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Saturday, December 31, 2011

Kleiner Nachtrag zu den "Kontroll"-Behörden

Vor etwa einem Monat habe ich - aus damals aktuellem Anlass - hier zu erklären versucht, weshalb manche österreichische Regulierungsbehörden einen etwas merkwürdigen Namen mit "Control" in der Mitte tragen; außerdem habe ich mich verwundert gezeigt, dass die Behördenbezeichnungen in den Medien sehr häufig falsch geschrieben werden ("Kontroll-").

Ein Leser meines Blogs hat mir nun ein Urteil zukommen lassen, das zeigt, dass sich auch Richter gelegentlich mit den Behördenbezeichnungen schwer tun. In diesem Urteil eines Einzelrichters des Landesgerichts Klagenfurt, das schon vor rund zehn Jahren (09.08.2001) erlassen wurde, wird die (damalige) Elektrizitäts-Control-Kommission konsequent als "Elektrizitätskontrollkommission" bezeichnet, was an einer Stelle dann auch begründet wird:
"[...] die Elektrizitätskontrollkommission (im Gesetzestext: Elektrizitäts-"Control"-Kommission; die Verwendung des englischen Begriffes "Control" ist mit Rücksicht auf Art 8 B-VG und im Hinblick darauf, dass es sich nicht um eine ausländische, sondern [...] österreichische Einrichtung handelt, nicht verständlich)." 
Nun würde ich Art 8 B-VG, der die deutsche Sprache, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, als Staatssprache der Republik festlegt, nicht zwingend dahin interpretieren, dass Behördenbezeichnungen immer und ausschließlich Begriffe der deutschen Sprache verwenden müssten - aber (rechtlich) interessant an den wohl eher persönlich motivierten Ausführungen des damals erkennenden Richters (die genaue Schreibweise der Behörde war nicht entscheidungserheblich) ist eher, dass die Elektrizitäts-Control-Kommission damals ausdrücklich mit mehreren Verfassungsbestimmungen (zB hier) in der Verfassung verankert war, also juristisch auf gleicher Ebene wie Art 8 B-VG.

Aber in Kärnten hat es mit der deutschen Sprache wohl eine besondere Bewandtnis, denn wie schrieb etwa der vor kurzem verstorbene Kärntner Schriftsteller Werner Kofler in einer Miniatur mit dem Titel "auf der behörde":
"nix
tua ma nix
umanonda-tischkarirn
nix, do
wer ma nit long
umanonda-tischkarirn
mir red ma
deitsch"
PS: und jetzt schick ich das/ Blog  wirklich in eine kleine Winterpause, wie ich sie schon anlässlich meines vorletzten Blogposts angekündigt habe.

Wednesday, December 28, 2011

Detail am Rande: der ORF und das Lobbying-Gesetz

Natürlich verfolge auch ich die aktuelle Debatte zu den kurz vor Weihnachten verkündeten ORF-Personalentscheidungen, von denen man ja nicht mehr recht weiß, ob sie schon getroffen wurden (in diese Richtung ging die ORF-Presseaussendung), oder ob doch noch BewerberInnen gesucht werden (worauf die Ausschreibung von drei dieser Positionen hindeuten würde). Aber zu diesen Personalgeschichten will ich mich ausdrücklich nicht äußern.

Als Detail am Rande interessant fand ich - in einem ganz anderen Zusammenhang - aber folgende Antwort von Thomas Prantner, der gerade noch Online-Direktor des ORF ist und laut ORF-Presseaussendung demnächst "stellvertretender Technischer Direktor"* des ORF sein wird, in einem aktuellen Interview mit dem Standard
"Ich gebe gerne zu, dass ich beim Zustandekommen der Zweidrittelmehrheit für das ORF-Gesetz 2010 versucht habe, bei Abgeordneten Überzeugungsarbeit im Interesse des Unternehmens zu leisten."
Das wäre natürlich eine ganz klassische Lobbyingtätigkeit im Sinne des - noch nicht beschlossenen - "Lobbying- und Interessenvertretungs-Transparenz-Gesetzes" (kurz: LobbyG). Der im Juni 2011 zur Begutachtung versandte Ministerialentwurf sollte für "alle Aktivitäten mit dem Ziel der direkten Einflussnahme auf einen bestimmten Entscheidungsprozess der österreichischen Gesetzgebung und Verwaltung" gelten (mit einigen, hier nicht relevanten Ausnahmen) und hätte insbesondere auch Unternehmenslobbyisten erfasst (Unternehmenslobbyist sollte nach der Definition in § 3 Z 4 des Entwurfs ein "Organ oder Dienstnehmer [sein], zu dessen Aufgaben es gehört, Tätigkeiten im Sinne des § 1 Abs. 1 und 2 [Lobbying] für seinen Dienstgeber auszuüben"). Wäre ein Gesetz mit dem Inhalt des Ministerialentwurfs zum Zeitpunkt der Prantnerschen Bemühungen schon in Geltung gestanden, dann wäre diese Tätigkeit registrierungspflichtig gewesen und hätte einem Verhaltenskodex unterliegen müssen.

