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Friday, March 15, 2013

Manchmal Gericht, manchmal Verwaltungsbehörde: Generalanwalt Jääskinen zur Schienen-Control Kommission

Nein, die Schienen-Control Kommission kontrolliert keine Schienen (siehe dazu schon hier), sondern sie ist einfach die österreichische Regulierungsbehörde für den Schienenverkehrsmarkt (mit der Besonderheit, dass sie mit 01.01.2014 zugleich einerseits aufgelöst und andererseits neu gegründet wird; mehr dazu hier).

Die Schienen-Control Kommission wurde vom EuGH in seinem Urteil vom 22.11.2012, C-136/11, Westbahn Management GmbH, als vorlageberechtigtes Gericht im Sinne des Art 267 AEUV anerkannt (ich hatte hier im Blog dazu unter Hinweis auf den Beschluss des EuGH in der Rechtssache C-265/05, Telekom Austria AG, gewisse Zweifel geäußert).

Die Begründung des EuGH für die Gerichtseigenschaft der Schienen-Control Kommission war im Wesentlichen darauf gestützt, dass die §§ 81 bis 84 EisbG zeigten, "dass die Schienen-Control Kommission die Kriterien der gesetzlichen Grundlage, der ständigen und obligatorischen Gerichtsbarkeit, der Anwendung von Rechtsnormen sowie der Unabhängigkeit einer solchen Einrichtung erfüllt" und dass "auf das Verfahren vor der Schienen-Control Kommission [...] das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz Anwendung findet, was den streitigen Charakter des Verfahrens vor dieser Einrichtung gewährleistet, in dem die Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen haben und die streitige Erörterung zu einer mündlichen Verhandlung führen kann, zu der Zeugen und Sachverständige geladen werden können."

All dies gilt für die Schienen-Control Kommission freilich unabhängig davon, ob sie nach § 72 EisbG über eine Beschwerde von Zugangsberechtigten gegen die Zuweisungsstelle entscheidet (wie dies dem Vorabentscheidungsersuchen zu C-136/11 zugrunde lag), oder ob sie zB nach § 78b EisbG Entschädigungsbedingungen nach der Fahrgastrechte-Verordnung (VO Nr 1371/2007) zu beurteilen hat. In letzterem Fall aber ist sie nach Auffassung von Generalanwalt Jääskinen in seinen gestern veröffentlichten Schlussanträgen in der Rechtssache C-509/11, ÖBB-Personenverkehr AG, nicht als Gericht, sondern als Verwaltungsbehörde zu beurteilen (GA Jääskinen hatte übrigens schon die Schlussanträge in der Rechtssache C-136/11 Westbahn Management GmbH verfasst, wo auch er die Schienen-Control Kommission als Gericht beurteilte). Die Unterschiede arbeitet er in den Schlussanträgen zu C-509/11 nun so heraus:
49. [...] Wie durch die vom Gerichtshof in der mündlichen Verhandlung gestellten Fragen geklärt worden ist, hat die Schienen-Control Kommission zwei Arten von Funktionen.
50. Erstens wird sie in Fällen wie denen, um die es im Urteil Westbahn Management ging, quasi als Verwaltungsgericht im Kontext eines kontradiktorischen Zwei-Parteien-Verfahrens tätig. Wie der Gerichtshof in diesem Urteil bestätigte, besitzt sie die erforderlichen Eigenschaften, um die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Kriterien in Bezug auf Unabhängigkeit und Zusammensetzung zu erfüllen.
51. Im vorliegenden Verfahren hat die Schienen-Control Kommission dagegen die Rolle einer Verwaltungsbehörde, der im Rahmen der Durchsetzung der Verordnung Nr. 1371/2007 die Aufgaben der zuständigen nationalen Stelle übertragen wurden.
[...]
56. Diese Entscheidung [der Schienen-Control Kommission] kann von dem Eisenbahnunternehmen vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochten werden. Die Schienen-Control Kommission hat dann die Rolle des Beklagten im gerichtlichen Verfahren. Daher kann die Schienen-Control Kommission in einem derartigen Kontext nicht als Gericht betrachtet werden, weil sie die gegnerische Partei im Rechtsstreit mit der ÖBB-Personenverkehr AG ist.
Anders als mit dem merkwürdigen Hinweis auf das Verfahrensrecht im Urteil C-136/11, Westbahn Management GmbH, wird damit der meines Erachtens einzig tragfähige Grund der Differenzierung angesprochen: ging es im Westbahn-Fall um eine Auseinandersetzung zwischen zwei Eisenbahnunternehmen, die von der Schienen-Control Kommission zu entscheiden war - was den kontradiktorischen Charakter ("die Streitigkeit") unterstreicht, so liegt im Fall ÖBB-Personenverkehr AG zunächst noch kein Streit vor, sondern es werden von der Schienen-Control Kommission erst - in verwaltungsbehördlicher Funktion - Maßnahmen gegenüber einem Unternehmen ergriffen (erst wenn dieses Unternehmen dann einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung einlegt, kann ein Streit vorliegen, und damit eine der Voraussetzungen für die Gerichtsqualität einer Einrichtung nach Art 267 AEUV, nämlich dass im Rahmen eines Verfahrens zu entscheiden ist, das auf eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter abzielt).

