Bei den in Österreich derzeit diskutierten Inseratenaffären geht es im Kern um den Vorwurf, Politiker hätten sich durch großzügiges Inserieren auf Kosten von Ministerien oder staatsnahen Betrieben das Wohlwollen der solcherart geförderten Medien sichern wollen (wie das etwa bei der Gratiszeitung "Heute" funktioniert haben dürfte, hat dossier.at recherchiert und hier dokumentiert).
Eine andere Art der Inseratenaffäre gab es vor einigen Jahren in Rumänien: dort wurde behauptet, dass investigative Journalisten kompromittierendes Material über Politiker und Geschäftsleute zusammengetragen hätten, um diese damit zu erpressen: von der Veröffentlichung des belastenden Materials würde abgesehen, wenn entsprechende Inseratenaufträge erteilt würden.
Diese Vorfälle bilden den Hintergrund zu dem aktuell beim EGMR anhängigen Beschwerdefall Man und andere gegen Rumänien (Appl. no. 39273/07), in dem vor kurzem das "Statement of Facts" an den betroffenen Staat verschickt wurde. Hauptbeschwerdeführer ist Liviu Man, ein früherer BBC-Journalist und regionaler Direktor des rumänischen Fernsehens, nun Chef einer Zeitungsgruppe in Rumänien. In seinen Zeitungen wurde schwerpunktmäßig über Korruption auf hoher Ebene und über Fehlverhalten von Polizei und Staatsanwaltschaft berichtet.
Im Jahr 2005 begann die Anti-Korruptionseinheit der Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Journalisten dieser Zeitungsgruppe wegen des Verdachts der Erpressung und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Grund dafür waren Beschwerden lokaler Politiker und Geschäftsleute - demnach hätten die Journalisten kompromittierendes Material zusammengetragen, das sie veröffentlichen wollten, wenn die Betroffenen keine Inserate buchten.
Nach einem Jahr Telefonüberwachung (mit 50.000 abgehörten Telefonaten) kam es am 30. Oktober 2006 zu Hausdurchsuchungen bei Liviu Man und vier weiteren Journalisten (und in der Folge auch in zwei Zeuitungsbüros). Liviu Man wurden Handschellen angelegt und er wurde zur Befragung zur Staatsanwaltschaft geführt, vorbei an Presse-und TV-Journalisten, die angeblich vom Staatsanwalt eingeladen worden waren. Einige der Ermittlungsschritte wurden später vom Gericht für unrechtmäßig erklärt; das Strafverfahren gegen die Journalisten ist aber noch anhängig.
Ob Herr Man und seine KollegInnen also tatsächlich investigativen Journalismus zur Erpressung und Inseratenbeschaffung betrieben haben, ist auch auf nationaler Ebene noch nicht geklärt (es gilt die Unschuldsvermutung, worauf ich schon wegen der von außen recht undurchsichtigen Situation in Rumänien besonders nachdrücklich hinweisen möchte). Vor dem EGMR ist diese Frage daher auch nicht Gegenstand, es geht vielmehr um Fragen im Zusammenhang mit den Wohnungs- und Bürodurchsuchungen und der Anhaltung der Journalisten.
Nur falls jetzt jemand auf eine Idee kommen sollte: Erpressung mit Recherche-Ergebnissen wäre natürlich auch in Österreich kein legales Geschäftsmodell zur Finanzierung von investigativem Journalismus.
Blog zum österreichischen und europäischen Recht der elektronischen Kommunikationsnetze und -dienste
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Wednesday, October 31, 2012
Tuesday, October 30, 2012
EGMR: Verurteilung wegen unbewiesener Korruptionsvorwüfe gegen Staatsanwalt war keine Verletzung des Art 10 EMRK
In seinem heutigen Urteil im Fall Karpetas gegen Griechenland (Appl. no. 6086/10) hatte sich der EGMR wieder einmal mit heftig vorgetragener Kritik an Justizorganen (einer Richterin und einem Staatsanwalt) zu befassen. Wie vor kurzem im Fall Falter gegen Österreich (Nr. 2) - dazu hier - kam der EGMR auch in diesem Fall zum Ergebnis, dass die Verurteilung des Justizkritikers zu einer Entschädigung ihn nicht in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK verletzt hat.
Vorweg die wesentlichen Lehren aus dem Urteil:
Der Beschwerdeführer war Rechtsanwalt und vertrat einen Gläubiger in einem Verfahren über eine Zwangsversteigerung. Der Ehemann der Schuldnerin, H.H., drang mit einem Komplizen in seine Kanzlei ein und verlangte die Schlüssel zum Aktenschrank. Als der Anwalt die Herausgabe verweigerte, attackierten ihn die Eindringlinge und schossen ihm eine Kugel ins Bein. Daraufhin zwangen sie ihn, telefonisch die Versteigerung abzusagen.
Die Polizei verhaftete den - achtfach wegen "Vergehen von gewisser Schwere" (infractions d'une certaine gravité) vorbestraften - H.H. Die Untersuchungsrichterin setzte ihn aber gegen eine Kaution von 200.000 Drachmen (rund 587 Euro) auf freien Fuß (und er nutzte offenbar die Gelegenheit, um sich ins Ausland abzusetzen). Der Anwalt war über die Freilassung und die geringe Kaution entsetzt und sagte zum Staatsanwalt (und der anwesenden Richterin): "Das ist keine Gerechtigkeit. Das ist das Hinterzimmer der Gorillas von H.H"
Der Anwalt erhob Klage gegen den Staatsanwalt und die Richterin und verlangte, dass gegen beide disziplinär und strafrechtlich vorgegangen werde. In einem Schriftsatz schrieb er unter anderem - hier vereinfacht zusammengefasst - dass der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit nicht existiere, um ein Alibi abzugeben für käufliche Entscheidungen, die von einer Bande aus dem Milieu diktiert würden. In zwei Zeitungen wurde über die Klage berichtet; eine davon enthielt die Bemerkung, dass die strittige Entscheidung "durch andere Motive (gemeint: andere als rechtliche Motive) bestimmt war". In einem Leserbrief legte der Anwalt noch nach, dass die Urteile juristisch und logisch nicht erklärbar seien.
In einem von der Richterin und dem Staatsanwalt daraufhin gegen den Anwalt angestrengten Gerichtsverfahren wurde der Anwalt in erster Instanz zu einer Entschädigung von jeweils 30 Mio. Drachmen (rund 88.000 €) für die Richterin und den Staatsanwalt verurteilt. Das Berufungsgericht setzte die Entschädigung zugunsten des Staatsanwalts mit 15.000 € fest (das Rechtsmittelverfahren hinsichtlich der Entschädigung zugunsten der Richterin ist noch anhängig!). Das Berufungsgericht hielt unter anderem fest, dass der Anwalt dem Staatsanwalt durch seine Aussagen Korruption vorgeworfen habe, wobei er als seit zwanzig Jahren erfahrener Anwalt gewusst habe, dass der Vorwurf nicht zutreffe. Der Anwalt habe die Anschuldigungen in herabwürdigender Weise vorgebracht, da er zB von einer "beleidigenden, käuflichen und von krankhafter Feindseligkeit getragenen Entscheidung" geschrieben habe, die "keine richterliche Entscheidung, sondern das Produkt der menschlichen Niedertracht und Gemeinheit" sei. Das gegen das Berufungsurteil erhobene Rechtsmittel an den Kassationsgerichtshof blieb erfolglos.
Keine Verletzung des Art 10 EMRK
Der EGMR hielt zunächst fest, dass ein Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung vorlag, dass dieser durch Gesetz vorgesehen war und einem legitimen Ziel diente. Strittig war die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des Eingriffs.
Der EGMR betont, dass das Berufungsgericht berücksichtigt habe, dass der Beschwerdeführer wiederholt, teils direkt und teils indirekt - auf suggestive, aber ausreichend klare Art -, Tatsachen berichtet habe, die die Ehre und den Ruf des Staatsanwaltes gefährden konnten, indem unterstellt wurde, dass die Entscheidung aus "anderen Motiven" getroffen worden sei, was klar als Korruptionsvorwurf zu verstehen war. Dieser Vorwurf sei falsch gewesen und der Anwalt hätte dies auch gewusst.
In der Folge differenziert der EGMR den vorliegenden Beschwerdefall vom Fall Nikula gegen Finnland (dort war es um die Verurteilung einer Anwältin gegangen, die in ihrer Funktion als Verteidigerin Kritik am Staatsanwalt geübt hatte, die Kritik war im bzw vor dem Gericht und nicht in den Medien vorgebracht worden und hatte keinen beleidigenden Charakter), sowie von den Fällen Katrami (dazu hier) und Kanellopoulou, jeweils gegen Griechenland (in diesen beiden Fällen war es um Haftstrafen gegangen, die wegen der Kritik an Justizorganen verhängt worden waren).
Zu unterscheiden sei zwischen dem Vorbringen im Verfahren und den an die Presse gerichteten Äußerungen. Die Verbreitung der Verfahrensschriftsätze des Anwalts in der Presse sei von einer Art gewesen, dass die Öffentlichkeit glauben konnte, dass der Grund für die Entscheidungen des Staatsanwalts und der Richterin in möglicher Korruption liege (aus dem Urteil wird für mich nicht klar, ob der Anwalt die Schriftsätze der Zeitung zugespielt hat; erkennbar wird er aber dafür verantwortlich gemacht). Die Schwere dieses Vorwurfs überschreite - ohne solide Tatsachengrundlage - die Grenzen eines zulässigen Kommentars.
Auch wenn es zuträfe, dass die Freilassung des H.H. unter Berücksichtigung der Schwere der gegen ihn bestehenden Vorwürfe unter besonders günstigen Bedingungen erfolgt sei, müsse festgehalten werden, dass dieser Umstand allein nicht zum Beweis der vom Beschwerdeführer gezogenen Schlüsse ausreiche. Auch wenn der Großteil der Äußerungen des Beschwerdeführers im Ergebnis als Werturteile zu beurteilen seien, die durch sein legitimes Recht, von einer ihm ungerecht erscheinenden Entscheidung empört zu sein, gerechtfertigt werden könnten, so sei doch festzuhalten, dass Werturteile ohne ausreichende Tatsachengrundlage exzessiv sein können. Der Beschwerdeführer habe auch nie versucht, den Beweis für die Korruptionsvorwürfe anzutreten. Schließlich sei es auch notwendig, die Gerichte vor destruktiven Angriffen ohne seriöse Grundlage zu schützen.
Da auch die Höhe der Entschädigung (15.000 €) nicht als unverhältnismäßig zu beurteilen sei, kam der EGMR einstimmig zum Ergebnis, dass keine Verletzung des Art 10 EMRK vorlag.
Verletzung des Art 6 EGMR
Berücksichtigt man, dass die Korruptionsvorwürfe vom Beschwerdeführer 1997 und 1998 erhoben wurden, und dass die ersten Entscheidungen noch Entschädigungen in Drachmen aussprachen, so überrascht es nicht, dass der EGMR zur Feststellung einer Verletzung des Art 6 EMRK wegen überlanger Verfahrensdauer kam (ein Teil des Verfahrens - betreffend die Richterin - ist immer noch anhängig). Ein Sittenbild ist allein die Schilderung der Vertagungen im berufungsgerichtlichen Verfahren (Abs. 35-37 des Urteils; von den dort aufgezählten über 20 Vertagungen war zB eine durch einen Anwaltsstreik bedingt, zwei weitere waren die Folge von Streiks der Gerichtsbediensteten).
Hinweis auf weitere Urteile und Entscheidungen im Oktober 2012:
Ich verweise wieder einmal auf meine Übersichtsseite zu Urteilen und Entscheidungen des EGMR zu Art 10 EMRK. Dort verlinke ich in der Regel bald nach Veröffentlichung auf neue einschlägige Urteile und Entscheidungen und versuche meist auch in knappen Worten anzudeuten, worum es jeweils in der Sache ging (sofern ich nicht ohnehin einen eigenen Beitrag im Blog schreibe). Auch im Oktober gab es wieder einiges Neues aus Straßburg, zu dem ich nicht gesondert gebloggt habe:
Vier Urteile betreffen die journalistische Berufsausübung:
Und schließlich gab es auch im Oktober wieder eine Verurteilung der Türkei: mit Urteil von 2. Oktober 2012, Önal gegen Türkei (Appl. no. 41445/04 und 41453/04), stellte der EGMR eine Verletzung des Art 10 EMRK wegen der Verurteilung eines Herausgebers fest, der zwei Bücher herausgegeben hatte, die von den türkischen Gerichten pauschal als Anstiftung zu Hass und Feindseligkeiten beurteilt worden waren.
In einer interessanten Zulässigkeitsentscheidung hat sich der EGMR mit der Frage des Anwendungsbereichs des Art 10 EMRK auseinandergesetzt: mit Entscheidung vom 2. Oktober 2012, Rujak gegen Kroatien (Appl. no. 57942/10) wies der EGMR die Beschwerde eines kroatischen Soldaten serbischer Abstammung als unzulässig zurück. Dieser war wegen "Verletzung der Ehre des kroatischen Staaates" zu einer bedingten Haftstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Er hatte in einem Streit zwei andere Rekruten beleidigt und danach auf die ausdrückliche Frage eines Offiziers, ob er die Religion oder ethnische Herkunft eines anderen beleidigen habe wollen, bestätigt: “Yes! I f**k your baptised mother! I f**k your Ustaše mother! You all originated from Serbs!”. Der EGMR kam zum Ergebnis, dass der Soldat - unter Berücksichtigung der vulgären und beleidigenden Sprache - mit seinem beleidigenden Statement nicht versucht habe, Nachrichten oder Ideen mitzuteilen. Solche Äußerungen unterfallen daher nicht dem Schutz des Art 10 EMRK, da sie auf eine mutwillige Verunglimpfung mit der alleinigen Absicht zu beleidigen hinauslaufen.
Vorweg die wesentlichen Lehren aus dem Urteil:
- Dass eine gerichtliche Entscheidung aus dem gewohnten Rahmen fällt (hier: dass bei einer Entlassung aus der U-Haft eine außergewöhnlich niedrige Kaution festgesetzt wird), reicht für sich nicht aus, den Entscheidungsorganen ohne Tatsachengrundlage Korruption zu unterstellen. Das legitime Recht, über eine ungerecht erscheinende Entscheidung empört zu sein ("son droit légitime à l’indignation face à une décision qui lui semblait injuste") rechtfertigt dennoch keinen Wertungsexzess.
- Was in anwältlichen Schriftsätzen an das Gericht erlaubt ist (auch in eigener Sache, besonders aber in der Verteidigung von MandantInnen), kann exzessiv sein, wenn es in der Presse verbreitet wird.
Der Beschwerdeführer war Rechtsanwalt und vertrat einen Gläubiger in einem Verfahren über eine Zwangsversteigerung. Der Ehemann der Schuldnerin, H.H., drang mit einem Komplizen in seine Kanzlei ein und verlangte die Schlüssel zum Aktenschrank. Als der Anwalt die Herausgabe verweigerte, attackierten ihn die Eindringlinge und schossen ihm eine Kugel ins Bein. Daraufhin zwangen sie ihn, telefonisch die Versteigerung abzusagen.
Die Polizei verhaftete den - achtfach wegen "Vergehen von gewisser Schwere" (infractions d'une certaine gravité) vorbestraften - H.H. Die Untersuchungsrichterin setzte ihn aber gegen eine Kaution von 200.000 Drachmen (rund 587 Euro) auf freien Fuß (und er nutzte offenbar die Gelegenheit, um sich ins Ausland abzusetzen). Der Anwalt war über die Freilassung und die geringe Kaution entsetzt und sagte zum Staatsanwalt (und der anwesenden Richterin): "Das ist keine Gerechtigkeit. Das ist das Hinterzimmer der Gorillas von H.H"
Der Anwalt erhob Klage gegen den Staatsanwalt und die Richterin und verlangte, dass gegen beide disziplinär und strafrechtlich vorgegangen werde. In einem Schriftsatz schrieb er unter anderem - hier vereinfacht zusammengefasst - dass der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit nicht existiere, um ein Alibi abzugeben für käufliche Entscheidungen, die von einer Bande aus dem Milieu diktiert würden. In zwei Zeitungen wurde über die Klage berichtet; eine davon enthielt die Bemerkung, dass die strittige Entscheidung "durch andere Motive (gemeint: andere als rechtliche Motive) bestimmt war". In einem Leserbrief legte der Anwalt noch nach, dass die Urteile juristisch und logisch nicht erklärbar seien.
