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Saturday, December 29, 2007

SPG-Novelle: bei Gefahrensituation IP-Adressen für die Polizei

Angeblich war's ja früher auch schon so, nun wird es - mit Wirkung vom 1. Jänner 2008 - jedenfalls auf eine gesetzliche Grundlage gestellt: die Weitergabe von IP-Adressen durch Provider an die Sicherheitsbehörden (ohne richterlichen Auftrag oder Genehmigung), "wenn bestimmte Tatsachen die Annahme einer konkreten Gefahrensituation rechtfertigen". Die entsprechende Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz wurde mit BGBl I 2007/114 am 28. Dezember 2007 kundgemacht.

§ 53 Abs 3a und 3b SPG lauten demnach:

"(3a) Die Sicherheitsbehörden sind berechtigt, von Betreibern öffentlicher Telekommunikationsdienste (§ 92 Abs. 3 Z 1 Telekommunikationsgesetz 2003 - TKG 2003, BGBl. I Nr. 70) und sonstigen Diensteanbietern (§ 3 Z 2 E-Commerce-Gesetz - ECG, BGBl. I Nr. 152/2001) Auskunft zu verlangen über
1. Namen, Anschrift und Teilnehmernummer eines bestimmten Anschlusses,
2. Internetprotokolladresse (IP-Adresse) zu einer bestimmten Nachricht und den Zeitpunkt ihrer Übermittlung sowie
3. Namen und Anschrift eines Benutzers, dem eine IP-Adresse zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen war,
wenn bestimmte Tatsachen die Annahme einer konkreten Gefahrensituation rechtfertigen und sie diese Daten als wesentliche Voraussetzung für die Erfüllung der ihnen nach diesem Bundesgesetz übertragenen Aufgaben benötigen. Die Bezeichnung eines Anschlusses nach Z 1 kann für die Erfüllung der ersten allgemeinen Hilfeleistungspflicht oder die Abwehr gefährlicher Angriffe auch durch Bezugnahme auf ein von diesem Anschluss geführtes Gespräch durch Bezeichnung eines möglichst genauen Zeitraumes und der passiven Teilnehmernummer erfolgen. Die ersuchte Stelle ist verpflichtet, die Auskunft unverzüglich und kostenlos zu erteilen.
(3b) Ist auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass eine gegenwärtige Gefahr für das Leben oder die Gesundheit eines Menschen besteht, sind die Sicherheitsbehörden zur Hilfeleistung oder Abwehr dieser Gefahr berechtigt, von Betreibern öffentlicher Telekommunikationsdienste Auskunft über Standortdaten und die internationale Mobilteilnehmerkennung (IMSI) der von dem gefährdeten Menschen mitgeführten Endeinrichtung zu verlangen sowie technische Mittel zu ihrer Lokalisierung zum Einsatz zu bringen. Die Sicherheitsbehörde trifft die Verantwortung für die rechtliche Zulässigkeit des Auskunftsbegehrens, dessen Dokumentation dem Betreiber unverzüglich, spätestens innerhalb von 24 Stunden nachzureichen ist. Die ersuchte Stelle ist verpflichtet, die Auskünfte unverzüglich und gegen Ersatz der Kosten nach § 7 Z 4 der Überwachungskostenverordnung – ÜKVO, BGBl. II Nr. 322/2004, zu erteilen."

Die parlamentarische Behandlung dieser Novelle war insofern ungewöhnlich, als zwar eine Regierungsvorlage (272 BlgNR 23. GP) eingebracht worden war, die Beschlussfassung im Plenum des Nationalrates aber auf Grund eines Fristsetzungsantrags ohne vorangegangene Beratung im Innenausschuss erfolgte. Dass dann in der Plenarsitzung mittels Abänderungsantrag noch wesentliche Veränderungen gegenüber der Regierungsvorlage vorgenommen wurden, hat die Skepsis der Oppositionsparteien nicht gerade verringert (zur parlametarischen Behandlung siehe die Ausendung der Parlamentskorrespondenz). In der Regierungsvorlage war nämlich insbesondere noch keine Beauskunftung von IP-Adressen und keine Offenlegung der IMSI vorgesehen gewesen.

Aus rechtstechnischer Sicht bemerkenswert ist auch, dass am selben Tag gleich zwei Novellen des Sicherheitspolizeigesetzes beschlossen wurden, die nun auch am selben Tag im BGBl kundgemacht wurden (BGBl I 2007/113 und BGBl I 2007/114). Beide Novellen treten am selben Tag - 1.1.2008 - in Kraft. Wenn ich nun nicht irgendwo noch eine dritte Änderung des SPG übersehen habe, die auch am 1.1.2008 in Kraft treten soll, dann entsteht jedenfalls eine echte "Gesetzeslücke": denn mit der Novelle BGBl I 2007/113 wird dem § 94 SPG ein Abs 22 angefügt, mit der Novelle BGBl I 2007/114 ein Abs 24 - ein Abs 23 ist nicht zu finden.

Friday, December 28, 2007

Keine Menschenrechte für Österreicher? Was so alles in der Tageszeitung der Republik zu lesen ist

In den Kommentaren, so sagt die Blattlinie der von der Republik Österreich herausgegebenen Wiener Zeitung, ist auch Platz für sehr pointierte und mutige Sichtweisen.

"Mutig" sind zum Beispiel die Behauptungen, ein Einfordern der Menschenrechte sei für Österreicher kaum möglich, das Grundrecht auf Familienleben werde österreichischen Staatsbürgern nicht zugestanden und (österreichischen) Kindern werde kein Anspruch auf Menschenrechte zugestanden, während Kinder, die Bürger anderer Staaten sind, jede Möglichkeit hätten, "den Verfassungsgerichtshof und andere Instanzen anzurufen." All das ist nachzulesen in einem Gastkommentar vom heutigen Tag, verfasst von einem gewissen Peter Ehrenreich ("war etwa 20 Jahre lang für internationale Organisationen tätig, darunter das Europäische Patentamt").

Nun könnte man es einerseits als Zeichen wahrer redaktioneller Unabhängigkeit sehen, dass die Republik Österreich in der von ihr herausgegebenen Zeitung als ein Staat beschrieben wird, in dem offenbar die eigene Verfassung (zu der auch die EMRK zählt, siehe Art. II Z 7 des BVG BGBl 1964/59) nicht gilt, andererseits aber werfen solche "mutigen" Ausführungen wieder die Frage auf, weshalb gerade diese Zeitung maßgeblich durch Pflichtveröffentlichungen finanziert werden muss.

Spät, aber doch: die Märkteempfehlung im Amtsblatt

"Im Prinzip" hatte sich die Kommission ja schon am 13. November 2007 auf die neue Märkteempfehlung nach Art 15 Abs 1 der Rahmenrichtlinie geeinigt (siehe das Protokoll der Kommissionssitzung [nur französisch] hier). Dann dauerte es aber mehr als ein Monat, bis am 17. Dezember 2007 der formelle Beschluss gefasst wurde, und knapp vor dem Jahreswechsel hat es die Empfehlung nun auch ins Amtsblatt geschafft.

Wie schon bekannt, enthält die Empfehlung nur mehr einen Endkundenmarkt und sechs Vorleistungsmärkte:
  1. Zugang von Privat- und Geschäftskunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten (in der alten Märkteempfehlung Markt 1 und 2)
  2. Verbindungsaufbau im öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten (früher Markt 8)
  3. Anrufzustellung in einzelnen öffentlichen Telefonnetzen an festen Standorten (früher Markt 9)
  4. Vorleistungsmarkt für den (physischen) Zugang zu Netzinfrastrukturen (einschließlich des gemeinsamen oder vollständig entbündelten Zugangs) an festen Standorten (neu gefasst, im Wesentlichen dem früheren Markt 11 entsprechend)
  5. Breitbandzugang für Großkunden (früher Markt 12)
  6. Abschluss-Segmente von Mietleitungen für Großkunden (früher Markt 13)
  7. Anrufzustellung in einzelnen Mobilfunknetzen (früher Markt 16)
In der neuen Empfehlung wird nun auch der "Drei Kriterien-Test" für die Marktdefinition erstmals nicht bloß in den Erwägungsgründen (oder in Leitlinien) genannt, sondern im "verfügenden" Teil eines Rechtsaktes (soweit man davon bei einer Empfehlung sprechen kann). Punkt 2 der Empfehlung lautet:

"2. Die nationalen Regulierungsbehörden sollten bei der Festlegung von Märkten, die nicht in dem Anhang aufgeführt sind, sicherstellen, dass die folgenden drei Kriterien kumulativ erfüllt sind:
a) Es bestehen beträchtliche anhaltende Zugangshindernisse. Dabei kann es sich um strukturelle, rechtliche oder regulatorische Hindernisse handeln.
b) Der Markt tendiert innerhalb des relevanten Zeitraums nicht zu einem wirksamen Wettbewerb. Bei der Zugrundelegung dieses Kriteriums ist der Stand des Wettbewerbs hinter den Zugangsschranken zu prüfen.

c) Das Wettbewerbsrecht allein reicht nicht aus, um dem betreffenden Marktversagen angemessen entgegenzuwirken."

Zur neuen Märkteempfehlung gibt es eine Explanatory Note, auf die in Erwägungsgrund 3 der Empfehlung auch verwiesen wird.

Die unsinnigste Bemerkung, die in letzter Zeit zur neuen Märkteempfehlung zu vernehmen war, stammt übrigens von Kommissarin Reding selbst, die bei einem Vortrag am 17. Dezember 2007 (siehe dazu auch hier) Folgendes gesagt hat:

"Erst vor wenigen Tagen habe ich auch im TK-Bereich kräftig dereguliert, in dem ich 50% der Regulierungsmaßnahmen und -verfahren von einem Tag auf den anderen abgeschafft habe."