Aus der Stellungnahme im Begutachtungsverfahren lässt sich entnehmen, dass der ORF seiner Einbeziehung in das LobbyG allerdings nicht viel abgewinnen konnte; wörtlich heißt es dort:
"Der ORF erfüllt [...] einen öffentlichen Auftrag. Aktivitäten, die dessen Erfüllung dienen, sind - vergleichbar der Funktion der öffentlichen Hand - Anliegen der Allgemeinheit. Aus diesem Grund regen wir an, die Tätigkeit des ORF in den Katalog der Ausnahmen von der Anwendung des geplanten Gesetzes in § 1 Abs 3 - allenfalls Abs 4 - aufzunehmen."
Mittlerweile gibt es eine Regierungsvorlage, bei der sich gegenüber dem Ministerialentwurf zwar nicht der Titel, aber doch einiges am Inhalt des geplanten Gesetzes verändert hat. Würde die Überzeugungsarbeit des Onlinedirektors (oder - wohl bei anderen Abgeordneten - anderer DirektorInnen oder des Generaldirektors) auch nach der Regierungsvorlage noch unter das LobbyG fallen? Die Antwort, nicht wirklich überraschend, lautet: Nein.

Denn erstens wurde der Begriff des Unternehmenslobbyisten neu definiert, sodass nur mehr "Organe oder Dienstnehmer eines Unternehmens, zu deren überwiegendem Aufgabenbereich Lobbying-Tätigkeiten für dieses Unternehmen oder für ein mit ihm in einem Konzern verbundenes Unternehmen gehören" erfasst sind. Ich würde nicht annehmen, dass die Direktoren überwiegend mit Lobbying beschäftigt sind.

Zweitens aber - und für den ORF noch wichtiger - soll das LobbyG nach der Regierungsvorlage "auf die Interessenvertretung durch die Sozialpartner und kollektivvertragsfähigen Einrichtungen" weitestgehend nicht anzuwenden sein (ausgenommen sind nur die Registrierungspflichten nach den §§ 9 und 12). Da der ORF nach § 48 Abs 5 ORF-Gesetz kollektivvertragsfähig ist, würde er also bei Gesetzwerdung der Regierungsvorlage schon aus diesem Grund den zentralen Verhaltenspflichten des LobbyG nicht unterliegen (die Erläuterungen verweisen zur Kollektivvertragsfähigkeit zwar auf § 4 ArbVG, der Gesetzesentwurf selbst differenziert aber nicht danach, ob die Kollektivvertragsfähigkeit nach dieser oder einer anderen gesetzlichen Bestimmung - wie zB für die Akademie der Wissenschaften oder eben den ORF - gegeben ist).

Auch der zukünftigen Überzeugungsarbeit des "stellvertretenden Technischen Direktors"* oder der echten ORF-DirektorInnen und des Generaldirektors (oder des Einsatzes der "politischen Kontakte", auf die Prantner im Presse-Interview hinweist) würde das LobbyG - sollte es in der Fassung der Regierungsvorlage im Nationalrat beschlossen werden - also keine Steine in den Weg legen.

PS, aber das ist ohnehin bekannt: Das Bundesverfassungsgesetz über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks verlangt, dass die Unabhängigkeit der Personen und Organe, die mit der Besorgung der Rundfunkaufgaben betraut sind, gewährleistet ist.

*) Die Anführungszeichen bei "stellvertretender Technischer Direktor" habe ich gesetzt, weil das ORF-Gesetz zwar (ab 1.1.2012: maximal vier) DirektorInnen vorsieht, aber keine StellvertreterInnen. Auch ein sogenannter "stellvertretender Technischer Direktor" kann den technischen Direktor daher nicht bei jenen Aufgaben vertreten, die diesem nach dem Gesetz und der (vom Stiftungsrat zu beschließenden) Geschäftsverteilung zukommen. De facto aber könnte man wohl mit entsprechenden Handlungsvollmachten und Organisationsanweisungen eine Funktion einrichten, die der eines "stv. TD" weitgehend gleichkommt, sodass die Bezeichnung "stv. TD" wohl nur eine sprachliche Verkürzung eines vielleicht komplexeren Sachverhalts ist. Aber derzeit ist ja offenbar noch nicht einmal klar, ob die Bestellung Prantners für diese Funktion schon fix ist (so die ORF-Presseaussendung vom 23.12.2011), oder ob die Funktion nun ausgeschrieben wird (so ORF-Kommunikationschef Martin Biedermann im APA-Interview) oder vielleicht doch wieder nicht (so verstehe ich jedenfalls ORF-Generaldirektor Wrabetz in einem wenig später veröffentlichten APA-Interview).

Saturday, December 24, 2011

Gegen Jahresende ...





Ich bedanke mich bei den treuen wie auch bei den bloß gelegentlichen Leserinnen und Lesern dieses Blogs für das Interesse. Nun kommt erst mal eine Art Winterpause, denn planmäßig - falls ich nicht zwischendurch noch ein paar Lesehinweise online stelle - folgt mein nächster Eintrag erst wieder am 17. Jänner 2012, wenn die Schlussanträge im Fall C-510/10 DR und TV2 Danmark A/S anstehen.

Und nein, ich werde zu den aktuellen Personalentscheidungen im ORF nichts schreiben, wirklich nicht.

Monday, December 19, 2011

Commissioner Kroes calling the talented Dr. Googleberg to the "crime scene internet"

Zum Thema Guttenberg/Kroes ist wahrscheinlich schon alles gesagt, aber eben noch nicht von allen. Auch mir war es wichtig, die Ernennung von Guttenberg zum Berater der Kommission für die "No Disconnect"-Strategie nicht unkommentiert zu lassen und ich habe dazu etwas - in englischer Sprache - auf content and carrier geschrieben, was ich ausnahmsweise hier einfach cross-poste:

It could have been the ultimate practical joke of this year.

Neelie Kroes, Vice-President of the European Commission, appointed Karl-Theodor zu Guttenberg "to promote internet freedom globally". According to her press release, this "appointment forms a key element of a new "No Disconnect Strategy" to uphold the EU's commitment to ensure human rights and fundamental freedoms are respected both online and off-line, and that internet and other information and communication technology (ICT) can remain a driver of political freedom, democratic development and economic growth."

