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Tuesday, December 18, 2012

EGMR: Beschränkung des Internetzugangs als Verletzung des Art 10 EMRK

Das Internet ist heute eines der wichtigsten Mittel des Einzelnen für die Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seinem heute veröffentlichten Urteil Yıldırım gegen Türkei (Appl. no.3111/10) festgestellt, in dem er (einstimmig) eine Verletzung des Art 10 EMRK durch die Türkei wegen einer generellen Sperre des Zugangs zu Google Sites feststellte (Pressemitteilung des EGMR).

Der Ausgangsfall:
Ahmet Yıldırım aus Istanbul betrieb eine von Google Sites gehostete Website, auf der er wissenschaftliche Arbeiten veröffentlichte.

Mit Beschluss vom 23.06.2009 ordnete ein türkisches Strafgericht - als Sicherungsmaßnahme im Zusammenhang mit einem strafgerichtlichen Verfahren - die Sperrung einer anderen, ebenfalls auf Google Sites gehosteten Website an, deren Betreiber beschuldigt wurde, das Ansehen Atatürks zu beleidigen. Die Sperrverfügung wurde dem Telekomünikasyon İletişim Başkanlığı (TİB; staatliche Telekombehörde) übermittelt; diese Behörde erwirkte eine Erweiterung der Verfügung, um den Zugang zu Google Sites insgesamt blockieren zu können, da dies die einzige Möglichkeit zur Sperre der inkrimierten Seite sei.

In der Folge sperrte die Behörde Google Sites komplett, sodass auch Ahmet Yıldırım keinen Zugang zu seiner Website mehr hatte; bei Aufruf der Seite erschien eine Warnmeldung, die auf die gerichtliche Sperre hinwies. Yıldırım begehrte die Aufhebung der Sperrverfügung, blieb aber erfolglos. Das Gericht sah die Sperre von Google Sites ebenfalls als einzige Möglichkeit, den Zugang zu der (nicht von Yıldırım betriebenen) gesetzwidrigen Website zu verhindern.

Das Urteil des EGMR
Yıldırım beschwerte sich beim EGMR, der in seinem heute veröffentlichten Urteil eine Verletzung des Art 10 EMRK feststellte.Dem Beschwerdeführer sei für eine unbestimmte Zeit der Zugang seiner Website unmöglich gwesen und beim Versuch, die Seite aufzurufen, sei auf die Sperrverfügung hingewiesen worden. Er könne daher geltend machen, durch diese Maßnahme in seinem Recht zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen betroffen zu sein.

Kern der Angelegenheit sei im Wesentlichen ein Nebeneffekt ("effet collatéral") einer Sicherungsmaßnahme, die in einem Gerichtsverfahren getroffen wurde, das weder gegen den Beschwerdeführer noch gegen Google Sites geführt wurde. Auch wenn es sich nicht um ein Verbot, sondern um eine Beschränkung des Zugangs gehandelt hat, nimmt dies der Beschränkung nicht ihre Bedeutung, insbesondere weil das Internet heute eines der wichtigsten Mittel des Einzelnen für die Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit ist; dort findet man auch wesentliche Mittel zur Teilnahme an Aktivitäten und Debatten zu politischen oder im Allgemeininteresse gelegenen Fragen. Im Original (Hervorhebung hinzugefügt):
Certes, il ne s’agit pas à proprement parler d’une interdiction totale mais d’une restriction de l’accès à Internet, restriction qui a eu pour effet de bloquer également l’accès au site web du requérant. Toutefois, l’effet limité de la restriction litigieuse n’amoindrit pas son importance, d’autant que l’Internet est aujourd’hui devenu l’un des principaux moyens d’exercice par les individus de leur droit à la liberté d’expression et d’information : on y trouve des outils essentiels de participation aux activités et débats relatifs à des questions politiques ou d’intérêt public.
Die Maßnahme war daher ein Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung, der nur auf gesetzlicher Grundlage (und zur Wahrung legitimer Ziele in dem in einer demokratischen Gesellschaft notwendigen Maß) zulässig wäre. An einer solchen klaren und vorhersehbaren gesetzlichen Grundlage fehlte es hier. Zudem waren der Telekombehörde weite Befugnisse eingeräumt, um eine Sperrverfügung umzusetzen. Schließlich betont der EGMR neuerlich die Bedeutung eines besonders strengen rechtlichen Rahmens für Einschränkungen vor der Veröffentlichung (auch wenn solche Einschränkungen nicht grundsätzlich unzulässig sind):
En outre, la Cour considère que [...], de telles restrictions préalables ne sont pas, a priori, incompatibles avec la Convention. Pour autant, elles doivent s’inscrire dans un cadre légal particulièrement strict quant à la délimitation de l’interdiction et efficace quant au contrôle juridictionnel contre les éventuels abus [...]. A cet égard, un contrôle judiciaire de telles mesures opéré par le juge, fondé sur une mise en balance des intérêts en conflit et visant à aménager un équilibre entre ces intérêts, ne saurait se concevoir sans un cadre fixant des règles précises et spécifiques quant à l’application des restrictions préventives à la liberté d’expression [...]. [Hervorhebung hinzugefügt]
Das Gericht habe sich zudem beim Beschluss, den Zugang zu Google Sites gänzlich zu blockieren, auf eine Äußerung der Telekombehörde verlassen, und es sei nicht geprüft worden, ob ein weniger schwerer Eingriff hätte gesetzt werden können, durch den der Zugang nur zur gesetzwidrigen Website hätte gesperrt werden können. Es sei nicht erkennbar, dass die entscheidenden Richter die unterschiedlichen Interessen im Hinblick auf die Komplettsperre von Google Sites abgewogen hätten. Das sei eine Folge des innerstaatlichen Rechts, das dem Kriterium der Vorhersehbarkeit nicht entsprochen habe. Die gesetzlich mögliche Totalblockade würde zudem Art 10 Abs 1 EMRK widersprechen, wonach die darin eingeräumten Rechte "ohne Rücksicht auf Landesgrenzen" eingeräumt sind.

Überdies sei die Maßnahme willkürlich gewesen, weil sie sich auf eine Gesamtblockade von Google Sites gerichtet habe. Und schließlich habe auch die richterliche Kontrolle nicht den zur Verhinderung von Missbräuchen notwendigen Anforderungen genügt, da das nationale Recht keine Garantie dafür bot, dass nicht eine auf die Sperre einer einzigen Website abzielende Maßnahme dafür verwendet werden könnte, eine generelle Sperre zu bewirken.

VfGH bezweifelt Gültigkeit der RL über die Vorratsspeicherung von Daten - Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat heute seinen Beschluss vom 28.11.2012, G 47/12, G 58/12, G 62,70,71/12 bekanntgegeben, mit dem er dem EuGH Fragen zur Gültigkeit der Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsspeicherung von Daten und zur Auslegung der Grundrechtecharta (GRC) vorlegt (Pressemitteilung des VfGH).
(Update 25.12.2012: Die Rechtssache ist beim EuGH unter C-594/12 Seitlinger u.a. anhängig*)

Überraschend ist der Vorlagebeschluss nicht, denn angesichts der österreichischen Umsetzung der Vorratsdaten-RL, die sich im Wesentlichen am absoluten Mindestmaß der Richtlinie - zB nur 6 Monate Speicherdauer - orientiert, war dem VfGH jedenfalls der Weg des deutschen Bundesverfassungsgerichts verwehrt, das die nationale Umsetzung als (vereinfacht gesagt) zu eingriffsintensiv aufgehoben hatte, ohne sich mit der Gültigkeit der RL zu befassen (Urteil vom 02.03.2010). Und außerdem ist beim EuGH ja bereits ein Verfahren anhängig, in dem der irische High Court Fragen zur Vereinbarkeit der Vorratsdaten-RL mit der GRC vorgelegt hat (C-293/12 Digital Rights Ireland; siehe im Blog dazu hier und hier). Da der VfGH daher jedenfalls nicht annehmen durfte, dass die Rechtslage klar (acte clair) war, blieb ihm damit eigentlich nur die Wahl zuzuwarten (und die anhängigen Verfahren auszusetzen) oder eben auch selbst vorzulegen (wobei der VfGH natürlich, wie desen Präsident nun in den Medien zitiert wird, "mehr und detailliertere Fragen" aufwerfe als der irische High Court).

Zur Gültigkeit der Richtlinie
Der VfGH stellt zunächst eine sehr globale Frage, nämlich nach der Vereinbarkeit der "Art. 3 bis 9" der Vorratsdaten-RL mit Art 7, 8 und 11 der GRC. Zu dieser allgemeinen Frage erfolgt auch im Vorlagebeschluss keine nähere Aufschlüsselung der Bedenken hinsichtlich der einzelnen pauschal erwähnten Artikel der RL (was übrigens in einem interessanten Kontrast zu den Anforderungen steht, die der VfGH an die Präzisierung der an ihn gerichteten Normprüfungsanträge stellt, vgl nur beispielhaft jüngst etwa hier). Allerdings legt der VfGH recht deutlich dar, dass er selbst große Zweifel an der Vereinbarkeit der Vorratsdaten-RL mit der GRC hat (siehe RNr. 42 bis 46); Bedenken bestehen hinsichtlich der Speicherungsfrist, des weiten Kreises der gespeicherten Daten, des nicht eingeschränkten Personenkreises und der staatlichen Aufgaben, für die die Speicherung angeordnet wird. Weiters erfasse die Vorratsdatenspeicherung "fast ausschließlich Personen, die keinen Anlass für die Datenspeicherung gegeben haben" und es bestehen ein erhöhtes Missbrauchsrisiko, schon wegen des nicht überblickbaren Personenkreises, der auf die Daten Zugriff habe. Und schließlich würden auch Zweifel an der Eignung zur Zielerreichung bestehen.

Zur Auslegung der Grundrechtecharta
Deutlich umfassender als die Frage zur Gültigkeit der RL ist der zweite Teil der Fragen, der in fünf Unterfragen gegliedert ist. Darin geht es vor allem um subtile - für nicht-juristische LeserInnen wohl kaum nachvollziehbare - Fragen der Auslegung des Art 52 GRC (Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze) und des Verhältnisses zwischen GRC und EMRK.

Zunächst stellt der VfGH die Frage, ob die allgemeine Datenschutz-RL 95/46/EG (und die EG-Datenschutz-VO 45/2001) für die Beurteilung der Zulässigkeit von Eingriffen gleichwertig mit den Bedingungen nach Art 8 Abs 2 und Art 52 Abs 1 GRC zu berücksichtigen ist (im Hinblick darauf, dass die Erläuterungen zur GRC auf diese Normen verweisen). Es geht hier also im Wesentlichen darum, ob und inwieweit das (zum Zeitpunkt der Schaffung der GRC schon bestehende) Sekundärrecht für die Auslegung der GRC herangezogen werden kann.