Wednesday, December 26, 2007

Ski-Wetter und Schleichwerbung

In der Serie "Mit dem Rundfunkrecht durch die Jahreszeiten" (siehe zuletzt hier) sind wir nun im Winter angelangt: beim "Ski-Wetter". Das war - im Jahr 2005 - ein Programmteil des ORF-Fernsehprogramms, der beim Zuseher - wie dies der Bundeskommunikationssenat (BKS)festgestellt hat - zunächst den Eindruck erweckte, dass er ein spezieller Teil der Sendung „ZIB-Wetter“ sei. Der Zuseher konnte demnach davon ausgehen, "dass das redaktionelle Informations-Programm über das Wetter fortgesetzt wird."

Tatsächlich aber wurde "ein werblich gestalteter Beitrag über eine bestimmte Region" gesendet, für den auch ein Entgelt geleistet wurde. In der Entscheidung des BKS wurde daher Schleichwerbung (§ 14 Abs. 2 ORF-G) festgestellt, die vom ORF dagegen erhobene Beschwerde wurde nun vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 14. November 2007 abgewiesen.

Bemerkenswert ist das im Erkenntnis referierte Beschwerdevorbringen des ORF: demnach "entspreche es dem Grundsatz ordnungsgemäßer wirtschaftlicher Gebarung, 'solcher Art lukrierbare Zuschüsse' zum redaktionellen Programm zu erwerben."

Der ORF wurde auch aktiv: die Österreich-Werbung [im BKS-Bescheid nicht anonymisiert], die nach den Feststellungen des BKS den "Spezialwetterbericht" um 5.615,-- € angeboten hatte, wurde aufgefordert, das Angebot im Internet zu entfernen - was auch geschehen ist.

Zur offenbar schwierigen Unterscheidung zwischen Werbung und (redaktionellem) Programm habe ich vor einiger Zeit etwas zur ORF-Tochter tw1 gepostet. Auch hier dürfte jemand aktiv geworden sein und hat immerhin bewirkt, dass die direkten Angebote zum Kauf redaktioneller Sendezeit nicht mehr im Internet verfügbar sind. So ist zum Beispiel auch der Produzent von tourtv, der im vergangenen Mai noch TKPs für redaktionelle Beiträge angepriesen hat, nun vorsichtiger geworden; auf seiner Website heißt es jetzt: "fragen Sie uns. Sie werden Verständnis haben, dass redaktionelle TV-Produktionen generell der jeweiligen Landesgesetzgebung unterliegen die wir selbstverständlich beachten."

Ab 4. Jänner 2008 gibt es übrigens eine neue Sendung auf tw1: Treffpunkt Österreich. Alle redaktionellen Beiträge werden da sicher vollkommen unabhängig und ohne Produktionskostenzuschüsse gestaltet werden, daran muss man einfach glauben. Schön, dass gleich in der ersten Sendung jemand zu Gast ist, der ganz unabhängig z.B. über die Preispolitik der Skigebiete sprechen wird: Prof. Peter Schröcksnadel. Vielleicht könnte er seinen Sohn, Geschäftsführer ua der Sitour Marketing GmbH, gelegentlich dazu motivieren, die Website der Sitour zu aktualisieren, denn dort wird tw1 gleich noch zum eigenen Konzern gezählt (falls das jetzt geändert wird, hier ein Ausdruck, wie es am 26.12.2007 ausgesehen hat). Denn richtig ist ja vielmehr, dass die TW1 Tourismusfernsehen GmbH natürlich stets, wie vom Gesetz gefordert (§ 9 Abs. 1 ORF-G), vom ORF beherrscht wurde, auch schon vor dem Kauf des 50%-Anteils der Sitour im Jahr 2005. Oder sollte irgendwer auch daran zweifeln?

Tuesday, December 18, 2007

"Bring me no more reports"

... sagt Macbeth, als es ihm zuviel der (schlechten) Nachrichten wird. So schrecklich sind die diversen (Tätigkeits)Berichte, die in den letzten Tagen veröffentlicht wurden, zwar nicht, aber genug Lesestoff für lange Winterabende ist immerhin dabei. Hier ein paar aktuelle Hinweise:

Die deutsche Bundesnetzagentur hat ihre Tätigkeitsbereicht für die Bereiche Telekommunikation und Post heute vorgestellt (siehe dazu auch die Rede des Präsidenten der BNetzA). Darin enthalten ist auch ein Abschnitt mit "Auslegungsgrundsätzen zu § 9a TKG", in dem nicht einmal angedeutet wird, dass diese Bestimmung Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens beim EuGH ist.

Die englische Regulierungsbehörde Ofcom hat einerseits ihre Strategier für die Verwertung der "digitalen Dividende" bekanntgegeben (Ofcom Digital Dividend Review: full text, executive summary), andererseits aber auch einen Bericht über internationale Märkte erstellt:
Ofcom Report The International Communications Market 2007 (full text, key points).

Die österreichische Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH im Rahmen ihrer Schriftenreihe schon vor ein paar Wochen den Band Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) im Alltag (Gesamttext als pdf) veröffentlicht. Hinter dem etwas unspezifischen Titel verbergen sich vor allem für Endkunden sehr nützliche Beiträge zum Beispiel über Roaming, Mehrwertdienste, Rufnummernmitnahme und elektronische Signaturen.
Und auch die ERG hat wieder etwas publiziert: einerseits die ERG Common Position on VoIP und andererseits ein Konsultationspapier über symmetrische Terminierungsentgelte im Fest- und Mobilnetz: ERG public consultation on a draft Common Position on symmetry of mobile/fixed call termination rates; das ist zwar ausdrücklich erst ein Konsultationsdokument, aber nach den bisherigen Erfahrungen mit Konsultationsverfahren ist kaum zu erwarten, dass Stellungnahmen im Zuge der Konsultation zu einer nennenswerten Änderung der ERG-Position führen werden.

Dass Konsultationen oft tatsächlich zu wenig substantiellen Antworten führen, hat die RTR übrigens mit ihrem ambitionierten "10-Jahres-Projekt" erlebt:
Im Juni 2007 präsentierte die RTR nicht nur eine Bestandsaufnahme zu zehn Jahren Telekom-Liberalisierung, sondern wollte auch eine Diskussion zu den Herausforderungen für die nächsten Jahre in Gang bringen. Dazu stellte sie drei Diskussionspapiere - zu Separation, Next Generation Networks-Regulierung und NGN-Investitionsanreize und Kostenrechnung - ins Netz und forderte zu Stellungnahmen auf.

Die dazu eingelangten zwölf Stellungnahmen sind hier zu finden - und wenn man manche dieser Stellungnahmen durchsieht, dann stellt sich schon die Frage, ob die Diskussionspapiere überhaupt gelesen wurden. Besonders nett finde ich die Stellungnahme von "ICT Austria", einer Einrichtung, die sich - offenbar ohne beabsichtigte Ironie - als "Think Tank" bezeichnet. Die Stellungnahme ist ein Lehrbuchbeispiel, wie man eine allgemeine und nichtssagende Antwort geben kann, auch wenn viele konkrete Fragen gestellt wurden.

Änderung der Fernsehrichtlinie kundgemacht

Der Inhalt stand ja schon einige Zeit fest (siehe zuletzt hier), seit heute ist es auch "amtlich" - nämlich im Amtsblatt:
die Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit wurde im ABl L 332/27 veröffentlicht (der gemeinsame Standpunkt des Rates vom 15. Oktober 2007 übrigens zeitgleich im ABl C 307E/1).

Ab sofort lautet die offizielle Bezeichnung der Richtlinie daher "Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste". Mit der Kundmachung ist auch der Termin für die nationalen Umsetzungsmaßnahmen fixiert: spätestens ab dem 19. Dezember 2009 müssen die Mitgliedstaaten den geänderten Regelungen nachkommen.

Rechtstechnisch interessant ist, dass mit der Richtlinie auch die sogenannte Behördenkooperationsverordnung geändert wurde (das ist jene Verordnung, nach der Deutschland unter anderem den Bayerischen Rundfunk als Verbraucherschutzbehörde nach Brüssel gemeldet hat). Nun sind ja nach Artikel 249 EG-Vertrag Richtlinien an Mitgliedstaaten gerichtet (und daher in nationales Recht umzusetzen), während Verordnungen unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gelten. Was gilt dann aber, wenn wie hier die Änderung einer Verordnung ausdrücklich als Richtlinie beschlossen wird?