In einem von der Richterin und dem Staatsanwalt daraufhin gegen den Anwalt angestrengten Gerichtsverfahren wurde der Anwalt in erster Instanz zu einer Entschädigung von jeweils 30 Mio. Drachmen (rund 88.000 €) für die Richterin und den Staatsanwalt verurteilt. Das Berufungsgericht setzte die Entschädigung zugunsten des Staatsanwalts mit 15.000 € fest (das Rechtsmittelverfahren hinsichtlich der Entschädigung zugunsten der Richterin ist noch anhängig!). Das Berufungsgericht hielt unter anderem fest, dass der Anwalt dem Staatsanwalt durch seine Aussagen Korruption vorgeworfen habe, wobei er als seit zwanzig Jahren erfahrener Anwalt gewusst habe, dass der Vorwurf nicht zutreffe. Der Anwalt habe die Anschuldigungen in herabwürdigender Weise vorgebracht, da er zB von einer "beleidigenden, käuflichen und von krankhafter Feindseligkeit getragenen Entscheidung" geschrieben habe, die "keine richterliche Entscheidung, sondern das Produkt der menschlichen Niedertracht und Gemeinheit" sei. Das gegen das Berufungsurteil erhobene Rechtsmittel an den Kassationsgerichtshof blieb erfolglos.
Keine Verletzung des Art 10 EMRK
Der EGMR hielt zunächst fest, dass ein Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung vorlag, dass dieser durch Gesetz vorgesehen war und einem legitimen Ziel diente. Strittig war die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des Eingriffs.
Der EGMR betont, dass das Berufungsgericht berücksichtigt habe, dass der Beschwerdeführer wiederholt, teils direkt und teils indirekt - auf suggestive, aber ausreichend klare Art -, Tatsachen berichtet habe, die die Ehre und den Ruf des Staatsanwaltes gefährden konnten, indem unterstellt wurde, dass die Entscheidung aus "anderen Motiven" getroffen worden sei, was klar als Korruptionsvorwurf zu verstehen war. Dieser Vorwurf sei falsch gewesen und der Anwalt hätte dies auch gewusst.
In der Folge differenziert der EGMR den vorliegenden Beschwerdefall vom Fall Nikula gegen Finnland (dort war es um die Verurteilung einer Anwältin gegangen, die in ihrer Funktion als Verteidigerin Kritik am Staatsanwalt geübt hatte, die Kritik war im bzw vor dem Gericht und nicht in den Medien vorgebracht worden und hatte keinen beleidigenden Charakter), sowie von den Fällen Katrami (dazu hier) und Kanellopoulou, jeweils gegen Griechenland (in diesen beiden Fällen war es um Haftstrafen gegangen, die wegen der Kritik an Justizorganen verhängt worden waren).
Zu unterscheiden sei zwischen dem Vorbringen im Verfahren und den an die Presse gerichteten Äußerungen. Die Verbreitung der Verfahrensschriftsätze des Anwalts in der Presse sei von einer Art gewesen, dass die Öffentlichkeit glauben konnte, dass der Grund für die Entscheidungen des Staatsanwalts und der Richterin in möglicher Korruption liege (aus dem Urteil wird für mich nicht klar, ob der Anwalt die Schriftsätze der Zeitung zugespielt hat; erkennbar wird er aber dafür verantwortlich gemacht). Die Schwere dieses Vorwurfs überschreite - ohne solide Tatsachengrundlage - die Grenzen eines zulässigen Kommentars.
Auch wenn es zuträfe, dass die Freilassung des H.H. unter Berücksichtigung der Schwere der gegen ihn bestehenden Vorwürfe unter besonders günstigen Bedingungen erfolgt sei, müsse festgehalten werden, dass dieser Umstand allein nicht zum Beweis der vom Beschwerdeführer gezogenen Schlüsse ausreiche. Auch wenn der Großteil der Äußerungen des Beschwerdeführers im Ergebnis als Werturteile zu beurteilen seien, die durch sein legitimes Recht, von einer ihm ungerecht erscheinenden Entscheidung empört zu sein, gerechtfertigt werden könnten, so sei doch festzuhalten, dass Werturteile ohne ausreichende Tatsachengrundlage exzessiv sein können. Der Beschwerdeführer habe auch nie versucht, den Beweis für die Korruptionsvorwürfe anzutreten. Schließlich sei es auch notwendig, die Gerichte vor destruktiven Angriffen ohne seriöse Grundlage zu schützen.
Da auch die Höhe der Entschädigung (15.000 €) nicht als unverhältnismäßig zu beurteilen sei, kam der EGMR einstimmig zum Ergebnis, dass keine Verletzung des Art 10 EMRK vorlag.
Verletzung des Art 6 EGMR
Berücksichtigt man, dass die Korruptionsvorwürfe vom Beschwerdeführer 1997 und 1998 erhoben wurden, und dass die ersten Entscheidungen noch Entschädigungen in Drachmen aussprachen, so überrascht es nicht, dass der EGMR zur Feststellung einer Verletzung des Art 6 EMRK wegen überlanger Verfahrensdauer kam (ein Teil des Verfahrens - betreffend die Richterin - ist immer noch anhängig). Ein Sittenbild ist allein die Schilderung der Vertagungen im berufungsgerichtlichen Verfahren (Abs. 35-37 des Urteils; von den dort aufgezählten über 20 Vertagungen war zB eine durch einen Anwaltsstreik bedingt, zwei weitere waren die Folge von Streiks der Gerichtsbediensteten).
Hinweis auf weitere Urteile und Entscheidungen im Oktober 2012:
Ich verweise wieder einmal auf meine Übersichtsseite zu Urteilen und Entscheidungen des EGMR zu Art 10 EMRK. Dort verlinke ich in der Regel bald nach Veröffentlichung auf neue einschlägige Urteile und Entscheidungen und versuche meist auch in knappen Worten anzudeuten, worum es jeweils in der Sache ging (sofern ich nicht ohnehin einen eigenen Beitrag im Blog schreibe). Auch im Oktober gab es wieder einiges Neues aus Straßburg, zu dem ich nicht gesondert gebloggt habe:
Vier Urteile betreffen die journalistische Berufsausübung:
- Im Urteil vom 2. Oktober 2012, Yordanova und Toshev gegen Bulgarien (Appl. no. 5126/05) ging es um die Verurteilung zweier Journalistinnen wegen Berichten über einen früheren Polizeiangehörigen, der - auch in einer behördlichen Presseaussendung - des Amtsmissbrauchs und der Korruption verdächtigt und dafür sechsmal vor Gericht gebracht wurde. Die Verfahren gegen den Ex-Polizisten wurden aus prozessualen Gründen schließlich - ohne Verurteilung - eingestellt. der EGMR kam zum Ergebnis, dass der Verdächtigte gegen die Pressmitteilungen der Behörden hätte vorgehen können, dass aber die Verurteilung der über den (behördlich mitgeteilten) Verdacht berichtenden Journalistinnen in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig war.
- Im Urteil vom 2. Oktober 2012, Najafli gegen Aserbaidschan (Appl. no. 2594/07), wurde eine Verletzung des Art 10 EMRK festgestellt, weil ein Journalist von der Polizei, die eine Demonstration auflöste, schwer geschlagen und damit an der Ausübung seines Berufs gehindert wurde (er war nicht Demo-Teilnehmer, sondern wollte von der Demonstration berichten und gab sich auch als Journalist zu erkennen).
- Die Urteile vom 16. Oktober 2012, Smolorz gegen Polen (Appl. no. 17446/07; siehe auch die Pressemitteilung des EGMR) und vom 23. Oktober 2012, Jucha und Żak gegen Polen (Appl. no. 19127/06) betreffen jeweils Verurteilungen polnischer Journalisten (einerseits wegen kritischer Äußerungen über den Kattowitzer Stadtplaner und Architekten Jurand Jarecki, andererseits wegen kritischer Berichte über einen Stadtrat, u.a. mit dem Vorwurf mehrfachen Rechtsbruchs); in beiden Fällen wurden einstimmig Verletzungen des Art 10 EMRK festgestellt.
Und schließlich gab es auch im Oktober wieder eine Verurteilung der Türkei: mit Urteil von 2. Oktober 2012, Önal gegen Türkei (Appl. no. 41445/04 und 41453/04), stellte der EGMR eine Verletzung des Art 10 EMRK wegen der Verurteilung eines Herausgebers fest, der zwei Bücher herausgegeben hatte, die von den türkischen Gerichten pauschal als Anstiftung zu Hass und Feindseligkeiten beurteilt worden waren.
In einer interessanten Zulässigkeitsentscheidung hat sich der EGMR mit der Frage des Anwendungsbereichs des Art 10 EMRK auseinandergesetzt: mit Entscheidung vom 2. Oktober 2012, Rujak gegen Kroatien (Appl. no. 57942/10) wies der EGMR die Beschwerde eines kroatischen Soldaten serbischer Abstammung als unzulässig zurück. Dieser war wegen "Verletzung der Ehre des kroatischen Staaates" zu einer bedingten Haftstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Er hatte in einem Streit zwei andere Rekruten beleidigt und danach auf die ausdrückliche Frage eines Offiziers, ob er die Religion oder ethnische Herkunft eines anderen beleidigen habe wollen, bestätigt: “Yes! I f**k your baptised mother! I f**k your Ustaše mother! You all originated from Serbs!”. Der EGMR kam zum Ergebnis, dass der Soldat - unter Berücksichtigung der vulgären und beleidigenden Sprache - mit seinem beleidigenden Statement nicht versucht habe, Nachrichten oder Ideen mitzuteilen. Solche Äußerungen unterfallen daher nicht dem Schutz des Art 10 EMRK, da sie auf eine mutwillige Verunglimpfung mit der alleinigen Absicht zu beleidigen hinauslaufen.
Sunday, October 28, 2012
Was bedeutet das EuGH-Urteil zur Datenschutzkommission für die "unabhängigen Regulierungsbehörden"?
Mit Urteil vom 16.10.2012, C-614/10, Kommission/Österreich, hat der EuGH (Große Kammer) ausgesprochen, dass die österreichische Datenschutzkommission (DSK) dem Kriterium der Unabhängigkeit, wie es in Art 28 Abs 1 Unterabs 2 der Datenschutz-RL 95/46/EG für die mitgliedstaatlichen Datenschutz-Kontrollstellen festgelegt ist, nicht entspricht. Die Entscheidung war nicht überraschend: nach dem - ebenfalls in der Großen Kammer entschiedenen - Urteil des EuGH vom 09.03.2010 in der Rechtssache C-518/07, Kommission/Deutschland, zu den Datenschutz-Kontrollstellen der deutschen Länder;und nach den Schlussanträgen von Generalanwalt Mazák war nichts anderes zu erwarten gewesen.
Spannend könnte aber sein, ob die Auslegung des Begriffs der "Unabhängigkeit" in Art 28 Abs 1 der RL 95/46/EG durch den EuGH auch Hinweise für die Auslegung anderer Richtlinien geben kann, nach denen die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, unabhängige Einrichtungen zu schaffen. Für den Themenbereich dieses Blogs denke ich dabei natürlich an die sogenannten "unabhängigen Regulierungsbehörden" in den Bereichen Telekommunikation und Rundfunk. Dazu muss ich aber zunächst kurz auf das Urteil zur Datenschutzkommission und die zugrunde liegenden Rechtsgrundlagen eingehen:
Kontrollstelle "in völliger Unabhängigkeit" - zum EuGH-Urteil zur Datenschutzkommission
Art 28 Abs 1 der Datenschutz-RL lautet:
Dieses - nach dem nationalen Verfassungsrecht (Art 20 Abs 2 letzter Satz B-VG) gebotene - unbedingte Informationsrecht des Ministers steht jedenfalls in einem Spannungsfeld zum Richtliniengebot, dass die Regulierungsbehörde "unabhängig von allen politischen Stellen selbständige Entscheidungen treffen kann". Anders als nach Art 4 Abs 3a RahmenRL fehlt nämlich in der ElektrizitätsbinnenmarktRL jede Bezugnahme auf eine "Aufsicht im Einklang mit dem nationalen Verfassungsrecht". Geht man aber mit dem EuGH (siehe RN 63 des DSK-Urteils) davon aus, dass ein solches Unterrichtungsrecht dazu angetan ist, die E-Control einem mittelbaren Einfluss seitens des Bundesministers auszusetzen, weil es zum einen sehr weit gefasst zum anderen unbedingt ist, dann könnte dadurch vielleicht auch die Unabhängigkeit "von allen politischen Stellen" im Sinne des Art 35 Abs 5 lit a ElektrizitätsbinnenmarktRL (Art 39 Abs 5 lit a ErdgasbinnenmarktRL) in Frage gestellt werden.
Strengere Anforderung an die Unabhängigkeit als bei Gerichten?
Wie schon oben erwähnt, legt der EuGH den Begriff der "völligen Unabhängigkeit" nach Art 28 der DatenschutzRL "autonom, und damit unabhängig von Art 267 AEUV" aus. Auf den ersten Blick scheint es, als würden die Anforderungen an die Unabhängigkeit der Datenschutz-Kontrollstellen tatsächlich über jene hinauszugehen, die der EuGH an Gerichte im Sinne des Art 267 AEUV stellt.
Denn wie Österreich im Vertragsverletzungsverfahren vorgebracht hatte, ist die Datenschutzkommission eine "Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag", und der EuGH hat solche Kollegialbehörden (ebenso wie die unabhängigen Verwaltungssenate) schon mehrfach als Gerichte iSd Art 267 AEUV (bzw der Vorgängerbestimmung Art 234 EG) anerkannt. So hat er etwa hinsichtlich des Umweltsenates im Urteil vom 10.12.2009, C-205/08 Umweltanwalt von Kärnten, in RNr 36 ausgeführt: "Dazu ist zum einen festzuhalten, dass Art. 11 Abs. 7, Art. 20 Abs. 2 und Art. 133 Z 4 B‑VG sowie die §§ 1, 2, 4 und 5 USG 2000 zweifelsfrei erkennen lassen, dass der Umweltsenat die Kriterien [...] der Unabhängigkeit einer solchen Einrichtung erfüllt." Besonders instruktiv dazu sind die Schlussanträge, in denen Generalanwalt Colomer die Frage der Gerichtsqualität des Umweltsenats iSd Art 234 EG ausführlich (RNr 21-61) erörtert und letzten Endes ebenfalls bejaht hat.
Auch beim Bundeskommunikationssenat hatte der EuGH keine Zweifel an der Unabhängigkeit; siehe RNr 21 des Urteils vom 18.10.2007, C-195/06, KommAustria: Zum anderen gewährleistet § 12 KOG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes die Unabhängigkeit des Bundeskommunikationssenats." (Generalanwalt Colomer hatte in seinen Schlussanträgen übrigens noch die Gerichtsqualität verneint). Und schließlich wurde auch der Oberste Patent- und Markensenat, ebenfalls eine nach Art 133 Z 4 B-VG weisungsfreie Kollegialbehörde, vom EuGH als vorlageberechtigtes Gericht iSd Art 234 EG beurteilt (Urteil vom 14.06.2007, C-246/05, Häupl, RNr 18), ebenso der Wiener Vergabekontrollsenat (Urteil vom 10.04.2008, C-393/06, Ing. Aigner).
Dass ein Vorabentscheidungsersuchen der Telekom-Control-Kommission vom EuGH hingegen zurückgewiesen wurde (C-256/05 Telekom Austria AG; siehe dazu hier), lag nicht an der fehlenden Unabhängigkeit, sondern daran, dass die Telekom-Control-Kommission im konkreten Fall als Verwaltungsorgan beurteilt wurde und damit die weitere Voraussetzung für die Gerichtseigenschaft nach Art 267 AEUV fehlte, wonach ein Rechtsstreit anhängig sein muss, "der auf eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter abzielt". Ob die Schienen-Control-Kommission als vorlageberechtigtes Gericht anzusehen ist, wird der EuGH in der Rechtssache C-136/11 Westbahn Management GmbH zu beurteilen haben; in den Schlussanträgen (RN 26-30) ließ Generalanwalt Jääskinen aber keinen Zweifel daran, dass er die Gerichtsqualität als gegeben ansieht.