Weiters will der VfGH das Verhältnis des "Rechts der Union", auf das Art 52 Abs 3 GRC Bezug nimmt, zu den Richtlinien im Bereich des Datenschutzes geklärt wissen, und ob Änderungen als Folge späteren Sekundärrechts bei der Auslegung des Art 8 GRC zu berücksichtigen sind (Art 52 Abs 3 GRC verknüpft die Rechte der GRC mit den ihnen entsprechenden Rechten nach der EMRK: sie haben "die gleiche Bedeutung und Tragweite" wie nach der EMRK; dies steht aber "dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.").

Der VfGH fragt weiters, ob unter Berücksichtigung des Art 52 Abs 4 GRC ("Soweit in dieser Charta Grundrechte anerkannt werden, wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, werden sie im Einklang mit diesen Überlieferungen ausgelegt") der Grundsatz der Wahrung höherer Schutzniveaus zur Konsequenz hat, dass die nach der Charta maßgeblichen Grenzen für zulässige Einschränkungen durch Sekundärrecht enger zu ziehen seien.

Damit stellt der VfGH in den Raum, dass sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen ein weitergehender Schutz ergeben könnte, als ihn Art 8 GRC für sich genommen (ohne Berücksichtigung der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen) bieten würde. Auf die Antwort auf diese Frage kann man gespannt sein; mir jedenfalls scheint es nicht wirklich ausgemacht, dass es im Datenschutzbereich tatsächlich eine gemeinsame Verfassungsüberlieferung gäbe (der VfGH räumt zwar ein, dass nicht jede mitgliedstaatliche Verfassung ein eigenes Datenschutzgrundrecht enthalte, geht aber dennoch davon aus, dass das Grundrecht auf Datenschutz in den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten enthalten sei; RNr. 51).

Schließlich fragt der VfGH noch, ob sich aus der Rechtsprechung des EGMR zu Art 8 EMRK Gesichtspunkte für die Auslegung des Art 8 GRC ergeben können (zumal die Erläuterungen zu Art 8 EMRK - anders als zu Art 7 GRC - keinerlei Hinweis auf Art 8 EMRK geben).

Weitere kurze Anmerkungen:
1. Der VfGH betont, dass das österreichische Grundrecht auf Datenschutz nach § 1 DSG 2000 über Art 8 EMRK hinausgeht (bzw: "die Grenzen für Eingriffe in das Grundrecht enger zieht"). Wenn die Vorratsdaten-RL gültig ist und dem nationalen Gesetzgeber keinen Spielraum bei der Umsetzung lässt, wäre dem VfGH - wegen des Vorrangs der RL auch vor nationalem Verfassungsrecht - die Prüfung des § 102a TKG 2003 am Maßstab des nationalen Verfassungsrechts - insbesondere § 1 DSG 2000 - verwehrt (RNr 37).

2. Der VfGH setzt mit seinem Beschluss auch einen logischen nächsten Schritt nach dem "Charta-Erkenntnis" U 466/11 ua und hält fest, dass er vorlageverpflichtet ist, wenn die Vereinbarkeit von Sekundärrecht mit der GRC in Frage steht (RNr. 27).

3. Zur Zulässigkeit der Individualanträge auf Normprüfung vor dem VfGH ist - entgegen Aussagen in den Medien - mit dem Vorlagebeschluss noch nichts gesagt. In RNr 24 des Beschlusses heißt es ausdrücklich, dass er VfGH - "für die Zwecke des Gesetzesprüfungsverfahrens: vorläufig" - von der Zulässigkeit ausgehe.

4. Und wenn ich schon bei Medienberichten bin: es stimmt natürlich auch nicht, dass der EuGH schon "auf Antrag Irlands" die Gültigkeit der RL prüfe; es handelt sich um ein Vorabentscheidungsersuchen des irischen High Court in einem von Digital Rights Ireland angestrengten Verfahren. Und der irische High Court ist übrigens auch nicht - wie etwa Krone und Standard schreiben - das "Verfassungsgericht" Irlands (das wäre der Supreme Court).

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*) Der VfGH hat die drei ihm vorliegenden Gesetzesprüfungsanträge im Hinblick auf das Vorabentscheidungsverfahren verbunden (was nicht ausschließt, dass es zur Frage der Zulässigkeit schließlich noch unterschiedliche Ergebnisse geben könnte); ein Antrag stammt von der Kärntner Landesregierung (G 47/12), der zweite - beim EuGH nun namensgebende - Antrag wurde von Mag. Michael Seitlinger, vertreten durch Cabjolsky & Otto Rechtsanwälte OG gestellt (G 59/12; sowohl Michael Seitlinger als auch Gerald Otto sind übrigens Absolventen des Universitätslehrgangs für Informationsrecht und Rechtsinformation an der Universität Wien, an dem ich viele Jahre hindurch Telekommunikationsrecht unterrichtete, und außerdem 1. bzw. 2. Vizepräsident von it-law.at); der dritte Antrag ist der als "Verfassungsklage" bekannte "Massen-Individualantrag" von Ing. Dr. Christof Tschohl und über 11.000 weiteren Antragstellern, vertreten durch die Scheucher Rechtsanwalt GmbH (G 62,70,71/12).

Tuesday, December 11, 2012

EGMR: Entlassung einer Rundfunkmitarbeiterin wegen Missachtung redaktioneller Anweisungen war keine Verletzung des Art 10 EMRK

Es war ein redaktioneller Konflikt, der schließlich mit den Mitteln des Arbeitsrechts gelöst wurde: Antoaneta A. Nenkova-Lalova war Journalistin beim Programm Христо Ботев des öffentlich-rechtlichen bulgarischen Hörfunkveranstalters. Als Gastgeberin der wöchentlichen Diskussionssendung Добър ден lud sie entgegen einer ausdrücklichen Weisung der Chefredaktion eine andere Journalistin ein und ließ diese ausführlichst zu Wort kommen. Gegen die daraufhin ausgesprochene Entlassung aus disziplinären Gründen klagte sie beim Arbeitsgericht, blieb aber erfolglos.

Nenkova-Lalova sah sich in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK verletzt und erhob Beschwerde an den EGMR, blieb aber auch dabei erfolglos:*) In seinem heute bekanntgegebenen Urteil Nenkova-Lalova gegen Bulgarien (Appl. no. 35745/05) kam der EGMR mit 4 zu 3 Stimmen zum Ergebnis, dass keine Verletzung des Art 10 EMRK stattgefunden hat.

Wenn man den Kern des Urteils zusammenfassen will, könnte man vielleicht festhalten, dass Art 10 EMRK keine Rechtfertigung dafür bietet, als RundfunkjournalistIn bestimmte Inhalte eigenmächtig - gegen ausdrückliche Weisung von Vorgesetzten - auf Sendung zu bringen, mag dies auch mit den besten Absichten (zB zur Information über Missstände im öffentlichen Leben) geschehen. Der Status als JournalistIn berechtigt nicht ohne Weiteres, gegen legitime redaktionelle Entscheidungen der Senderverantwortlichen eine eigene abweichende "policy" zu verfolgen. Anders könnte es sein, wenn die Entscheidungen der Senderverantwortlichen unter Druck von außen erfolgten oder das Management Eingriffen von außen unterworfen wäre.

Entlassung - bloß arbeitsrechtliche Maßnahme oder Eingriff in Meinungsfreiheit?
Der EGMR beginnt seine rechtlichen Ausführungen mit dem Hinweis, dass der Status der Beschwerdeführerin als Angestellte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ihr nicht den Schutz des Art 10 EMRK nimmt, sondern ihre Position als Journalistin vielmehr eine besonders genaue Prüfung jeglicher Einschränkung ihrer Meinungsäußerungsfreiheit erfordert ("having regard to the applicant’s position as a journalist, any interference with her freedom of expression calls for close scrutiny on the part of the Court").

Dennoch müsse zunächst einmal geklärt werden, ob die Entlassung überhaupt ein Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit ist oder nur unter dem Gesichtspunkt des - nicht durch dei EMRK geschützten - Rechts auf Beschäftigung zu beurteilen ist. Grund der Entlassung war die Nichtbefolgung einer redaktionellen Weisung im Hinblick auf die interne Organisation des Senders, nämlich die Frage, welche Mitarbeiter an einer Sendung in welcher Rolle teilnehmen sollten. Es sei daher fraglich, ob überhaupt ein Eingriff vorliege. Der EGMR prüft aber weiter unter der Annahme, dass Art 10 EMRK anwendbar sei (bejaht das aber nicht ausdrücklich, weil er im Ergebnis keine Verletzung des Art 10 EMRK - falls er anwendbar sein sollte - feststellt).

Legitimes Ziel: Sicherstellung ausgewogener Berichterstattung
Der Eingriff hatte eine gesetzliche Grundlage im Arbeitsrecht und diente einem legitimen Ziel, das der EGMR im folgendem Absatz abhandelt:
55. The Court is further satisfied that the measure against the applicant, in as much as it was intended to ensure that the broadcasts of the BNR were in line with the editorial decisions taken by the radio’s governing bodies in the interests of listeners and with the requirements of balanced reporting expected of a public broadcasting organisation, sought to protect the rights of others.
Entlassung für Missachtung der Weisung nicht unverhältnismäßig
Der EGMR weist zunächst auf das Recht der öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter hin, ihre redaktionelle Politik in Übereinstimmung mit dem öffentlichen Interesse selbst zu bestimmen (RNr 57 des Urteils). Die Entlassung sei aus zwei Gründen nicht unverhältnismäßig gewesen:

Erstens sei die Entlassung auf die absichtliche Missachtung einer redaktionellen Entscheidung in einer internen Organisationsangelegenheit gestützt worden. Weder die redaktionelle Entscheidung (wer an einer Sendung teilnehmen soll) noch die Entscheidung über die Entlassung erwähnten oder beschränkten die zu behandelnden Themen in der Sendung, den Sendungsinhalt oder die Art der Präsentation der Information. Der EGMR schließt sich daher nicht der Ansicht der Beschwerdeführerin an, dass ihre Entlassung erfolgt sei, um die Verbreitung von im öffentlichen Interesse gelegenen Informationen zu verhindern (in der Sendung war es um Recherchen gegangen, die V.N. unter anderem zu Unregelmäßigkeiten beim Verkauf städtischer Gründe und angeblicher Korruption von Amtsträgern unternommen hatte).