Saturday, December 15, 2007

Der Untersuchungsrichter als Kasperl und weitere Neuigkeiten vom EGMR


Zuletzt schien es fast so, als ob die meisten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Sachen Artikel 10 MRK Österreich betrafen (siehe bisherige Posts hier). Nun ist aber kurz über eine Reihe von Urteilen zu berichten, von denen andere Mitgliedstaaten des Europarats betroffen sind:
Der Schutz der journalistischen Quellen stand sowohl im Urteil vom 27. November 2007 ,Tillack gegen Belgien, Appl. No. 20477/05, als auch im Urteil vom 22. November 2007, Voskuil gegen Niederlande Appl. No. 64752/01, im Mittelpunkt.
Im ersten Fall ging es um einen Stern-Journalisten, der über Unregelmäßigkeiten des EU-Betrugsbekämpfungsbüros (OLAF) berichtet hatte; da der (später nicht erhärtete) Verdacht im Raum stand, dass der Journalist einen Mitarbeiter bestochen habe, erwirkte OLAF bei den belgischen Behörden die Durchführung einer Hausdurchsuchung und der Beschlagnahme zahlreicher Arbeitsunterlagen (inklusive zweier Computer und vier Mobiltelefonen). Der EGMR betonte, dass es sich beim Recht eines Journalisten, seine Quellen nicht zu nennen, nicht um ein Privileg handelt, das man einfach wegnehmen könnte, wenn die Quelle bei der Weitergabe der Information unrechtmäßig gehandelt hat. Das Recht auf Quellenschutz ist Teil der Informationsfreiheit.
Im Fall Voskuil war der Journalist, der die Quelle eines Artikels nicht nennen wollte, sogar in Beugehaft genommen worden: auch das wurde vom EGMR als Verstoß gegen Art. 10 MRK beurteilt. Beide Entscheidungen fielen übrigens einstimmig.
Ebenfalls einstimmig war die Entscheidung vom 6. Dezember 2007 im Fall Katrami gegen Griechenland, Appl. No. 19331/05. Die betroffene Journalistin hatte über Unregelmäßigkeiten in einer gegen ihre Schwester gerichteten Untersuchung berichtet. Dabei hatte sie dem Bürgermeister und dem Untersuchungsrichter auch strafrechtliche Verfehlungen vorgeworfen. Außerdem bezeichnete sie den Untersuchungsrichter als karagiozis und warf ihm vor, seinen Eid gebrochen zu haben.
Ein karagiozis ist eine Figur aus dem griechischen Schattentheater, laut Wikipedia ein armer Gauner, dessen Hauptinteresse Essen und Schlafen ist; nach dem Aussehen und manchen Berichten scheint die Figur auch einiges mit unserem Kasperl gemein zu haben. Der Untersuchungsrichter fand jedenfalls, dass das nicht die passende Bezeichnung für ihn sei, und klagte wegen übler Nachrede. Und obwohl das Berufungsgericht bestätigte, dass die Fakten in der Berichterstattung der Journalistin richtig waren, wurde Frau Katrami wegen Beleidigung zu einer einjährigen (bedingten) Freiheitsstrafe verurteilt. Das ging dem EGMR deutlich zu weit: der Ruf des betroffenen Richters hätte auch mit zivilrechtlichen Mitteln gesichert werden können, und die Verurteilung zu einer (auch bedingten) Haftstrafe war jedenfalls unverhältnismäßig.
Neben diesen drei einstimmigen Kammer-Entscheidungen erging auch eine Entscheidung der großen Kammer, in der eine Kammer-Entscheidung umgedreht wurde:
In der Sache Stoll gegen Schweiz (Große Kammer) Appl. No. 69698/01 entschied die große Kammer am 10. Dezember 2007 mit 12 zu fünf Stimmen, dass keine Verletzung des Art. 10 MRK stattgefunden hat (die Kammer-Entscheidung vom 25. April 2006 war mit vier zu drei Stimmen zum gegenteiligen Ergebnis gekommen).
Der Journalist Stoll hatte ein geheimes Strategiepapier des Schweizer Botschafters in den USA über die Verhandlungen unter anderem mit dem World Jewish Congress über Entschädigungszahlungen auszugsweise zitiert und dabei auch den Eindruck erweckt, dass das Dokument antisemitische Bemerkungen enthalte; er wurde dafür zu einer Geldstrafe von 800 Schweizer Franken verurteilt. In der Gesamtabwägung kam der EGMR zum Ergebnis, dass die Hauptabsicht des Journalisten nicht war, die Öffentlichkeit über ein Thema von allgemeinem Interesse zu informieren, sondern den Bericht des Botschafters zu einem "needless scandal" zu machen. Daher war die Verurteilung zu einer Geldstrafe auch nicht unverhältnismäßig.

Thursday, December 13, 2007

EuGH: must carry und Dienstleistungsfreiheit

In der Rechtssache C-250/06 UPC Belgium hatte der EuGH die Vereinbarkeit nationaler must carry-Regelungen für Kabel-TV-Netze mit Bestimmungen des EG-Vertrages zu beurteilen. Das heutige Urteil in dieser Sache erklärte zwei der vom belgischen Staatsrat vorgelegten Fragen (die sich auf "besondere Rechte" iSd Art 86 EG und einen möglichen Missbrauch einer beherrschenden Stellung iSd Art 82 EG bezogen) als unzulässig, weil das vorlegende Gericht nicht die für eine Beurteilung durch den EuGH notwendigen Angaben gemacht hatte.

Zu beantworten blieb damit die Frage der Vereinbarkeit von must carry-Regelungen mit der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 EG. Die Universaldienst-Richtlinie 2002/22/EG, die in ihrem Art. 31 auch must carry-Regelungen enthält, war ausdrücklich noch nicht Gegenstand des Verfahrens.

Das Ergebnis ist wenig überraschend:
  • must carry-Regelungen (wie die im Anlassfall streitige Regelung für das Gebiet Brüssel-Hauptstadt) sind eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne von Art. 49 EG.
  • Sie können aber durch ein Ziel des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein (wie hier die Erhaltung des pluralistischen Charakters des Fernsehprogrammangebots in einem zweisprachigen Gebiet).
Grundsätzlich sind must carry-Regelungen auch geeignet, das im Allgemeininteresse gelegene Ziel der Aufrechterhaltung des Pluralismus zu erreichen. Bei der Frage, ob sie dazu auch erforderlich sind, haben die Mitgliedstaaten ein weites Ermessen. In keinem Fall aber darf die Maßnahme außer Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen.

Daher muss die Erteilung des must carry-Status
  • erstens einem transparenten Verfahren unterliegen,
  • zweitens auf objektiven, im Voraus bekannten Kriterien beruhen,
  • drittens dürfen diese Kriterien nicht diskriminierend sein.

EuGH: deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten "überwiegend staatlich finanziert"

Mit dem heute verkündeten Urteil in der Rechtssache C-337/06 Bayerischer Rundfunk u.a. hat der EuGH klargestellt, dass die deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten öffentliche Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts sind (zu den Schlussanträgen in dieser Sache siehe schon hier).

Der für Einstufung als öffentlicher Auftraggeber maßgebliche Begriff der „Finanzierung durch den Staat“ ist dabei funktionell zu verstehen (Randnr. 40 ), kann es auch zu keiner unterschiedlichen Beurteilung führen, ob die Finanzmittel den öffentlichen Haushalt durchlaufen, oder ob der Staat den Rundfunkanstalten das Recht einräumt, die Gebühren selbst einzuziehen (Randnr. 47).

Der EuGH hält fest, dass die Gebühr, die die überwiegende Finanzierung der Tätigkeit der fraglichen Einrichtungen sicherstellt, ihren Ursprung in einem staatlichen Akt hat:
"Sie ist gesetzlich vorgesehen und auferlegt, ergibt sich also nicht aus einem Rechtsgeschäft zwischen diesen Einrichtungen und den Verbrauchern. Die Gebührenpflicht entsteht allein dadurch, dass ein Empfangsgerät bereitgehalten wird, und die Gebühr stellt keine Gegenleistung für die tatsächliche Inanspruchnahme der von den fraglichen Einrichtungen erbrachten Dienstleistungen dar." (Randnr. 41)

Auch dass der Staat keinen direkten Einfluss auf die Rundfunkanstalten hat, ändert nichts: immerhin hängt die Existenz der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten selbst vom Staat ab; dies reicht aus, um das Kriterium der Verbundenheit dieser Einrichtungen mit dem Staat zu erfüllen (Randnr. 55).

Und immerhin, aber das ist hier rechtlich natürlich nicht von Bedeutung, ist der Bayerische Rundfunk ja sogar eine - dem Verbraucherschutz dienende - Behörde, wie wir seit kurzem wissen!

Tuesday, December 11, 2007

Einmal geht's noch so: Anhebung der ORF-Programmentgelte

"ORF-Geschäftsführung beschließt Antrag auf Anpassung des Programmentgelts" lautete die Überschrift der ORF-Presseaussendung vom 5. Dezember 2007 (rechtlich ist es natürlich kein Antrag, sondern ein Vorschlag, und er stammt nicht von "der Geschäftsführung", sondern wohl vom dafür zuständigen Organ des ORF, vom Generaldirektor - siehe § 23 Abs 2 Z 8 ORF-G).

Wie immer man (medien- oder sonst) politisch zu diesem Vorschlag steht, oder wie auch immer sich die Finanzsituation des ORF tatsächlich darstellt, überraschend kam der Antrag nicht wirklich. Denn angesichts der allseits für kommendes Jahr erwarteten Prüfung der österreichischen Rundfunkfinanzierung durch die EU-Kommission und der diesbezüglichen deutschen Erfahrungen dürfte die nun geplante Anpassung (= Anhebung) des Programmentgelts die letzte sein, über die der ORF noch ausschließlich selbst entscheiden kann, ohne dass eine externe Kontrolle besteht (dass es laute politische Zurufe gibt, ändert nichts an der rechtlichen Situation, wonach der Stiftungsrat - mit Genehmigung des Publikumsrats - darüber zu entscheiden hat, und dass die Mitglieder dieser Kollegialorgane an keine Weisungen oder Aufträge gebunden sind).

Sowohl während eines laufenden Prüfungsverfahrens durch die Kommission als auch danach wäre eine Anhebung des Programmentgelts zumindest "verfahrenstechnisch" schwieriger durchzusetzen. Denn immerhin ist zu erwarten, dass irgendeine Form der externen Kontrolle bei der Festlegung des Programmentgelts eingebunden werden muss oder dass zumindest ein Genehmigungsvorbehalt einer öffentlichen Stelle, die nicht der ORF selbst ist, vorgesehen wird.

Derzeit erfolgt nur eine nachträgliche Kontrolle der Gebarung des ORF, die einerseits vom Rechnungshof ausgeübt wird, andererseits aber auch durch die ORF-spezifische Prüfungskommission nach § 40 ORF-Gesetz. Wenn der ORF auf seiner Website behauptet, es handle sich bei dieser gesetzlich vorgesehenen Prüfung um eine "freiwillige Selbstkontrolle", so dürfte dem eine etwas eigenwillige Interpretation des Begriffs "freiwillig" zugrunde liegen.

Die Mitglieder des Stiftungsrates (und des Publikumsrates) sind übrigens ehrenamtlich tätig. § 19 Abs 3 ORF-Gesetz lautet:

"Die Funktion als Mitglied des Stiftungsrates und des Publikumsrates ist ein Ehrenamt. Die Mitglieder haben Anspruch auf angemessenen Ersatz der angefallenen Kosten."

Und so schaut das Ehrenamt im Jahresabschluss 2006 des ORF aus:


Sunday, December 09, 2007

Ein spätes Willkommen: Bulgarische und Rumänische Regulierungsbehörden in der ERG

Nicht einmal ein Jahr hat es gedauert, bis die Europäische Kommisison nach dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens den Beschluss zur Einrichtung der Gruppe Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste an die neue Wirklichkeit angepasst hat. Mit Beschluss vom 6. Dezember 2007 wurde nun der Anhang zur ERG-Entscheidung (hier die alte Fassung) neu gefasst um erstmals die Nationalen Regulierungsbehörden Bulgariens und Rumäniens aufzunehmen, und auch die seit 2004 eingetretenen Änderungen in den Bezeichnungen anderer Regulierungsbehörden zu berücksichtigen.

