Im Verfahren ging es um eine Beihilfenentscheidung der Kommission (C(2004)3060), wonach der "Aktionärsvorschuss, den Frankreich France Télécom im Dezember 2002 in Form einer Kreditlinie von 9 Mrd. EUR gewährt hat, [...] vor dem Hintergrund der ab Juli 2002 abgegebenen Erklärungen eine staatliche Beihilfe dar[stellt], die mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar ist." Das EuG hatte diese Kommissionsentscheidung für nichtig erklärt (bzw, um genau zu sein: das EuG hatte Art 1 der Entscheidung für nichtig erklärt und die Anträge, Art 2 der streitigen Entscheidung - die Beihilfe nicht zurückzufordern - für nichtig zu erklären, als erledigt beurteilt).
Zur Vorgeschichte:
France Télécom (FT), im Jahr 2002 noch zu 56,45 % im Eigentum des französischen Staates, wies für 2001 einen Verlust von 8,3 Mrd Euro aus und hatte Nettoschulden von 63,5 Mrd Euro. Die Ratingagenturen stuften das Rating für FT herab, der Aktienkurs fiel erheblich. Daraufhin erklärte der Wirtschaftsminister im Juli 2002 in einem Interview, dass der Staat, sollte FT Finanzprobleme haben, die für die Überwindung erforderlichen Entscheidungen treffen werde. Ähnliche Erklärungen wurden im September und Oktober wiederholt. Die Ratingagenturen berücksichtigten diese Erklärungen bei ihren Einstufungen als positiv. Am 04.12.2002 stellte der neue Vorstand von FT den Plan "Ambition 2005" vor, der eine Kapitalerhöhung uim 15 Mrd Euro vorsah. Am selben Tag wurde eine Pressemitteilung des Wirtschaftsministers veröffentlicht, in der die Unterstützung des Staates für den Plan "Ambition 2005" bekräftigt wurde. Der Staat werde sich an der Kapitalerhöhung mit 9 Mrd Euro beteiligen und sei bereit, seine Beteiligung an der Kapitalerhöhung in Form eines befristeten Aktionärsvorschusses vorwegzunehmen. (Der Plan Ambition 2005 einschließlich des Aktionärsvorschusses wurde ebenfalls am 04.12.2002 der Kommission notifiziert.)
Mehrere aufeinanderfolgende Maßnahmen als eine einzige Maßnahme?
Der EuGH sieht einen Rechtsfehler des EuG zunächst in dessen Ansicht, die Kommission sei verpflichtet, bei jedem staatlichen Eingriff einzeln zu prüfen, ob damit ein spezifischer Vorteil aus staatlichen Mitteln gewährt wurde. Er hält dazu fest:
103 Da die staatlichen Maßnahmen unterschiedliche Formen annehmen und nach ihren Wirkungen zu untersuchen sind, kann nicht ausgeschlossen werden, wie die Unternehmen Bouygues und die Kommission zutreffend ausführen, dass mehrere aufeinanderfolgende Maßnahmen des Staates für die Zwecke der Anwendung von Art. 107 Abs. 1 AEUV als eine einzige Maßnahme zu betrachten sind.Im konkreten Fall ist die Lage für den EuGH jedenfalls hinsichtlich der Erklärung vom 04.12.2002 und dem darin auch erwähnten Aktionärsvorschuss klar:
104 Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn aufeinanderfolgende Maßnahmen insbesondere in Anbetracht ihrer zeitlichen Abfolge, ihres Zwecks und der Lage des Unternehmens zum Zeitpunkt dieser Maßnahmen derart eng miteinander verknüpft sind, dass sie sich unmöglich voneinander trennen lassen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. April 1980, Kommission/Italien, 72/79, Slg. 1980, 1411, Randnr. 24).