Der Fall unterscheide sich ganz wesentlich vom Fall Manole (dazu im Blog hier), wo vom Rundfunkveranstalter systematisch verlangt wurde, bestimmte Themen zu vermeiden und unverhältnismäßig viel Sendezeit für die Berichterstattung über Mitglieder der Regierungspartei aufzuwenden. Dagegen erscheine die Entlassung der Beschwerdeführerin hier das Ergebnis ihrer Weigerung zu sein, die "Pflichten und Verantwortung" als Mitarbeiterin des öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalters einzuhalten. Weiter heißt es im Urteil:
Her capacity as such a journalist did not automatically entitle her to pursue, unchecked, a policy that ran counter to that outlined by her employer, to flout legitimate editorial decisions taken by the BNR’s management and intended to ensure balanced broadcasting on topics of public interest, or to have unlimited access to BNR’s air. There is nothing in the facts of the present case to suggest that the decisions of the BNR’s management in relation to the applicant’s show were taken under pressure from the outside or that the BNR’s management was subject to outside interferences.
[Der letzte Satz deutet an, dass im Falle (politischer) Einflussnahme von außen (insbesondere wenn sie so weit gehen sollte wie im Fall Manole) ein entsprechender "ziviler Widerstand" von JournalistInnen den Schutz des Art 10 EMRK genießen könnte.]
Zweitens (RNr. 60) hätten Dienstgeber allgemein weites Ermessen in der Auswahl der am besten geeigneten Saknktionen im Fall der Verletzung der Arbeitsdisziplin. Der EGMR erkennt an, dass die Entlassung eine schwerwiegende Maßnahme sei, aber es könne nicht übersehen werden, dass sie wegen konkreter und vorsätzlicher Handlungen der Beschwerdeführerin erfolgte, was auch deutlich machte, dass der Dienstgeber ihr nicht vertrauen konnte, dass sie ihre Pflichten in redlicher Weise erfüllen werde.Arbeitsbeziehungen sollten auf wechselseitigem Vertrauen beruhen - das gelte umso mehr für Journalisten, die von einem öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter beschäftigt werden. Festzuhalten sei auch, dass der Rundfunkveranstalter für die in der Sendung gemachten Aussagen verantwortlich sei:
The Court has already had occasion to observe, although in a different context, that the national authorities may be justified in insisting that employment relations should be based on mutual trust [...]; this is even more so when it comes to journalists employed by a public broadcasting organisation. It should be noted in this connection that BNR, as a public broadcaster, bore responsibility for statements made on air [...].
Die Beschwerdeführerin habe nicht darlegen können, dass die Entlassung auf die Unterdrückung ihrer Meinungsäußerungsfreiheit abgezielt habe und nicht darauf, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter - in Übereinstimmung mit seinen Pflichten und seiner Verantwortung im Sinne des Art 10 EMRK - in die Lage versetzt werde, die notwendige Disziplin in seinen Sendungen sicherzustellen.

Abweichende Meinung
Die Kammervorsitzende Ziemela (Lettland) sowie die Richter Nicolaou (Zypern) und Bianku (Albanien) stimmten gegen die Feststellung, dass keine Verletzung des Art 10 EMRK stattgefunden habe. Sie begründeten dies unter anderem mit der Ansicht der bulgarischen Rundfunkregulierungsbehörde, die zwar keinen Grund zum Einschreiten unter den von ihr zu vollziehenden Rundfunkgesetzen gefunden hatte, wohl aber aufgezeigt hatte, dass es "Verwirrung zwischen den Verwaltungs- und redaktionellen Gremien" gegeben habe, was ein Eingreifen der Verwaltung in Inhalte der Radiosendungen ermöglicht habe. Die Entlassung der Beschwerdeführerin müsse vor diesem Hintergrund eines fehlenden genauen Rahmens für die Arbeit und die Unabhängigkeit des Rundfunkveranstalters beurteilt werden. Konflikte um journalistische Arbeit sollten nicht nur unter Gesichtspunkten des Arbeitsrechts gesehen werden. Die nationalen Gerichte hätten die Angelegenheit ausschließlich als arbeitsrechtliche Streitigkeit angesehen und das Problem des Funktionierens des Rundfunkveranstalters und der Rechte und Pflichten der von ihm beschäftigten Journalisten nicht berücksichtigt:
There was an absolute lack of an Article 10 analysis at domestic level. This is crucial to our way of thinking. In the absence of such analysis the majority prefers to undertake this task itself. We remain firmly of the opinion that it is not for this Court to embark upon such analysis when this has not taken place at domestic level and its elements were not examined and balanced by the authorities when deciding the case.
Angesichts der fehlenden Analyse nach Art 10 EMRK könne die Maßnahme auch nicht als verhältnismäßig angesehen werden.

Sonstiges Neues vom EGMR zu Art 10 EMRK
In einem weiteren Urteil vom heutigen Tag, Ileana Constantinescu gegen Rumänien (Appl. no. 32563/04) hat der EGMR eine Verletzung des Art 10 EMRK aufgrund einer strafgerichtlichen Verurteilung der Beschwerdeführerin wegen eines von ihr veröffentlichten Buches festgestellt. 
Und in einer heute veröffentlichten Entscheidung vom 27. November 2012, Tipp 24 AG gegen Deutschland (Appl. no. 21252/09) hat der EGMR eine auf Art 10 EMRK gestützte Beschwerde eines deutschen Glücksspielanbieters gegen Werbebeschränkungen im deutschen Glücksspielstaatsvertrag als unzulässig beurteilt; die Werbebeschränkungen seien in einer demokratischen Gesellschaft keine Verletzung des Art 10 EMRK. (Die Beschwerde war auch im Hinblick auf behauptete Verletzung des Art 1 Abs. 1 1. ZP unzulässig)

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*) Erfolg hatte Nenkova-Lalova allerdings mit ihrem auf Art 6 EMRK gestützten Beschwerdevorbringen; der EGMR stellte einstimmig eine Verletzung des Art 6 EGMR wegen überlanger Verfahrensdauer vor den nationalen Gerichten fest (das Verfahren in drei Instanzen hatte rund 6 Jahre gedauert - das Verfahren vor dem EGMR übrigens rund 7 Jahre!).


Monday, December 10, 2012

Diesmal keine stille Lösung: Wird die Bundeswettbewerbsbehörde bei der Yesss!-Übernahme durch die TA "von Anwälten bedroht"?

Wie immer man die vom Kartellgericht (nicht rechtskräftig) genehmigte Übernahme des Mobilfunkers Yesss! durch die A1 Telekom Austria AG (Zusammenschlussanmeldung) sehen mag, eines scheint klar: nach einer "stillen Lösung" zwischen Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) und Telekom Austria (TA) sieht es derzeit nicht gerade aus (was sicher nicht daran liegt, dass der Generaldirektor der BWB bei der TA einen ihm persönlich vertrauten Ansprechpartner nach Bekanntwerden eines eher informellen Mails verloren hat).

Darauf deutet jedenfalls die interessante Pressearbeit der BWB hin*), die nun zu einem etwas aufgeregten Bericht im Wirtschaftsblatt geführt hat - wohl nicht zufällig ausgerechnet am Beginn jener Woche, in der die EU-Kommission ihre (erwartet: positive) Entscheidung zur Übernahme von Orange Austria durch Hutchison 3G Austria - dem Kernstück des Gesamtdeals - bekanntgeben wird.

Der Artikel im Wirtschaftsblatt beginnt recht dramatisch: "Im Übernahmepoker um Orange/Hutchison und Telekom Austria/Yesss verschärfen sich die Fronten. Wie das WirtschaftsBlatt erfahren hat, wurde die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) im Verfahren Telekom/Yesss von Anwälten der beteiligten Unternehmen bedroht."

Wer jetzt aber an eine gefährliche Drohung (§ 74 Abs 1 Z 5 StGB) denkt, liegt ziemlich falsch: das Drohpotenzial erschöpft sich offenbar in der Ankündigung möglicher Amtshaftungsklagen, falls die BWB Rekurs gegen den - den Zusammenschluss genehmigenden - Beschluss des Kartellgerichts erheben sollte. Außerdem, so wird der Sprecher der BWB weiter zitiert, habe "man" (wer immer das sein mag, Namen werden nicht genannt) "schon verhohlen mit dem Vorwurf des Amtsmissbrauchs gedroht, falls wir daran denken ein Rechtsmittel zu ergreifen".

Amtsmissbrauch durch Rekurserhebung?
Nun bin ich nicht sicher, ob der BWB-Sprecher die ihm zugeschriebenen Zitate autorisiert hat (angesichts der professionellen Beratung würde ich das zwar grundsätzlich annehmen, angesichts des Inhalts der Zitate aber eher nicht), aber eine "Drohung" mit dem "Vorwurf des Amtsmissbrauchs" (§ 302 StGB) - sollte es sie tatsächlich gegeben haben - könnte wohl niemandem in der BWB begründete Besorgnisse einflößen. Das Delikt des Amtsmissbrauchs setzt nämlich Schädigungsvorsatz und wissentlichen Befugnismissbrauch voraus - und da wäre ich doch sehr neugierig, wo man im Fall der Erhebung eines Rechtsmittels dafür irgendwelche Anhaltspunkte finden könnte.

Ich neige daher zur Annahme, dass das mit dem Amtsmissbrauch missverstanden wurde und eigentlich - wie in zwei anderen Zitaten des BWB-Sprechers - Amtshaftung gemeint war. Nach dem Amtshaftungsgesetz haftet (ua) der Bund, "nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als [seine] Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben".

Amtshaftung wegen Rekurserhebung?
Ein etwaiger Amtshaftungsanspruch wegen eines von der BWB erhobenen Rekurses könnte sich nur auf jenen Schaden richten, der sich aus der Verzögerung der Durchführung des Zusammenschlusses aufgrund des Rechtsmittelverfahrens ergeben könnte. Zudem müsste das Handeln der Organe der BWB rechtswidrig sein, was bei der Erhebung eines der BWB offen stehenden Rechtsmittels zunächst einmal nicht anzunehmen ist und nur bei von vornherein aussichtsloser und schlechthin mutwilliger Verfahrensführung in Betracht käme. In der ständigen Rechtsprechung des OGH werden die Voraussetzungen für den Ersatz eines Schadens wegen Verfahrensführung recht eng gefasst (hier zitiert aus dem Beschluss vom 13.03.2008, 6 Ob 18/08b):
"Ersatz eines aufgrund einer Verfahrensführung erlittenen Schadens kann nur dann in Frage kommen, wenn der, der später das Verfahren verliert, wusste oder wissen musste, dass sein Rechtsstandpunkt entweder den tatsächlichen Voraussetzungen entbehrte oder von vornherein unhaltbar war, dessen ungeachtet jedoch das Verfahren führte, um für sich irgendeinen Vorteil zu erreichen (vgl RIS-Justiz RS0020727); der von ihm eingenommene Rechtsstandpunkt musste bei zumutbarer Aufmerksamkeit als schlechthin aussichtslos erscheinen beziehungsweise musste das Verfahren überhaupt wider besseres Wissen oder mutwillig geführt worden sein (1 Ob 223/03f; ebenso RIS-Justiz RS0022854, RS0022840); dabei ist grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen und vor allem zu berücksichtigen, dass das Recht eines jeden, bei Meinungsverschiedenheiten die Hilfe des Gerichts oder der sonst zuständigen Behörde in Anspruch zu nehmen, nicht mit einer abschreckenden Verantwortlichkeit für die Rechtsverteidigung belastet werden darf (RIS-Justiz RS0022796, RS0022781; 5 Ob 261/02x = MietSlg 54.176)."
Auch die behauptete "Drohung" mit Amtshaftungsklagen für den Fall, dass die BWB ein Rechtsmittel erhebt, scheint daher nur sehr begrenzt als "Einschüchterungsversuch" (so das Wirtschaftsblatt) tauglich. Dass der Sprecher der BWB es noch nie erlebt hat, dass der Behörde "schon prophylaktisch mit Amtshaftungsklage" gedroht werde, verwundert mich übrigens auch ein wenig - das Ankündigen möglicher Amtshaftungsfolgen für den Fall einer missliebigen behördlichen Entscheidung würde ich durchaus zum Standardrepertoire anwaltlicher Argumentationsmuster zählen (genauso wie man einen Vertragspartner, von dem man vertragswidriges Verhalten befürchtet, auf die möglichen Schadenersatzansprüche hinweist)

Das heißt natürlich nicht, dass die beteiligten Unternehmen die Lage ganz entspannt sehen dürften - immerhin hängt laut Medienberichten der gesamte Deal der Orange-Übernahme durch Hutchison auch an der Bedingung, dass die Yesss!-Übernahme durch die TA genehmigt wird. Trotz der für diese Woche zu erwartenden Genehmigung der EU-Kommission für die Orange-Übernahme durch Hutchison könnte der Gesamtdeal daher noch durch einen Rekurs der BWB und/oder des Bundeskartellanwaltes gegen die kartelllgerichtliche Genehmigung des Yesss!-Übernahme verzögert werden (oder gar - wenn der OGH als Kartellobergericht einem Rekurs Folge gibt - scheitern).