Nach Auffassung von Generalanwalt Jääskinen (ob der EuGH sich dazu im Urteil überhaupt äußern wird, bleibt abzuwarten, zur Fallentscheidung schiene es mir nicht erforderlich) ist die Schienen-Control Kommission daher je nach konkreter - im Sinne des österreichischen Rechts aber in jedem Fall: verwaltungsbehördlicher - Tätigkeit einmal als Gericht iSd Art 267 AEUV anzusehen, und einmal "nur" als Verwaltungsbehörde (die daher in solchen Fällen auch kein Vorabentscheidungsersuchen stellen könnte).

Eine solche "Doppelgesichtigkeit" ist nicht ungewöhnlich: so hat etwa auch das Landesgericht Salzburg - um ein konkretes, vom EuGH schon entschiedenes Beispiel zu nehmen - manchmal bloß Entscheidungen ohne Rechtsprechungscharakter zu treffen, zB wenn es als Registergericht über Eintragungen ins Firmenbuch zu entscheiden hat (EuGH 22.01.2002, C-447/00, Holto Ltd). In anderen Fällen, selbst wenn es "nur" um die Bewilligung der Verfahrenshilfe im Zusammenhang mit einem Zwangsvollstreckungsverfahren geht, bestehen auch beim EuGH keine Zweifel, dass die vom LG Salzburg zu treffenden Entscheidungen Rechtsprechungscharakter haben (EuGH 13.06.2012, C-156/12, GREP GmbH). 

Damit bleibt noch einmal zu prüfen, wie das alles mit dem Beschluss des EuGH in der Rechtssache C-265/05, Telekom Austria, zusammenpasst: dort ging es um ein - amtswegig eingeleitetes - Verfahren der Marktanalyse, in dem die Telekom-Control-Kommission einen Maßnahmenentwurf vorbereitet hatte, mit dem spezifische Verpflichtungen eines Kommunikationsnetzbetreibers aufgehoben werden sollten. Auf den ersten Blick scheint das tatsächlich ein "einseitiges" administratives Verfahren zu sein, das nicht zu einer Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter führt. Allerdings sind an diesem Verfahren - jedenfalls als Folge des EuGH-Urteils C-426/05 - Tele2UTA - auch Wettbewerber des primär betroffenen Kommunikationsnetzbetreibers Partei des Verwaltungsverfahrens (vgl nun § 37a TKG 2003), sodass man materiell durchaus von einem Verfahren sprechen könnte, in dem eine Streitigkeit zwischen den Verfahrensparteien über die Auferlegung oder Aufhebung von spezifischen Verpflichtungen zu entscheiden ist. Hinzu kommt, dass die vom EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache C-136/11, Westbahn Management, genannten Kriterien, welche die Schienen-Control Kommission erfüllt (siehe oben), genauso auf die Telekom-Control-Kommission zutreffen. Freilich ist dennoch nicht zu erwarten, dass der EuGH ein neuerliches Vorabentscheidungsersuchen der Telekom-Control-Kommission in einem Marktanalyseverfahren deshalb nun annehmen würde. Hat die Telekom-Control-Kommission aber im Rahmen von Zusammenschaltungsstreitigkeiten aufgrund eines Antrages eines Netzbetreibers über die Herstellung bzw die Bedingungen der Zusammenschaltung zu entscheiden, so sehe ich jedenfalls keinen für die Frage der Gerichtsqualität iSd Art 267 AEUV relevanten Unterschied zur Tätigkeit der Schienen-Control-Kommission, wie sie Ausgangspunkt für das Urteil C-136/11, Westbahn-Management, war.
PS: Die Kernfragen der aktuellen Schlussanträge sind natürlich andere. Es geht - vereinfacht - um die Frage, ob Eisenbahnunternehmungen von der Fahrpreisentschädigung nach der VO Nr 1371/2007 befreit sind, wenn eine Verspätung, ein verpasster Anschluss oder ein Zugausfall durch höhere Gewalt verursacht wurden (Generalanwalt: nein), und um die Art der Durchsetzung der VO durch die dafür zuständige nationale Stelle. (siehe dazu auch den Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichtshofes).

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