But sadly, it is not a joke.

Guttenberg, who was briefly Germany's minister for economics and technology (Feb 2009 until Oct 2009) and then minister of defense (until 1 March 2011), fell from grace when it was revealed that he had plagiarized large chunks of his doctoral thesis. Internet activists set up a wiki and within a few weeks managed to publicly document that 94.4 (!)  percent of the pages in Guttenberg's thesis contained plagiarized text. Of course people made (and make) fun of Guttenberg, calling him "Googleberg" or "Doctor Copy & Paste", or promoting a "Guttenberg"-keyboard (for maximum efficiency, just Ctrl+C+V).Guttenberg, who had denied all allegations when he was first confronted ("absurd allegation"), had to resign, the university stripped him of his degree, and the state prosecutor started investigations. In May 2011, the university's investigation came to the conclusion that Guttenberg "had manifestly and gravely breached the standards of good scientific practice and had cheated with intent" (my translation, more information on the Guttenberg-case - in German - at the university's website). Not even a month ago, the state prosecutor came to the conclusion that Guttenberg had, with intent, committed criminal breaches of copyright in 23 counts, but closed the case after Guttenberg payed 20.000 Euro to a charity (press release of the state prosecutor's office, in German); this is a common way of dealing with petty crimes (misdemeanours) where there is no public interest in further prosecution (section 153a of the German Code of Criminal Procedure act).

Guttenberg is not repentant: just three weeks ago he published a book called "Vorerst gescheitert" ("failed for now"), consisting of a long interview with a German journalist. He again denied any intent to plagiarize; rather he argued that the copying was the "fatal result of a chaotic and unsystematic mode of work", having copied from the internet and then mixed it up due to using at least 80 floppy disks (!) and four different computers (more here, in German). The respected conservative daily FAZ commented: "Guttenberg has not lost his ability to talk nonsense".

Guttenberg has no relevant expertise in internet issues, at least no such expertise seems to be documented, and neither Kroes nor her spokesperson came up with any evidence that Guttenberg ever had any original ideas, did any research or even just was involved with specific internet-related issues. Many German commenters are heavily critical of Guttenberg's support for a German law which should block access to the internet in case of (suspected) child pornography; the relevant act was introduced when Guttenberg was minister of economics (but not by him) under the title "Zugangserschwerungsgesetz", which translates as "Act to make access [to the internet] more difficult"(!). The Act never came into force and is in the process of being formally repealed, after criticism not only by internet activists, but also by many law professors and constitutional scholars. Guttenberg defended the act and implicitely accused the critics of being against blocking of child pornography-websites (see a newspaper report here, in German).

Guttenberg's wife was involved in a TV-series called "Tatort Internet" ("Crime Scene Internet"), which tried to lure potential pedophiles into meeting underage girls and then exposed them on TV. Although the faces of the suspected pedophiles were not shown (or blurred), some of them could be identifed rather easily by TV-viewers. The series came under heavy criticism, for instance by the Minister of Justice who said "There is danger that innocent people are put in the pillory and the rule of law would be in a precarious situation. This is a high risk".

So, first of all, Guttenberg (just recently)
  • has been stripped of his degree because of intellectual dishonesty,
  • was found to have been a multiple copyright-infringer,
  • and admitted only as much as that he was out of his depths when dealing with computers and the internet
In addition, Guttenberg has no relevant expertise or experience in internet issues.

Kroes, who was aware of all this, nevertheless thought it fit to appoint Guttenberg as her adviser. When she announced it, it still sounded like an impressive job (and remember: it is supposed to be a key element of the strategy). In the press release it said that "Karl-Theodor zu Guttenberg will liaise with Member States, third countries and NGOs which are committed to work in this area and advise on how to advance the strategy in a co-ordinated and effective manner." Kroes is further quoted with: "I want Karl-Theodor zu Guttenberg to champion this cause with governments and NGOs and ensure it gets the attention, focus and support it deserves."

The reasons Kroes gave for this appointment are rather slim; pressed to justify her choice, she wrote:
"As he himself has acknowledged, if anyone understands the power of the internet, and its power to hold authorities to account, it is Karl-Theodor [Guttenberg]. Anyone who has worked with Karl-Theodor – and I myself have done so closely when he was German Economics Minister – would recognise his great political abilities. But what I also admire in him is his fresh and international outlook. [...]
If you are wondering why Karl-Theodor and not someone else, I would say that I am looking for talent, not saints. I am asking him to do an important job; nothing more, nothing less. I live in the future, not the past."
This indeed is rather troubling: Kroes is at once arguing that it is "an important job", and that "talent" - plus a "fresh and international outlook" - is all that Guttenberg is bringing to this job. And she also thinks that Guttenberg gained relevant experience in internet-related issues by having been exposed on a Website as a multiple intentional copyright-infringer who cheated with intent in his thesis (which, by the way, she describes in an interesting euphemism as being "not a saint").

I don't think the regular Commission services would employ anyone just for having "talent" (at least I have not yet seen a single concours of EPSO just checking for talent), and I doubt that an academic cheater who was stripped of his degree could pass the vetting process for any senior position within the Commission services. While I don't take offense with "forgiveness", the logic that Kroes claims is behind Guttenberg's appointment is severely flawed: I doubt that Vice-President of the Commission Reding would consider appointing a convicted criminal as an adviser on Justice affairs and then argue: "if anyone understands the power of law enforcement, it is XY, who served 10 years in jail".
After the initial reactions (I recommend taking look at the comments to Kroes' blog entry [and the German language version] and at the Kosmopolito-blog), the Commissioner retracted: in another blog entry she wrote: "There is no payment, no staff, no special treatment. He will be providing advice and assistance to me in a personal capacity. We will keep costs to a minimum, and I can assure you I’ll squeeze him for every good idea and every piece of feedback he has." Her spokesperson commented that "People need to keep this choice in perspective; it is just one element of the wider no disconnect strategy".