Die von den beteiligten Unternehmen angestrebte "Konsolidierung" des österreichischen Mobilfunkmarktes hätte auch eine gewisse Signalwirkung; zumindest wird das bei der New York Times so gesehen (die NYT meint allerdings auch, dass der Deal nun die Anforderungen der BWB erfülle). Was man sich von einem konsolidierten Markt erwartet, hat auch der einzige nicht direkt in den Deal eingebundene österreichische Mobilnetzbetreiber zuletzt recht deutlich gemacht: der neue CEO erzählt gerne von einer "die gesamte österreichische Mobilfunkbranche" betreffenden Ertragsschwäche, für die die Verantwortung "zu einem guten Teil bei der Branche selbst liege"; die Firmen stünden heute "alle gemeinsam vor einem Scherbenhaufen und fragen sich, was sollen wir tun". Wie eine Antwort darauf aussehen könnte, teilt er der Presse auch gerne mit: "Zwei Euro mehr pro Kunde, und T-Mobile hat keine Probleme" heißt es da zum Beispiel, oder "Abkehr vom All-inclusive-Tarif". Man kann gespannt sein, ob die Wettbewerber - egal ob der Orange/Hutchison-Deal durchgeht - die Signale aufnehmen.

Verfahren vor der EU-Kommission:
Im Zusammenschlussfall M 6.497 Hutchison 3G Austria / Orange Austria läuft die verlängerte Entscheidungsfrist der Kommission am 21.12.2012 aus. Die Entscheidung der Kommission dürfte diese Woche fallen; nach weiteren Zugeständnissen von Hutchison im Frequenzbereich wird allgemein eine Genehmigung durch die Kommission erwartet (siehe etwa den Bericht bei Reuters oder in der NYT). Die von Hutchison am 11.11.2012 abgegebene Verpflichtungserklärung gegenüber der EU-Kommission ist übrigens als Anlage zu einem Maßnahmenentwurf der Telekom-Control-Kommission im Web veröffentlicht.
Update 12.12.2012: erwartungsgemäß hat die Kommission heute die Übernahme unter Auflagen genehmigt (Pressemitteilung der Kommission); bedauerlich ist, dass wieder einmal die falsche Behörde genannt wird, die in Östtereich die Frequenzversteigerung vornehmen wird: das wird natürlich nicht die RTR, sondern die Telekom-Control-Kommission sein..

Verfahren vor der Telekom-Control-Kommission:
Weiters ist auch ein Verfahren zur Genehmigung einer wesentlichen Änderung der Eigentümerstruktur der Orange Austria aufgrund der Übernahme durch Hutchison 3G Austria gemäß § 56 Abs 2 TKG 2003 vor der Telekom-Control-Kommission (TKK) anhängig. Die TKK hat dazu am 28.11.2012 den Entwurf einer Vollziehungshandlung veröffentlicht, zu dem "bis spätestens 10.12.2012 (12:00 Uhr, einlangend bei der Behörde)" Stellung genommen werden kann - auch die Entscheidung der TKK dürfte daher in dieser Woche (wohl zeitlich abgestimmt mit der EU-Kommission) fallen; nach dem veröffentlichten Entwurf ist die Genehmigung zu erwarten (aber natürlich nicht sicher, solange die endgültige Entscheidung nicht getroffen und zugestellt ist). Der Entwurf der Vollziehungshandlung enthält übrigens auf Seite 10 wieder einmal eine recht nützliche Übersicht über die aktuelle Frequenzausstattung der österreichischen Mobilnetzbetreiber und wie sich diese nach der geplanten Fusion ändern würde.

Update 14.12.2012: Mit Bescheid der TKK vom 13.12.2012, F 1/12-59, wurde die wesentliche Änderung der Eigentümerstruktur genehmigt. Außderdem erfolgte mit Bescheid der TKK vom 13.12.2012, F 6/12-9 (zu den Anlagen siehe hier), die Genehmigung von Frequenzüberlassungen zwischen Orange Austria, Hutchison 3G Austria, 3G Mobile und A1 Telekom Austria, die im Zusammenhang mit der Übernahme der Yesss! durch dei TA stehen; außerdem sollen die Überlassungen eine Defragmentierung des Spektrums der beteiligten Mobilnetzbetreiber bewirken.

Update 21.12.2012: Haben die "Drohungen" gewirkt? Die Bundeswettbewerbsbehörde hat jedenfalls heute erklärt, keinen Rekurs gegen den Beschluss des Kartellgerichts zur Genehmigung der Übernahme von Yesss! durch die Telekom Austria einzubringen. Von den noch vor zehn Tagen so dunkel beschworenen "Drohungen" liest man heute allerdings nichts mehr. Die Begründung der BWB, weshalb sie auf den Rekurs verzichtet, klingt aber doch ein wenig trotzig: Die Entscheidung des Kartellgerichts, so wird die BWB in den Medien zitiert, sei "zwar mangelhaft, jedoch vor dem Kartellobergericht (OGH) nicht mit Aussicht auf Erfolg bekämpfbar". Diese Einstellung - "egal was das Gericht sagt, ich habe Recht" - kennt man sonst eher von "Personen mit verdichtetem Rechtsbewusstsein" als von staatlichen Behörden (aber die BWB tat sich ja auch schon mit anderen Entscheidungen des Kartellgerichts recht schwer).
Eine nachvollziehbare und schlüssig begründete Erklärung, weshalb er keinen Rekurs erhebt, gibt übrigens der Bundeskartellanwalt (der ebenso wie die BWB als Amtspartei berechtigt wäre, das Rechtsmittel zu ergreifen).

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*) die BWB wird "strategisch in allen Kommunikationsfragen" von einer professionellen - auch in Sachen Litigation PR aktiven - Agentur beraten.

Thursday, December 06, 2012

Veranstaltungshinweis: "Alle ins Netz", Wien 13.12.2012

Mehr als eine Million ÖsterreicherInnen war noch nie im Internet. Das Bundeskanzleramt, das unter anderem für Medienangelegenheiten und für die Koordination von Angelegenheiten der IKT-Politik / Informationsgesellschaft zuständig ist, veranstaltet daher am 13. Dezember 2012 die ganztägige Konferenz "Alle ins Netz. Wie internet-fit ist Österreich?"

"Digitale Inklusion" ist das Kernthema, neben dem Generaldirektor der Statistik Austria Konrad Pesendorfer referiert mit Detlef Eckert ein Vertreter der Europäischen Kommission (der zwischendurch auch bei Microsoft war, was nicht überall unkritisch aufgenommen wurde) und - einmal auch außerhalb des ORF - Peter Filzmaier. Spannend könnte es in den bunt zusammengesetzten Panels zugehen, in denen zum Beispiel auch Blogger und Aktivisten wie Lukas Wagner, Martin Ladstätter und Andreas Krisch vertreten sind (mehr dazu auf der BKA-Website: Programm, Anmeldung).

PS - weil es gerade dazupasst: vielleicht könnte jemand auf der Konferenz auch der sogenannten "Internetoffensive Österreich" (die jetzt schon seit einem halben Jahr an der Überarbeitung ihrer Website scheitert) erklären, wie man ins Netz kommt ;-)

Tuesday, December 04, 2012

EGMR zur Fotoveröffentlichung bei Vorwürfen homosexueller Beziehungen zwischen kirchlichen Würdenträgern und Priesterseminaristen

"Fotobeweise von Sexspielen zwischen Priestern und deren Schülern stürzen die Diözese St. Pölten ins Chaos." So leitete das Nachrichtenmagazin profil im Juli 2004 einen Artikel unter der Überschrift "Pornoaffäre: Trau dich doch" ein. Berichtet wurde über homosexuelle Beziehungen des Regens und Subregens des Priesterseminars St. Pölten (beide namentlich genannt) mit Seminaristen, wobei es im Artikel auch heißt, dass es keinerlei Hinweise darauf gebe, "dass Priesterschüler von Vorgesetzten zu sexuellen Handlungen genötigt worden wären, wie das anfangs kolportiert worden war". Profil veröffentlichte dazu auch Fotos, die den Regens mit dem Arm um einen Seminaristen und seiner rechten Hand am Schritt zeigen und den Subregens, wie er gerade im Begriff war, einen Seminaristen zu umarmen und zu küssen.

Die Angelegenheit beschäftigte in der Folge die österreichischen Gerichte und dann den EGMR. Dieser hat in drei heute verkündeten Urteilen (Küchl gegen Österreich, Rothe gegen Österreich, und Verlagsgruppe News und Bobi gegen Österreich) Beschwerden sowohl der betroffenen kirchlichen Würdenträger (wegen behaupteter Verletzung des Art 8 EMRK) als auch der Medieninhaberin des "profil" (wegen behaupteter Verletzung des Art 10 EMRK) abgewiesen. Die Fälle bringen juristisch wenig Neues, zeigen aber wieder einmal die schwierige Abgrenzung zwischen dem Recht auf Achtung des Privatlebens und dem Recht auf freie Meinungsäußerung.

Erkennbar ist, dass der EGMR sehr bemüht ist, nicht - wie ihm oft vorgeworfen wird - "vierte Instanz" zu spielen: jedenfalls dann, wenn die nationalen Gerichte die nach Art 8 bzw 10 EMRK zu beurteilenden Rechtsfragen erkannt und sich eingehend und nachvollziehbar damit auseinandergesetzt haben, liegen für den EGMR keine starken Gründe vor, die eigene Ansicht an die Stelle jener der nationalen Gerichte zu setzen (so lautet der Kernsatz letztlich in allen drei Urteilen: "The Court does not see any strong reasons to substitute its own view for that of the domestic courts.")