Bemerkenswert, dass der Beschluss der Kommission nur zwei Tage darauf im Amtsblatt veröffentlicht wurde, während die neue Märkteempfehlung nach bald vier Wochen noch immer nicht im Amtsblatt zu finden ist und auch die Reformvorschläge der Kommission, die am 13. November 2007 beschlossen wurden, noch immer nicht in deutscher, englischer oder französischer Sprache im Register der KOM-Dokumente aufscheinen.*)

Mit dieser Änderung des ERG-Beschlusses ist nun nach der polnischen UKE mit der bulgarischen CRC eine weitere Regulierungsbehörde Mitglied der ERG, die von der Europäischen Kommission als nicht unabhängig im Sinne der Rahmenrichtlinie beurteilt wird (siehe zu Polen hier und hier). Nur ein paar Tage vor dem Beschluss über die ERG-Mitglieder hat die Kommission ja ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Bulgarien eingeleitet und der dortigen Regulierungsbehörde ausdrücklich "mangelnde Unabhängigkeit und Effizienz" vorgeworfen.

*) auf der Übersichtsseite der DG Info sind die Dokumente aber seit gestern verfügbar, daher kann man nun zB auch offiziell die Bezeichnung der Superagency auf deutsch nennen: "Europäische Behörde für die Märkte der elektronischen Kommunikation" - das lässt sich also auf deutsch genausowenig zündend abkürzen (EBMeK?) wie auf englisch (EECMA).

Sunday, December 02, 2007

Hier spricht die Anstalt: was genau ist ein Vollprogramm?

Der Begriff des Vollprogramms ist im deutschen Rundfunkstaatsvertrag - ganz ähnlich wie in Österreich in § 2 Z 17 Privatfernsehgesetz - so definiert:

"ein Rundfunkprogramm mit vielfältigen Inhalten, in welchem Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung einen wesentlichen Teil des Gesamtprogramms bilden"
Was man sich darunter vorstellen soll, das versucht die Landesmedienanstalt Saarland in einem aktuellen Dokument zu beschreiben; besonders beeindruckt hat mich dabei folgender Satz:

"Die mit dem scheinbar so unscharfen Begriff des Vollprogramms gemeinte Qualität lässt sich unschwer als genau das beschreiben, was vorliegt, wenn etwas alles aufweist, was zu einem 'vollen' Programm, zur Programmfülle (Vielfalt) gehört."
Ein Programm ist also genau dann ein Vollprogramm, wenn es alles hat, was es zu einem solchen macht. So unschwer genaue Definitionen könnte man öfter gebrauchen!

Eine detailliertere Ableitung, die - augenscheinlich genauso unschwer - zum Ergebnis kommt, dass ein Vollprogramm eine bestimmte Minutenanzahl an Nachrichtensendungen erfordert, findet sich hier. Diese Definitions-Übung führt insgesamt zur Forderung, dass auch private TV-Veranstalter zum "public value" beitragen müssen. In der Medienanstalts-typischen Sprache heißt das dann so:

"Es ist keine gesetzeskonforme Option für den privaten Rundfunk, sich seiner Pflicht zur Erzeugung eines public value zu entledigen. Dies gilt auch und gerade dann, wenn ökonomische Interessen dazu vermeintlich nötigen. Dies um so mehr, wenn man ansonsten aber die Schutzwirkung des Rundfunks in seiner Doppelnatur (z. B. bei der Frage der 'Frequenzversteigerung') einfordert."

Inzwischen hat sich - auf der anderen, der öffentlich-rechtlichen Baustelle - die ARD "auf ein gemeinsames Verfahren zur Durchführung des so genannten Drei-Stufen-Tests für neue digitale Gemeinschaftsangebote geeinigt." Den Begriff "public value test" vermeidet die ARD konsequent, weil er in Richtung des BBC-Modells deutet, das aber einen Schritt weiter geht als der Drei-Stufen-Test, bei dem geprüft wird,
  1. ob das neue Angebot Teil des Auftrags der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist,
  2. welchen qualitativen Beitrag zum publizistischen Wettbewerb es leistet und
  3. wie hoch der damit verbundene finanzielle Aufwand ist.
Im BBC-Modell kommt zu den drei hier genannten Stufen noch eine Beurteilung der Auswirkungen auf den Markt hinzu, die von der Ofcom erstellt wird (Market Impact Assessment).

Laut Aussendung der ARD war es wichtig, "den bürokratischen Aufwand in Grenzen zu halten"; daher wurde "das in der ARD bewährte Federführungsprinzip auch für den Drei-Stufen-Test eingeführt". Wie unbürokratisch sich das abspielen wird, zeigt sich schon daran, dass in das Verfahren auch die Rundfunkräte der jeweils anderen (acht) Rundfunkanstalten einbezogen werden und die Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK) die Koordinierung übernimmt. Etwas Unbürokratischeres als eine Gremienvorsitzendenkonferenz, die alle ARD-Rundfunkanstalten im Verfahren des public value tests 3-Stufen-Tests koordiniert, kann man sich ja wirklich schwer vorstellen.

Auch der österreichische öffentlich-rechtliche Rundfunk wird sich einem Public Value Test stellen: vor elf Monaten hat ORF-Generaldirektor Wrabetz dies jedenfalls angekündigt und dabei explizit - anders als die ARD - auf das BBC-Modell verwiesen. In einem Monat - ab Jänner 2008 - soll es soweit sein (siehe folgende screenshots von der ORF-Website):


Saturday, December 01, 2007

Lokalfernsehen: Public Value oder Public Relations?

Lokalfernsehen beschäftigt die österreichische genauso wie die amerikanische Regulierungsbehörde: Vor wenigen Tagen beschloss die FCC neue Regeln, mit denen Fernsehveranstaltern umfangreiche Berichtspflichten betreffend ihr Lokalprogramm auferlegt werden (siehe Presseaussendung, der Beschluss selbst ist noch nicht veröfffentlicht). Die Veranstalter werden vierteljährlich einen standardisierten Bericht veröffentlichen müssen, in dem der Anteil verschiedener Programme anzugeben ist, wie zB "local civic programming, local electoral affairs programming, public service announcements, and independently produced programming".

Wie in Österreich Lokalfernsehen in der Praxis ausschaut, haben Julia Wippersberg und die soeben mit dem Lupac-Wissenschaftspreis ausgezeichnete Astrid Dietrich im Auftrag der RTR näher untersucht. Das Ergebnis ihrer Arbeit liegt nun in der RTR-Schriftenreihe vor (download hier). Die Studie bescheinigt den Lokal-TV-Veranstaltern "lokale Vielfalt, höchste Relevanz der Inhalte für die Rezipienten sowie große Publikumsakzeptanz", spart aber auch problematische Aspekte nicht aus. Rundfunkrechtlich bemerkenswert ist etwa die Frage der sogenannten "PR-Berichte". Dazu heißt es in der Studie:

"Eine besonders heikle Frage ist jene, ob ein redaktioneller Beitrag als so genannter 'PR-Bericht' einzuordnen ist. Als PR-Berichte werden von den Sendern jene Berichte bezeichnet ... die gegen Bezahlung in der Art eines redaktionellen Beitrags produziert und ohne Kennzeichnung als 'bezahlte Einschaltung' gesendet werden. ... Die Trennung von gekaufter Zeit, die als redaktioneller Beitrag anmutet und objektiver Berichterstattung wird auch von den Programmveranstaltern als konfliktreich angesehen – für die finanzielle Absicherung der Sender sind die Einnahmen aus diesen PR Berichten aber unbedingt nötig, da diese nicht als klassische Werbung gelten und somit nicht in die durch das PrTV-G erlaubten Werbezeiten eingerechnet werden."
Rund 50% (!) aller "redaktionellen Beiträge" ordnen die Autorinnen als (bezahlte, aber nicht gekennzeichnete) PR-Berichte ein. Dass solche Beiträge nicht in die "klassische Werbezeit" eingerechnet werden, sagt freilich über ihre Vereinbarkeit mit anderen Bestimmungen des Privatfernsehgesetzes noch nichts aus ...

Und auch von der Neufassung der Fernsehrichtlinie, die nun auch im Europäischen Parlament beschlossen wurde (siehe die Presseaussendung des Parlaments, zum Text siehe hier bzw mein letztes Update) können sich die Lokal-TV-Veranstalter diesbezüglich nicht viel erwarten: die Werbezeiten bleiben weiter auf höchstens 12 Minuten pro Stunde beschränkt.

Für die Umsetzung der Richtlinie, die dann "Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste" heißen wird, haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, sodass - wenn die RL nun wie erwartet in den nächsten Tagen im Amtsblatt veröffentlicht wird - eine Umsetzung bis zum Dezember 2009 zu erfolgen hat.

Wednesday, November 28, 2007

Zuständige Behörde: Bayerischer Rundfunk

Die Zusammenarbeit der Verbraucherschutzbehörden der EU-Mitgliedstaaten ist seit 2004 in der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 geregelt. Die Kooperation bezieht sich auf die im Anhang zur Verordnung angefürten Richtlinien, darunter unter anderem die Fernsehrichtlinie. Nun hat die Kommission erstmals die Liste der ihr von den Mitgliedstaaten gemeldeten zuständigen Behörden veröffentlicht (ABl Nr. C 286 vom 28.11.2007, S. 1). Was eine "zuständige Behörde" ist, wird in Artikel 3 Buchstabe c der Verordnung so festgelegt:
jede Behörde auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene, die spezifische Zuständigkeiten zur Durchsetzung der Gesetze zum Schutz der Verbraucherinteressen besitzt"
Was beim ersten Blick auf diese Liste auffällt, ist die Meldung des Bayerischen Rundfunks als zuständige Behörde, die als eine von insgesamt 17 Behörden für die Durchsetzung der die Fernsehrichtlinie umsetzenden nationalen Gesetze in Deutschland zuständig ist. Als Nichtdeutscher kann man sich da nur einmal wundern, wenngleich mit ein bisschen Phantasie der Rundfunkrat gewisse behördlichenähnliche Aufgaben erfüllt - "Er wacht darüber, dass der Bayerische Rundfunk seine Aufgaben gemäß dem Gesetz erfüllt", heißt es Art 6 Abs 1 des Bayerischen Rundfunkgesetzes.