So we are left to wonder: is this an important job, including the task to liaise with governments and NGOs and thus to "champion a cause" - all of which would require a clear mandate, duties and responsibilities - or is it merely a rather vague invitation to a personal friend of the Commissioner to share a few ideas, just having the EU pay for a few trips? Kroes' spokesperson explicitely stated that Guttenberg will not be a special adviser (who are under certain obligations under staff regulations, and who come in a paid and an unpaid variety), so we do not know what kind of relationship this should be, what (if any)  mandate Guttenberg has, which (if any) staff regulations apply, which confidentiality agreements, etc. etc.

Personally, I am also deeply sceptical about unpaid advisers, because they either have to be quite rich to be able to fulfill their tasks or they are in effect paid by someone else who is not necessarily disclosed or lacks transparency (Guttenberg is working for a US-based lobbying organisation / "think-tank", which by the way is not registered in the EU transparency register). I don't buy into conspiracy theories, which also abound in the comments on Kroes's blog entries (ACTA, PNR, NATO, everything is mixed in, all forming part of a supposed greater story), to me all of this looks more like a new chapter to "The March of Folly".

The appointment of Guttenberg as an adviser (or whatever his position/function might turn out to be) not only severely discredits the whole No Disconnect-Strategy, it also shows an incredible lack of judgment by the Commissioner and her staff. Kroes stressed that Guttenberg was her choice and her idea, and she is at least to be commended for not trying to blame her (other) advisers for this abysmal decision.

Kroes could have backed down: she could have apologized for not having thought this through, for having been distracted by more important issues and for not having paid enough attention to who should take this job. And then she could have cancelled the appointment of Guttenberg, to present a true expert as a new special adviser. I even waited a few days before writing this blog entry, because I thought Kroes might find a way out and get rid of Guttenberg. But instead of limiting the damage already done, Kroes chose to widen it and to defend Guttenbergs's choice.

Obviously Kroes thinks that there are only some particularly concerned German internet activists who produce nothing more than a storm in a (German) teacup (at least that is what the comments of her spokesperson on the Kosmopolito-blog said, for instance here).

I do not share this view.

As evidenced - among others - by this blog post, there are people outside of Germany who do not believe in the wisdom of appointing a disgraced former politician to be an adviser in a field where he is not an expert and does not command the trust of the people he should "liaise" with. Critics include not only some hotheaded activists, but also many highly reputable academics, because appointing Guttenberg can only be seen as a deliberate provocation of the academic community and its values. This appointment will come back to haunt Kroes in any future decision she will take: as she showed such lack of judgment in appointing Guttenberg, how can she be trusted to show more judgment and take reasoned decisions in other matters?

To sum it up: The appointment of Guttenberg was wrong, and the decision to stick with him casts a serious doubt on Kroes' overall power of judgment.


PS: Kroes asked that we should judge "Karl-Theodor [Guttenberg] ultimately on the quality of the advice he provides", which calls for that advice to be published in full (because otherwise how could we judge it?). If published, I am sure that there will be a wiki devoted to scrutinising this advice.

Sunday, December 11, 2011

"Meine Rolle als erfolgreiche/r FunktionärIn": Politikberater in den ORF-Publikumsrat

Der Run auf einen Sitz im Publikumsrat des ORF war auch schon einmal stärker: vor kurzem trat Kathrin Zettel zurück, die im Publikumsrat "auf einem ÖVP-Ticket" den "Bereich Jugend" vertreten sollte, und für diese Lücke muss der Bundeskanzler Ersatz finden und hat daher im Sinne des § 28 ORF-Gesetz, "von Einrichtungen bzw. Organisationen", die für den Bereich Jugend repräsentativ sind, Vorschläge eingeholt. Aber nur die Österreichische Kinderwelt (die Kinderorganisation der Jungen ÖVP) interessierte sich dafür, ein neues Mitglied für den Bereich Jugend vorzuschlagen.

Obwohl zwischen der Aufforderung zur Erstattung von Vorschlägen und der Bekanntmachung des eingelangten Vorschlags die Kundmachung des Bundeskanzlers über die Aufhebung des § 28 Abs. 6 bis 10 des ORF-Gesetzes durch den Verfassungsgerichtshof (siehe im Blog dazu hier) erfolgte und es um den Ersatz der per Publikums-Direktwahl gewählten Kathrin Zettel geht, kann der Bundeskanzler über den Ersatz entscheiden (§ 29 Abs 6 ORF-G ist vom VfGH-Erkenntnis nicht betroffen).

Vorgeschlagen wurde der Bundesobmann der "Österreichischen Kinderwelt", Ulrich Lanzer (als Uli Höller war er vor zehn Jahren zB Spitzenkandidat der "Aktionsgemeinschaft" bei den ÖH-Wahlen). Er gibt seinen Beruf als Politikberater an und führt mit seinem Unternehmen, der Höller Unternehmensberatungs und -beteiligungs GmbH, laut deren Website "für Kunden aus der Politik und Interessenspolitik" unter anderem "Strategieberatung", "Personalentwicklung für (interessens)politische Institutionen" und "Politisches Coaching (z.B. Vorbereitung von Personen auf politische Ämter)" durch. Für Lanzer, der sonst etwa Wirtschaftskammerfunktionären auf dem Weg zum/zur "FunktionärIn der Zukunft" hilft (Seminar: "Meine Rolle als erfolgreiche/r FunktionärIn"), ist das wohl auch ein weiterer Schritt zum erfolgreichen Funktionär.