Nationale Gerichtsverfahren
Sowohl Regens (Küchl) als auch Subregens (Rothe) gingen gerichtlich gegen die Veröffentlichungen im "profil" vor und begehrten eine Entschädigung wegen übler Nachrede und Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs (§§ 6 und 7 Mediengesetz). Der Entschädigungsantrag wurde schließlich vom OLG Wien in zweiter Instanz rechtskräftig abgewiesen.

Der Regens ging gegen profil und dessen Chefredakteur auch nach dem Urheberrechtsgesetz und dem ABGB vor und beantragte, diesen 1. "zu verbieten, die wörtlichen und/oder sinngemäßen Behauptungen aufzustellen und/oder zu verbreiten, es gebe Lichtbilder, die die klagende Partei [der Regens] bei homosexuellen Kontakten zeigen und/oder es gebe Lichtbilder, die zeigen, dass der Kläger homosexuell sei", und 2. ihnen zu verbieten "Lichtbilder der klagenden Partei, insbesondere im Zusammenhang mit ehrverletzenden und rufschädigenden Vorwürfen homosexueller Übergriffe, bei denen Autoritätsverhältnisse missbraucht worden sein sollen, zu verbreiten, sofern dazu keine ausdrückliche Zustimmung der klagenden Partei vorliegt."

Der Sicherungsantrag wurde von den ersten beiden Instanzen abgewiesen, vom OGH jedoch mit Beschluss vom 15.12.2005, 6 Ob 211/05f, im Punkt 2. bewilligt. Im Hauptverfahren wurde die Veröffentlichung von Fotos untersagt, aber der Entschädigungsanspruch nach dem UrhG abgewiesen; außerdem wurde das im Provisorialverfahren erlassene Verbot, Lichtbilder im Zusammenhang mit Vorwüfen homosexueller Übergriffe zu zeigen, bestätigt (siehe den Beschluss des OGH vom 26.03.2009, 6 Ob 43/08d, mit dem die ao. Revisionen gegen das Urteil des OLG Wien zurückgewiesen wurden).

EGMR-Urteile Küchl und Rothe
Küchl und Rothe erhoben Beschwerde an den EGMR, weil ihnen in den Verfahren nach dem Mediengesetz keine Entschädigung zugesprochen worden war. Sie sahen darin ihre Rechte auf Achtung des Privatlebens nach Art 8 EMRK verletzt.

Der EGMR führt in seinen Urteilen zunächst die allgemeinen Grundsätze zur Abwägung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und des Rechts auf Achtung des Privatlebens aus (in beiden Urteilen wortident; RNr 57 bis 67 im Urteil Küchl, RNr 41-51 im Urteil Rothe). Unter Bezugnahme auf die Urteile Von Hannover gegen Deutschland (Nr. 2; im Blog dazu hier) und Axel Springer AG gegen Deutschland (im Blog dazu hier) fasst der EGMR nochmals die relevanten Kriterien für die Abwägung zusammen:
(i) contribution to a debate of general interest
(ii) how well known is the person concerned and what is the subject of the report?
(iii) prior conduct of the person concerned
(iv) method of obtaining the information and its veracity/ circumstances in which the photographs were taken
(v) content, form and consequences of the publication
(i) In der Anwendung auf den Einzelfall schließt sich der EGMR der Auffassung der nationalen Gerichte an, dass die Öffentlichkeit - im Hinblick auf die ablehnende Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualität - das Recht hat, über das Verhalten kirchlicher Würdenträger informiert zu werden, das in offenem Widerspruch zur kirchlichen Position steht, umso mehr, wenn dieses Verhalten in einem Priesterseminar gesetzt wird:
In the Court’s view, material like that at issue, relating to the moral position advocated by an influential religious community and to the question whether Church dignitaries live up to their Church’s proclaimed standards, also contributes to a debate of general interest.
(ii) Zur Frage der Bekanntheit der Beschwerdeführer nimmt der EGMR Notiz davon, dass zwar das Landesgericht die beiden Beschwerdeführer als "public fugure" beurteilt hat, das OLG dies aber nicht aufrechterhalten, wohl aber betont habe, dass die Tätigkeit als Regens bzw Subregens (und PR-Tätigkeit als Privatsekretär des Bischofs) eine direkte Beziehung zum öffentlichen Leben aufweise.

(iii) Zum bisherigen Verhalten der Beschwerdeführer war den nationalen Urteilen nicht viel zu entnehmen; es könne aber angenommen werden, dass sie in der Diözese relativ bekannt gewesen seien. Während aber Bischof Krenn wiederholt Äußerungen in den Medien abgegeben habe, in der er in starken Worten Homosexualität verurteilt habe, sei es nicht klar, ob auch Rothe zu dieser Debatte beigetragen oder sonst zuvor die "public arena" betreten habe (bei Küchl geht der EGMR davon aus, dass dieser offenbar ["apparently"] zu dieser Debatte nicht beigetragen und die public arena nicht betreten habe).

(iv) Die nationalen Gerichte hatten sich nicht im Detail damit auseinandergesetzt, wie das profil an die Information gelangt war, aber sie hatten den Wahrheitsgehalt der Information umfassend geprüft. Für den EGMR genügt es festzustellen, dass die nationalen Gerichte auf der Grundlage einer gründlichen und detaillierten Prüfung des Falles zum Ergebnis gekommen sind, dass die Behauptungen im Artikel wahr waren. Wie die - bei privaten Feiern aufgenommenen - Fotos in den Besitz von profil gekommen seien, sei nicht Gegenstand des nationalen Gerichtsverfahrens gewesen, aber es sei klar, dass dies ohne Zustimmung der Bescherdeführer geschehen sei.

(v) Zum Inhalt und zur Art der Veröffentlichung hält der EGMR fest, dass im profil-Artikel auch darüber informiert wurde, dass es keine Nötigung zu sexuellen Handlungen gegeben habe, und dass auch Platz für die Antworten der Beschwerdeführer gewesen sei, die vorgebracht hatten, dass die Fotos keinen homosexuellen Kontakt zeigten und auf verschiedene Weise interpretiert werden könnten.

(vi) In seinen Schlussfolgerungen unterscheidet der EGMR zwischen zwei Aspekten: den Aussagen über die behaupteten homosexuellen Beziehungen mit Seminaristen einerseits und den Fotos andererseits. Zum ersten Aspekt führt der EGMR (in RNr 76 des Urteils Rothe, ähnlich in RNr 93 des Urteils Küchl) aus:
The domestic courts found that the text of the article published in Profil on 12 June 2004, including the disclosure of the applicant’s identity, fell within the limits of permissible reporting on a matter of general interest. They took extensive evidence, in particular from a number of witnesses, and came to the conclusion that in essence the allegations made in the article were true. The Court sees no reason, let alone any strong reason, to deviate from the domestic courts’ findings, which were based on thoroughly established facts and a detailed assessment of the conflicting interests, in accordance with the criteria established by the Court’s case-law.
Beim zweiten Aspekt war die Entscheidungssituation für den EGMR offensichtlich etwas schwieriger und die Begründung ist recht knapp: "strong reasons", von den Entscheidungen der nationalen Gerichte abzugehen, konnte der EGMR nicht sehen (was wohl impliziert, dass es etwas weniger starke Gründe doch geben könnte). Einzige weitere Begründung dazu liefert das Zusammenspiel mit § 78 UrhG; diese Bestimmung biete einen spezifischen Schutz gegen Bildveröffentlichungen, den einer der Beschwerdeführer (Küchl) auch genutzt habe. Dass es sich um einen Grenzfall handle, habe dabei auch der OGH so gesehen. Unter diesen Umständen kommt der EGMR zum Ergebnis, dass keine Verletzung des Art 8 EMRK vorliegt. Aus dem Urteil Küchl (Hervorhebungen hinzugefügt):
94. The Court will now turn to the second aspect of the applicant’s complaint, namely that the courts’ decisions under the Media Act failed to protect him against the publication of the photograph at issue. In the Court’s view this aspect of the case raises a difficult question of a borderline nature. In the proceedings under sections 6 and 7 of the Media Act, the domestic courts applied the criteria established by the Court’s case-law in examining the question whether Profil had violated the applicant’s rights by publishing the photograph, although they went into less detail than in respect of the statements made in the report. The Court does not see any strong reasons to substitute its own view for that of the domestic courts.
95. Furthermore, the Court observes that, in addition to proceedings under the Media Act, Austrian law provides protection against the publication of a person’s picture under section 78 of the Copyright Act. That provision aims specifically at protecting individuals against publication of their image, while sections 6 and 7 of the Media Act are more generally concerned with protection against defamation or exposure of an individual’s strictly personal sphere through any form of publication in the media. In the present case, the applicant brought proceedings under the Copyright Act and indeed obtained protection by means of an injunction prohibiting the further publication of his picture. He also raised the argument of a possible contradiction between the results of the proceedings under the Media Act on the one hand and those under the Copyright Act on the other. In its decision of 26 March 2009 the Supreme Court found that the proceedings under the Media Act did not resolve a preliminary question in respect of the proceedings under the Copyright Act. Nor was there a logical contradiction between the prohibition on publishing a photograph under section 78 of the Copyright Act and the refusal to grant compensation under sections 6 and 7 of the Media Act. Moreover, the domestic courts themselves observed in the proceedings under the Copyright Act that the question of the admissibility of the publication of the photograph at issue was of a borderline nature. In these circumstances, the fact that the applicant was refused compensation in respect of the publication of his picture in the proceedings under the Media Act does not disclose a failure on the domestic authorities’ part to protect the applicant’s right to respect for his private life.
96. The foregoing considerations are sufficient for the Court to conclude that there has been no violation of Article 8 of the Convention.
EGMR-Urteil Verlagsgruppe News GmbH und Bobi
In diesem Verfahren beschwerte sich die Medieninhaberin des "profil" und der für den betroffenen Teil des Magazins verantwortliche Chefredakteur gegen eine behauptete Verletzung des Art 10 EMRK durch die Entscheidung im oben schon beschriebenen Verfahren nach dem UrhG (Beschluss des OGH vom 26.03.2009, 6 Ob 43/08d), mit dem ihnen die Bildveröffentlichung untersagt worden war.

Auch in diesem Fall legt der EGMR die Grundsätze der Abwägung zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und dem Recht auf Achtung des Privatlebens dar (RNr 62 -72) und geht dann wieder auf die einzelnen Abwägungskriterien ein. Zusätzlich zu den oben schon genannten Kriterien bei der Prüfung nach Art 8 EMRK ist hier - bei der Prüfung einer Verletzung des Art 10 EMRK - auch die Schwere der Sanktionen bei der Abwägung zu berücksichtigen.

Der EGMR betont, dass auch die nationalen Gerichte das Recht des "profil" auf Berichterstattung unter Offenlegung der Identität des Regens (Küchl) anerkannt haben; strittig sei nur die Bildveröffentlichung. Die nationalen Gerichte hatten Küchl nicht als "public figure" beurteilt, er sei zwar ein hoher kirchlicher Würdenträger, aber nicht der allgemeinen Öffentlichkeit bekannt. Die Gerichte unterschieden zwischen der Veröffentlichung der Artikel und der Bildveröffentlichung. Das öffentliche Interesse an den Artikeln rechtfertige nicht automatisch auch die Veröffentlichung von Fotos der Betroffenen.