Zusammenfassend kann man also festhalten, dass der EuGH österreichische Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag (wie auch die unabhängigen Verwaltungssenate, vgl etwa EuGH 04.03.1999, C-258/97, Hospital Ingenieure), sofern sie Entscheidungen mit Rechtsprechungscharakter zu treffen haben, bislang als Gerichte im Sinne des Art 267 AEUV angesehen hat.
Diese Kollegialbehörden sind zudem in aller Regel auch als unabhängige und unparteiische, auf Gesetz beruhende Gerichte ("Tribunale") anzusehen, wie sie Art 6 EMRK für die Entscheidung "über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit [einer] strafrechtlichen Anklage" verlangt (siehe dazu vor allem das grundlegende Urteil des EGMR vom 16.07.1971 im Fall Ringeisen, Appl. no. 2614/65, zu einer Grundverkehrskommission; RN 95ff; zu einem Ausnahmefall betreffend einen unabhängigen Verwaltungssenat siehe VfGH 02.10.1997, B 2434/95). Da sich Art 47 Abs 2 der Grundrechtecharta an Art 6 EMRK orientiert, würde ich auch für den Anwendungsbereich des Unionsrechts nicht daran zweifeln, dass solche Kollegialbehörden grundsätzlich als Gerichte im Sinne des Art 47 Abs 2 GRC anzusehen sind.
Schadet das "Unterrichtungsrecht" der obersten Organe der Gerichtsqualität von "Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag"?
Allerdings hatte der EuGH bislang noch nicht über die Gerichtseigenschaft (iSd Art 267 AEUV bzw Art 6 EMRK/Art 47 Abs 2 GRC) einer Kollegialbehörde zu entscheiden, bei der das "Unterrichtungsrecht" der obersten Organe gemäß Art 20 Abs 2 letzter Satz B-VG bereits bestand.*) Dieses Unterrichtungsrecht wurde erst mit der B-VG-Novelle BGBl I 2008/2 eingeführt und war gemäß Art 151 Abs 38 B-VG bis 31.12.2009 umzusetzen.
Es ist also keineswegs ausgemacht, dass das Unterrichtungsrecht nach Art 20 Abs 2 B-VG (in Verbindung mit dem jeweiligen Materiengesetz) einer Kollegialbehörde nicht vielleicht doch die Gerichtsqualität nehmen könnte. Wegen der Besonderheiten der Datenschutz-Kontrollstellen (insbesondere ihrer gegen den Staat gerichteten Kontrollaufgaben) und auch im Hinblick auf die vom EuGH ausdrücklich betonte autonome Auslegung des Art 28 Datenschutz-RL würde ich zwar aus dem DSK-Urteil des EuGH keine weitreichenden Schlüsse ziehen - aber dass das unbedingte und umfassende "Unterrichtungsrecht" als solches in einem Spannungsverhältnis zu einer richterlich verstandenen Unabhängigkeit steht, ist nicht zu leugnen.
Ob EuGH und/oder EGMR mit einer solchen Frage noch einmal befasst werden, ist allerdings offen: denn die mit Rechtsprechungsaufgaben befassten Kollegialbehörden sollen ja mit der Einführung der durchgängig zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit ab 1.1.2014 Geschichte sein (siehe die Liste der aufgelösten unabhängigen Behörden in der Anlage zur B-VG-Novelle BGBl I 2012/51 [Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012]).
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Spannend könnte aber sein, ob die Auslegung des Begriffs der "Unabhängigkeit" in Art 28 Abs 1 der RL 95/46/EG durch den EuGH auch Hinweise für die Auslegung anderer Richtlinien geben kann, nach denen die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, unabhängige Einrichtungen zu schaffen. Für den Themenbereich dieses Blogs denke ich dabei natürlich an die sogenannten "unabhängigen Regulierungsbehörden" in den Bereichen Telekommunikation und Rundfunk. Dazu muss ich aber zunächst kurz auf das Urteil zur Datenschutzkommission und die zugrunde liegenden Rechtsgrundlagen eingehen:
Kontrollstelle "in völliger Unabhängigkeit" - zum EuGH-Urteil zur Datenschutzkommission
Art 28 Abs 1 der Datenschutz-RL lautet:
(1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, daß eine oder mehrere öffentliche Stellen beauftragt werden, die Anwendung der von den Mitgliedstaaten zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen einzelstaatlichen Vorschriften in ihrem Hoheitsgebiet zu überwachen.Der EuGH sieht dieses Kriterium der "völligen Unabhängigkeit" bei der Datenschutzkommission aus drei Gründen als nicht erfüllt an, und zwar weil:
Diese Stellen nehmen die ihnen zugewiesenen Aufgaben in völliger Unabhängigkeit wahr.
- das geschäftsführende Mitglied der Datenschutzkommission ein der Dienstaufsicht unterliegender Bundesbediensteter ist,
- die Geschäftsstelle der Datenschutzkommission in das Bundeskanzleramt eingegliedert ist und
- der Bundeskanzler über ein unbedingtes Recht verfügt, sich über alle Gegenstände der Geschäftsführung der Datenschutzkommission zu unterrichten.
In der Begründung des Urteils verwirft der EuGH alle Einwendungen Österreichs, darunter auch den Hinweis darauf, dass die DSK eine "Kollegialbehöde mit richterlichem Einschlag" (nach der noch bis 31.12.2013 geltenden Fassung des Art 133 Z 4 B-VG) und damit ein unabhängiges Gericht im Sinne von Art 267 AEUV und Art 6 EMRK sei.
Der EuGH hält dazu fest, dass der Ausdruck "in völliger Unabhängigkeit" in Art 28 der RL 95/46/EG "autonom, und damit unabhängig von Art 267 AEUV," auszulegen ist (RN 40). Er bezieht sich dabei zwar auf das Urteil zu den deutschen Datenschutz-Kontrollstellen, wonach die Bestimmung ausgehend vom Wortlaut der RL sowie von deren Zielen und Systematik auszulegen ist; der ausdrückliche Hinweis auf die autonome, von Art 267 AEUV losgelöste Auslegung findet sich in jenem Urteil aber noch nicht.
Unabhängige Regulierungsbehörden?
Auch für manche Regulierungsbehörden gibt es unionsrechtliche Vorgaben, in denen ihre Unabhängigkeit verlangt wird (eine Übersicht über einschlägige Richtlinienvorgaben zu Regulierungsbehörden im Bereich elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste, Elektrizität, Erdgas, Eisenbahn, Postdienste, audiovisuelle Mediendienste und Flughäfen ist - in englischer Sprache, zum Stand März 2011 - hier zu finden). Oft wird aber nur eine relative Unabhängigkeit verlangt: nämlich unabhängig von den regulierten Unternehmen zu sein (so im Wesentlichen bei den Regulierungsbehörden für Schienenverkehr, Postdienste und Flughafenentgelte); für audiovisuelle Mediendienste besteht unionsrechtlich kein (jedenfalls kein ausdrückliches) Gebot, unabhängige Regulierungsbehörden einzurichten. Für diese Regulierungsbehörden lässt sich daher aus dem DSK-Urteil des EuGH jedenfalls nichts gewinnen.
Weitergehende Anforderungen an die Unabhängigkeit bestehen aber für Regulierungsbehörden in den Bereichen Elektrizität und Erdgas sowie elektronische Kommunikationsnetze und -dienste; für letztere bestimmt Art 4 der RahmenRL:
Der EuGH hält dazu fest, dass der Ausdruck "in völliger Unabhängigkeit" in Art 28 der RL 95/46/EG "autonom, und damit unabhängig von Art 267 AEUV," auszulegen ist (RN 40). Er bezieht sich dabei zwar auf das Urteil zu den deutschen Datenschutz-Kontrollstellen, wonach die Bestimmung ausgehend vom Wortlaut der RL sowie von deren Zielen und Systematik auszulegen ist; der ausdrückliche Hinweis auf die autonome, von Art 267 AEUV losgelöste Auslegung findet sich in jenem Urteil aber noch nicht.
Unabhängige Regulierungsbehörden?
Auch für manche Regulierungsbehörden gibt es unionsrechtliche Vorgaben, in denen ihre Unabhängigkeit verlangt wird (eine Übersicht über einschlägige Richtlinienvorgaben zu Regulierungsbehörden im Bereich elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste, Elektrizität, Erdgas, Eisenbahn, Postdienste, audiovisuelle Mediendienste und Flughäfen ist - in englischer Sprache, zum Stand März 2011 - hier zu finden). Oft wird aber nur eine relative Unabhängigkeit verlangt: nämlich unabhängig von den regulierten Unternehmen zu sein (so im Wesentlichen bei den Regulierungsbehörden für Schienenverkehr, Postdienste und Flughafenentgelte); für audiovisuelle Mediendienste besteht unionsrechtlich kein (jedenfalls kein ausdrückliches) Gebot, unabhängige Regulierungsbehörden einzurichten. Für diese Regulierungsbehörden lässt sich daher aus dem DSK-Urteil des EuGH jedenfalls nichts gewinnen.
Weitergehende Anforderungen an die Unabhängigkeit bestehen aber für Regulierungsbehörden in den Bereichen Elektrizität und Erdgas sowie elektronische Kommunikationsnetze und -dienste; für letztere bestimmt Art 4 der RahmenRL:
(2) Die Mitgliedstaaten gewährleisten die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden, indem sie dafür sorgen, dass sie rechtlich und funktional von allen Unternehmen unabhängig sind, die elektronische Kommunikationsnetze, -geräte oder -dienste anbieten. Wenn Mitgliedstaaten weiterhin an Unternehmen beteiligt sind, die elektronische Kommunikationsnetze und/oder -dienste bereitstellen, oder diese kontrollieren, müssen sie eine wirksame strukturelle Trennung der hoheitlichen Funktion von Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Eigentum oder der Kontrolle sicherstellen.
[...]
(3a) Unbeschadet der Absätze 4 und 5 handeln die für die Vorabregulierung des Markts oder für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Unternehmen nach den Artikeln 20 oder 21 zuständigen nationalen Regulierungsbehörden unabhängig und holen im Zusammenhang mit der laufenden Erfüllung der ihnen nach den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung des Gemeinschaftsrechts übertragenen Aufgaben weder Weisungen einer anderen Stelle ein noch nehmen sie solche entgegen. Dies steht einer Aufsicht im Einklang mit dem nationalen Verfassungsrecht nicht entgegen. [...]
Während also Art 4 Abs 2 der RahmenRL noch das "klassische" Gebot enthält, von den regulierten Unternehmen unabhängig zu sein, geht Art 4 Abs 3a hinsichtlich bestimmter Aufgaben der Regulierungsbehörde (Marktanalyse, Streitentscheidung) darüber hinaus: hier wird auch (absolut) unabhängiges Handeln sowie Weisungsfreiheit verlangt. Eine verfassungsrechtlich vorgesehene Aufsicht (ohne Weisungszusammenhang) wird aber ausdrücklich akzeptiert.
In Österreich ist nun nach Art 20 Abs 2 (letzter Satz) B-VG für weisungsfreie Organe (wie zB die Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag oder sonstige weisungsfreie Regulierungsbehörden) "durch Gesetz ein der Aufgabe des weisungsfreien Organs angemessenes Aufsichtsrecht der obersten Organe vorzusehen, zumindest das Recht, sich über alle Gegenstände der Geschäftsführung der weisungsfreien Organe zu unterrichten" (vgl zur Telekom-Control-Kommission § 18 Abs 6 KOG). Dieses Unterrichtungsrecht der Bundesministerin ist aber aufgrund der oben zitierten Bestimmung in Art 4 Abs 3a RahmenRL wohl unproblematisch, da es sich dabei um eine "Aufsicht im Einklang mit dem nationalen Verfassungsrecht" handelt.
Zudem ist im Vergleich zwischen Telekom-Control-Kommission und Datenschutzkommission zu bedenken, dass die DSK unter anderem auch für die Kontrolle des Bundeskanzlers (im Hinblick auf Datenschutzvorschriften) zuständig ist. Aus diesem Grund waren auch die beiden anderen vom EuGH herangezogenen Kriterien dort besonders problematisch: das geschäftsführende Mitglied unterliegt der Dienstaufsicht des Bundeskanzlers und die Geschäftsstelle ist organisatorisch dem Bundeskanzleramt eingegliedert. Die Telekom-Control-Kommission hingegen wird zwar auch von einer Geschäftsstelle (der RTR-GmbH) unterstützt, die der Weisung eines obersten Organs (der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie) unterliegt (jedoch nur soweit sie nicht für die Telekom-Control-Kommission tätig ist). Die Telekom-Control-Kommission hat aber insbesondere keine Kontrollaufgaben gegenüber der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie, und es gehören ihr keine der Ministerin weisungsgebundene Mitglieder an, sodass meines Erachtens die in Art 4 Abs 3a RahmenRL geforderte Unabhängigkeit nicht in Zweifel steht.
Interessant könnte es hinsichtlich der Energie-Regulierungsbehörde sein. Art 35 der ElektrizitätsbinnenmarktRL 2009/72/EG (wie auch Art 39 der ErdgasbinnenmarktRL 2009/73/EG) verlangt unter anderem Folgendes:
In Österreich ist nun nach Art 20 Abs 2 (letzter Satz) B-VG für weisungsfreie Organe (wie zB die Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag oder sonstige weisungsfreie Regulierungsbehörden) "durch Gesetz ein der Aufgabe des weisungsfreien Organs angemessenes Aufsichtsrecht der obersten Organe vorzusehen, zumindest das Recht, sich über alle Gegenstände der Geschäftsführung der weisungsfreien Organe zu unterrichten" (vgl zur Telekom-Control-Kommission § 18 Abs 6 KOG). Dieses Unterrichtungsrecht der Bundesministerin ist aber aufgrund der oben zitierten Bestimmung in Art 4 Abs 3a RahmenRL wohl unproblematisch, da es sich dabei um eine "Aufsicht im Einklang mit dem nationalen Verfassungsrecht" handelt.
Zudem ist im Vergleich zwischen Telekom-Control-Kommission und Datenschutzkommission zu bedenken, dass die DSK unter anderem auch für die Kontrolle des Bundeskanzlers (im Hinblick auf Datenschutzvorschriften) zuständig ist. Aus diesem Grund waren auch die beiden anderen vom EuGH herangezogenen Kriterien dort besonders problematisch: das geschäftsführende Mitglied unterliegt der Dienstaufsicht des Bundeskanzlers und die Geschäftsstelle ist organisatorisch dem Bundeskanzleramt eingegliedert. Die Telekom-Control-Kommission hingegen wird zwar auch von einer Geschäftsstelle (der RTR-GmbH) unterstützt, die der Weisung eines obersten Organs (der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie) unterliegt (jedoch nur soweit sie nicht für die Telekom-Control-Kommission tätig ist). Die Telekom-Control-Kommission hat aber insbesondere keine Kontrollaufgaben gegenüber der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie, und es gehören ihr keine der Ministerin weisungsgebundene Mitglieder an, sodass meines Erachtens die in Art 4 Abs 3a RahmenRL geforderte Unabhängigkeit nicht in Zweifel steht.