131 Es ist offensichtlich, dass die Ankündigung vom 4. Dezember 2002 nicht von dem in Form einer Kreditlinie von 9 Mrd. Euro angebotenen Aktionärsvorschuss, der in dieser Ankündigung ausdrücklich erwähnt wird, getrennt werden kann. Außerdem erfolgte die Ankündigung vom 4. Dezember 2002 am selben Tag wie die Anmeldung des Aktionärsvorschusses bei der Kommission.Verringerung eines Postens im Staatshaushalt muss nicht dem gewährten Vorteil für das begünstigte Unternehmen entsprechen
Der EuGH teilt auch die Auffassung des EuG nicht, wonach nur eine Verringerung eines Postens im Staatshaushalt oder ein hinreichend konkretes, diesen Haushalt belastendes wirtschaftliches Risiko, das eng mit einem auf diese Weise festgestellten Vorteil verknüpft ist und ihm entspricht, der Voraussetzung der Finanzierung aus staatlichen Mitteln im Sinne von Art 107 Abs 1 AEUV genüge:
109 Die Kommission muss daher zum Zweck der Feststellung des Vorliegens einer staatlichen Beihilfe einen hinreichend engen Zusammenhang zwischen dem Vorteil, der dem Begünstigten gewährt wird, einerseits und der Verringerung eines Postens des Staatshaushalts oder einem hinreichend konkreten wirtschaftlichen Risiko für dessen Belastung andererseits dartun [...].Auch in diesem Punkt kommt der EuGH daher zu einem anderen Ergebnis als das EuG und bestätigt die Vorgangsweise der Kommission. Dass die mit dem angebotenen Aktionärsvorschuss eröffnete "Kreditlinie" schließlich von FT nicht angenommen wurde (weil die Kapitalerhöhung schon bald darauf durchgezogen wurde und wohl auch weil allein die Ankündigung die Ratingagenturen schon beruhigt hatte), schadet dabei nicht:
110 Entgegen der Ansicht des Gerichts ist dagegen weder erforderlich, dass eine solche Verringerung oder ein solches Risiko diesem Vorteil entspricht oder ihm gleichwertig ist, noch dass diesem Vorteil eine solche Verringerung oder ein solches Risiko gegenübersteht, noch dass er von gleicher Art wie die Bindung staatlicher Mittel ist, denen er entspringt.
137 In Bezug auf die Voraussetzung der Bindung staatlicher Mittel, die ebenfalls in Art. 107 Abs. 1 AEUV aufgestellt wird, ist festzustellen, dass der Aktionärsvorschuss die Eröffnung einer Kreditlinie von 9 Mrd. Euro bedeutet. Zwar hat FT die ihr vorgelegte Vorschussvereinbarung nicht unterzeichnet, doch hätte sie [...] sie jederzeit unterzeichnen können und damit Anspruch auf sofortige Überweisung des Betrags von 9 Mrd. Euro gehabt.
138 Ferner hat die Kommission in Fn. 116 der streitigen Entscheidung angeführt, dass FT am 5. Dezember 2002 in einer Präsentation für die Investoren die „Kreditlinie“ des französischen Staates als sofort verfügbar beschrieben habe, S & P am selben Tag angekündigt habe, dass der französische Staat sofort einen Aktionärsvorschuss gewähren werde, dass dem Finanzausschuss der französischen Nationalversammlung mitgeteilt worden sei, dass FT „bereits ein Aktionärsvorschuss zur Verfügung gestellt“ worden sei, und dass Moody’s am 9. Dezember 2002 erklärt habe, es sei bestätigt, dass „eine Kreditlinie von 9 Mrd. EUR zur Verfügung gestellt wurde“.
139 In Anbetracht zum einen der potenziellen zusätzlichen Belastung der staatlichen Mittel in Höhe von 9 Mrd. Euro und zum anderen der in Randnr. 107 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung hat die Kommission zutreffend festgestellt, dass der in Randnr. 132 des vorliegenden Urteils beschriebene Vorteil aus staatlichen Mitteln im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV gewährt wurde.
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