Bemerkenswert ist die Sache freilich insoweit, als der Bayerische Rundfunk sonst ja nicht gerade Wert darauf legt, allzu nahe am Staat anzustreifen. Und in rund zwei Wochen, am 13. Dezember 2007, wird der EuGH darüber sein Urteil sprechen, ob der Bayerische Rundfunk - wie die anderen deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten - als öffentlicher Auftraggeber im Vergaberecht zu beurteilen ist. Nein, meint der BR, es fehle an der staatlichen Aufsicht und der staatlichen Finanzierung; Ja, meint der Generalanwalt (Details in den Schlussanträgen: Rs C-337/06).

Aber der Bayerische Rundfunk ist nicht allein in Europa: auch in Irland ist die RTE (Radio Teilifís Éireann) offenbar nicht nur Fernsehveranstalter, sondern auch gleich Kontrollbehörde.

Update 10.07.2012: Auch 2012 ist der Bayerische Rundfunk immer noch zuständige Behörde (siehe die Veröffentlichung der Kommission im EU-Amtsblatt C vom 23.06.2012), die bei sich selbst die audiovisuelle MediendiensteRL durchsetzen soll; in Irland hat man aber zwischenzeitig die Rechtslage geändert und eine vom Rundfunkveranstalter verschiedene Aufsichtsbehörde eingeführt.

Update 06.02.2015: Auch mit Stand 18.10.2014 hat Deutschland wieder einmal den Bayerischen Rundfunk als zuständige Behörde nach Brüssel gemeldet (Veröffentlichung der Kommission im ABl C 23 vom 23.01.2015).

Thursday, November 22, 2007

EuGH C-262/06 Deutsche Telekom - Übergangsrecht

Generalanwalt Colomer hatte in seinen Schlussanträgen zwar versucht, eine gewisse Theaterstimmung aufkommen zu lassen, aber nicht einmal er konnte wirklich für Spannung sorgen. Und tatsächlich blieb auch das heute verkündete Urteil des EuGH in der Rechtssache C-262/06 Deutsche Telekom ohne Schlusspointe: dass die Übergangsbestimmung des Art 27 der RahmenRL die Mitgliedstaaten dazu anhielt, alle bestehenden Verpflichtungen aus dem alten Rechtsrahmen beizubehalten, bis die nationale Regulierungsbehörde die Marktanalyse nach dem neuen Rechtsrahmen abgeschlossen hatte, konnte man ziemlich klar herauslesen.

Dass die Deutsche Telekom der Auffassung war, diese Regelung gelte nicht für eine auf Grund des alten Rechts bestehende Verpflichtung, Tarife genehmigen zu lassen, verwundert nicht. Überraschender war schon, dass sich das VG Köln dieser Ansicht anschloss, was wohl mitentscheidend dafür gewesen sein könnte, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht gleich selbst auf Basis acte clair ohne Vorlage an den EuGH entschieden hat.

Der EuGH hat sich nun redlich bemüht, in den Randnummern 18 bis 43 seines heutigen Urteils allen möglichen Auslegungsschienen nachzugehen, auch wenn schon der Text selbst in der grammatikalischen Auslegung keine Zweifel lässt. Auch die weiteren systematischen und teleologischen Überlegungen lassen, wie der EuGH aufzeigt, keinen anderen Schluss zu. Das Ergebnis: Art 27 Abs 1 der RahmenRL und Art 16 Abs 1 Buchst a der UniversaldienstRL
"sind dahin auszulegen, dass ein gesetzliches Gebot zur Genehmigung von Entgelten für die Erbringung von Sprachtelefondienstleistungen gegenüber Endnutzern durch Unternehmen mit insoweit marktbeherrschender Stellung wie das Gebot nach § 25 [dt. TKG 1996], das im innerstaatlichen Recht aus der Zeit vor dem aus diesen Richtlinien resultierenden Rechtsrahmen enthalten ist, und die diesbezüglichen feststellenden Verwaltungsakte vorübergehend aufrechtzuerhalten sind."

Monday, November 19, 2007

Update zur Fernseh-Richtlinie

Die Beschlussfassung der Richtlinie zur Änderung der Fernsehrichtlinie rückt näher: am 29. November wird das Europäische Parlament darüber abstimmen; nach der Empfehlung des Ausschusses für Kultur und Bildung vom 13. November sind keine Überraschungen mehr zu erwarten. Die Richtlinie wird daher aller Voraussicht nach noch im Dezember im Amtsblatt veröffentlicht werden und mit dem Text des gemeinsamen Standpunktes übereinstimmen.


Die Mitteilung der Kommission zum gemeinsamen Standpunkt enthält auch eine Anmerkung zur Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden. Anders als im Vorschlag der Kommission, nach dem die Mitgliedstaaten die "Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden" hätten gewährleisten sollen, findet sich ja im gemeinsamen Standpunkt keine solche Festlegung mehr. Artikel 23b lautet demnach so:
"Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen, um sich gegenseitig und der Kommission, insbesondere über ihre zuständigen unabhängigen Regulierungsstellen, die Informationen zu übermitteln, die für die Anwendung der Bestimmungen dieser Richtlinie und insbesondere der Artikel 2, 2a und 3 notwendig sind."

Dass es solche unabhängigen Behörden in jedem Fall geben muss, kann man daraus wohl nicht ableiten, auch wenn es die Kommission in ihrer Mitteilung andeutet, indem sie schreibt
"Im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden schlug der Ratsvorsitz vor, in einer Erwägung auf die Möglichkeit zu verweisen, dass die Mitgliedstaaten unabhängige nationale Regulierungsstellen einrichten. Diese müssten sowohl von den nationalen Regierungen als auch von den Veranstaltern unabhängig sein. Das Europäische Parlament und die Kommission hielten es für notwendig, den Verweis auf solche Gremien in den verfügenden Teil der Richtlinie aufzunehmen."

Sunday, November 18, 2007

Der EGMR zur "Jagdgesellschaft"

Der Begriff der "Jagdgesellschaft" ist in der gegenwärtigen politischen Diskussion ziemlich eindeutig besetzt: durchsucht man etwa die APA-OTS-Datenbank, so stammen fast alle Aussendungen des Jahres 2007 , in denen der Begriff "Jagdgesellschaft" vorkommt, entweder von der Freiheitlichen Partei oder vom Bündnis Zukunft Österreich, eine auch vom Österreichischen Pennäler Ring. Auch in den Vorjahren zieht sich das im Wesentlichen so durch, wenngleich auch der (damalige) ÖVP-Generalsekretär Lopatka im Jahr 2006 diesen Begriff mehrfach in Aussendungen gebraucht hat.

Auch im rechten Wochenblatt "Zur Zeit", das nach eigenen Angaben "gegen den linken Tugendterror, der mit der Faschismuskeule unabhängiges Denken und Publizieren verhindern möchte" eintritt, kam der Begriff der Jagdgesellschaft vor. Er richtete sich gegen den Publizisten Karl Pfeifer, dem von einem gewissen M., "former Chairperson of the Freedom Party's Academy", vorgeworfen wurde, Mitglied einer Jagdgesellschaft gewesen zu sein, die einen konservativen Politologen in den Tod getrieben habe. Pfeifer klagte wegen übler Nachrede, gewann in erster und verlor in zweiter (und letzter) Instanz (OLG Wien). Er brachte die Sache vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der nun - sechs Jahre später - in seinem Urteil vom 15. November 2007 (Appl. No. 12556/03 Pfeifer v. Austria) eine Verletzung des Art 8 EMRK feststellte: Österreich habe es verabsäumt, den guten Ruf des Betroffenen zu schützen.
Kern der Entscheidung ist wieder einmal die Abwägung zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 10 EMRK und dem Recht auf Achtung des guten Rufs, das sich aus Art. 8 EMRK herleitet. Der EGMR, der wie in allen Fällen der jüngeren Vergangenheit auch diesmal eine Feinprüfung in der Art eines Berufungsgerichtes vornimmt, kommt zunächst einmal zum Ergebnis, dass der Vorwurf, Mitglied einer Jagdgesellschaft zu sein, die jemanden in den Tod getrieben hat, als Tatsachenbehauptung zu verstehen ist. Selbst wenn man aber darin ein Werturteil erblicken sollte, hätte es keine ausreichende Tatsachengrundlage:
"The use of the term 'member of a hunting society' implies that the applicant was acting in cooperation with others with the aim of persecuting and attacking P. There is no indication, however, that the applicant, who merely wrote one article at the very beginning of a series of events and did not take any further action thereafter, acted in such a manner or with such an intention."
Richter Loucaides (zuletzt hervorgetreten in der Sache Lindon mit einer Umkehrung des "chilling effects"-Grundsatzes) begrüßte zwar ausdrücklich, dass erstmals ganz klar der Schutz des guten Rufs einer Person als unter Art 8 EMRK fallend festgestellt wurde, schloss sich aber der Mehrheitsmeinung nicht an. Ebenfalls eine abweichende Meinung vertrat Heinz Schäffer, der als ad hoc-Richter in diesem Fall eintrat. Schäffer stützt sich auch auf die Frage, welche Bedeutung dem Begriff "Jagdgesellschaft" zukommt:
"At any rate, in the German language the phrase 'Jagdgesellschaft' (hunting society/hunting party) – as a language statement – does not necessarily mean an organised group of consciously active collaborators, it very often also refers to a spontaneous social phenomenon: parallel action or an agitated mass."
Als Rechtsbegriff ist die Jagdgesellschaft in den Landesjagdgesetzen definiert; "spontane" Jagdgesellschaften gibt es hier nicht, in der Regel wird ein schriftlicher Gesellschaftsvertrag verlangt (zB § 26 Sbg Jagdgesetz, § 27 NÖ-JG), oder es handelt sich um einen "Verein, dessen satzungsgemäßer Zweck die Pachtung eines Jagdausübungsrechtes ist" (§ 18 Abs 4 Kärntner JG).