Interessant könnte es hinsichtlich der Energie-Regulierungsbehörde sein. Art 35 der ElektrizitätsbinnenmarktRL 2009/72/EG (wie auch Art 39 der ErdgasbinnenmarktRL 2009/73/EG) verlangt unter anderem Folgendes:
(4) Die Mitgliedstaaten gewährleisten die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde und gewährleisten, dass diese ihre Befugnisse unparteiisch und transparent ausübt. Hierzu stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Regulierungsbehörde bei der Wahrnehmung der ihr durch diese Richtlinie und zugehörige Rechtsvorschriften übertragenen RegulierungsaufgabenDie Unabhängigkeit der österreichischen Energie-Regulierungsbehörde E-Control soll insbesondere durch § 5 Energie-Control-Gesetz sichergestellt werden. Auch dort ist vorgesehen, dass das oberste Organ, der Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend, das Recht hat, "sich jederzeit über alle Gegenstände der Geschäftsführung und Aufgabenerfüllung zu unterrichten. Alle Organe der E-Control haben dem Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend unverzüglich und auf Verlangen schriftlich alle diesbezüglichen Anfragen zu beantworten."
a) rechtlich getrennt und funktional unabhängig von anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen ist,
b) und sicherstellt, dass ihr Personal und ihr Management
i) unabhängig von Marktinteressen handelt und
ii) bei der Wahrnehmung der Regulierungsaufgaben keine direkten Weisungen von Regierungsstellen oder anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen einholt oder entgegennimmt. Eine etwaige enge Zusammenarbeit mit anderen zuständigen nationalen Behörden oder allgemeine politische Leitlinien der Regierung, die nicht mit den Regulierungsaufgaben und -befugnissen gemäß Artikel 37 im Zusammenhang stehen, bleiben hiervon unberührt.
(5) Zur Wahrung der Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde stellen die Mitgliedstaaten insbesondere sicher,
a) dass die Regulierungsbehörde unabhängig von allen politischen Stellen selbständige Entscheidungen treffen kann und ihr jedes Jahr separate Haushaltsmittel zugewiesen werden, sodass sie den zugewiesenen Haushalt eigenverantwortlich ausführen kann und über eine für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben angemessene personelle und finanzielle Ressourcenausstattung verfügt; und [...]
Dieses - nach dem nationalen Verfassungsrecht (Art 20 Abs 2 letzter Satz B-VG) gebotene - unbedingte Informationsrecht des Ministers steht jedenfalls in einem Spannungsfeld zum Richtliniengebot, dass die Regulierungsbehörde "unabhängig von allen politischen Stellen selbständige Entscheidungen treffen kann". Anders als nach Art 4 Abs 3a RahmenRL fehlt nämlich in der ElektrizitätsbinnenmarktRL jede Bezugnahme auf eine "Aufsicht im Einklang mit dem nationalen Verfassungsrecht". Geht man aber mit dem EuGH (siehe RN 63 des DSK-Urteils) davon aus, dass ein solches Unterrichtungsrecht dazu angetan ist, die E-Control einem mittelbaren Einfluss seitens des Bundesministers auszusetzen, weil es zum einen sehr weit gefasst zum anderen unbedingt ist, dann könnte dadurch vielleicht auch die Unabhängigkeit "von allen politischen Stellen" im Sinne des Art 35 Abs 5 lit a ElektrizitätsbinnenmarktRL (Art 39 Abs 5 lit a ErdgasbinnenmarktRL) in Frage gestellt werden.
Strengere Anforderung an die Unabhängigkeit als bei Gerichten?
Wie schon oben erwähnt, legt der EuGH den Begriff der "völligen Unabhängigkeit" nach Art 28 der DatenschutzRL "autonom, und damit unabhängig von Art 267 AEUV" aus. Auf den ersten Blick scheint es, als würden die Anforderungen an die Unabhängigkeit der Datenschutz-Kontrollstellen tatsächlich über jene hinauszugehen, die der EuGH an Gerichte im Sinne des Art 267 AEUV stellt.
Denn wie Österreich im Vertragsverletzungsverfahren vorgebracht hatte, ist die Datenschutzkommission eine "Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag", und der EuGH hat solche Kollegialbehörden (ebenso wie die unabhängigen Verwaltungssenate) schon mehrfach als Gerichte iSd Art 267 AEUV (bzw der Vorgängerbestimmung Art 234 EG) anerkannt. So hat er etwa hinsichtlich des Umweltsenates im Urteil vom 10.12.2009, C-205/08 Umweltanwalt von Kärnten, in RNr 36 ausgeführt: "Dazu ist zum einen festzuhalten, dass Art. 11 Abs. 7, Art. 20 Abs. 2 und Art. 133 Z 4 B‑VG sowie die §§ 1, 2, 4 und 5 USG 2000 zweifelsfrei erkennen lassen, dass der Umweltsenat die Kriterien [...] der Unabhängigkeit einer solchen Einrichtung erfüllt." Besonders instruktiv dazu sind die Schlussanträge, in denen Generalanwalt Colomer die Frage der Gerichtsqualität des Umweltsenats iSd Art 234 EG ausführlich (RNr 21-61) erörtert und letzten Endes ebenfalls bejaht hat.
Auch beim Bundeskommunikationssenat hatte der EuGH keine Zweifel an der Unabhängigkeit; siehe RNr 21 des Urteils vom 18.10.2007, C-195/06, KommAustria: Zum anderen gewährleistet § 12 KOG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes die Unabhängigkeit des Bundeskommunikationssenats." (Generalanwalt Colomer hatte in seinen Schlussanträgen übrigens noch die Gerichtsqualität verneint). Und schließlich wurde auch der Oberste Patent- und Markensenat, ebenfalls eine nach Art 133 Z 4 B-VG weisungsfreie Kollegialbehörde, vom EuGH als vorlageberechtigtes Gericht iSd Art 234 EG beurteilt (Urteil vom 14.06.2007, C-246/05, Häupl, RNr 18), ebenso der Wiener Vergabekontrollsenat (Urteil vom 10.04.2008, C-393/06, Ing. Aigner).
Dass ein Vorabentscheidungsersuchen der Telekom-Control-Kommission vom EuGH hingegen zurückgewiesen wurde (C-256/05 Telekom Austria AG; siehe dazu hier), lag nicht an der fehlenden Unabhängigkeit, sondern daran, dass die Telekom-Control-Kommission im konkreten Fall als Verwaltungsorgan beurteilt wurde und damit die weitere Voraussetzung für die Gerichtseigenschaft nach Art 267 AEUV fehlte, wonach ein Rechtsstreit anhängig sein muss, "der auf eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter abzielt". Ob die Schienen-Control-Kommission als vorlageberechtigtes Gericht anzusehen ist, wird der EuGH in der Rechtssache C-136/11 Westbahn Management GmbH zu beurteilen haben; in den Schlussanträgen (RN 26-30) ließ Generalanwalt Jääskinen aber keinen Zweifel daran, dass er die Gerichtsqualität als gegeben ansieht.
Zusammenfassend kann man also festhalten, dass der EuGH österreichische Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag (wie auch die unabhängigen Verwaltungssenate, vgl etwa EuGH 04.03.1999, C-258/97, Hospital Ingenieure), sofern sie Entscheidungen mit Rechtsprechungscharakter zu treffen haben, bislang als Gerichte im Sinne des Art 267 AEUV angesehen hat.
Diese Kollegialbehörden sind zudem in aller Regel auch als unabhängige und unparteiische, auf Gesetz beruhende Gerichte ("Tribunale") anzusehen, wie sie Art 6 EMRK für die Entscheidung "über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit [einer] strafrechtlichen Anklage" verlangt (siehe dazu vor allem das grundlegende Urteil des EGMR vom 16.07.1971 im Fall Ringeisen, Appl. no. 2614/65, zu einer Grundverkehrskommission; RN 95ff; zu einem Ausnahmefall betreffend einen unabhängigen Verwaltungssenat siehe VfGH 02.10.1997, B 2434/95). Da sich Art 47 Abs 2 der Grundrechtecharta an Art 6 EMRK orientiert, würde ich auch für den Anwendungsbereich des Unionsrechts nicht daran zweifeln, dass solche Kollegialbehörden grundsätzlich als Gerichte im Sinne des Art 47 Abs 2 GRC anzusehen sind.
Schadet das "Unterrichtungsrecht" der obersten Organe der Gerichtsqualität von "Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag"?
Allerdings hatte der EuGH bislang noch nicht über die Gerichtseigenschaft (iSd Art 267 AEUV bzw Art 6 EMRK/Art 47 Abs 2 GRC) einer Kollegialbehörde zu entscheiden, bei der das "Unterrichtungsrecht" der obersten Organe gemäß Art 20 Abs 2 letzter Satz B-VG bereits bestand.*) Dieses Unterrichtungsrecht wurde erst mit der B-VG-Novelle BGBl I 2008/2 eingeführt und war gemäß Art 151 Abs 38 B-VG bis 31.12.2009 umzusetzen.
Es ist also keineswegs ausgemacht, dass das Unterrichtungsrecht nach Art 20 Abs 2 B-VG (in Verbindung mit dem jeweiligen Materiengesetz) einer Kollegialbehörde nicht vielleicht doch die Gerichtsqualität nehmen könnte. Wegen der Besonderheiten der Datenschutz-Kontrollstellen (insbesondere ihrer gegen den Staat gerichteten Kontrollaufgaben) und auch im Hinblick auf die vom EuGH ausdrücklich betonte autonome Auslegung des Art 28 Datenschutz-RL würde ich zwar aus dem DSK-Urteil des EuGH keine weitreichenden Schlüsse ziehen - aber dass das unbedingte und umfassende "Unterrichtungsrecht" als solches in einem Spannungsverhältnis zu einer richterlich verstandenen Unabhängigkeit steht, ist nicht zu leugnen.
Ob EuGH und/oder EGMR mit einer solchen Frage noch einmal befasst werden, ist allerdings offen: denn die mit Rechtsprechungsaufgaben befassten Kollegialbehörden sollen ja mit der Einführung der durchgängig zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit ab 1.1.2014 Geschichte sein (siehe die Liste der aufgelösten unabhängigen Behörden in der Anlage zur B-VG-Novelle BGBl I 2012/51 [Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012]).
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*) Hinsichtlich der Schienen-Control-Kommission ist übrigens das nach Art 20 Abs 2 letzter Satz B-VG erforderliche Unterrichtungsrecht der Bundesministerin bislang nicht umgesetzt worden (§ 83 EisbG); aus dem Urteil über das Vorabentscheidungsersuchen der Schienen-Control-Kommission in der Rechtssache C-136/11 Westbahn Management GmbH wird man daher für diese Frage nichts gewinnen können (Update 2.12.2012: siehe dazu in diesem Post, im Update unten) .
Thursday, October 25, 2012
EuGH-Generalanwalt: Versteigerung ist klassische Methode schlechthin zur Feststellung des Werts von Frequenzen
Die Neuordnung der Frequenzlandschaft im Mobilfunk ist europaweit in vollem Gang: viele Konzessionen bzw Frequenznutzungsrechte, die in den 1990er-Jahren erteilt wurden, laufen aus, neue Technologien wie LTE stehen am Start, und schließlich ermöglichen "digitale Dividende" und Refaming anderer Frequenzbereiche die Vergabe neuer Frequenznutzungsrechte mit wesentlicher kommerzieller Bedeutung. Vor diesem Hintergrund bleiben natürlich auch Rechtsstreitigkeiten um die von den Mitgliedstaaten der EU für die Verlängerung bestehender oder die Vergabe neuer Nutzungsrechte verlangten Entgelte nicht aus.
Die Hoffnung mancher Mobilfunkunternehmen, der EuGH könnte den Appetit der Finanzminster auf möglichst hohe Einnahmen aus der Frequenzvergabe durch eine enge Auslegung der einschlägigen Bestimmungen der Genehmigungsrichtlinie 2002/20/EG (konsolidierte Fassung idF der RL 2009/140/EG) etwas zügeln, haben sich schon in der Rechtssache C-85/10 Telefónica Móviles España (dazu hier) nicht erfüllt. Und sollte der EuGH den heute veröffentlichten Schlussanträgen von Generalanwalt Jääskinen in der Rechtssache C-375/11, Belgacom SA ua, folgen, so könnte dies manche Mitgliedstaaten vielleicht noch auf Ideen bringen, wie die Gebühren- oder Entgeltschraube für die Vergabe knapper Frequenzen noch etwas angezogen werden könnte.
Ausgangsfall
Das dem EuGH vorliegende Vorabenscheidungsersuchen stammt vom belgischen Verfassungsgerichtshof (zu den darin gestellten Fragen habe ich schon hier geschrieben) und betrifft die Zulässigkeit von einmaligen und wiederkehrenden Entgelten für Frequenznutzungsrechte, vor allem im Kontext einer offenbar nicht immer einheitlich, aber jedenfalls stillschweigend vorgenommenen Verlängerung bestehender Konzessionen bzw Nutzungsrechte, wofür aber dann doch - zuletzt durch eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung - (erhöhte) Entgelte verlangt wurden (die Details will ich nicht näher darlegen). Jedenfalls kam es im Ergebnis zu einer Situation, in der die vor dem belgischen Verfassungsgerichtshof Klage führenden Mobilfunkunternehmen drei verschiedene Zahlungen im Zusammenhang mit der Frequenznutzung leisten mussten:
Die GenehmigungsRL sieht zwei unterschiedliche Grundlagen für die Erhebung von Abgaben bzw Entgelten im Zusammenhang mit Freuqenznutzungen vor. Verwaltungsabgaben nach Art 12 der RL dürfen lediglich zur Deckung der administrativen Kosten für die Verwaltung, Kontrolle und Durchsetzung von Allgemeingenehmigungen und Nutzungsrechten dienen und müssen den einzelnen Unternehmen in einer objektiven, verhältnismäßigen und transparenten Weise auferlegt werden.
Entgelte für Nutzungsrechte hingegen können nach Art. 13 der RL vorgesehen werden. Nach dieser Bestimmung können die Mitgliedstaaten "der zuständigen Behörde gestatten, bei Nutzungsrechten für Funkfrequenzen Entgelte zu erheben, die eine optimale Nutzung dieser Ressourcen sicherstellen sollen. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Entgelte objektiv gerechtfertigt, transparent, nichtdiskriminierend und ihrem Zweck angemessen sind, und tragen den in Artikel 8 der Richtlinie 2002/21/EG (Rahmenrichtlinie) genannten Zielen Rechnung."
Die wesentlichen Aussagen der Schlussanträge:
Unter Berufung auf das Connect-Urteil hält der Generalanwalt zunächst (RN 26) fest, dass die Festsetzung der Gebühren im Telekommunikationssektor die Beurteilung komplexer wirtschaftlicher Sachverhalte erfordert, so dass von den nationalen Behörden dabei nicht die Einhaltung starrer Kriterien verlangt werden kann, solange sie die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Beschränkungen beachten. Die Beurteilung, inwieweit eine mitgliedstaatliche Regelung für die Höhe des Entgelts mit Art. 13 der Genehmigungsrichtlinie vereinbar ist, obliegt dem nationalen Gericht, das zu diesem Zweck Auslegungshinweise des Gerichtshofs erhält.
Mitgliedstaaten können nicht für die Erteilung, sondern auch für die Verlängerung erteilter Genehmigungen (Nutzungsrechte für Frequenzen, früher: Mobilfunkkonzessionen) Entgelte nach Art. 13 GenehmigungsRL, die also "eine optimale Nutzung dieser Ressopurcen sicherstellen sollen", erheben (RN 39). Dabei darf auch die Wertsteigerung der Frequenzen im Verlängerungszeitraum berücksichtigt werden.
Art 13 der GenehmigungsRL lässt es zur Erreichung des Ziels der Sicherstellung der optimalen Nutzung einer knappen Ressource zu, ein oder mehrere Entgelte zu erheben, sofern sie objektiv gerechtfertigt, transparent, nicht diskriminierend und ihrem Zweck angemessen sind (RN 43). Es spricht also nicht dagegen, zusätzlich zu einem Einmalentgelt zu Beginn des Frequenznutzungsrechts auch laufende jährliche Entgelte zu erheben.
Es ist auch zulässig, Verwaltungsabgaben nach Art 12 der RL und Nutzungsentgelte nach Art 13 der RL in einem Mischsystem gemeinsam einzuheben; die Verwaltungskosten nach Art 12 GenehmigungsRL müsen aber bestimmbar und quantifizierbar sein (RN 49). Die Telekommunikationsbetreiber müssen die Möglichkeit haben, die Rechtsgrundlagen und die Höhe der Abgaben gerichtlich anzufechten. Die Verfahren der Mitgliedstaaten für die Rechnungstellung fallen indessen nicht in den Bereich des Unionsrechts (RN 50).