Diese Ansicht wird vom EGMR ausdrücklich geteilt. Die Beurteilung, wie bekannt eine Peson sei, sei in erster Linie Sache der nationalen Gerichte. Der Schutz der Rechte und des guten Rufs habe besondere Bedeutung bei der Veröffentlichung von Fotos, die sehr persönliche oder gar intime Informationen beinhalten können. Der Regens sei - "in contrast to Bishop Krenn" - auch nicht öffentlich gegen Homosexualität aufgetreten.

Die nationalen Gerichte betonten auch, dass die Fotos bei einer privaten Geburtstagsfeier im Apartment des Regens im Stift Eisgarn aufgenommen worden waren, wobei die Beteiligten erwarten konnten, dass das Privatleben geschützt werde. Der EGMR stimmte auch diesbezüglich den nationalen Gerichten zu, hob aber hervor, dass es einen Bezug zur Funktion des Regens gab, da die Gäste ausschließlich Seminaristen waren. Das Fest fand aber im privaten Apartment statt und das Foto war nicht für die Augen von Außenstehenden gedacht; schließlich ist das Foto auch ohne Zustimmung des Regens an das "profil" gelangt.

Auch im Hinblick auf die Art der Veröffentlichung schließt sich der EGMR der Beurteilung der österreichischen Gerichte an, die einen "Prangereffekt" der Fotos im Zusammenhang mit dem Inhalt des Artikels festgestellt hatten; außerdem wäre es möglich gewesen, die Öffentlichkeit adäquat über die Angelegenheit zu informieren, ohne die Fotos zu veröffentlichen (das Magazin hätte die Fakten berichten und darauf hinweisen können, dass Beweisfotos existieren).

Die verhängte Sanktion - das Verbot, das Foto zu veröffentlichen - wurde vom EGMR als verhältnismäßig beurteilt (bzw genauer: "does not disclose any lack of proportionality"); insbesondere hielt der Gerichtshof fest, dass keine Entschädigung zugesprochen worden war.

Die Schlussfolgerung des EGMR:
94. In conclusion, the Court considers that the domestic courts applied the criteria established by the Court’s case-law when imposing the contested injunction under section 78 of the Copyright Act. They gave “relevant and sufficient” reasons for arriving at the conclusion that – in contrast to the text of the articles, which was not made subject to any restrictions – the future publication of the photograph in the context of specific allegations was to be prohibited, as the claimant’s interest in the protection of the intimate sphere of his private life outweighed the interest of the applicants in the further publication of the picture. The Court does not see any strong reasons to substitute its own view for that of the contested decisions of the domestic courts.
95. The foregoing considerations are sufficient for the Court to conclude that there has been no violation of Article 10 of the Convention.
Update 31.10.2013: Kritik am Urteil Rothe übt die - am Verfahren beteiligte - Rechtsanwältin Dr.in Maria Windhager in einer Urteilsbesprechung in der Zeitschrift medien und recht 5/13, S 221-223.

Monday, December 03, 2012

EuG zum Grundrecht auf Zugang zu Dokumenten nach Art 42 GRC im Lichte der Art 10 EMRK und Art 11 GRC

Wie beurteilte die Europäische Zentralbank die griechische Finanzsituation in internen Dokumenten? Die Journalistin Gabi Thesing wollte mehr wissen und beantragte den Zugang zu zwei Dokumenten der EZB betreffend die Auswirkungen von außerbörslichen Swaps und bestimmten anderen Transaktionen auf das öffentliche Defizit und den Schuldenstand. Die EZB verweigerte den Zugang, das dagegen angerufene EuG hat die Klage der Journalistin mit Urteil vom 29.11.2012, T-590/10, Thesing und Bloomberg Finance LP, abgewiesen (Pressemitteilung). (Update 05.02.2013: Rechtsmittel gegen das Urteil des EuG sind beim EuGH anhängig zu C-28/13 P Thesing und Bloomberg Finance / EZB; Update 14.06.2014: der EuGH hat das Rechtsmittel mit Beschluss vom 06.02.2014 zurückgewiesen - es war offensichtlich katastrophal schlecht ausgeführt: "Soweit die Rechtsmittelschrift [...] Ausführungen enthält, die über eine bloße Nennung der Rechtsmittelgründe hinausgehen, erschöpfen sie sich in Schlussfolgerungen ohne weitere Begründung.")

Zugang zu Dokumenten nach Unionsrecht
Seit dem Vertrag von Amsterdam ist das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Unionsorgane primärrechtlich gesichert: zunächst in Art 255 EG-Vertrag, nun in Art 15 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Sekundärrechtlich ist der Zugang zu Dokumenten der Europäischen Zentralbank durch ihren Beschluss vom 4.3.2004 (2004/258/EG) geregelt. Dieser Beschluss folgt im Wesentlichen der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, zu der auch schon umfassende Rechtsprechung der Unionsgerichte vorliegt (siehe zB EuGH 01.07.2008, C-39/05 und C-52/05 P, Schweden und Turco gegen den Rat der Europäischen Union; dazu im Blog hier).

Seit dem Wirksamwerden der Grundrechte-Charta (GRC) ist das Recht auf Dokumentenzugang zudem auch ein Unionsgrundrecht: Art 42 GRC ("Recht auf Zugang zu Dokumenten") lautet:
Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder satzungsmäßigem Sitz in einem Mitgliedstaat haben das Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, unabhängig von der Form der für diese Dokumente verwendeten Träger.*)
Im konkreten Fall stützte sich die EZB für die Verweigerung des Dokumentenzugangs im Wesentlichen auf den Ausnahmegrund des Art 4 Abs 1 lit a (zweiter Spiegelstrich) des Beschlusses vom 4.3.2004. Nach dieser Bestimmung verweigert die EZB den Zugang zu einem Dokument dann, wenn durch dessen Verbreitung die Finanz-, Währungs- oder Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft oder eines Mitgliedstaats gefährdet würde. Das EuG kommt in seinem Urteil zum Ergebnis, dass die Verweigerung unter Berufung auf diesen Ausnahmegrund berechtigt war. Ich will das hier nicht im Einzelnen kommentieren; interessant daran finde ich, dass das Gericht keine besonders hohe Meinung von den Teilnehmern an den Finanzmärkten haben dürfte: es geht nämlich davon aus, dass die die zum Zeitpunkt des Zugangsersuchen längst überholten Daten im EZB-Dokument von den Finanzmarkt-Teilnehmern nicht unbedingt als überholt erkannt würden (siehe näher in RNr 56 und 57 des Urteils).

Informationszugang nach Art 10 EMRK / Art 11 GRC?
Aus meiner Sicht interessant ist das Urteil des EuG weniger wegen der Entscheidung zu den konkreten Dokumenten als wegen der Aussagen zu Art 10 EMRK bzw Art 11 GRC. Die Journalistin hatte vorgebracht, dass die Verweigerung des Informationszugangs auch ihre Rechte nach Art 10 EMRK (verstanden als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts im Sinne des Art 6 Abs 3 EUV) verletze. Das brachte ihr zwar auch keinen Erfolg, aber das EuG hatte sich daher mit der Tragweite des Art 10 EMRK - und des "parallelen" Unionsgrundrechts in Art 11 GRC - näher zu befassen.

Das EuG legt zunächst einmal den Kerninhalt des Art 10 EMRK dar (RNr 68) und verweist darauf, dass nach Art 52 Abs 3 GRC die Charta-Rechte, soweit sie den EMRK-Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird (RNr 69). Nach den Erläuterungen zur GRC, die nach Art 52 Abs 7 GRC als Anleitung für die Auslegung dieser Charta verfasst wurden und von den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen sind, entspricht Art 11 GRC (wohl nur dessen Abs 1!) Art 10 EMRK (RNr 70-71).

In Verbindung mit Art 52 Abs 1 und 2 GRC sei - so das EuG in RNr 72 des Urteils - klar, dass Art 11 GRC Rechte enthalte, die den durch Art 10 EMRK garantierten Rechten entsprechen; diese Rechte müssten daher die selbe Bedeutung und den selben Umfang haben wie Art 10 EMRK in der Auslegung durch den EGMR (das EuG verweist dazu auf Rechtsprechung des EuGH, in der das für Art 7 GRC im Verhältnis zu Art 8 Abs 1 EMRK ausgesprochen wurde: EuGH 5.10.2010, C-400/10 PPU, McB, Abs 53, und EuGH 15.11.2011, C-256/11 Dereci, Abs. 70; für Art 10 EMRK/Art 11 GRC ist dies meines Wissens die - allerdings nicht überraschende - erste solche Aussage eines Unionsgerichts).

Das EuG verweist dann darauf, dass die GRC im Hinblick auf den Zugang zu Dokumenten ein eigenes Grundrecht (Art 42 GRC) vorsehe. Eine Verletzung dieses Grundrechts habe die Journalistin aber gar nicht behauptet, sondern nur eine Verletzung des Art 10 EMRK und Art 11 GRC, ohne allerdings zu erklären, weshalb das Verhalten der EZB eine Verletzung des Art 10 EMRK bzw des Art 11 GRC darstellen solle (RNr 73).