Natürlich überrascht es nicht wirklich, dass nur die "Kinderwelt" einen Vorschlag gemacht hat, denn bei aller formalen Entpolitisierung des Publikumsrats gibt es im Publikumsrat nach aktueller Rechtslage ja zwei Vertreter für den Bereich Jugend. Aktuell im Publikumsrat ist Jürgen Michlmayr, Bundesvorsitzender der Gewerkschaftsjugend - und wenn Ulrich Lanzer (wohl bei der kommenden Sitzung am 19.12.2011) seine Tätigkeit im Publikumsrat aufnimmt, dann ist endlich die österreichische Realität wieder hergestellt, in der die gesamte Gesellschaft, von der Jugend (Michlmayr / Lanzer) bis zu den älteren Menschen (Mauhart / Tötschinger), harmonisch durch jeweils zwei Personen repräsentiert werden kann, die rein zufällig von einer SP- bzw einer VP-nahen Organisation nominiert werden.

Und sozusagen auf der Metaebene finde ich es fast ein wenig ironisch, wenn in den Publikumsrat - dem keine PolitikerInnen angehören dürfen (im Detail siehe § 28 Abs 2 ORF-G) - nun ausgerechnet ein Politikberater einzieht.

Friday, December 09, 2011

Is it rocket science? Die Trägerrakete zur nächsten ORF-Gesetz-Novelle

Qualitätssicherung wird im ORF-Gesetz bekanntlich hochgehalten (siehe insbesondere § 4a ORF-G), also muss man wohl auch an den Gesetzestext höchste Qualitätsansprüche stellen. Umso entsetzlicher muss es für die Abgeordneten Cap und Kopf gewesen sein, als sie vor wenigen Tagen bemerkten, dass in gleich drei Paragraphen des ORF-Gesetzes vom "Parlamentsmitarbeitergesetz" die Rede ist, wo dieses Gesetz doch schon seit 1. Jänner 2011 die Kurz(?)bezeichnung "Parlamentsmitarbeiterinnen- und Parlamentsmitarbeitergesetz" trägt (BGBl I 2010/113).

Jetzt war rasches und entschlossenes Handeln gefragt: Im Nationalrats-Plenum am 7.12.2011 stand zwar eine Änderung des ORF-Gesetzes, die mit Antrag der Abgeordneten Cap und Kopf vom 18.11.2011 initiiert worden war, auf der Tagesordnung. Mit einem Abänderungsantrag in zweiter Lesung, gerade in Rundfunkangelegenheiten nichts Ungewöhnliches, wäre das Redaktionsversehen schnell zu bereinigen gewesen. Aber vielleicht sollten die anderen Fraktionen nicht so überrumpelt werden, immerhin müssen ja gleich drei Paragraphen geändert werden. Also haben sich die Abgeordneten Cap und Kopf hingesetzt und noch am selben Tag einen neuen Abänderungsantrag verfasst, damit das unselige Redaktionsversehen berichtigt werden kann. Das ORF-G soll also wie folgt geändert werden (es folgt der vollständige Text der beantragten Änderungen):
1. In § 20 Abs. 3 Z 6, § 26 Abs. 2 Z 4 und § 28 Abs. 2 Z 5 wird das Wort "Parlamentsmitarbeitergesetzes" durch die Worte "Parlamentsmitarbeiterinnen- und Parlamentsmitarbeitergesetzes" ersetzt.
2. In § 49 wird folgender Abs. 11 angefügt:
"(11) § 20 Abs. 3 Z 6, § 26 Abs. 2 Z 4 und § 28 Abs. 2 Z 5 in der Fassung des Bundesgeetzes BGBl. I. Nr. xxx/2012 treten am 1. Februar 2012 in Kraft."
Das vorgesehene Inkrafttreten ist ein wenig rätselhaft: denn ginge es wirklich nur um ein zu berichtigendes Redaktionsversehen, so wäre es doch naheliegend, dass die Änderung einfach wie üblich am Tag nach der Kundmachung in Kraft treten könnte (abgesehen davon, dass wohl noch niemand Zweifel gehabt hat, dass Verweise auf das Parlamentsmitarbeitergesetz als Verweise auf das selbe Gesetz mit bloß geändertem Titel zu verstehen wären). Aber der Eifer, mit dem hier Qualitätssicherung betrieben wird, ist vorbildlich, und ich erwarte daher demnächst Initiativanträge zur Änderung
  1. des § 46 Abs 4 BMSVG
  2. des § 18 Abs 5 Bezügegesetz
  3. des § 10 Abs 1 Bundesbezügegesetz  und
  4. des § 4 Abs 1 Z 1 KommAustria-Gesetz
In diesen Bestimmungen wird nämlich immer noch das Parlamentsmitarbeitergesetz genannt.