Zur Höhe des Entgelts nach Art 13 der RL verweist der Generalanwalt zunächst darauf, dass sich in dieser Bestimmung (anders als in Art 12 für die Verwaltungsabgaben) keine Obergrenze findet (RN 53). Der EuGH hat schon in der Rechtssache C-85/10 Telefónica Móviles España ausgesprochen. dass "das Ziel, sicherzustellen, dass die Betreiber die ihnen zugänglichen knappen Ressourcen optimal nutzen, voraus[setzt], dass die betreffende Abgabe in angemessener Höhe festgesetzt wird, also u. a. den Wert der Nutzung dieser Ressourcen widerspiegelt, was eine Berücksichtigung der wirtschaftlichen und technologischen Situation auf dem relevanten Markt erfordert". Ist Bemessungsgrundlage des erhobenen Nutzungsentgelts die Rentabilität der Frequenzen (wie die belgische Regierung vorgebarcht hat), so "muss zwangsläufig ein Bezug zwischen den erhobenen Entgelten und dem Wert der Frequenzen bestehen" (RN 54).
"Was die Festsetzung der Entgelte nach Art. 13 im Fall von Neugenehmigungen anhand der bei einer Versteigerung ermittelten Beträge betrifft, so handelt es sich hierbei [...] um die klassische Methode zur Feststellung des Wertes der Frequenzen schlechthin, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil dabei der Marktwert der Frequenzen unmittelbar erkennbar wird." (RN 56).
Dass das einmalige Entgelt in keinem Fall erstattet wird, "steht in einem logischen Zusammenhang mit der Notwendigkeit, die optimale Nutzung der Ressourcen sicherzustellen." (RN 57)
Zur Änderung und Einschränkung von Nutzungsrechten
Die Fragen nach den Grenzen der Änderung oder Einschränkung von Nutzungsrechten betreffen (nur) die neue Fassung der GenehmigungsRL. Art 14 in dieser Fassung verpflichtet die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die Rechte, Bedingungen und Verfahren im Zusammenhang mit Allgemeingenehmigungen und Nutzungsrechten [...] nur in objektiv gerechtfertigten Fällen und unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit geändert werden können, wobei sie gegebenenfalls die besonderen, für übertragbare Frequenznutzungsrechte geltenden Bedingungen berücksichtigen. Die Mitgliedstaaten dürfen Rechte zur Nutzung von Funkfrequenzen nicht vor Ablauf des Zeitraums, für den sie gewährt wurden, einschränken oder entziehen, außer in begründeten Fällen und gegebenenfalls im Einklang mit dem Anhang und einschlägigen nationalen Vorschriften über Entschädigungen für den Entzug von Rechten.
Diese Fassung ist zwar für den dem EuGH vorliegenden Fall noch nicht anzuwenden, der Generalanwalt erachtet aber dennoch "sachdienliche Hinweise" des Gerichtshofes zur Auslegung dieser neueren Fassung der Richtlinie für angebracht. Seine Position dazu ist ganz knapp auf den Punkt zu bringen: Sofern das (neu erhobene/erhöhte) einmalige Entgelt erhoben wird, um die optimale Nutzung knapper Ressourcen sicherzustellen, sind die Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 1 der GenehmigungsRL auch schon erfüllt (RN 65).
Auch die damit zusammenhängenden Grundrechtsfragen, die von den Klägerinnen im Ausgangsverfahren offenbar breit ausgeführt wurden, handelt der Generalanwalt recht knapp ab. Die Erhebung neuer Abgaben bei der Verlängerung befristeter Nutzungsrechte kann keine Verletzung des Rechts auf Achtung des Eigentums darstellen (RN 70); auf den Vertrauensschutz gestützte Argumente sind angesichts des ausdrücklich festgestellten Änderungsvorbehalts (in den mit den Mobilfunkunternehmen geschlossenen Vereinbarungen) hinfällig.
Abzuwarten bleibt nun, ob der EuGH diesen Schlussanträgen folgen wird.
Die Hoffnung mancher Mobilfunkunternehmen, der EuGH könnte den Appetit der Finanzminster auf möglichst hohe Einnahmen aus der Frequenzvergabe durch eine enge Auslegung der einschlägigen Bestimmungen der Genehmigungsrichtlinie 2002/20/EG (konsolidierte Fassung idF der RL 2009/140/EG) etwas zügeln, haben sich schon in der Rechtssache C-85/10 Telefónica Móviles España (dazu hier) nicht erfüllt. Und sollte der EuGH den heute veröffentlichten Schlussanträgen von Generalanwalt Jääskinen in der Rechtssache C-375/11, Belgacom SA ua, folgen, so könnte dies manche Mitgliedstaaten vielleicht noch auf Ideen bringen, wie die Gebühren- oder Entgeltschraube für die Vergabe knapper Frequenzen noch etwas angezogen werden könnte.
Ausgangsfall
Das dem EuGH vorliegende Vorabenscheidungsersuchen stammt vom belgischen Verfassungsgerichtshof (zu den darin gestellten Fragen habe ich schon hier geschrieben) und betrifft die Zulässigkeit von einmaligen und wiederkehrenden Entgelten für Frequenznutzungsrechte, vor allem im Kontext einer offenbar nicht immer einheitlich, aber jedenfalls stillschweigend vorgenommenen Verlängerung bestehender Konzessionen bzw Nutzungsrechte, wofür aber dann doch - zuletzt durch eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung - (erhöhte) Entgelte verlangt wurden (die Details will ich nicht näher darlegen). Jedenfalls kam es im Ergebnis zu einer Situation, in der die vor dem belgischen Verfassungsgerichtshof Klage führenden Mobilfunkunternehmen drei verschiedene Zahlungen im Zusammenhang mit der Frequenznutzung leisten mussten:
- einmalige Konzessionabgabe (bei der Verlängerung ersetzt durch ein einmaliges Entgelt)
- Jahresentgelt für die Bereitstellung der Frequenzbänder
- Jahresabgabe für dieVerwaltung der Genehmigungen
Die GenehmigungsRL sieht zwei unterschiedliche Grundlagen für die Erhebung von Abgaben bzw Entgelten im Zusammenhang mit Freuqenznutzungen vor. Verwaltungsabgaben nach Art 12 der RL dürfen lediglich zur Deckung der administrativen Kosten für die Verwaltung, Kontrolle und Durchsetzung von Allgemeingenehmigungen und Nutzungsrechten dienen und müssen den einzelnen Unternehmen in einer objektiven, verhältnismäßigen und transparenten Weise auferlegt werden.
Entgelte für Nutzungsrechte hingegen können nach Art. 13 der RL vorgesehen werden. Nach dieser Bestimmung können die Mitgliedstaaten "der zuständigen Behörde gestatten, bei Nutzungsrechten für Funkfrequenzen Entgelte zu erheben, die eine optimale Nutzung dieser Ressourcen sicherstellen sollen. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Entgelte objektiv gerechtfertigt, transparent, nichtdiskriminierend und ihrem Zweck angemessen sind, und tragen den in Artikel 8 der Richtlinie 2002/21/EG (Rahmenrichtlinie) genannten Zielen Rechnung."
Die wesentlichen Aussagen der Schlussanträge:
Unter Berufung auf das Connect-Urteil hält der Generalanwalt zunächst (RN 26) fest, dass die Festsetzung der Gebühren im Telekommunikationssektor die Beurteilung komplexer wirtschaftlicher Sachverhalte erfordert, so dass von den nationalen Behörden dabei nicht die Einhaltung starrer Kriterien verlangt werden kann, solange sie die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Beschränkungen beachten. Die Beurteilung, inwieweit eine mitgliedstaatliche Regelung für die Höhe des Entgelts mit Art. 13 der Genehmigungsrichtlinie vereinbar ist, obliegt dem nationalen Gericht, das zu diesem Zweck Auslegungshinweise des Gerichtshofs erhält.
Mitgliedstaaten können nicht für die Erteilung, sondern auch für die Verlängerung erteilter Genehmigungen (Nutzungsrechte für Frequenzen, früher: Mobilfunkkonzessionen) Entgelte nach Art. 13 GenehmigungsRL, die also "eine optimale Nutzung dieser Ressopurcen sicherstellen sollen", erheben (RN 39). Dabei darf auch die Wertsteigerung der Frequenzen im Verlängerungszeitraum berücksichtigt werden.
Art 13 der GenehmigungsRL lässt es zur Erreichung des Ziels der Sicherstellung der optimalen Nutzung einer knappen Ressource zu, ein oder mehrere Entgelte zu erheben, sofern sie objektiv gerechtfertigt, transparent, nicht diskriminierend und ihrem Zweck angemessen sind (RN 43). Es spricht also nicht dagegen, zusätzlich zu einem Einmalentgelt zu Beginn des Frequenznutzungsrechts auch laufende jährliche Entgelte zu erheben.
Es ist auch zulässig, Verwaltungsabgaben nach Art 12 der RL und Nutzungsentgelte nach Art 13 der RL in einem Mischsystem gemeinsam einzuheben; die Verwaltungskosten nach Art 12 GenehmigungsRL müsen aber bestimmbar und quantifizierbar sein (RN 49). Die Telekommunikationsbetreiber müssen die Möglichkeit haben, die Rechtsgrundlagen und die Höhe der Abgaben gerichtlich anzufechten. Die Verfahren der Mitgliedstaaten für die Rechnungstellung fallen indessen nicht in den Bereich des Unionsrechts (RN 50).
Zur Höhe des Entgelts nach Art 13 der RL verweist der Generalanwalt zunächst darauf, dass sich in dieser Bestimmung (anders als in Art 12 für die Verwaltungsabgaben) keine Obergrenze findet (RN 53). Der EuGH hat schon in der Rechtssache C-85/10 Telefónica Móviles España ausgesprochen. dass "das Ziel, sicherzustellen, dass die Betreiber die ihnen zugänglichen knappen Ressourcen optimal nutzen, voraus[setzt], dass die betreffende Abgabe in angemessener Höhe festgesetzt wird, also u. a. den Wert der Nutzung dieser Ressourcen widerspiegelt, was eine Berücksichtigung der wirtschaftlichen und technologischen Situation auf dem relevanten Markt erfordert". Ist Bemessungsgrundlage des erhobenen Nutzungsentgelts die Rentabilität der Frequenzen (wie die belgische Regierung vorgebarcht hat), so "muss zwangsläufig ein Bezug zwischen den erhobenen Entgelten und dem Wert der Frequenzen bestehen" (RN 54).
"Was die Festsetzung der Entgelte nach Art. 13 im Fall von Neugenehmigungen anhand der bei einer Versteigerung ermittelten Beträge betrifft, so handelt es sich hierbei [...] um die klassische Methode zur Feststellung des Wertes der Frequenzen schlechthin, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil dabei der Marktwert der Frequenzen unmittelbar erkennbar wird." (RN 56).
Dass das einmalige Entgelt in keinem Fall erstattet wird, "steht in einem logischen Zusammenhang mit der Notwendigkeit, die optimale Nutzung der Ressourcen sicherzustellen." (RN 57)
Zur Änderung und Einschränkung von Nutzungsrechten
Die Fragen nach den Grenzen der Änderung oder Einschränkung von Nutzungsrechten betreffen (nur) die neue Fassung der GenehmigungsRL. Art 14 in dieser Fassung verpflichtet die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die Rechte, Bedingungen und Verfahren im Zusammenhang mit Allgemeingenehmigungen und Nutzungsrechten [...] nur in objektiv gerechtfertigten Fällen und unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit geändert werden können, wobei sie gegebenenfalls die besonderen, für übertragbare Frequenznutzungsrechte geltenden Bedingungen berücksichtigen. Die Mitgliedstaaten dürfen Rechte zur Nutzung von Funkfrequenzen nicht vor Ablauf des Zeitraums, für den sie gewährt wurden, einschränken oder entziehen, außer in begründeten Fällen und gegebenenfalls im Einklang mit dem Anhang und einschlägigen nationalen Vorschriften über Entschädigungen für den Entzug von Rechten.
Diese Fassung ist zwar für den dem EuGH vorliegenden Fall noch nicht anzuwenden, der Generalanwalt erachtet aber dennoch "sachdienliche Hinweise" des Gerichtshofes zur Auslegung dieser neueren Fassung der Richtlinie für angebracht. Seine Position dazu ist ganz knapp auf den Punkt zu bringen: Sofern das (neu erhobene/erhöhte) einmalige Entgelt erhoben wird, um die optimale Nutzung knapper Ressourcen sicherzustellen, sind die Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 1 der GenehmigungsRL auch schon erfüllt (RN 65).
Auch die damit zusammenhängenden Grundrechtsfragen, die von den Klägerinnen im Ausgangsverfahren offenbar breit ausgeführt wurden, handelt der Generalanwalt recht knapp ab. Die Erhebung neuer Abgaben bei der Verlängerung befristeter Nutzungsrechte kann keine Verletzung des Rechts auf Achtung des Eigentums darstellen (RN 70); auf den Vertrauensschutz gestützte Argumente sind angesichts des ausdrücklich festgestellten Änderungsvorbehalts (in den mit den Mobilfunkunternehmen geschlossenen Vereinbarungen) hinfällig.
Abzuwarten bleibt nun, ob der EuGH diesen Schlussanträgen folgen wird.
Monday, October 22, 2012
Vom Programmentgelt zum (geräteunabhängigen) "ORF-Beitrag"?
Dass auch in Österreich die "Gebühren"-Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vom bisher geräteabhängigen auf ein "haushaltsbezogenes" Entgelt umgestellt werden soll, war schon einige Zeit lang abzusehen. Vor etwa einem Jahr habe ich hier meine Erwartung dargelegt, dass eine "Haushaltsabgabe" nach deutschem Vorbild nach dem Jahr 2013 auch in Österreich kommen würde, und wenn ich die aktuelle Diskussion richtig deute, scheint das immer realistischer zu werden. Ein Gesetzesbeschluss könnte sich jedenfalls noch vor der Nationalratswahl 2013 ausgehen. Berücksichtigt man die notwendige Vorbereitungszeit für die Umstellung, so wäre frühestens der 1.1.2014, allenfalls auch 2015, als Startzeitpunkt für das neue System zu erwarten.
Ob der Umstieg auf ein neues System der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich kommen wird und wie dieses im Detail aussehen könnte, ist eine medienpolitische Entscheidung, die ich hier inhaltlich nicht bewerten will. Ich möchte nur ein paar Anmerkungen zu einzelnen in der ORF-Aussendung angesprochenen Punkten machen und dann noch die ungefähren Größenordnungen darlegen, um die es gehen könnte.
"ORF-Beitrag"
Was sich der Generaldirektor des ORF von einem neuen Finanzierungssystem wünscht, hat er hier ausgeführt. Das bisherige Programmentgelt will er als "ORF-Beitrag" bezeichnen, was der deutschen Regelung nachempfunden scheint, wo ab 1.1.2013 ein Rundfunkbeitrag statt der bisherigen Rundfunkgebühr eingehoben wird - was aber in Deutschland wegen des Unterschieds zwischen Gebühren (nur für die Inanspruchnahme von Leistungen zulässig) und Beiträgen (auch für das bloße Angebot an Leistungen möglich) einen anderen rechtlichen Hintergrund hat. In Österreich wird der ORF ja nicht durch Rundfunkgebühren finanziert, sondern durch das steuerrechtlich als Leistungsentgelt zu beurteilende Programmentgelt (vgl § 10 Abs. 2 Z 9 erster Fall UStG 1994).
Wrabetz erwähnt auch das Gutachten des früheren deutschen Verfassungsrichters Kirchhof, der im Auftrag von ARD, ZDF und DRadio bereits 2010 "im Dunkel des tatbestandlich Bedeutungslosen" umgerührt und ein Gutachten zur "Haushaltsabgabe" erstellt hat (siehe dazu meinen Beitrag im Blog hier). Aber ganz anpassen an das deutsche Wording will sich der ORF auch nicht, legt er doch Wert darauf, dass die neue Finanzierungsform kein Rundfunkbeitrag, sondern spezifisch ein ORF-Beitrag sein soll - schließlich soll sichergestellt werden, dass nicht auch andere Rundfunkveranstalter einen Teil davon abbekommen könnten.