Da sich die Journalistin ausdrücklich auf die EGMR-Urteile Társaság a Szabadságjogokért gegen Ungarn (dazu im Blog hier), Kenedi gegen Ungarn und Gillberg gegen Schweden (im Blog dazu hier) bezogen hatte, verglich das EuG den vorliegenden Fall mit diesen Urteilen und kam dabei zum Ergebnis, dass die EZB den Umfang des Rechtes auf Dokumentenzugang auch im Lichte der Art 11 und 52 GRC und des Art 10 EMRK nicht falsch beurteilt hatte. Im Einzelnen hielt das EuG zu den EGMR-Urteilen Folgendes fest:
76 In Kenedi v. Hungary [...] the European Court of Human Rights found that there had been an infringement of Article 10 of the ECHR on the ground that the measure in question in that case was not prescribed by law (see paragraph 45 of that judgment). In the present case, the refusal to grant access to the documents at issue was based on the second indent of Article 4(1)(a) of Decision 2004/258. [...] That refusal sought to achieve the legitimate aim of protecting the public interest so far as concerns the economic policy of the Union and the Hellenic Republic.
77 Moreover, although it is true that, in Gillberg v. Sweden, [...] the European Court of Human Rights found that the applicant in that case did not, under Article 10 of the ECHR, have a negative right to refuse to make available the documents concerned (paragraph 94 of that judgment), that case can be distinguished from the present one. Whilst the documents concerned in Gillberg v. Sweden [...] were not the property of the person who refused to grant access to them (paragraphs 92 and 93 of that judgment), in the present case, the documents at issue requested by the applicants were the property of the ECB. Moreover, unlike in Gillberg v. Sweden (paragraph 93 of that judgment), the ECB’s refusal to grant access to those documents was not contrary to a court decision ordering the ECB to grant access to them.
78 As regards Társaság a Szabadságjogokért v. Hungary, [...] it is true that that judgment deals with the need to limit the right of access to information. However, the facts in that case are not similar to those of the present case, and that judgment cannot therefore be usefully relied upon in the present case. Társaság a Szabadságjogokért v. Hungary [...] concerned the refusal to communicate information relating to a constitutional complaint brought by a public figure on the ground of the personality rights of the latter. In that complaint, it was alleged that the opinions of public figures on public matters are related to their person and therefore constitute private data which cannot be disclosed without their consent (see paragraph 37 of that judgment). By contrast, this case does not concern alleged private data of a public figure.
79 Moreover, the Court notes that the contested decision does not contain a general prohibition on receiving ECB information relating to the government deficit and the government debt of the Hellenic Republic. In this respect, it should also be observed that, in applying the exceptions to the right of access provided for in Article 4 of Decision 2004/258, the ECB did not limit that right solely to documents falling within the exercise of its administrative tasks, as referred to in the fourth subparagraph of Article 15(3) TFEU (see paragraph 39 above).
[...]
81 In those circumstances, the applicants’ arguments relating to the judgments in Társaság a Szabadságjogokért v. Hungary [...], Kenedi v. Hungary [...], and Gillberg v. Sweden [...] must be rejected.
Im Ergebnis wurde die Klage daher abgewiesen. Für die Zukunft könnte spannend werden, ob das EuG (und natürlich der EuGH) dem Recht auf Dokumentenzugang nach Art 42 GRC einen weiteren Umfang zubilligt als dem sich aus Art 10 EMRK/Art 11 GRC (allenfalls) ergebenden Recht auf Informationszugang. Gerade die Frage, in welchen Fällen und in welchem Umfang Art 10 EMRK auch das Recht umfasst, Zugang zu nicht veröffentlichten (staatlichen) Informationen zu erhalten, ist ja auch in der Rechtsprechung des EGMR noch keineswegs ausreichend geklärt (siehe zuletzt etwa das Urteil vom 31.07.2012, Shapovalov gegen Ukraine; im Blog dazu hier).

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*) Dieses Recht ist nicht unbeschränkt - wie bei allen anderen Rechten nach der GRC gilt, dass (nach Art 52 Abs 1 GRC) jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten muss. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

Saturday, December 01, 2012

Selbst- und Ko-Regulierung: Anmerkung aus Anlass des Leveson-Reports

"An inquiry into the culture, practices and ethics of the press": das war der Auftrag für die im Juli 2011 vom Premierminister des Vereinigten Königreichs eingesetzte Untersuchungskommission unter dem Vorsitz von Lord Justice Leveson, die nun - am 29.11.2012 - den Abschlussbericht veröffentlicht hat. Dieser "Leveson-Report" umfasst vier Teile (1, 2, 3, 4) mit insgesamt rund 2000 Seiten und eine Zusammenfassung mit Empfehlungen (executive summary); die Rede von Leveson LJ bei der Vorstellung des Berichts ist hier nachzulesen.

Ich habe dieser Tage einfach nicht so viel Freizeit, dass ich den gesamten Bericht lesen und mich dann hier im Blog auch noch näher damit auseinandersetzen könnte, daher verweise ich zur Übersicht - abgesehen von Leveson's eigener Zusammenfassung - auf die Berichterstattung auf Inforrm's Blog und den Podcast "Without Prejudice", unter anderem mit den Bloggern Carl Gardner und David Allen Green. Wer es ganz eilig hat: Stewart Purvis vom Guardian hat es geschafft, die 2000 Seiten des Leveson-Reports in 70 Worten zusammenzufassen. Emily Bell (The Leveson inquiry is irrelevant to 21st-century journalism) kritisiert die Vernachlässigung des Internets im Leveson-Bericht, Carl Gardner (We must have statutory regulation - and liberation - of the press) schrieb schon einen Tag vor der Veröffentlichung des Berichts einen bemerkenswerten Beitrag über die lange Geschichte der Probleme mit der Selbstregulierung, und Edward Craven (Leveson: One last chance for press self-regulation? A summary of the proposals) fasst die Vorschläge zur Selbstregulierung zusammen.

Vieles am Bericht ist natürlich nur vor dem Hintergrund der unmittelbaren Anlassfälle (Abhören von Mailboxen von Verbrechensopfern wie auch von Prominenten) und der spezifisch britischen Medien- und Medienrechtssituation zu verstehen. Aber Fragen zum Naheverhältnis zwischen Politik und Presse (dazu im Band 3 ab S. 1115) und zur "Regulierung" und/oder "Selbstregulierung" der Presse sind auch über die Insel hinaus von Interesse.

Was immer man auch vom Inhalt des Berichts halten mag: eine ähnlich seriöse und akribische Aufarbeitung des erteilten Auftrags würde man sich auch für andere Untersuchungen wünschen, insbesondere natürlich für den ziemlich unrühmlich - und ohne schriftlichen Abschlussbericht - zu Ende gegangenen Korruptions-Untersuchungsausschuss des österreichischen Nationalrats (die Leveson-Inquiry war allerdings keine parlamentarische, sondern eine vom Premierminister eingesetzte Untersuchung unter der Leitung eines erfahrenen Berufsrichters).

Selbstregulierung
Modul 4 der Untersuchung waren "Recommendations for a more effective policy and regulation that supports the integrity and freedom of the press while encouraging the highest ethical standards". Dass die Selbstregulierung der Presse gescheitert war, zeigt auch der Leveson-Bericht deutlich auf (siehe die Darlegung ab S. 1515 im Band 4). Vor allem die mangelnde Unabhängigkeit der Press Complaints Commission - die noch vor wenigen Jahren vielfach (etwa auch bei der Eröffnungsveranstaltung des neuen österreichischen Presserats) als vorbildhaft hingestellt wurde - wird im Bericht massiv kritisiert; so heißt es auf S. 1520 zB:
A profound lack of any functional or meaningful independence from the industry that the PCC claimed to regulate lay at the heart of the failure of the system of self-regulation for the press. Independence operates at two levels, one of perception and the other of substance. In terms of perception, just as judges cannot in any sense be perceived as being judges in their own cause, or appearing to be biased or otherwise interested in the outcome, a regulator must be so constituted as to satisfy every reasonable complainant that he or she will receive a fair hearing in all respects and at all levels. In terms of substance, a regulator will not be free to do its job properly if tied functionally to the entities it is regulating. Further, there is a not insubstantial risk that, if those that are being regulated take the view that they are being judged by fierce competitors for whom they have neither trust nor respect (even if there is a majority of lay members of the Commission), they will not regard the discharge of the regulator’s duties in the correct light.
Auch die PCC selbst bestreitet übrigens nicht mehr, dass sie ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht wurde (sie will aber keine neu zu schaffende Einrichtung unter allfälliger Aufsicht einer Regulierungsbehörde, sondern - so der Vorsitzende Lord Hunt in seiner Reaktion auf den Leveson-Bericht - bloß einen "fresh start").

In seinen Empfehlungen für eine neue Form der Selbstregulierung versucht Leveson einen Mittelweg zwischen reiner Selbstregulierung und verstärkter öffentlicher Kontrolle. In seinem Modell (siehe S. 32-38 der Zusammenfassung bzw ab S. 1583 in Band 4) soll zwar eine von der Presse organisierte Selbstregulierungseinrichtung bestehen, in deren Entscheidungsgremium Pressevertreter aber nur eine Minderheit stellen. Zudem soll die Selbstregulierungseinrichtung von der Regulierungsbehörde (Ofcom) sozusagen "zertifiziert" werden (die Regulierungsbehörde soll prüfen, ob die Selbstregulierungseinrichtung alle Kriterien erfüllt, die in einem dafür erst zu erstellenden Gesetz festgelegt werden sollen). Die Selbstregulierungseinrichtung sollte auch in der Lage sein, Sanktionen zu verhängen (de facto wären das "Geldstrafen", die als Vertragsstrafen beim Beitritt zu dieser Einrichtung vereinbart werden müssten).

Da der große Charme von reinen Selbstregulierungseinrichtungen aus der Sicht der jeweiligen Branche aber gerade eben darin liegt, dass sich die Branche selbst ausmacht, wie streng sie zu sich sein will, überrascht es nicht wirklich, dass die britische Presse (und auch Premierminister Cameron) überwiegend ablehnend auf die Leveson-Vorschläge reagiert hat.

Nach den im deutschen Sprachraum üblichen Kriterien kann man beim Leveson-Modell auch nicht mehr von Selbstregulierung im engeren Sinne sprechen, zumal die Branche nicht selbst - durch eine Mehrheit von Pressevertretern im Entscheidungsgremium - über Verstöße gegen ihre ethischen Standards urteilen könnte (auch Leveson geht immerhin davon aus, dass es solche ethischen Standards geben könnte). Da es nach dem Leveson-Modell eine gesetzliche Grundlage für die Anerkennung der Einrichtung geben soll, würde man im aktuellen wissenschaftlichen Jargon eher von "Ko-Regulierung" oder - was noch skurriler klingt (und ist) - von "regulierter Selbstregulierung" sprechen. Zu beachten ist freilich, dass für "Selbstregulierung" im UK eine rechtlich wesentlich andere Ausgangssituation besteht (siehe allgemein dazu etwa Mac Sithigh, Datafin to Virgin Killer: Self-Regulation and Public Law, oder Black, Constitutionalising Self-Regulation); das Konzept einer "mandated self-regulation" etwa ist in Österreich praktisch unbekannt (wenn man nicht die berufliche Selbstverwaltung etwa in den Kammern in diese Richtung verstehen will).

Weder der Presserat (auch nicht der deutsche oder der schweizerische Presserat) noch der Werberat könnten übrigens auch nur annähernd jene Kriterien der Unabhängigkeit erfüllen, wie sie Leveson für sein Modell fordert, ganz abgesehen davon, dass es in Österreich derzeit auch keine behördliche Anerkennung oder Zertifizierung von Selbstregulierungseinrichtungen durch Regulierungsbehörden gibt (allerdings geht § 39 Abs 4 KommAustria-Gesetz ein wenig in diese Richtung, dazu weiter unten mehr).