Aber im Ernst: Natürlich geht es nicht um die Berichtigung eines "Redaktionsversehens", das zu keinerlei inhaltlichen Zweifelsfragen Anlass gegeben hat oder auch nur geben könnte. Der Antrag ist ganz offensichtlich nur das, was im parlamentarischen Jargon "Trägerrakete" genannt wird: man ist sich zwar grundsätzlich einig, dass man ein Gesetz ändern möchte, hat sich aber inhaltlich noch nicht so weit verständigt, dass man einen ausformulierten gemeinsamen Antrag einbringen könnte. Also nimmt man nur ein, zwei einfache und unstrittige Punkte, schreibt sie in einen Antrag und dieser kann dann schon einmal den parlamentarischen Prozess durchlaufen, während man noch über die endgültige Regelung verhandelt. Wichtig ist vor allem, dass man ein Zuweisungsplenum erwischt (im vorliegenden Fall gehe ich davon aus, dass noch in der 138. Sitzung am 7.12.2011 die Zuweisung erfolgt ist; update 10.12.: die Parlamentswebsite bestätigt die Annahme), damit kann die Vorlage in den Ausschuss. Dann kann man immer noch in der Ausschusssitzung oder auch in zweiter Lesung im Plenum die wirklich gewollten Änderungen aufpacken (dasselbe geht übrigens auch bei Regierungsvorlagen, auch hier gibt es gelegentlich solche Trägerraketen). It's not rocket science, wie die Amerikaner sagen, sondern einfach Anwendung der parlamentarischen Geschäftsordnung.

Worum es bei der geplanten Änderung des ORF-Gesetzes wirklich gehen dürfte, schreibt Harald Fidler im Standard.
Update (02.04.2012): das ist aus dem Antrag letztlich geworden (BGBl I 2012/15)

Thursday, December 08, 2011

EuGH zu France Télécom: steuerliche Sonderregelung als Beihilfe

Der EuGH hat heute in der Rechtssache C-81/10 P France Télécom das Rechtsmittel der France Télécom gegen das Urteil des EuG vom 30.11.2009, T-427/04 Frankreich / Kommission und T-17/05 France Télécom / Kommission, zurückgewiesen und damit endgültig die Kommissionsentscheidung vom 2.8.2004, C(2004) 3061, bestätigt.

Die Kommission hatte in ihrer Entscheidung eine Gewerbesteuer-Sonderregelung für France Télécom in der Zeit vom 1.1.1994 bis 31.12.2002 als rechtswidrige und mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfe beurteilt und Frankreich verpflichtet, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Beihilfe von France Télécom zurückzufordern. Die von France Télécom und Frankreich dagegen erhobene Nichtigkeitsklage war vom EuG abgewiesen worden (siehe dazu näher hier).

In realistischer Einschätzung der Chancen hat Frankreich kein Rechtsmittel gegen das EuG-Urteil erhoben und es allein France Télécom überlassen, sich die Bestätigung abzuholen, dass Kommission und EuG richtig entschieden haben. Denn es stand fest, dass France Télécom von einer bei der Kommission nicht als Beihilfe gemeldeten Sonderregelung bei der Gewerbesteuer in diesem Zeitraum profitiert hatte, die für das Unternehmen immerhin einen Vorteil in der Größenordnung von "zwischen 798 Mio. und 1,14 Mrd. Euro ohne Zinsen" gebracht hatte. France Télécom war aber der Auffassung, dass auch eine das Unternehmen eher belastende Steuerregelung in den drei Jahren vor 1994 hätte berücksichtigt werden müssen und dass die Höhe des Vorteils von variablen Größen und externen Faktoren abhängig war, sodass die Höhe der Steuer nicht im Voraus hätte ermittelt werden können.

Der EuGH verwies darauf, dass die vielleicht belastende Regelung von 1991 bis 1993  nicht untrennbar mit der Sonderregelung in den Jahren danach verbunden war; und auch dass die Sonderreglung ab 1994 jedenfalls zu einem Vorteil für France Télécom führen konnte, stand bereits zum Zeitpunkt des Erlasses fest. Auch die behauptete Komplexität der in Rede stehenden Steuerregelung oder die periodische Natur der Beihilfemaßnahme konnte Frankreich nicht der Anmeldepflicht entheben oder bei France Télécom berechtigtes Vertrauen entstehen lassen.

Zu der von France Télécom behaupteten Verjährung hielt der EuGH fest, dass die zehnjährige Verjährungsfrist nach Art 15 Abs 2 der Verordnung Nr 659/1999 mit dem Tag der Gewährung der Beihilfe an den Empfänger (und nicht mit dem Tag des Erlasses der Beihilfenregelung) beginnt; außerdem beginnt die Verjährungsfrist bei jährlich gewährten Beihilfen jedes Jahr von neuem (hier: an dem Tag, an dem die Gewerbesteuerzahlung von France Télécom jeweils fällig wurde). Und schließlich half es Fracne Télécom auch nichts, dass die Kommission den rückzufordernden Betrag nicht exakt festgelegt hatte, sondern eine "Unschärfe" von immerhin mehr als 300 Mio Euro verblieb: auch nach Ansicht des EuGH enthielt die Kommissionsentscheidung nämlich die geeigneten Angaben, "anhand deren der endgültige Betrag ohne übermäßige Schwierigkeiten bestimmt werden könne".

Damit steht nun zwar endgültig fest, dass Frankreich von France Télécom die Vorteile aus der rechtswidrig gewährten Beihilfe zurückfordern muss. Interessant könnte es aber noch werden, ob das Unternehmen auch tatsächlich alles wird zahlen müssen, denn immerhin hatte Generalanwalt Jääskinen in seinen Schlussanträgen (siehe dazu hier) dargelegt, dass "die für den Mitgliedstaat bestehende unbedingte Pflicht zur Rückforderung nicht automatisch zu einer entsprechenden Rückzahlungsverpflichtung der Einzelnen führen" müsse; in einem allfälligen Gerichtsverfahren komme der Begünstigte "in den Genuss aller Verfahrensgarantien und aller materiell-rechtlichen Garantien, die sich aus der Grundrechtecharta und der EMRK ergeben".