Geräteunabhängiger Beitrag - wohl nicht nur von Haushalten
Der neue ORF-Beitrag soll - so Wrabetz - "an einem Haushalt und nicht wie bisher an einem Empfangsgerät" anknüpfen. Das dürfte freilich nicht die ganze Wahrheit sein: ich kann mir schwer vorstellen, dass der ORF auf die Beiträge für Empfangseinrichtungen in Betrieben verzichten möchte. Auch in Deutschland wird ja die "Haushaltsabgabe" nicht nur von Haushalten ("Rundfunkbeitrag im privaten Bereich"), sondern auch für jede Betriebsstätte, gestaffelt nach Beschäftigten, und für jedes betrieblich genutzte Kraftfahrzeug ("Rundfunkbeitrag im nicht privaten Bereich") eingehoben (siehe dazu näher den Text des 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrags).
Zwar erwähnt die ORF-Aussendung auch in ihren abschließenden 10 "entscheidenden Punkten" die Betriebsstätten nicht (sondern bloß eine "Anknüpfung an Haushalt und nicht an Endgerät"), aber
da Kern der Umstellung der Verzicht auf die Anküpfung am Empfangsgerät sein soll, wäre ich sehr überrascht, würden die Betriebe völlig aus der Beitragspflicht entlassen. Kommunikationsstrategisch ist es freilich verständlich, nicht bereits in einem so frühen Diskussionsstadium auch schon die unternehmerischen Interessenvertreter nervös zu machen.
Zusätzliche "Medienabgabe", die teilweise auch dem ORF zufließen soll?
Wrabetz beschränkt sich mit seinem Vorschlag nicht auf Neuerungen für die Finanzierung des ORF, sondern will gleich auch die derzeit gemeinsam mit dem Programmentgelt eingehobenen Abgaben von Bund und Ländern abschaffen und durch eine "Medienabgabe" ersetzen. Diese zusätzlich zum "ORF-Beitrag" einzuhebende "Medienabgabe" soll aber teilweise wieder an den ORF fließen, nämlich für die sogenannte "Gebührenrefundierung" (laut ORF-Berechnungen in einer Größenordnung von zumindest 60 Mio. € pro Jahr). Der Rest der "Medienabgabe" könnte laut Wrabetz unter anderem "für Filmförderung, Presseförderung, Privatmedienförderung, Kunstförderung" verwendet werden.
Mit der Trennung in einen "ORF-Beitrag" und eine "Medienabgabe" wäre es nach Ansicht des ORF "transparent und für die Bevölkerung nachvollziehbar", welcher Beitrag an den ORF geht - obwohl immerhin fast ein Viertel der "Medienabgabe", die gerade nicht als (teilweiser) ORF-Beitrag ausgeschildert werden soll, wiederum dem ORF zugute kommen soll.
Die in Bund und Ländern politisch Verantwortlichen werden sich wohl vom ORF nicht vorschreiben lassen, wie sie ihre Abgaben bezeichnen sollen. Der ORF-Vorschlag für ein nicht mehr am Empfangsgerät anknüpfendes Programmentgelt hat aber auch aus deren Sicht den Charme, dass die Grundgesamtheit der Beitragspflichtigen steigen würde, was auch bei den von ihnen gemeinsam mit dem Programmentgelt eingehobenen Abgaben eine Einnahmensteigerung zur Folge hätte.
Beitragsfestsetzung durch ORF-Gremien _und_ Valorisierung?
Der ORF will einerseits die Gebühren selbst festsetzen (mit der unionsrechtlich gebotenen Kontrolle durch die Medienbehörde), andererseits aber will er auch eine automatische Valorisierung ("um die laufenden Kostensteigerungen auszugleichen", also wohl nach der Inflationsrate). Schlüssig ist das nicht: wenn der ORF (wie bisher) selbst den Beitrag festsetzt, was hindert ihn daran, selbst auch die Valorisierung vorzunehmen? Abgesehen davon wäre eine automatische indexgebundene Valorisierung, die also nicht auf die tatsächliche Entwicklung der konkreten Kosten der Erbringung des öffentlich-rechtlichen Auftrags abstellt, beihilfenrechtlich schwer vorstellbar.
"Sozial gerecht"?
Unter diesem Schlagwort fordert der ORF in seiner Aussendung, dass es weiterhin Befreiungen geben soll (wobei der aus den Befreiungen entstehende Ausfall dem ORF vom Bund refundiert werden solle). Das ist keine Überraschung, aber ich wollte dennoch anmerken, dass man über die soziale Gerechtigkeit einer - außerhalb der Befreiungsgrenzen - regressiven Haushaltsabgabe, wie es das Programmentgelt der Sache nach ist, schon auch streiten könnte. Wer gerade so viel verdient, dass er nicht mehr "gebührenbefreit" ist, zahlt einen wesentlich höheren Anteil seines Einkommens für den ORF als ein Besserverdienender. Ein Anknüpfen der Beitragshöhe an der Leistungsfähigkeit - etwa nach dem Einkommen - wäre freilich nur mit völlig unverhältnismäßigem Aufwand administrierbar (es sei denn, man würde direkt an der Einkommensteuer anknüpfen und die Aufgabe den Finanzbehörden - und in deren Vorfeld den Arbeitgebern mit der Lohnsteuerverrechnung - übertragen).
Und jetzt zu den Zahlen: könnte es billiger werden?
Eine der ersten Reaktionen auf den Vorstoß des ORF war die Forderung von ÖVP-Klubobmann Kopf, dass "die Haushaltsabgabe für den einzelnen aber niedriger ausfallen [müsse] als die derzeitige Rundfunk-Gebühr" (gemeint: das Programmentgelt). Wenn man sich die Zahlen aber näher ansieht, dürfte nicht allzuviel Spielraum für eine Senkung bestehen, sofern man die öffentliche Finanzierung des ORF nicht tatsächlich auch im Ergebnis kürzen möchte.
Im Jahr 2011 nahm der ORF von seinen rund 3,5 Mio Teilnehmern (davon 310.000 gebührenbefreit) 534,2 Mio. € an Programmentgelten ein (der ORF nennt 584,2 Mio. €, da sind aber die 50 Mio. € "Gebührenrefundierung" vom Bund gemäß § 31 Abs 11 ORF-Gesetz eingerechnet). Legt man das auf alle Teilnehmer um, so ergibt dies einen durchschnittlichen Jahresbetrag pro Teilnehmer von 152 € (unter Einbeziehung der Gebührenbefreiten) bzw. von 167 € für jeden nicht gebührenbefreiten Teilnehmer. Im Jahr 2013 - in dem die mit 1. Juni 2012 wirksam gewordene Programmentgelt-Erhöhung voll durchschlägt - dürfte jeder nicht gebührenbefreite Teilnehmer im Schnitt rund € 179 an Programmentgelt leisten.
Die GIS nennt in ihrer Pressemappe eine Zahl von rund 140.000 Haushalten, die keine Programmentgelte entrichten.*) Wie sie zu dieser Zahl kommt und ob sie diese 140.000 Haushalte alle als "Schwarzseher" einstuft, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Geht man aber davon aus, dass bei einer Umstellung auf eine haushaltsbezogene Abgabe all diese Haushalte zur Zahlung des Programmentgelts verpflichtet wären, so ergäbe sich eine um (nur) rund 4 % erhöhte Teilnehmerbasis (immer vorausgesetzt, dass sich bei den Betriebsstätten nichts ändert). Und wenn man wiederum annimmt, dass von den "Zusatzhaushalten" ein ähnlicher Prozentsatz gebührenbefreit ist wie bei den bereits erfassten "Teilnehmerhaushalten", dann kämen überschlagsmäßig gerechnet von rund 127.000 in Hinkunft zusätzlich beitragszahlenden Haushalten knapp 23 Mio. € an Beiträgen herein. Soll der absolute Erlös aus Programmentgelten (oder "ORF-Beiträgen") gleich bleiben, könnte der Beitrag pro Teilnehmer/Haushalt also nur um eine Größenordnung von etwa 60 Cent pro Monat gesenkt werden. Ob man damit jene zufriedenstellen könnte, die auch beim Programmentgelt des ORF jetzt"Her mit dem Zaster" "Runter mit den ORF-Gebühren" rufen?
Zudem muss man in Betracht ziehen, dass nach aktueller Gesetzeslage die "Gebührenrefundierung" nach § 31 Abs 11 ORF-Gesetz in den Jahren 2012 und 2013 noch (höchstens) 30 Mio. € ausmacht, 2014 aber gänzlich auslauft. Auch die Einbeziehung von 140.000 derzeit nicht gebührenzahlenden Haushalten (mit ca. 23 Mio € an Beiträgen) könnte daher die durch den Wegfall der "Refundierung" entstehende Finanzierungslücke von 30 Mio. € nicht wettmachen. Nun wird über die weitere "Refundierung" in den anstehenden Verhandlungen zwar sicher noch gerungen werden - aber "Refundierung" und Beitragshöhe sind natürlich so etwas wie kommunizierende Gefäße: eine Absenkung des Programmentgelts (oder "ORF-Beitrags") lässt sich realistisch nur darstellen, wenn eine weitere (vielleicht auch höhere) "Refundierung" erreicht wird.
Das alles steht natürlich unter der Voraussetzung, dass der Finanzbedarf des ORF nicht deutlich sinken wird, wofür aber derzeit eher keine Anzeichen zu erkennen sind (zumal der Finanzplan des ORF für 2012 - siehe diese Pressemitteilung - im Wesentlichen stagnierende Werbeeinnahmen und gegenüber 2011 deutlich geringere sonstige Erlöse vorsah).
Update 07.11.2012: siehe nun auch diesen Folgebeitrag.
---
*) Wieviele Haushalte es tatsächlich gibt, ist - da es in Österreich keine bundesweiten auf Haushalte bezogenen Abgaben gibt - nur schwer festzumachen. Nach den Erhebungen der Statistik Austria gab es im Jahr 2011 in Österreich 3,65 Mio. Haushalte sowie (im Jahr 2001) 396.268 Arbeitsstätten.
Update 25.10.2012: die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Medien und Recht (online nicht frei verfügbar) enthält einen Aufsatz von Ermano Geuer, Assistent an der Uni Passau, zum Thema "Die Haushaltsabgabe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland - Modell für Österreich?" Geuer legt darin dar, warum aus seiner Sicht die deutsche Regelung verfassungswidrig sei (er hat gegen den neuen Rundfunkbeirat auch Klage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof erhoben); die Überlegungen zu Österreich sind noch etwas, wie soll ich sagen, sketchy.
Ein Beitrag aus Medien und Recht von Michael Kogler aus dem Jahr 2009 zum Thema "Rundfunk-Gebühr, Programm-Entgelt oder Audiovisions-Steuer" ist mittlerweile auch online zu lesen.
Ob der Umstieg auf ein neues System der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich kommen wird und wie dieses im Detail aussehen könnte, ist eine medienpolitische Entscheidung, die ich hier inhaltlich nicht bewerten will. Ich möchte nur ein paar Anmerkungen zu einzelnen in der ORF-Aussendung angesprochenen Punkten machen und dann noch die ungefähren Größenordnungen darlegen, um die es gehen könnte.
"ORF-Beitrag"
Was sich der Generaldirektor des ORF von einem neuen Finanzierungssystem wünscht, hat er hier ausgeführt. Das bisherige Programmentgelt will er als "ORF-Beitrag" bezeichnen, was der deutschen Regelung nachempfunden scheint, wo ab 1.1.2013 ein Rundfunkbeitrag statt der bisherigen Rundfunkgebühr eingehoben wird - was aber in Deutschland wegen des Unterschieds zwischen Gebühren (nur für die Inanspruchnahme von Leistungen zulässig) und Beiträgen (auch für das bloße Angebot an Leistungen möglich) einen anderen rechtlichen Hintergrund hat. In Österreich wird der ORF ja nicht durch Rundfunkgebühren finanziert, sondern durch das steuerrechtlich als Leistungsentgelt zu beurteilende Programmentgelt (vgl § 10 Abs. 2 Z 9 erster Fall UStG 1994).
Wrabetz erwähnt auch das Gutachten des früheren deutschen Verfassungsrichters Kirchhof, der im Auftrag von ARD, ZDF und DRadio bereits 2010 "im Dunkel des tatbestandlich Bedeutungslosen" umgerührt und ein Gutachten zur "Haushaltsabgabe" erstellt hat (siehe dazu meinen Beitrag im Blog hier). Aber ganz anpassen an das deutsche Wording will sich der ORF auch nicht, legt er doch Wert darauf, dass die neue Finanzierungsform kein Rundfunkbeitrag, sondern spezifisch ein ORF-Beitrag sein soll - schließlich soll sichergestellt werden, dass nicht auch andere Rundfunkveranstalter einen Teil davon abbekommen könnten.
Geräteunabhängiger Beitrag - wohl nicht nur von Haushalten
Der neue ORF-Beitrag soll - so Wrabetz - "an einem Haushalt und nicht wie bisher an einem Empfangsgerät" anknüpfen. Das dürfte freilich nicht die ganze Wahrheit sein: ich kann mir schwer vorstellen, dass der ORF auf die Beiträge für Empfangseinrichtungen in Betrieben verzichten möchte. Auch in Deutschland wird ja die "Haushaltsabgabe" nicht nur von Haushalten ("Rundfunkbeitrag im privaten Bereich"), sondern auch für jede Betriebsstätte, gestaffelt nach Beschäftigten, und für jedes betrieblich genutzte Kraftfahrzeug ("Rundfunkbeitrag im nicht privaten Bereich") eingehoben (siehe dazu näher den Text des 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrags).
Zwar erwähnt die ORF-Aussendung auch in ihren abschließenden 10 "entscheidenden Punkten" die Betriebsstätten nicht (sondern bloß eine "Anknüpfung an Haushalt und nicht an Endgerät"), aber
da Kern der Umstellung der Verzicht auf die Anküpfung am Empfangsgerät sein soll, wäre ich sehr überrascht, würden die Betriebe völlig aus der Beitragspflicht entlassen. Kommunikationsstrategisch ist es freilich verständlich, nicht bereits in einem so frühen Diskussionsstadium auch schon die unternehmerischen Interessenvertreter nervös zu machen.
Zusätzliche "Medienabgabe", die teilweise auch dem ORF zufließen soll?
Wrabetz beschränkt sich mit seinem Vorschlag nicht auf Neuerungen für die Finanzierung des ORF, sondern will gleich auch die derzeit gemeinsam mit dem Programmentgelt eingehobenen Abgaben von Bund und Ländern abschaffen und durch eine "Medienabgabe" ersetzen. Diese zusätzlich zum "ORF-Beitrag" einzuhebende "Medienabgabe" soll aber teilweise wieder an den ORF fließen, nämlich für die sogenannte "Gebührenrefundierung" (laut ORF-Berechnungen in einer Größenordnung von zumindest 60 Mio. € pro Jahr). Der Rest der "Medienabgabe" könnte laut Wrabetz unter anderem "für Filmförderung, Presseförderung, Privatmedienförderung, Kunstförderung" verwendet werden.
Mit der Trennung in einen "ORF-Beitrag" und eine "Medienabgabe" wäre es nach Ansicht des ORF "transparent und für die Bevölkerung nachvollziehbar", welcher Beitrag an den ORF geht - obwohl immerhin fast ein Viertel der "Medienabgabe", die gerade nicht als (teilweiser) ORF-Beitrag ausgeschildert werden soll, wiederum dem ORF zugute kommen soll.
Die in Bund und Ländern politisch Verantwortlichen werden sich wohl vom ORF nicht vorschreiben lassen, wie sie ihre Abgaben bezeichnen sollen. Der ORF-Vorschlag für ein nicht mehr am Empfangsgerät anknüpfendes Programmentgelt hat aber auch aus deren Sicht den Charme, dass die Grundgesamtheit der Beitragspflichtigen steigen würde, was auch bei den von ihnen gemeinsam mit dem Programmentgelt eingehobenen Abgaben eine Einnahmensteigerung zur Folge hätte.
Beitragsfestsetzung durch ORF-Gremien _und_ Valorisierung?