Angebliches Opfer nicht nur einer Jagdgesellschaft, sondern gleich einer Treibjagd ist übrigens ein EGMR-bekannter "Austrian citizen born in 1950 and residing in Klagenfurt", der derzeitige Kärntner Landeshauptmann und Kulturreferent Dr. J.H. (so wurde er zuletzt etwa in einer Entscheidung des Bundeskommunikationssenats "anonymisiert"); siehe dazu hier.

Saturday, November 17, 2007

Dann füllen deine Speicher sich mit Vorrat ...

heißt es in der Bibel (Sprüche, Kapitel 3, Vers 2010), allerdings unter der Voraussetzung, dass man den Herrn mit seinem Besitz und "mit den Erstlingen" all seines Ertrages ehrt. Die Datenspeicher der Telekombetreiber werden sich aber bald ganz unabhängig von religiösen Überzeugungen füllen, wenn die Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung umgesetzt wird.

Der Gesetzesentwurf des BMVIT (siehe dazu hier) ist in der Begutachtung heftig kritisert worden (siehe die Stellungnahmen auf der Parlaments-Website); nach einer längeren Sommerpause dürfte es nun in der Regierung abschließende Verhandlungen zu den zentralen Streitfragen der Umsetzung geben. Dabei geht es vor allem um die Dauer der Speicherung (Verkehrsminister und Justizministerin sind für sechs Monate, der Innenminister für ein Jahr) und um die Frage, bei welchen Straftaten die Strafverfolgungsbehörden auf die von den Betreibern auf Vorrat gespeicherten Daten zugegriffen werden darf (Pressemeldungen zB hier und hier). Der Datenschutzrat hat sich vor kurzem neuerlich für eine Speicherdauer von höchstens sechs Monaten ausgesprochen.

Inzwischen wurde in Deutschland die Umsetzung bereits im Bundestag beschlossen (Gesetzesentwurf, Bundestagsprotokoll, siehe S. 12993ff); bemerkenswert die Erklärung einiger SPD-Abgeordneter (auf S. 13031f des Protokolls), die offenbar gewisse Bedenken hatten - aber doch nicht Bedenken genug, um die Zustimmung zu verweigern. Wörtlich heißt es dort:

"Eine Zustimmung ist auch deshalb vertretbar, weil davon auszugehen ist, dass in
absehbarer Zeit eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts möglicherweise
verfassungswidrige Bestandteile für unwirksam erklären wird."

Die Abgeordneten halten also die Verfassungswidrigkeit (einzelner "Bestandteile") des Gesetzes für möglich, finden sich aber damit ab - ein klassischer Fall von dolus eventualis. Die erwartete Sammel-Verfassungsbeschwerde kommt sicher, ihr Entstehen kann man gewissermaßen live mitverfolgen, der jeweils aktuelle Entwurf ist hier zu finden. Derzeit gibt es angeblich schon 16.000 Vollmachtserklärungen (auch wenn die Website korrekt Folgendes klarstellt: "Juristisch ist es ohne Bedeutung, ob eine Person Verfassungsbeschwerde erhebt oder 10.000 Menschen.")

Im UK wurde die Richtlinie schon umgesetzt: Statutory Instrument 2007 No. 2199: Data Retention (EC Directive) Regulations 2007 (Speicherdauer 12 Monate).

Irland hat vor dem EuGH Nichtigkeitsklage gegen die Richtlinie erhoben (Rs C-301/06), freilich nicht wegen inhaltlicher Bedenken, sondern wegen der herangezogenen Rechtsgrundlage. Nach Ansicht Irlands handelt es sich nämlich nicht um eine Maßnahme der Rechtsangleichung, die auf Art 95 EG gestützt werden kann, sondern um eine Maßnahme im Bereich des Strafrechts, also der "dritten Säule" (daher müsste "Titel VI EU, insbesondere die Artikel 30, 31 Absatz 1 Buchstabe c und 34 Absatz 2 Buchstabe b" als Rechtsgrundlage herangezogen werden).

EuGH zu Post-Universaldienst

Während wir auf die spannendsten Telekom-Entscheidungen des EuGH noch warten müssen (die für kommende Woche angekündigte Entscheidung in der Rechtssache C-262/06 Deutsche Telekom, in der es um das Übergangsregime zum Rechtsrahmen 2002 geht, dürfte kaum Überraschungen bringen), gibt es immerhin eine neue Entscheidung aus einem verwandten Bereich: der Postregulierung.

In der Sache C‑162/06 International Mail Spain SL ging es um die Auslegung des Art 7 Abs 2 der Postdienste-RL 97/67/EG (in der Stammfassung, wenngleich auch die durch die RL 2002/39/EG geänderte Fassung im Urteil mitberücksichtigt wird). Nach dieser Bestimmung konnten - "soweit es für die Aufrechterhaltung des Universaldienstes notwendig ist" - die grenzüberschreitende Post und Direktwerbung innerhalb einer bestimmten Grenze "reserviert" (das heißt: dem Universaldienstanbieter vorbehalten) werden.

Der EuGH betont, dass die Reservierung laut Richtlinie "notwendig" sein muss, bloße Zweckmäßigkeit reicht daher nicht aus. "Notwendig" ist die Reservierung aber nur dann, wenn sonst das finanzielle Gleichgewicht des postalischen Universaldienstes beeinträchtigt und damit die Sicherstellung des Universaldienstes gefährdet wäre. Die Beweislast dafür obliegt "dem Mitgliedstaat oder dem Unternehmen, der bzw. das sich auf diese Bestimmung beruft".

Anders als im Telekombereich ist ja im Postdienste-Bereich bis heute die Querfinanzierung des Universaldienstes durch die "Reservierung" von Monopol-Diensten vorgesehen. Mit dem nächsten Schritt der Postdienste-Liberalisierung wird dieses System aufgegeben. Da es dann (für die meisten Mitgliedstaaten per 31.12.2010) keine reservierten Dienste mehr geben darf, wird für die Postdienste auch eine Universaldienstfonds-Lösung ermöglicht, bei der alle Postdiensteanbieter die Nettokosten des Universaldienstes anteilig mitfinanzieren. Die Finanzierung aus öffentlichen Geldern wird auch zulässig - aber wenig wahrscheinlich - sein (siehe dazu Art 7 der neuen Postdiensterichtlinie in der Fassung der politischen Einigung vom Oktober dieses Jahres).

Tuesday, November 13, 2007

Angekündigte Revolution: die Reform des EU-Rechtsrahmens für elektronische Kommunikation

Kommissionsmitglied Reding will nicht nur den "New Deal", sie will gleich die Revolution. Sie hat letzte Grenzen eingerissen, aber - so sagt sie heute - das war bloß eine Symptombehandlung. Nun also kommt der Eingriff am offenen Herzen: "the Commission now goes to the heart of the problem".

Jedenfalls hat die Kommission heute die Entwürfe für die Reform des Rechtsrahmens für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste beschlossen. Für eine nähere Bewertung braucht es natürlich etwas Zeit, vorweg aber einmal der link auf die Übersichtsseite der GD Informationsgesellschaft, auf der alle Dokumente abrufbar sind (direkte links auch auf content and carrier); wer die Beschlüsse der Kommission mit den Entwürfen der GD Info vergleichen will, findet diese ersten Entwürfe am Ende dieses Posts. Ein erster Blick zeigt jedenfalls, dass die "Superagency" nicht wie zunächst geplant mit 110 MitarbeiterInnen auskommen wird, sondern im dritten Jahr schon 134 "staff" zählen soll.

Monday, November 12, 2007

Redings große Vision: was jetzt schon gilt, soll in Zukunft wirklich gelten

"In Zukunft regulieren wir nur dort, wo es erforderlich ist", so wird Kommissarin Reding in aktuellen Pressemeldungen zitiert, in denen sie auch gleich ankündigt, dass sie "elf von bisher 18 Märkten, in denen die Preise von Regulierungsbehörden bestimmt werden, in die Freiheit des Wettbewerbs entlassen" werde.

Natürlich ist es Unsinn, dass die Kommissarin (oder auch die Kommission) elf Märkte in die Freiheit des Wettbewerbs entlassen wird, auch wenn die neue Märkteempfehlung nur mehr sieben Märkte aufweisen wird (die aber wahrscheinlich acht bisherigen Märkten entsprechen).

Denn nicht die Kommission legt fest, welche Märkte zu regulieren sind, und schon gar nicht legt sie fest, ob die Preisregulierung als "spezifische Verpflichtung" auf diesen Märkten zum Einsatz kommt. Vielmehr sind es "die nationalen Regulierungsbehörden, die eine Definition der relevanten Märkte festlegen, und nicht der nationale Gesetzgeber oder eine andere nationale Einrichtung" (so das Klagsvorbringen der Kommission in der Rechtssache C-424/07, Kommission gegen Deutschland), aber auch nicht die Kommission. Die Märkteempfehlung der Kommission ist zwar von den Regulierungsbehörden weitestgehend zu berücksichtigen, aber ob ein Markt auf nationaler Ebene als relevant festgestellt wird, entscheidet ebenso die Regulierungsbehörde, wie die Frage, ob auf diesem Markt effektiver Wettbewerb besteht (wenn auch mit "Vetorecht" der Kommission) - ohne Vetorecht (derzeit) entscheidet die Regulierungsbehörde dann darüber, welche Regulierungsinstrumente zur Anwendung kommen.

In der neuen Märkteempfehlung werden einzelne Märkte auch deshalb nicht mehr enthalten sein, weil in vielen Mitgliedstaaten auf diesen Märkten bereits effektiver Wettbewerb festgestellt wurde (zB Märkte 15 und 17 - zum Ergebnis der ersten Runde der Marktanalyse siehe hier, zur zweiten Runde hier), sodass schon die Behauptung, dass derzeit auf 18 Märkten die Preise von den Regulierungsbehörden bestimmt werden, nicht der Wahrheit entspricht. Aber für eine besondere Tatsachennähe ihrer Pressemitteilungen oder Interviewaussagen war Reding ja auch bisher nicht bekannt (siehe zB hier).

