kaufmännische Interessen oder Aussichten, sondern als vermögenswerte Rechte anzusehen.Dagegen liegt auch nach dem EuGH ein Eingriff in die unternehmerische Freiheit im Sinne des Art 16 GRC vor. Art 16 GRC sieht vor, dass „[d]ie unternehmerische Freiheit … nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt“ wird (Hervorhebung hinzugefügt). Dieser Wortlaut ist für die Reichweite des Grundrechts und, wie der EuGH hier in Rn 57 festhält, vor allem für die Verhältnismäßigkeitsprüfung von Bedeutung:
45. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs gilt die unternehmerische Freiheit jedoch nicht schrankenlos, sondern ist im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. September 2004, Spanien und Finnland/Parlament und Rat, C‑184/02 und C‑223/02, Slg. 2004, I‑7789, Randnrn. 51 und 52, sowie vom 6. September 2012, Deutsches Weintor, C‑544/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).Der EuGH kommt zum Ergebnis, dass Art 15 Abs 6 AVMD-RL den Wesensgehalt der unternehmerischen Freiheit nicht antastet (Rn 50). Dann bringt er zur Abwägung das "Grundrecht auf Information" (eigentlich: Grundrecht auf "Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit") nach Art 11 GRC ins Spiel:
46 Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung und angesichts des Wortlauts von Art. 16 der Charta, der sich von dem der anderen grundrechtlich geschützten Freiheiten, die in ihrem Titel II verankert sind, unterscheidet und dabei dem Wortlaut einiger Bestimmungen ihres Titels IV ähnelt, kann die unternehmerische Freiheit einer Vielzahl von Eingriffen der öffentlichen Gewalt unterworfen werden, die im allgemeinen Interesse die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit beschränken können.
47 Dieser Umstand spiegelt sich vor allem darin wider, auf welche Weise nach Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu handhaben ist.
51 Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die exklusive Vermarktung von Ereignissen von großem öffentlichen Interesse derzeit zunimmt und geeignet ist, den Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen über diese Ereignisse erheblich einzuschränken. Unter diesem Gesichtspunkt zielt Art. 15 der Richtlinie 2010/13, wie ihren Erwägungsgründen 48 und 55 zu entnehmen ist, darauf, das durch Art. 11 Abs. 1 der Charta garantierte Grundrecht auf Information zu wahren und den durch Art. 11 Abs. 2 der Charta geschützten Pluralismus durch die Vielfalt der Nachrichten und Programme zu fördern.Schließlich handelt der EuGH noch ab, dass das (de facto kostenlose) Kurzberichterstattungsrecht auch zur Zielerreichung geeignet (Rn 53) und erforderlich (Rn 54-57) ist. Zur Abwägung führt der EuGH aus, dass der Unionsgesetzgeber "die unternehmerische Freiheit auf der einen und das Grundrecht der Unionsbürger auf Information sowie die Freiheit und den Pluralismus der Medien auf der anderen Seite gegeneinander abzuwägen hatte" (Rn 59); die konkrete Abwägung erfolgt dann in den Rn 60-65, mit folgendem Ergebnis:
52 Die Wahrung der durch Art. 11 der Charta geschützten Freiheiten stellt unbestreitbar ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel dar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Dezember 2007, United Pan-Europe Communications Belgium u. a., C‑250/06, Slg. 2007, I‑11135, Randnr. 42), dessen Bedeutung in einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft nicht genug betont werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Dezember 2008, Kabel Deutschland Vertrieb und Service, C‑336/07, Slg. 2008, I‑10889, Randnr. 33, sowie vom 6. September 2011, Patriciello, C‑163/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 31). Diese Bedeutung zeigt sich ganz besonders bei Ereignissen von großem öffentlichen Interesse. Daher ist festzustellen, dass Art. 15 der Richtlinie 2010/13 tatsächlich ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt.
66 Unter Berücksichtigung einerseits der Bedeutung, die der Wahrung des Grundrechts auf Information sowie der Freiheit und dem Pluralismus der Medien, wie sie durch Art. 11 der Charta garantiert werden, zukommt, und andererseits des Schutzes der unternehmerischen Freiheit, wie ihn Art. 16 der Charta gewährt, stand es dem Unionsgesetzgeber frei, Bestimmungen wie die in Art. 15 der Richtlinie 2010/13 zu erlassen, die Beschränkungen der unternehmerischen Freiheit vorsehen und zugleich im Hinblick auf die erforderliche Gewichtung der betroffenen Rechte und Interessen den Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen gegenüber der Vertragsfreiheit privilegieren.Siehe zum Urteil auch die Pressemitteilung des EuGH.
67 Der Unionsgesetzgeber konnte daher berechtigterweise den Inhabern exklusiver Fernsehübertragungsrechte die in Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie 2010/13 vorgesehenen Beschränkungen der unternehmerischen Freiheit auferlegen und annehmen, dass die Nachteile, die sich aus dieser Bestimmung ergeben, im Hinblick auf die mit ihr verfolgten Ziele nicht unverhältnismäßig sind und geeignet sind, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen grundrechtlich geschützten Rechten und Freiheiten herzustellen, die im vorliegenden Fall betroffen sind.
68 Nach alledem hat die Prüfung der Vorlagefrage nichts ergeben, was die Gültigkeit von Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie 2010/13 beeinträchtigen könnte.
Update: im fortgesetzten Verfahren hat der Bundeskommunikationssenat mit Bescheid vom 25.02.2013, 611.003/0002-BKS/2013, entschieden und dabei (im Wesentlichen) die Berufungen von Sky Österreich und ORF gegen den erstinstanzlichen Bescheid der KommAustria als unbegründet abgewiesen.
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