Der ORF will einerseits die Gebühren selbst festsetzen (mit der unionsrechtlich gebotenen Kontrolle durch die Medienbehörde), andererseits aber will er auch eine automatische Valorisierung ("um die laufenden Kostensteigerungen auszugleichen", also wohl nach der Inflationsrate). Schlüssig ist das nicht: wenn der ORF (wie bisher) selbst den Beitrag festsetzt, was hindert ihn daran, selbst auch die Valorisierung vorzunehmen? Abgesehen davon wäre eine automatische indexgebundene Valorisierung, die also nicht auf die tatsächliche Entwicklung der konkreten Kosten der Erbringung des öffentlich-rechtlichen Auftrags abstellt, beihilfenrechtlich schwer vorstellbar.
"Sozial gerecht"?
Unter diesem Schlagwort fordert der ORF in seiner Aussendung, dass es weiterhin Befreiungen geben soll (wobei der aus den Befreiungen entstehende Ausfall dem ORF vom Bund refundiert werden solle). Das ist keine Überraschung, aber ich wollte dennoch anmerken, dass man über die soziale Gerechtigkeit einer - außerhalb der Befreiungsgrenzen - regressiven Haushaltsabgabe, wie es das Programmentgelt der Sache nach ist, schon auch streiten könnte. Wer gerade so viel verdient, dass er nicht mehr "gebührenbefreit" ist, zahlt einen wesentlich höheren Anteil seines Einkommens für den ORF als ein Besserverdienender. Ein Anknüpfen der Beitragshöhe an der Leistungsfähigkeit - etwa nach dem Einkommen - wäre freilich nur mit völlig unverhältnismäßigem Aufwand administrierbar (es sei denn, man würde direkt an der Einkommensteuer anknüpfen und die Aufgabe den Finanzbehörden - und in deren Vorfeld den Arbeitgebern mit der Lohnsteuerverrechnung - übertragen).
Und jetzt zu den Zahlen: könnte es billiger werden?
Eine der ersten Reaktionen auf den Vorstoß des ORF war die Forderung von ÖVP-Klubobmann Kopf, dass "die Haushaltsabgabe für den einzelnen aber niedriger ausfallen [müsse] als die derzeitige Rundfunk-Gebühr" (gemeint: das Programmentgelt). Wenn man sich die Zahlen aber näher ansieht, dürfte nicht allzuviel Spielraum für eine Senkung bestehen, sofern man die öffentliche Finanzierung des ORF nicht tatsächlich auch im Ergebnis kürzen möchte.
Im Jahr 2011 nahm der ORF von seinen rund 3,5 Mio Teilnehmern (davon 310.000 gebührenbefreit) 534,2 Mio. € an Programmentgelten ein (der ORF nennt 584,2 Mio. €, da sind aber die 50 Mio. € "Gebührenrefundierung" vom Bund gemäß § 31 Abs 11 ORF-Gesetz eingerechnet). Legt man das auf alle Teilnehmer um, so ergibt dies einen durchschnittlichen Jahresbetrag pro Teilnehmer von 152 € (unter Einbeziehung der Gebührenbefreiten) bzw. von 167 € für jeden nicht gebührenbefreiten Teilnehmer. Im Jahr 2013 - in dem die mit 1. Juni 2012 wirksam gewordene Programmentgelt-Erhöhung voll durchschlägt - dürfte jeder nicht gebührenbefreite Teilnehmer im Schnitt rund € 179 an Programmentgelt leisten.
Die GIS nennt in ihrer Pressemappe eine Zahl von rund 140.000 Haushalten, die keine Programmentgelte entrichten.*) Wie sie zu dieser Zahl kommt und ob sie diese 140.000 Haushalte alle als "Schwarzseher" einstuft, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Geht man aber davon aus, dass bei einer Umstellung auf eine haushaltsbezogene Abgabe all diese Haushalte zur Zahlung des Programmentgelts verpflichtet wären, so ergäbe sich eine um (nur) rund 4 % erhöhte Teilnehmerbasis (immer vorausgesetzt, dass sich bei den Betriebsstätten nichts ändert). Und wenn man wiederum annimmt, dass von den "Zusatzhaushalten" ein ähnlicher Prozentsatz gebührenbefreit ist wie bei den bereits erfassten "Teilnehmerhaushalten", dann kämen überschlagsmäßig gerechnet von rund 127.000 in Hinkunft zusätzlich beitragszahlenden Haushalten knapp 23 Mio. € an Beiträgen herein. Soll der absolute Erlös aus Programmentgelten (oder "ORF-Beiträgen") gleich bleiben, könnte der Beitrag pro Teilnehmer/Haushalt also nur um eine Größenordnung von etwa 60 Cent pro Monat gesenkt werden. Ob man damit jene zufriedenstellen könnte, die auch beim Programmentgelt des ORF jetzt
Zudem muss man in Betracht ziehen, dass nach aktueller Gesetzeslage die "Gebührenrefundierung" nach § 31 Abs 11 ORF-Gesetz in den Jahren 2012 und 2013 noch (höchstens) 30 Mio. € ausmacht, 2014 aber gänzlich auslauft. Auch die Einbeziehung von 140.000 derzeit nicht gebührenzahlenden Haushalten (mit ca. 23 Mio € an Beiträgen) könnte daher die durch den Wegfall der "Refundierung" entstehende Finanzierungslücke von 30 Mio. € nicht wettmachen. Nun wird über die weitere "Refundierung" in den anstehenden Verhandlungen zwar sicher noch gerungen werden - aber "Refundierung" und Beitragshöhe sind natürlich so etwas wie kommunizierende Gefäße: eine Absenkung des Programmentgelts (oder "ORF-Beitrags") lässt sich realistisch nur darstellen, wenn eine weitere (vielleicht auch höhere) "Refundierung" erreicht wird.
Das alles steht natürlich unter der Voraussetzung, dass der Finanzbedarf des ORF nicht deutlich sinken wird, wofür aber derzeit eher keine Anzeichen zu erkennen sind (zumal der Finanzplan des ORF für 2012 - siehe diese Pressemitteilung - im Wesentlichen stagnierende Werbeeinnahmen und gegenüber 2011 deutlich geringere sonstige Erlöse vorsah).
Update 07.11.2012: siehe nun auch diesen Folgebeitrag.
---
*) Wieviele Haushalte es tatsächlich gibt, ist - da es in Österreich keine bundesweiten auf Haushalte bezogenen Abgaben gibt - nur schwer festzumachen. Nach den Erhebungen der Statistik Austria gab es im Jahr 2011 in Österreich 3,65 Mio. Haushalte sowie (im Jahr 2001) 396.268 Arbeitsstätten.
Update 25.10.2012: die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Medien und Recht (online nicht frei verfügbar) enthält einen Aufsatz von Ermano Geuer, Assistent an der Uni Passau, zum Thema "Die Haushaltsabgabe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland - Modell für Österreich?" Geuer legt darin dar, warum aus seiner Sicht die deutsche Regelung verfassungswidrig sei (er hat gegen den neuen Rundfunkbeirat auch Klage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof erhoben); die Überlegungen zu Österreich sind noch etwas, wie soll ich sagen, sketchy.
Ein Beitrag aus Medien und Recht von Michael Kogler aus dem Jahr 2009 zum Thema "Rundfunk-Gebühr, Programm-Entgelt oder Audiovisions-Steuer" ist mittlerweile auch online zu lesen.
Tuesday, October 09, 2012
EGMR: Pressefreiheit rechtfertigt nicht die Veröffentlichung der Privatadresse eines prominenten Einbruchsopfers
Dass man Fotos auch von Prominenten nur dann veröffentlichen darf, wenn das (ua) einen Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse leistet, dürfte seit den "Caroline"-Urteilen des EGMR (1, 2) hinlänglich bekannt sein (siehe näher zum "Caroline Nr. 2"-Urteil des EGMR vom 07.02.2012 hier). Heute hat der EGMR nun in seinem Urteil Alkaya gegen Türkei (Appl. no.42811/06; Pressemitteilung) ausgesprochen, dass auch die Veröffentlichung der Privatadresse einer in der Öffentlichkeit bekannten Schauspielerin eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens nach Art 8 EMRK sein kann.
Yasemin Alkaya, eine in der Türkei bekannte Film- und Theaterschauspielerin, wurde Opfer eines Einbruchs in ihre Privatwohnung. Drei Tage später veröffentlichte die Tageszeitung Akşam einen Bericht über den Einbruch und erwähnte darin die genaue Privatanschrift der Schauspielerin (bis hin zur Top-Nr. der Wohnung). Die Schauspielerin klagte auf Entschädigung wegen Eingriffs in ihr Persönlichkeitsrecht, zumal sie seither immer wieder in ihrer Wohnung gestört wurde und sich alleine zu Hause ängstigte. Die Klage blieb aber vor den nationalen Gerichten ohne Erfolg.
Der EGMR hat aufgrund der Beschwerde von Yasemin Alkaya (einstimmig) eine Verletzung des Art 8 EMRK festgestellt. Das Recht auf Schutz des Privatlebens umfasst auch das Recht, privat zu leben ohne ungewünschte Aufmerksamkeit ("le droit de vivre en privé, loin de toute attention non voulue") und das Recht auf Respekt für die Wohnung, was nicht nur den physischen Raum betrifft sondern auch den ruhigen Genuß dieses Raums ("droit au respect de son domicile, conçu non seulement comme le droit à un simple espace physique mais aussi comme celui à la jouissance, en toute tranquillité, dudit espace").
Die Wahl des Wohnorts ist eine private Angelegenheit und die freie Wohnsitzwahl ist ein integraler Bestandteil der durch Art 8 EMRK geschützten persönlichen Autonomie. Auch die Wohnadresse ist daher eine vom Schutz des Art 8 EMRK umfasste persönliche Information. Auch Personen von öffentlichem Interesse haben eine legitime Erwartung auf Schutz und Respekt ihres Privatlebens.
Da es nicht um einen staatlichen Eingriff ging, hatte der EGMR zu prüfen, ob der Konventionsstaat seinen positiven Verpflichtungen nachgekommen war, für einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Beschwerdeführerin auf Schutz ihrer Privatsphäre und dem durch Art 10 EMRK gesicherten Recht auf freie Meinungsäußerung zu sorgen. Entscheidend war daher der Beitrag der veröffentlichten Information zu einer Debatte von allgemeinem Interesse und die Schwere des erfolgten Eingriffs in die Privatsphäre.
Selbst unter der Annahme, dass der Bericht über den Einbruch bei einer Prominenten einen Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse, etwa über die Kriminalität schlechthin, leisten könne, sei aber, so der EGMR, kein Anhaltspunkt dafür zu finden, weshalb sich die Zeitung ohne Einverständnis der Betroffenen entschloss, die exakte Wohnanschrift zu veröffentlichen. Auch in den Entscheidungen der nationalen Gerichte sei nicht zu erkennen gewesen, dass eine entsprechende Abwägung tatsächlich erfolgt wäre; insbesonderen hatten die Gerichte die Auswirkungen der Veröffentlichung auf das Privatleben der Betroffenen nicht in Betracht gezogen.
Der EGMR kam daher zum Ergebnis, dass das Fehlen einer adäquaten Abwägung der beteiligten Interessen und der Auswirkungen der Veröffentlichung auf die Beschwerdeführerin eine Verletzung der dem Staat auferlegten positiven Verpflichtungen nach Art 8 EMRK war. Auch unter Berücksichtigung des dem Konventionsstast zukommenden Beurteilungsspielraums haben die nationalen Gerichte, die eine Abwägung unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung des EGMR etablierten Kriterien unterlassen hatten, das Privatleben der Beschwerdeführerin nicht ausreichend und effektiv geschützt.
PS - weil es mir vor kurzem einmal untergekommen ist und hier vielleicht ganz gut dazupasst: im April dieses Jahres hat der FPÖ-Abgeordnete zum Europaparlament Franz Obermayr eine Presseaussendung versandt mit dem Titel: "Türkischer Richter darf nicht über Menschenrechte in der EU urteilen!" Darin sprach er sich gegen den geplanten Beitritt der EU zur EMRK aus, denn er könne "nur das Schlimmste befürchten, sollte sich die EU dieser linkslinken Judikatur unterwerfen."
Dazu wollte ich nur anmerken, dass der "türkische Richter" derzeit eine türkische Richterin ist (blond und ohne Kopftuch übrigens), die natürlich nicht nur - wie im vorliegenden Fall - über Menschenrechte in der Türkei urteilt, sondern zB auch über Menschenrechte in Österreich (zB im Fall S.H. gegen Österreich). Österreich hat sich also dieser nach Ansicht des Herrn Abgeordneten "linkslinken Judikatur" unter Beteiligung einer türkischen Richterin längst unterworfen.
Yasemin Alkaya, eine in der Türkei bekannte Film- und Theaterschauspielerin, wurde Opfer eines Einbruchs in ihre Privatwohnung. Drei Tage später veröffentlichte die Tageszeitung Akşam einen Bericht über den Einbruch und erwähnte darin die genaue Privatanschrift der Schauspielerin (bis hin zur Top-Nr. der Wohnung). Die Schauspielerin klagte auf Entschädigung wegen Eingriffs in ihr Persönlichkeitsrecht, zumal sie seither immer wieder in ihrer Wohnung gestört wurde und sich alleine zu Hause ängstigte. Die Klage blieb aber vor den nationalen Gerichten ohne Erfolg.
Der EGMR hat aufgrund der Beschwerde von Yasemin Alkaya (einstimmig) eine Verletzung des Art 8 EMRK festgestellt. Das Recht auf Schutz des Privatlebens umfasst auch das Recht, privat zu leben ohne ungewünschte Aufmerksamkeit ("le droit de vivre en privé, loin de toute attention non voulue") und das Recht auf Respekt für die Wohnung, was nicht nur den physischen Raum betrifft sondern auch den ruhigen Genuß dieses Raums ("droit au respect de son domicile, conçu non seulement comme le droit à un simple espace physique mais aussi comme celui à la jouissance, en toute tranquillité, dudit espace").
Die Wahl des Wohnorts ist eine private Angelegenheit und die freie Wohnsitzwahl ist ein integraler Bestandteil der durch Art 8 EMRK geschützten persönlichen Autonomie. Auch die Wohnadresse ist daher eine vom Schutz des Art 8 EMRK umfasste persönliche Information. Auch Personen von öffentlichem Interesse haben eine legitime Erwartung auf Schutz und Respekt ihres Privatlebens.
Da es nicht um einen staatlichen Eingriff ging, hatte der EGMR zu prüfen, ob der Konventionsstaat seinen positiven Verpflichtungen nachgekommen war, für einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Beschwerdeführerin auf Schutz ihrer Privatsphäre und dem durch Art 10 EMRK gesicherten Recht auf freie Meinungsäußerung zu sorgen. Entscheidend war daher der Beitrag der veröffentlichten Information zu einer Debatte von allgemeinem Interesse und die Schwere des erfolgten Eingriffs in die Privatsphäre.
Selbst unter der Annahme, dass der Bericht über den Einbruch bei einer Prominenten einen Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse, etwa über die Kriminalität schlechthin, leisten könne, sei aber, so der EGMR, kein Anhaltspunkt dafür zu finden, weshalb sich die Zeitung ohne Einverständnis der Betroffenen entschloss, die exakte Wohnanschrift zu veröffentlichen. Auch in den Entscheidungen der nationalen Gerichte sei nicht zu erkennen gewesen, dass eine entsprechende Abwägung tatsächlich erfolgt wäre; insbesonderen hatten die Gerichte die Auswirkungen der Veröffentlichung auf das Privatleben der Betroffenen nicht in Betracht gezogen.
Der EGMR kam daher zum Ergebnis, dass das Fehlen einer adäquaten Abwägung der beteiligten Interessen und der Auswirkungen der Veröffentlichung auf die Beschwerdeführerin eine Verletzung der dem Staat auferlegten positiven Verpflichtungen nach Art 8 EMRK war. Auch unter Berücksichtigung des dem Konventionsstast zukommenden Beurteilungsspielraums haben die nationalen Gerichte, die eine Abwägung unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung des EGMR etablierten Kriterien unterlassen hatten, das Privatleben der Beschwerdeführerin nicht ausreichend und effektiv geschützt.