Ist Ko-Regulierung besser als Selbstregulierung?
Verschiedene Veröffentlichungen und Vorträge haben mir den Ruf eingetragen, der Selbstregulierung eher kritisch gegenüberzustehen. So habe ich etwa in meinem Referat auf dem Österreichischen Juristentag 2009 (Thesenpapier; Referat nur in Print veröffentlicht) zusammenfassend festgehalten:
Selbstregulierung kann notwendige Regulierungsmaßnahmen zur Gefahrenabwehr nie ersetzen. Wo es aber keine Regulierung braucht, braucht es auch keine Selbstregulierung. In der Regel aber wird Selbstregulierung zumindest nicht schaden - es sei denn, sie entwickelt sich zum Kartell, das ja gewissermaßen die vollendete Form der Selbstregulierung einer Branche darstellt.
Ich habe aber gar nichts gegen Selbstregulierung, wohl aber dagegen, dass Politik und Wirtschaft Selbstregulierung oft als Wundermittel zur Problemlösung verkaufen wollen (die Politik kann Aktivität zeigen, spart sich aber das mühsame eigene Handeln; die Wirtschaft kann damit wirksame Regulierung verhindern oder zumindest verzögern). Meines Erachtens wäre aber - ganz abstrakt gesehen - die Entscheidungssituation für den Gesetzgeber (oder sonstigen Normsetzer) relativ einfach:
  • Entweder es gibt eine Gefahr (zB für Gesundheit, Sicherheit, lauteren Wettbewerb, Privatsphäre, etc), die rechtspolitisch als so gravierend bewertet wird, dass staatliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr geboten sind: dann muss man diese Maßnahmen ergreifen und kann sich nicht auf Selbstregulierung oder ähnliche Wundermittel verlassen - denn hätten diese funktioniert, gäbe es die Gefahr gar nicht.
  • Oder aber es gibt keine Gefahr: sei es, weil Selbstregulierungseinrichtungen funktioniert haben oder aus welchem anderen Grund auch immer. In diesem Fall braucht man weder einen staatlichen Eingriff zur Gefahrenabwehr, noch müsste man sich - von der gesetzgeberischen Seite - mit Fragen der Selbstregulierung beschäftigen; denn wozu auch, wenn es keine zu bekämpfende Gefahr gibt?
Damit sollte sich Selbstregulierung immer unter dem gesetzgeberischen Radar bewegen - sie ist schlicht für die Legistik nicht relevant, weder wenn sie funktioniert (dann braucht man nicht einzugreifen), noch wenn sie nicht funktioniert (dann kann man sich auch nicht auf sie verlassen). Das bedeutet nicht, dass man Selbstregulierungseinrichtungen (wie etwa den österreichischen Presserat oder den Werberat) nicht fördern kann oder vielleicht auch fördern soll: wenn Selbstregulierung so gut funktioniert, dass sonst notwendige staatliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr vermieden werden können, ergibt das - auch ökonomisch - Sinn (und sonst fördert man zumindest eine weitgehend harmlose Freizeitbeschäftigung).

Wirklich kritisch aber sehe ich gerade die derzeit eher propagierte "Ko-Regulierung" oder "regulierte Selbstregulierung", bei der Entscheidungen von Selbstregulierungseinrichtungen als Anknüpfungspunkt für staatliches Handeln dienen sollen. In solchen Fällen ist es nämlich nicht mehr irrelevant, wie die Selbstregulierungseinrichtungen zusammengesetzt sind oder welche Verfahrensregeln zur Anwendung kommen. Knüpft man beispielsweise - wie dies derzeit in Österreich diskutiert wird - die (Höhe der) Presseförderung an die Mitgliedschaft in einer Selbstregulierungseinrichtung, so wird man auch klarere Anforderungen an diese Selbstregulierungseinrichtung stellen müssen (insbesondere etwa im Hinblick auf die Unabhängigkeit des Entscheidungsorgans von den "regulierten" Unternehmen [siehe zur - mangelnden - Unabhängigkeit des österreichischen Presserats im Blog zB schon hier]).

Eine nur von der Branche getragene und von ihr maßgeblich bestimmte Einrichtung der Selbstregulierung, die im Ergebnis Standards auch gegenüber ihr nicht angehörenden Unternehmen und/oder gar gegenüber der Öffentlichkeit - zB bei der Presse gegenüber Opfern Objekten der Berichterstattung - setzen könnte, wäre jedenfalls schon unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzes in höchstem Maße fragwürdig. Knüpft nämlich hoheitliches Handeln an Entscheidungen von Selbstverwaltungseinrichtungen an, so müssten wohl vergleichbare Standards gelten wie bei der nach österreichischem Verfassungsrecht zulässigen beruflichen Selbstverwaltung, die aber - vereinfacht gesagt - nur Angelegenheiten jener Personen regeln darf, die in der Selbstverwaltungskörperschaft auch mitstimmen können (in den Worten des Verfassungsgerichtshofes, zuletzt etwa zur Kärntner Jägerschaft: es ist "unzulässig, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts zwar als Selbstverwaltungskörper einzurichten, ihr aber die Zuständigkeit zu übertragen, auch solche Angelegenheiten - unter Einsatz von imperium - weisungsungebunden zu besorgen, die sich auf einen Personenkreis beziehen, der von jenem verschieden ist, der den Organen des Selbstverwaltungskörpers die erforderliche demokratische Legitimation vermittelt, also bei der Kreation (zumindest) des obersten Organs dieses Selbstverwaltungskörpers mitwirken konnte.")-

Ko-Regulierung als Hybrid zwischen Selbstregulierung und staatlicher Regulierung vereint die Nachteile beider Systeme: sie knüpft an der informellen und weitgehend beliebigen und/oder interessegeleiteten Selbstregulierung an und verhilft ihr durch staatliche Machtmittel zu einer ihr aus eigenem nicht zukommenden Durchsetzungskraft. Wenn aber Selbstregulierung einer Branche nicht von sich aus - und ohne staatliche Gewalt in der Hinterhand - so gut funktioniert, dass eine ausreichende Gefahrenabwehr sichergestellt ist, dann gibt es auch keinen Grund dafür, sich bei der dann notwendigen staatlichen Gefahrenabwehr auf die (offensichtlich nicht ausreichend funktionierende) Selbstregulierung abzustützen und so der staatlichen Regulierung noch die Hände zu binden. Zudem müsste die Selbstregulierungseinrichtung, wenn ihre Entscheidungen Konsequenzen für staatliches Handeln haben, in höherem Ausmaß formalisiert und vor allem in eine ausreichende Unabhängigkeit entlassen werden, was die Attraktivität für die "regulierte" Branche deutlich verringert.

Damit wäre ich wieder bei meinem Ausgangspunkt: entweder es gibt eine Gefahr, der im öffentlichen Interesse entgegenzutreten ist, dann muss diese öffentliche Aufgabe durch wirksames demokratisch legitimiertes (also staatliches) Handeln wahrgenommen werden. Oder aber es besteht keine (aktuelle) Gefahr, dann kann und soll Selbstregulierung tun und lassen, was sie will, ohne dass sich der Staat dabei einzumischen hat. Von einer Vermischung der beiden Welten - Selbstregulierung und staatliche Regulierung - würde ich abraten; wirklich gut funktionierende Ko-Regulierungssysteme sind mir jedenfalls in Kontinentaleuropa nicht bekannt.

Ko-Regulierung am Beispiel § 39 Abs 4 KommAustria-Gesetz
Dass die Verzahnung von Selbstregulierung und staatlicher Regulierung mehr Probleme als Lösungen schafft, zeigt meines Erachtens auch der erste Ansatz zur Ko-Regulierung in Österreich, der mit der Rundfunkrechtsnovelle 2010 geschaffen wurde. § 39 Abs 4 KommAustria-Gesetz lautet:
"(4) Bei der Beurteilung von behaupteten Verletzungen der werberechtlichen Bestimmungen der §§ 34, 37 bis 42 und 46 AMD-G sowie des 3. Abschnitts des ORF-Gesetzes ist auf die Spruchpraxis allgemein anerkannter unabhängiger Selbstregulierungseinrichtungen Bedacht zu nehmen. Als allgemein anerkannte Selbstregulierungseinrichtungen gelten insbesondere solche, die eine breite Repräsentanz der betroffenen Berufsgruppen und hinreichende Transparenz im Hinblick auf Entscheidungsgrundlage, Verfahren und Durchsetzung von Entscheidungen gewährleisten."
Die Erläuterungen sagen dazu: "Die Anpassung in Abs. 4 dient der Anerkennung der Selbstregulierung; von Relevanz könnte die Spruchpraxis etwa dann sein, wenn es um die Beurteilung subjektiv vorwerfbaren Verhaltens im Rahmen eines Verwaltungsstrafverfahrens geht (z.B. wenn ein Straftatbestand etwa trotz einer Entscheidung der Selbstregulierungseinrichtung fortgesetzt wird)."
Nun meine ich erstens, dass die Berücksichtigung eher dort von Relevanz sein könnte, wo nicht trotz, sondern wegen einer Entscheidung der Selbstregulierungseinrichtung das Verhalten fortgesetzt wird (zB wenn die Selbstregulierungseinrichtung meint, dass eine Werbung noch zulässig sei, während die Behörde später zur gegenteiligen Meinung kommt; für den Jugendschutzbereich gibt es zu einer vergleichbaren Situation schon zumindest einen Beispielsfall aus Deutschland, wo keine Strafe verhängt wurde, weil die Selbstregulierungseinrichtung - anders als später die Behörde - keine Einwendungen hatte).

Zweitens stellt sich die Frage, wo in Österreich eine derartige Selbstregulierungseinrichtung zu finden sein könnte. In Betracht kommt realistisch nur der Österreichische Werberat (der laut Kommunikationsbericht 2011, S. 87, in den Jahren 2010 und 2011 auch tatsächlich mit jeweils € 50.000 gefördert wurde). Der Werberat hat sich in den letzten Jahren zweifellos Mühe gegeben, etwas moderner zu werden und auch eine Spur transparenter, aber das Entscheidungsgremium ist immer noch zu rund drei Viertel von der Werbewirtschaft - Medien, Agenturen und Auftraggeber - dominiert (und unter dem verbleibenden Viertel von Mitgliedern befindet sich noch immer ein gewisser "Prof. Hademar Bankhofer, c/o TV-Gesundheitsexperte", dessen Erfahrungen im Schleichwerbungsbereich in diesem Blog schon thematisiert wurden). Ob dieser Werberat also tatsächlich "allgemein anerkannt" und "unabhängig" ist?

Berücksichtigt man zudem, dass die österreichische Regelung der Umsetzung von Art 4 Abs 7 der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste dient, so ergeben sich noch größere Zweifel über die "allgemeine Anerkennung" des Werberates. Die Richtlinienbestimmung lautet:
"Die Mitgliedstaaten fördern Regelungen zur Koregulierung und/oder Selbstregulierung auf nationaler Ebene in den durch diese Richtlinie koordinierten Bereichen in dem nach ihrem jeweiligen Rechtssystem zulässigen Maße. Diese Regelungen müssen derart gestaltet sein, dass sie von den Hauptbeteiligten in den betreffenden Mitgliedstaaten allgemein anerkannt werden und dass eine wirksame Durchsetzung gewährleistet ist."
Anders als der österreichische Gesetzgeber, der von den "betroffenen Berufsgruppen" spricht, nennt die Richtlinie die "Hauptbeteiligten" - was nicht nur die Anbieterseite, sondern auch die Marktgegenseite (KonsumentInnen) umfasst. Dass aber der Werberat auch von Konsumentenseite "allgemein anerkannt" würde, dürfte meines Erachtens keineswegs feststehen. Aber wie auch immer: § 39 Abs 4 KommAustria-Gesetz dürfte bislang weitgehend totes Recht sein (mir ist jedenfalls kein Fall bekannt, in dem auf diese Bestimmung Bezug genommen wurde) - und vielleicht ist das auch besser so.