Auch die Aussage "In Zukunft regulieren wir nur dort, wo es erforderlich ist", scheint auf den ersten Blick unsinnig: denn natürlich entspricht es gerade dem Konzept des aktuell geltenden Rechtsrahmens aus dem Jahr 2002, dass Regulierung nur dort ansetzt, wo kein wirksamer Wettbewerb besteht, wo also die Regulierungsmaßnahmen erforderlich sind, um Wettbewerb zu ermöglichen. Aber vielleicht sollte mit dieser Aussage gar nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass in Zukunft, anders als jetzt, nur dort reguliert werden solle, wo es erforderlich ist; vielleicht liegt die Betonung eher auf dem "wir": wir (die Kommission!) werden in Zukunft nur dort regulieren, wo es erforderlich ist. Dies würde schon eher der Intention der aktuellen Gesetzgebungsvorhaben entsprechen, die morgen in der Kommission beschlossen und dann vorgestellt werden sollen (zu den Rohentwürfen siehe hier).

Tuesday, November 06, 2007

Vorurteilsfreies Zuhören, demnächst unter Tel.Nr. 116123

Ein zentraler "Notruf" zur Sperre von Bankomat-, Kredit- oder SIM-Karten - in Deutschland unter der Telefonnummer 116116 erreichbar - wird offenbar gemeinschaftsweit noch nicht als "Dienst von sozialem Wert" gesehen: denn obgleich er in der zu den 116er-Nummern erfolgten Konsultation der Kommission ausdrücklich als eines von zwei Beispielen genannt war, hat er keinen Eingang in die nun vorliegende Entscheidung der Kommission vom 29.10.2007 zur Reservierung weiterer mit 116 beginnender Rufnummern gefunden.

Die Entscheidung ergänzt bzw. ändert die erste Entscheidung vom 15.2.2007, mit der eine Notrufnummer für vermisste Kinder eingeführt wurde (siehe dazu schon hier, hier und hier). Neu sind nicht nur die zwei neuen Rufnummern - 116111 (Hotlines für Hilfe suchende Kinder) und 116123 (Hotlines zur Lebenshilfe) -, sondern auch nähere Beschreibungen der Dienste und dafür geltende "besondere Bedingungen". So wird für die Hotline für vermisste Kinder erstmals klargestellt, dass dieser Dienst ständig erreichbar sein muss ("alle Tage rund um die Uhr, landesweit"). Erstmals wird in der Entscheidung auch festgelegt, was der Dienst bieten muss:

"Der Dienst: a) nimmt Meldungen über vermisste Kinder entgegen und leitet sie an die Polizei weiter; b) berät und unterstützt die für vermisste Kinder verantwortlichen Personen; c) unterstützt die Untersuchung."
Ein "Hotline für Lebenshilfe" wiederum
"bietet dem Anrufer einen menschlichen Ansprechpartner, der ihm vorurteilsfrei zuhört. Er leistet seelischen Beistand für Anrufer, die unter Einsamkeit leiden, eine Lebenskrise durchmachen oder Suizidgedanken hegen."

Das klingt nicht nur nach Telefonseelsorge, das ist im Wesentlichen Telefonseelsorge. Nach den Angaben der Vereinigung von Telefonsseelsorgediensten INFOTES im Rahmen der Konsultation hat auch die österreichische Telefonseelsorge ihr Interesse bekundet, sich für die einheitliche Nummer zu bewerben. Noch konkreter ist die Angelegenheit bei den Hotlines für Hilfe suchende Kinder, hier gibt es nämlich auch schon ein Schreiben des ORF, der die "Rat auf Draht"-Hotline betreibt, mit dem Commitment, die einheitliche Nummer zu beantragen. Damit dürfte jedenfalls diesen Nummern das Schicksal der 116000-Nummer erspart bleiben, die in Österreich derzeit mangels Interesse noch nicht zugeteilt ist.

Interessant ist, dass sowohl die Lebenshilfe- als auch die Kinderhilfe-Hotlines nach der Entscheidung der Kommission ihren Dienst nicht rund um die Uhr anbieten müssen (in diesem Fall müssen aber "Anrufern die nächsten Sprechzeiten angesagt werden.")

Da nicht zu erwarten ist, dass die Diözesen (als Betreiber der Telefonseelsorge) und ORF ihre bestehenden Notrufnummern (142 und 147) aufgeben werden, wird es dann wohl zu einem Nebeneinander zwischen "echten Notrufen" und "Diensten von sozialem Wert" kommen, auch wenn teilweise hinter den unterschiedlichen Nummern dieselben Dienste erbracht werden. Für die Klienten dieser Dienste mag es egal sein, ob sie 147 oder 116111 wählen, wenn man dahinter jeweils zum "Rat auf Draht"-Dienst des ORF gelangt. Sowohl für die Telekom-, als auch für die Notruf-/Hotline-Betreiber aber kann die Unterscheidung wegen der unterschiedlichen Rechtsvorschriften durchaus kritisch sein: immerhin sind die 116er-Nummern zwar für die Anrufenden gratis, aber sonst zielnetztarifiert, und sie unterliegen generell anderen rechtlichen Regelungen (§§ 24a bis 24i KEM-V) als "echte Notrufnummern" (§ 20 TKG 2003, §§ 16 bis 19a KEM-V).

Thursday, October 25, 2007

Must-Carry in Kabelnetzen: strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit

Näher an der Gegenwart als die Sache C-296/06 Telecom Italia (siehe voriges Post) ist die Rechtssache C-250/06 UPC Belgium, in der ebenfalls heute die Schlussanträge erstattet wurden. Zwar spielt auch dieser Sachverhalt noch vor Umsetzung des neuen Rechtsrahmens für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, doch geht es um eine Frage, die auch und gerade nach dem neuen Rechtsrahmen relevant ist: wie weit dürfen Must-Carry-Verpflichtungen gehen, die von den Mitgliedstaaten den Betreibern von Kabelnetzen auferlegt werden?

In Belgien, konkret in der Region Brüssel, hatte der nationale Gesetzgeber Verpflichtungen vorgesehen, nach denen sowohl flämisch- als auch französischsprachige Programme übertragen werden mussten. In der Vorabentscheidungssache stand nun die Frage im Zentrum, ob die Must-Carry Verpflichtungen eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit nach Art 89 EG-Vertrag sind und gegebenenfalls, ob sie dennoch gerechtfertigt werden können.

Dass eine Beschränkung vorliegt, war für den Generalanwalt klar: jedenfalls de facto "ist die Wahrscheinlichkeit, als Anstalt, deren Programme Gegenstand der Übertragungspflicht sind, anerkannt zu werden, für ausländische Rundfunkanstalten auf alle Fälle geringer als für inländische." Die Must-Carry Verpflichtung stellt daher eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar.

In der konkreten Situation Brüssels mit der gegebenen Zweisprachigkeit sind nach Ansicht des Generalanwalts "die Bestimmungen über die Übertragungspflicht ein geeignetes Mittel, um sicherzustellen, dass den Fernsehzuschauern in einem bestimmten Gebiet in ihrer eigenen Sprache lokale und überregionale Informationen sowie Programme zur Förderung ihres kulturellen Erbes zugänglich sind."

Fraglich bleibt aber die Verhältnismäßigkeit: dies zu beurteilen ist Sache des nationalen Gerichts, unter anderem wird dabei nach Ansicht des Generalanwalts aber jedenfalls zu prüfen sein,
"ob unter Berücksichtigung der Anzahl der insgesamt zur Verfügung stehenden Kanäle die Anzahl der Kanäle, die für die durch die Übertragungspflicht begünstigten Rundfunkanstalten reserviert werden müssen, nicht offensichtlich größer ist, als zur Erreichung des Ziels, den Pluralismus zu erhalten sowie lokale und überregionale Informationen zugänglich zu machen, erforderlich ist. Insoweit hat sich das vorlegende Gericht zu vergewissern, dass die Übertragungspflicht nicht unterschiedslos allen Sendern einer bestimmten Rundfunkanstalt zugutekommt, sondern nur denjenigen, die auch tatsächlich zur Erreichung des genannten Ziels beitragen."

Die vom Generalanwalt für den Bereich der Dienstleistungsfreiheit aufgestellten Leitgedanken ziehen sich, wie er in RNr 19 ausdrücklich anmerkt, auch durch die Universaldienstrichtlinie 2002/22/EG. Insbesondere für die deutschen Kabelbelegungssysteme - derzeit Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens des Verwaltungsgerichts Hannover, C-336/07 Kabel Deutschland - dürfte unter den vom Generalanwalt aufgezeigten Gesichtspunkten eng werden. Auch die österreichische must-carry Bestimmung (§ 20 PrTV-G, siehe nun auch § 25a Abs 5 Z 6 PrTV-G) wäre zumindest im Fall einer Ausweitung des Programmangebots des ORF, dessen Programme jedenfalls zu verbreiten sind, zu überprüfen.

Tief ist der Brunnen der Vergangenheit: Neues vom Gemütszustand des Generalanwalts Colomer

Generalanwalt Colomer, bekannt für seine blumige Sprache und den häufigen Ausflug in die schöne Literatur, hatte in der Rechtssache C-296/06 Telecom Italia einen Fall zu behandeln, bei dem es im Ausgangsverfahren zwar um viel Geld (knapp 386 Mio Euro!) ging, der aber weit in die Vergangenheit reicht und juristisch eher weniger ergiebig ist. Und da er schon vier Schlusanträge in ähnlichen Causen erstellt hat, vergleicht er sich in seinen heute veröffentlichten Schlussanträgen mit
"einem Maler, der ein Motiv, nachdem er es auf der Leinwand festgehalten hat, mit anderen Umrissen und Farbtönen erneut einfängt, da sich das Licht, die Umgebung oder sein Gemütszustand verändert haben."