Wednesday, November 30, 2011

Veranstaltungshinweis: Transparenz in Medienunternehmen und in der journalistischen Arbeit

Ein kurzfristiger Hinweis: morgen am 1. Dezember 2011 findet um 18:30 im TÜV Austria Forum in Wien (Walfischgasse 13) eine vom Österreichischen Presserat gemeinsam mit dem Kuratorium für Journalistenausbildung veranstaltete Podiumsdiskussion zum Thema "Transparenz" statt (mehr dazu hier). In zwei Panels wird über Transparenz in Medienunternehmen einerseits und Transparenz in der journalistischen Arbeit andererseits gesprochen, mit interessanten TeilnehmerInnen wie Harald Fidler (Standard), Florian Philapitsch (KommAustria), Wolfgang R. Langenbucher (Uni Wien), Helge Fahrnberger (kobuk.at), Anette Novak (Norran), OliverVoigt ("Österreich") und Christian Rainer (profil); laut Website des kfj soll auch Andreas Koller (Salzburger Nachrichten), laut Website des Presserats Claus Reitan (Furche) mitdiskutieren - ein kleines Überraschungsmoment bleibt also (ich kann leider nicht dabei sein, da ich zur selben Zeit Vorlesung halten werde).

Eine weitere Überraschung könnte auch noch der morgen tagende Verfassungsausschuss des Nationalrats liefern, falls sich doch noch eine ausreichende Mehrheit für das sogenannte "Medientransparenzgesetz" finden sollte (die Regierungsvorlage enthält Verfassungsbestimmungen und bräuchte daher eine Zweidrittelmehrheit; zum bisherigen Verlauf siehe hier und hier). Laut Pressemeldungen haben sich zumindest die beiden Regierungsparteien auf eine gegenüber den bisherigen Plänen deutlich erweiterte Offenlegung der Eigentumsverhältnisse geeinigt. Diese soll nicht nur jene Medien treffen, die Regierungsinserate veröffentlichen, sondern generell alle periodischen Medien; legistisch soll dazu § 25 Mediengesetz (Offenlegung) geändert werden. Ich habe gerade erst gesehen, dass der Text der geplanten Änderungen der Regierungsvorlage einerseits und der Entwurf eines selbständigen Ausschussantrages andererseits auf derStandard.at zur Verfügung stehen; näher durchgesehen habe ich den Text noch nicht. Und überhaupt gilt: dass das so kommt, glaube ich frühestens nach einer Beschlussfassung im Nationalratsplenum.

Tuesday, November 29, 2011

Ehre, Treue, EGMR: Verfahren Grüne Alternative Wien gegen Österreich nach OGH-Urteil erledigt

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat heute entschieden, den Fall Grüne Alternative Wien gegen Österreich (Appl. no. 13281/02) aus dem Register zu streichen, weil sich die Sache zwischenzeitlich durch ein - aufgrund einer Nichtigkeitsbeschwerde der Generalprokuratur ergangenes - Urteil des OGH gelöst hat.

Die Angelegenheit betraf eine im Juli 2000 in einer Mitglieder- und Sympathisanten-Zeitschrift der Wiener Grünen veröffentlichte Persiflage auf ein Wahlplakats der FPÖ Wien. Das Originalplakat hatte den damaligen Wiener FPÖ-Landesparteiobmann Mag. Hilmar Kabas umringt von Frauen und Kindern gezeigt, dazu mit dem Text: "Unser Angebot: Kindergarten kostenlos". In der Zeitschrift der Grünen wurde diese Vorlage so verändert, dass die Abbildung "den von Frauen und Kindern umringten Antragsteller [Mag. Hilmar Kabas] mit einer Adjustierung zeigt, die an die nationalsozialistische Uniform der SA erinnert. Er trägt einen Leibgurt und eine mit einem auffallenden Emblem - allerdings nicht in Form des Hakenkreuzes, sondern des Grußbuchstabens „F" auf weißem Grund - versehene Krawatte. Neben dem solcherart verfremdeten Foto des Antragstellers findet sich unter der Bezeichnung F***** der in Frakturschrift gehaltene Satz 'Unser Angebot: Ehre & Treue'." (zitiert aus dem OGH-Urteil vom 08.05.2008; der OGH anonymisierte in seinem Urteil auch die Parteien und das Druckwerk; da der EGMR die Parteien namentlich nennt und die Anonymisierung "Mag. Hilmar K." den Betroffenen nicht gerade nachhaltig vor Identifizierung schützt, habe ich die Angaben hier auch nicht weiter anonymisiert).

Im Jänner 2001 wurde die Grüne Alternative Wien als Medieninhaberin der Zeitschrift auf Antrag von Mag. Hilmar Kabas in erster Instanz zu einer Entschädigung gemäß § 6 MedienG sowie zur Urteilsveröffentlichung gemäß § 8a Abs 6 MedienG verurteilt. Der Erstrichter meinte, der Leser könne den Bedeutungsinhalt der inkriminierten Publikation "nur dahin auffassen, dass Mag. Hilmar K***** durch die Darstellung in einer Uniform der SA, sohin als Mitglied einer nationalsozialistischen Kampforganistation, eine nationalsozialistische Gesinnung unterstellt, er zumindest in die Nähe des Nationalsozialismus gerückt bzw ihm geradezu eine Betätigung im nationalsozialistischen Sinn zugeschrieben werde." (wieder zitiert nach dem OGH-Urteil). Vorbringen und Beweisanträge der Grünen wurden vom Erstrichter verworfen. Das OLG Wien gab mit Urteil vom 26.9.2001 der von den Grünen erhobenen Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil nicht Folge.