PS - weil es mir vor kurzem einmal untergekommen ist und hier vielleicht ganz gut dazupasst: im April dieses Jahres hat der FPÖ-Abgeordnete zum Europaparlament Franz Obermayr eine Presseaussendung versandt mit dem Titel: "Türkischer Richter darf nicht über Menschenrechte in der EU urteilen!" Darin sprach er sich gegen den geplanten Beitritt der EU zur EMRK aus, denn er könne "nur das Schlimmste befürchten, sollte sich die EU dieser linkslinken Judikatur unterwerfen."
Dazu wollte ich nur anmerken, dass der "türkische Richter" derzeit eine türkische Richterin ist (blond und ohne Kopftuch übrigens), die natürlich nicht nur - wie im vorliegenden Fall - über Menschenrechte in der Türkei urteilt, sondern zB auch über Menschenrechte in Österreich (zB im Fall S.H. gegen Österreich). Österreich hat sich also dieser nach Ansicht des Herrn Abgeordneten "linkslinken Judikatur" unter Beteiligung einer türkischen Richterin längst unterworfen.
Sunday, October 07, 2012
EGMR: Falter gegen Österreich (Nr. 2) - wenn Kritik an einer Richterin zur üblen Nachrede wird
Die Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK umfasst natürlich auch die Freiheit, RichterInnen und die Justiz zu kritisieren: "The press is one of the means by which politicians and public opinion can verify that judges are discharging their heavy responsibilities in a manner that is in conformity with the aim which is the basis of the task entrusted to them", hat der EGMR schon in seinem Urteil vom 26. April 1995, Prager und Oberschlick gegen Österreich (Appl. no 15974/90), ausgeführt (zu aktuelleren Entscheidungen des EGMR, in denen es um Kritik an RichterInnen ging, siehe im Blog hier).
Auch für Justizkritik gelten aber die allgemeinen, gesetzlich vorgesehenen Beschränkungen, wie sie Art 10 Abs 2 EMRK ausdrücklich zulässt (soweit sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse unter anderem des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, oder um das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten). Der - ohne ausreichende Tatsachengrundlage erhobene - Vorwurf, eine Richterin habe mit Absicht Beweise falsch gewürdigt, ist daher nicht mehr von der Freiheit der Meiungsäußerung nach Art 10 EMRK gedeckt, wie der EGMR vor kurzem in seinem Urteil vom 18. September 2012, Falter Zeitschriften GmbH gegen Österreich (Nr. 2) (Appl. no. 3084/07; Zusammenfassung des EGMR) festgehalten hat.
Ausgangspunkt: der Falter-Artikel "GV mit einer Negerin"
Die Wochenzeitung Falter berichtete in der Ausgabe Nr. 19/2005 in großer Aufmachung ("Justizskandal" stand schon auf der Titelseite) über einen Prozess gegen einen Wachdienstmitarbeiter im Asyl-Aufnahmezentrum Traiskirchen. Der Wachdienstmitarbeiter wurde in diesem Verfahren vom Anklagevorwurf, er habe eine Asylwerberin aus dem Kamerun vergewaltigt, freigesprochen - im Zweifel, denn, so heißt es im Urteil, "[d]ie leugnende Verantwortung des Angeklagten konnte durch das durchgeführte Beweisverfahren nicht widerlegt werden." Zur Anklage war es überhaupt erst aufgrund eines Subsidiarantrags der betroffenen Asylwerberin gekommen; die Staatsanwaltschaft war nämlich zuvor von der Strafverfolgung zurückgetreten (siehe die Entscheidung des OLG Wien auf der Website ihres Rechtsvertreters; dort findet sich auch der Text eines dazu im profil erschienenen Artikels).
Im Rahmen der Beweiswürdigung ging das Gericht auch auf die Verantwortung des Angeklagten - der behauptete, es habe einvernehmlicher Geschlechtsverkehr stattgefunden - ein, wonach sich die Asylwerberin vielleicht deswegen mit ihm "eingelassen" habe, weil sie sich Vorteile erhofft habe. Dazu heißt es im Urteil wörtlich:
Das Verfahren gegen den Falter
Richterin I.K. klagte aufgrund der im Artikel enthaltenen Vorwürfe die Falter-Medieninhaberin auf Entschädigung wegen übler Nachrede (§ 111 StGB) in Verbindung mit § 6 Mediengesetz. Der Falter bot zunächst den Wahrheitsbeweis an. Das Landesgericht sah - nach Anhörung von Zeugen - den Wahrheitsbeweis als nicht erbracht an: es könne nicht festgestellt werden, dass die Richterin I.K. üble Unterstellungen gemacht oder Beweise nicht beachtet habe. Die Richterin habe sich mit allen Beweismitteln auseinandergesetzt und sie im Einzelnen bewertet. Der Hinweis auf eine frühere Tätigkeit der Zeugin als Prostituierte sei nicht aus der Luft gegriffen worden, sondern stützte sich auf ein Protokoll der kontradiktorischen Einvernahme vor dem Untersuchungsrichter (die Asylwerberin hat sich - laut Angaben ihres Anwalts - in der Hauptverhandlung der Aussage entschlagen.). Der relevante Teil des Protokolls lautete:
Auch für Justizkritik gelten aber die allgemeinen, gesetzlich vorgesehenen Beschränkungen, wie sie Art 10 Abs 2 EMRK ausdrücklich zulässt (soweit sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse unter anderem des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, oder um das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten). Der - ohne ausreichende Tatsachengrundlage erhobene - Vorwurf, eine Richterin habe mit Absicht Beweise falsch gewürdigt, ist daher nicht mehr von der Freiheit der Meiungsäußerung nach Art 10 EMRK gedeckt, wie der EGMR vor kurzem in seinem Urteil vom 18. September 2012, Falter Zeitschriften GmbH gegen Österreich (Nr. 2) (Appl. no. 3084/07; Zusammenfassung des EGMR) festgehalten hat.
Ausgangspunkt: der Falter-Artikel "GV mit einer Negerin"
Die Wochenzeitung Falter berichtete in der Ausgabe Nr. 19/2005 in großer Aufmachung ("Justizskandal" stand schon auf der Titelseite) über einen Prozess gegen einen Wachdienstmitarbeiter im Asyl-Aufnahmezentrum Traiskirchen. Der Wachdienstmitarbeiter wurde in diesem Verfahren vom Anklagevorwurf, er habe eine Asylwerberin aus dem Kamerun vergewaltigt, freigesprochen - im Zweifel, denn, so heißt es im Urteil, "[d]ie leugnende Verantwortung des Angeklagten konnte durch das durchgeführte Beweisverfahren nicht widerlegt werden." Zur Anklage war es überhaupt erst aufgrund eines Subsidiarantrags der betroffenen Asylwerberin gekommen; die Staatsanwaltschaft war nämlich zuvor von der Strafverfolgung zurückgetreten (siehe die Entscheidung des OLG Wien auf der Website ihres Rechtsvertreters; dort findet sich auch der Text eines dazu im profil erschienenen Artikels).
Im Rahmen der Beweiswürdigung ging das Gericht auch auf die Verantwortung des Angeklagten - der behauptete, es habe einvernehmlicher Geschlechtsverkehr stattgefunden - ein, wonach sich die Asylwerberin vielleicht deswegen mit ihm "eingelassen" habe, weil sie sich Vorteile erhofft habe. Dazu heißt es im Urteil wörtlich:
Letztendlich läßt auch die in der kontradiktorischen Einvernahme getätigte Aussage der Zeugin B., bereits in ihrer Heimat der Prostitution nachgegangen zu sein, Rückschlüsse auf die Verantwortung des Angeklagten, die Zeugin habe sich allenfalls deshalb mit ihm eingelassen, weil sie sich aus welchem Grunde auch immer, Vorteile versprochen hatte, zu.Der Falter-Artikel (auf der Website des Anwalts der Asylwerberin nachzulesen) kritisiert Missstände im Asyl-Aufnahmezentrum, vor allem aber auch das Strafverfahren - aus der Perspektive der betroffenen Asylwerberin, die zB immer wieder mit Prostitution in Verbindung gebracht worden sei. Der Artikel enthält massive Vorwürfe gegen die dem Schöffensenat vorsitzende Richterin I.K.*), von der unter anderem behauptet wird, sie habe der Asylwerberin (Zeugin im Prozess gegen den angeklagten Wachdienstmitarbeiter) unmoralische Motive unterstellt, relevante Beweise ignoriert und ein skandalöses Urteil abeliefert. Wörtlich heißt es etwa im Artikel:
"Richterin [I. K.] spricht den Wachmann frei. Gewiß, wenn sie Zweifel an der Schuld des Angeklagten hat, dann muß sie das tun. Doch diese Richterin und ihre Schöffen haben keine Zweifel an der Schuld der Frau. Sie rechnen mit der Afrikanerin ab und sie unterstellen ihr ohne einen Beweis zu liefern die übelsten Absichten."
Reaktionen auf den Falter-Artikel
Der Falter-Artikel löste auch politische Reaktionen aus. Vor allem der Umstand, dass als Folge des Freispruchs die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen die Asylwerberin wegen Verleumdung eingeleitet hatte, wurde dabei thematisiert (ob es in der Folge zu einer Anklage kam, ist mir nicht bekannt; da ich keine weiteren Medienberichte dazu gefunden habe, würde ich es aber eher nicht annehmen). Eine parlamentarische Anfrage (Anfrage, Anfragebeantwortung) behauptete unter Berufung auf den Falter-Artikel, dass "in dem Skandal-Urteil alle für das Opfer günstigen Aussagen, Tatumstände und Indizien einfach beiseite geschoben" worden seien; skandalös seien auch "die im Falter veröffentlichten Aussagen aus der Urteilsverkündung, die als rassistisch und vorurteilsbeladen bezeichnet werden müssen."
Der Falter-Artikel löste auch politische Reaktionen aus. Vor allem der Umstand, dass als Folge des Freispruchs die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen die Asylwerberin wegen Verleumdung eingeleitet hatte, wurde dabei thematisiert (ob es in der Folge zu einer Anklage kam, ist mir nicht bekannt; da ich keine weiteren Medienberichte dazu gefunden habe, würde ich es aber eher nicht annehmen). Eine parlamentarische Anfrage (Anfrage, Anfragebeantwortung) behauptete unter Berufung auf den Falter-Artikel, dass "in dem Skandal-Urteil alle für das Opfer günstigen Aussagen, Tatumstände und Indizien einfach beiseite geschoben" worden seien; skandalös seien auch "die im Falter veröffentlichten Aussagen aus der Urteilsverkündung, die als rassistisch und vorurteilsbeladen bezeichnet werden müssen."
Das Verfahren gegen den Falter
“Untersuchungsrichter: Es gibt einen Zeugen. Er sagt aus: “im Haus Nr. 8 gibt es Frauen die auf den Strich gehen.” Wissen Sie was davon?
Zeugin: Keine Ahnung, ich nicht, nein. Seit meiner Heimat habe ich es nie gewagt.”
Zwar könne ein Übersetzungsfehler nicht ausgeschlossen werden, aber das lasse nicht den Schluss zu, dass es im Akt keinen Anhaltspunkt für eine frühere Tätigkeit als Prostituierte gegeben hätte.
Der Falter wurde daher zu einer Entschädigung in der Höhe von € 7.000 verurteilt, da der Vorwurf, die Richterin habe ohne Grundlage und aus rassistischen Motiven vorsätzlich Beweismittel unbeachtet gelassen, um einen inländischen Angeklagten freizusprechen, üble Nachrede sei und es kaum eine schwerwiegendere Anschuldigung gegnüber einer Richterin gebe. Die Berufung des Falter blieb ohne Erfolg - ebenso wie die Beschwerde an den EGMR.
Der Falter wurde daher zu einer Entschädigung in der Höhe von € 7.000 verurteilt, da der Vorwurf, die Richterin habe ohne Grundlage und aus rassistischen Motiven vorsätzlich Beweismittel unbeachtet gelassen, um einen inländischen Angeklagten freizusprechen, üble Nachrede sei und es kaum eine schwerwiegendere Anschuldigung gegnüber einer Richterin gebe. Die Berufung des Falter blieb ohne Erfolg - ebenso wie die Beschwerde an den EGMR.
Das Urteil des EGMR
Der EGMR hält fest, dass der Artikel eine Angelegeheit von öffentlichem Interesse betraf. Er enthielt aber nicht nur Kritik am Verfahren gegen den Angeklagten, sondern auch die harte Kritik an der vorsitzenden Richterin, sie sei parteilich gewesen. Die inkriminierten Äußerungen seien - entgegen der Argumentation des Falter - keine Werturteile, sondern Tatsachenmitteilungen (was der Falter auch im nationalen Verfahren behauptet hatte). Der Wahrheitsbeweis war aber nicht gelungen. Damit aber war der Fall entschieden, der EGMR fasst sich entsprechend kurz:
45. The Court considers that the statements in question clearly contained the core message that not only Judge I.K. had failed to give sufficient weight to certain items of evidence and had given too high a weight to others but, moreover, had done so on purpose. The Court agrees with the domestic courts that such assertions were particularly serious and needed a very solid factual basis. From the material before it, the Court does not consider that the applicant company could have relied on such a factual basis.Auch die zugesprochene Entschädigung beurteilte der EGMR als verhältnismäßig; sie sei zwar substantiell, aber der Länge und dem Inhalt des Artikels angemessen, zumal der Artikel besonders nachteilig für die Richterin gewesen sei. Der EGMR kam daher zum Ergebnis, dass keine Verletzung des Art 10 EMRK stattgefunden hat.
Conclusio
Der Fall ist, so wie ihn der EGMR aufbereitet hat, nicht spektakulär. Das Ergebnis beim EGMR war einstimmig, die entscheidende Begründung ist knapp und bündig (und den theoretisch möglichen Antrag, die Sache noch vor die Große Kammer des EGMR zu bringen, kann man wohl getrost als aussichtslos ansehen). Verloren wurde die Sache bereits in Österreich, weil schlicht der Wahrheitsbeweis für die diffamierenden Äußerungen über die Richterin nicht gelungen war.
Die Sache zeigt auch, zu welchen Problemen die gängige Praxis führen kann, sich als Journalist vom Anwalt einer Verfahrenspartei "füttern" zu lassen und sich im Ergebnis die Sicht dieser Seite gewissermaßen zu eigen zu machen, ohne selbst in der Hauptverhandlung gewesen zu sein oder zumindest die Gegenseite bzw die Richterin zu den Vorwürfen gehört zu haben. Der EGMR hat sich in dieser Entscheidung zwar nicht ausdrücklich mit der Frage der journalistischen Sorgfalt auseinandergesetzt, aber doch vergleichsweise ausführlich das Parteivorbringen zur Frage der unterbliebenen Überprüfung bei der Richterin bzw Justizpressestelle referiert; ein solcher Gegencheck hätte vielleicht die Story ein wenig entdramatisiert (wobei sich die Kernbotschaft "Justizskandal" wohl nicht hätte ändern müssen), auf jeden Fall aber in der Verteidigungsstrategie vor den nationalen Gerichten (§ 29 Mediengesetz) und dem EGMR nicht geschadet.
PS: aus verschiedenen Gründen bin ich länger nicht zum Bloggen gekommen; inzwischen gab es auch weitere Urteile und Entscheidungen des EGMR zum Art 10 EMRK, die ich hier nicht gesondert dargestellt, aber - mit einigen Stichworten zum Inhalt - in die Gesamtübersicht aufgenommen habe (es handelt sich um die Urteile Lewandowska-Malec gegen Polen, Polizeigewerkschaft der Slowakischen Republik und andere gegen Slowakei, Eğitim ve Bilim Emekçileri Sendikası gegen Türkei, Yordanova und Toshev gegen Bulgarien, Önal gegen Türkei und Najafli gegen Aserbaidschan).
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*) Die Richterin wird im Urteil des EGMR als "I.K." abgekürzt, im Text des Falter-Artikels, wie er auf der Anwalts-Website wiedergegeben wird, ist der Vorname ausgeschrieben; so oder so ist die Richterin jedenfalls einfach zu identifizieren, schon wegen der Veröffentlichungen zu diesem Prozess in anderen Medien.