In der Sache selbst geht es um eine Abgabe, die von der Telecom Italia an den italienischen Staat schon zu Monopolzeiten zu zahlen war und auch noch im Jahr 1998, dem ersten Jahr der vollständigen Liberalisierung - unter Berufung auf eine Übergangsvorschrift - eingehoben wurde. Die grundsätzliche Unvereinbarkeit dieser Abgabe mit Art 11 der Allgemein- und Einzelgenehmigungsrichtlinie 97/13/EG stand aus der Frage, der Generalanwalt kommt wenig überraschend zum Ergebnis, dass auch die auf Art. 22 der RL 97/13/EG gestützte Verlängerung der Abgabenpflicht für das Jahr 1998 nicht mit der Richtlinie vereinbar ist. Diese "Besorgnis um die Bewahrung der Vergangenheit" sei nämlich, so der Generalanwalt in RNr 30 der Schlussanträge, nicht unbegrenzt; in einer Fußnote dazu wird das obligate Zitat aus der Literatur nachgereicht:
"Dieser Hang zu vergangenen Zeiten bringt mir den Satz, mit dem Thomas Mann seine großartige Tetralogie Joseph und seine Brüder einleitet, in Erinnerung: 'Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen … wenn nur und allein das Menschenwesen es ist, dessen Vergangenheit in Rede und Frage steht: dies Rätselwesen, das unser eigenes natürlich-lusthaftes und übernatürlich-elendes Dasein in sich schließt und dessen Geheimnis sehr begreiflicherweise das A und O all unseres Redens und Fragens bildet, allem Reden Bedrängtheit und Feuer, allem Fragen seine Inständigkeit verleiht.' "

Bedeutung unter dem neuen Rechtsrahmen wird dieser Rechtssache wohl kaum mehr zukommen, für die aktuellen Bestimmungen der Art 12 und 13 der Genehmigungsrichtlinie 2002/20/EG gibt es keine vergleichbaren Übergangsbestimmungen.

Wednesday, October 24, 2007

EGMR: minimaler Grad von Anstand auch gegenüber Politikern notwendig

Im Fall Oberschlick gegen Österreich hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte akzeptiert, dass es Umstände gibt, unter denen man einen Politiker schon einmal ausdücklich als "Trottel" bezeichnen darf, ohne dafür wegen Beleidgung verurteilt zu werden.
Im vorgestern entschiedenen Fall Lindon, Otchakovsky-Laurens und July gegen Frankreich (Appl. nos. 21279/02 and 36448/02) hat die Große Kammer des EGMR diese Rechtsprechungslinie noch einmal bestätigt, aber zugleich auch Schranken gezogen: als "Chef einer Mörderbande" braucht sich nicht einmal ein Politiker (hier: der französische Front National-Politiker Le Pen) bezeichnen lassen. Im Original:

"The Court nevertheless considers that in the present case the Court of Appeal made a reasonable assessment of the facts in finding that to liken an individual, though he be a politician, to the 'chief of a gang of killers', to assert that a murder, even one committed by a fictional character, was 'advocated' by him, and to describe him as a 'vampire who thrives on the bitterness of his electorate, but sometimes also on their blood', 'oversteps the permissible limits in such matters'."

Und mehr noch: auch ein Mindestmaß an Mäßigung und Anständigkeit könne man sogar gegenüber Politikern verlangen - oder jedenfalls könnte man zumindest versuchen, dieses Mindestmaß einzufordern:

"The Court moreover considers that, regardless of the forcefulness of political struggles, it is legitimate to try to ensure that they abide by a minimum degree of moderation and propriety, especially as the reputation of a politician, even a controversial one, must benefit from the protection afforded by the Convention."

Saturday, October 20, 2007

Die "bis auf weiteres"-Behörde, eine Fortsetzungsgeschichte

Vor mehr als fünf Jahren habe ich beim "Telekom-Hearing" des Verkehrsministeriums erstmals den Begriff der "bis auf weiteres"-Behörden verwendet (hier geht es zum damaligen Referat). Im Regierungsprogramm war nämlich die Schaffung einer einheitlichen Telekom- und Medienbehörde angekündigt worden, während eine Entschließung des Nationalrats die Beibehaltung der bestehenden Behördenstruktur (wörtlich) "bis auf weiteres" forderte - und so schien mir der Sammelbegriff der "bis auf weiteres"-Behörden passend für das österreichtypische, etwas unübersichtliche Geflecht der Medien- und Telekom-Regulierungsbehörden zu sein.

In der Struktur hat sich seither nichts geändert, und wieder gibt es ein Regierungsprogramm, das die Zusammenführung von Medien- und Telekomregulierung in einer einheitlichen Behörde vorsieht. Mehr noch: die neue Behörde soll sogar "erweiterte Kompetenzen" haben, heißt es im Regierungsprogramm, und alle Bewilligungen "für alle elektronischen Anbieter"(!?) abwickeln. Nimmt man das ernst, so würde dies die Zusammenführung der Regulierungsaufgaben von bisher mindestens fünf unterschiedlichen Behörden auf die neu zu schaffende Behörde bedeuten (siehe dazu schon hier).

Zuletzt hatte man sich in der Regierung darauf geeinigt, ab 17. September 2007 die "Umsetzung der unabhängigen konvergenten Medien- und Telekommunikationsbehörde" in Angriff zu nehmen.

Dass es aber noch einige Zeit dauern kann, bis die Umsetzung wirklich erfolgt, zeigt die heute in der Wiener Zeitung veröffentlichte Ausschreibung des Geschäftsführers/der Geschäftsführerin für den Fachbereich Telekommunikation der RTR-GmbH. Dort heißt es nämlich:
"Aufgrund des im Regierungsübereinkommen festgehaltenen Zieles eine verfassungsrechtlich unabhängige, konvergente Medien- & Telekommunikationsbehörde zu errichten, wird die Funktion bis zur Errichtung der neuen Behörde, längstens jedoch auf 3 Jahre befristet, ausgeschrieben."

Für einen Geschäftsführer ad interim werden sich wohl nicht allzu viele InteressentInnen finden - obwohl: wenn es nach den bisherigen Erfahrungen geht, kann gut sein, dass auch in drei Jahren wieder "bis auf weiteres" alles beim Alten bleibt.
Aber ganz egal wie: auch wenn die Presse - siehe hier - wieder einmal alte Falschmeldungen aufwärmt, ich werde mich um diesen Job nicht bewerben.

Thursday, October 18, 2007

Bundeskommunikationssenat als vorlageberechtigtes Gericht

In der Rechtssache C-195/06 KommAustria/ORF hatte der EuGH nicht nur die Fernsehrichtlinie auszulegen (siehe zu dieser Frage hier), sondern musste auch klären, ob der Bundeskommunikationssenat (BKS) ein vorlageberechtigtes nationales Gericht im Sinne des Art 234 EG ist. Da es sich nach nationalem Recht um eine Verwaltungsbehörde - wenn auch "mit richterlichem Einschlag" und verfassungsrechtlich gesicherter Unabhängigkeit - handelt, hatte der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen (siehe dazu hier) vor der Gefahr der "Einmischung einer Verwaltungsbehörde in einen Dialog zwischen Richtern" gewarnt und die Vorlageberechtigung des BKS bezweifelt.

Der EuGH ist den Bedenken des Generalanwalts in diesem Punkt nicht gefolgt. In Rnr. 19-21 heißt es dazu:

"Nach ständiger Rechtsprechung stellt der Gerichtshof zur Beurteilung der rein gemeinschaftsrechtlichen Frage, ob es sich bei der vorlegenden Einrichtung um ein Gericht im Sinne von Art. 234 EG handelt, auf eine ganze Reihe von Gesichtspunkten ab, wie z. B. gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ständiger Charakter, obligatorische Gerichtsbarkeit, streitiges Verfahren, Anwendung von Rechtsnormen durch die Einrichtung sowie deren Unabhängigkeit (vgl. insbesondere Urteile vom 31. Mai 2005, Syfait u. a., C‑53/03, Slg. 2005, I‑4609, Randnr. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 14. Juni 2007, Häupl, C‑246/05, Slg. 2007, I‑0000, Randnr. 16).
Zum einen lassen die Bestimmungen der §§ 11, 11a und 12 KOG zweifelsfrei erkennen, dass der Bundeskommunikationssenat die Kriterien bezüglich der gesetzlichen Grundlage, einer ständigen und obligatorischen Gerichtsbarkeit, des streitigen Verfahrens und der Anwendung von Rechtsnormen erfüllt.
Zum anderen gewährleistet § 12 KOG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes die Unabhängigkeit des Bundeskommunikationssenats.
Demnach ist der Bundeskommunikationssenat als Gericht im Sinne von Art. 234 EG anzusehen, so dass seine Fragen zulässig sind."


Während alle anderen Aspekte meines Erachtens unproblematisch sind, ist die Frage des "streitigen Verfahrens", von dem der EuGH hier ohne weiteres ausgeht, nicht so evident.

Der BKS entscheidet im vorliegenden Fall (betroffen ist eine behauptete Rechtsverletzung des ORF) in erster Instanz gemäß §§ 35ff ORF-G. Nach § 2 Abs 1 Z 7 KommAustria-Gesetz hat die KommAustria zwar die Einhaltung der werberechtichen Bestimmungen des ORF-G zu "beobachten" und nach § 11a KommAustria-Gesetz an den BKS Anzeige zu erstatten; vor dem BKS hat die KommAustria allerdings keine Parteistellung, nicht einmal ein unbedingtes Anhörungsrecht (der BKS ist bloß ermächtigt, die KommAustria zu hören, er muss dies aber nicht tun).

Insofern ist schon die offizielle Bezeichnung der Rechtssache vor dem EuGH als "Kommunikationsbehörde Austria (KommAustria) gegen Österreichischer Rundfunk (ORF)" missverständlich. Der Telekom-Control-Kommission, ebenfalls eine unabhängige Verwaltungsbehörde mit allen Garantien eines Tribunals, hat der EuGH in einer vergleichbaren Angelegenheit (ebenfalls ein erstinstanzlich anhängiges Einparteienverfahren) relativ knapp beschieden, dass "kein Rechtsstreit" vorliege (Rs C-256/05 Telekom Austria).