Die Grüne Alternative Wien wandte sich wegen dieser Verurteilung an den EGMR, der mit Entscheidung vom 2.2.2006 die Zulässigkeit der Beschwerde bejahte. In der Folge behob der OGH aufgrund einer Nichtigkeitsbeschwerde der Generalprokuratur mit Urteil vom 8.5.2008, 15 Os 6/08h, 15 Os 7/08f, das erst- und zweitinstanzliche Urteil und fand darin recht klare Worte:
Unberücksichtigt blieb demnach nicht nur, dass ein Parteigänger des Antragstellers, nämlich Ernest W***** auf dem Landesparteitag der F***** Niederösterreich im Juni 2000 im Zuge der Ehrung langjähriger FPÖ-Mitglieder die dem SS-Leitspruch abgeleitete Parole "Unsere Ehre heißt Treue" verwendet hatte, sondern auch, dass weitere hochrangige Parteifunktionäre diesen durch Äußerungen wie: "Ehre und Treue seien 'Primärtugenden'" (Landesrat Dr. Ewald S*****) und "Es könne 'keine schlechte Sache sein, wenn sich jemand zu Anständigkeit, Treue, Ehrlichkeit und Leistungsbewusstsein bekennt'" (Landeshauptmann Dr. Jörg H*****) unterstützt hatten. In gleicher Weise wurde der Umstand ausgeklammert, dass der gegenständlichen Publikation ein aktuell affichiertes Wahlplakat als Vorlage diente, auf welchem der Antragsteller als Spitzenkandidat der F***** in Wien - mithin als Repräsentant derselben politischen Partei, der auch Ernest W*****, Dr. Ewald S***** und Dr. Jörg H***** angehörten - mit dem Werbeslogan "Unser Angebot: Kindergarten kostenlos" zu sehen war.
Diese Aspekte wären jedoch von entscheidender Bedeutung gewesen, hätten sie doch - im Einklang mit den oben dargestellten Interpretationskriterien, insbesondere zu politischer Karikatur und Vorwissen des angesprochenen Leserkreises - die Konstatierung eines anderen Bedeutungsinhalts der inkriminierten Veröffentlichung dahin ermöglicht, dass die aktuellen Äußerungen und die Haltung der (damaligen) Führungsschicht der F*****, welcher auch der Antragsteller angehörte und welche die öffentliche Verwendung einer aus dem Leitspruch des SS stammenden Wortfolge anlässlich der Ehrung von Parteimitgliedern als völlig unbedenklich eingestuft hatte, angesichts der darüber zum Veröffentlichungszeitpunkt geführten breiten Diskussion - insbesondere durch Bezugnahme auf die Worte "Ehre" und "Treue" (als Angebot der F*****) - im Rahmen eines angemessenen Kommentars über eine Angelegenheit des öffentlichen Interesses einer kritischen Betrachtung unterzogen wurden. Davon ausgehend hätte die Frage, ob fallbezogen ein im Sinn des § 111 StGB nicht tatbestandsmäßiges, auf Spitzenfunktionäre einer politischen Partei bezogenes Werturteil, dem ein entsprechendes Tatsachensubstrat zugrunde lag, in nicht exzessiver Form zum Ausdruck gebracht wurde, zu Gunsten der Antragsgegnerin beantwortet werden können.
Nach diesem Urteil betrieb Hilmar Kabas das Verfahren verständlicher Weise nicht mehr weiter, zahlte die bereits erhaltene Entschädigung zurück und erstattete die Verfahrenskosten.

Wie der EGMR in seinem heutigen Urteil ausführt, hatten die Wiener Grünen damit eine Position erreicht, wie sie normalerweise - nach Feststellung einer Verletzung des Art 10 EMRK durch den EGMR - im Rahmen einer Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO erreicht werden könnte. Die Folgen einer Verletzung des Art 10 EMRK seien durch das Urteil des OGH ausgeglichen worden. Der EGMR konnte daher das Verfahren aus dem Register streichen und über die noch geltend gemachten Verfahrenskosten nach freiem Ermessen entscheiden; dabei fand er es angemessen, die Republik Österreich zum Kostenersatz gegenüber den Wiener Grünen zu verurteilen.

Im Ergebnis hat sich damit auch bewährt, dass das Justizministerium unter der damaligen Justizministerin Maria Berger bei der Generalprokuratur angeregt hat, in den Fällen, in denen nach rechtskräftigen Strafurteilen der Oberlandesgerichte Beschwerden unter Art 10 EMRK an den EGMR erhoben wurden, die Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde zu prüfen (siehe zB diese Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage). In den von der Generalprokuratur aufgegriffenen Fällen konnte damit schon vor einem Urteil des EGMR die Verletzung des Art 10 EMRK aufgegriffen und der Fall vor dem EGMR damit bereinigt werden; dies betraf neben dem nun erledigten Fall Grüne Alternative Wien auch die Fälle Verlagsgruppe News GmbH (Nr. 3), Standard Verlags GmbH sowie Standard Verlags GmbH und Rottenberg (medienrechtliche Antragsteller in den Ausgangsverfahren in Österreich waren übrigens Siegfried Kampl, Peter Westenthaler und Nikolaus Amhof); siehe dazu auch die Übersicht über Art 10 EMRK-Verfahren betreffend Österreich hier.

Saturday, November 26, 2011

Wie die Telekom-Control-Kommission zu ihrem Namen kam (auch wenn Journalisten "Telekom-Kontroll-Kommission" schreiben)

Die meisten österreichischen Regulierungsbehörden tragen Nonsense-Bezeichnungen in einer Mischung aus deutscher und englischer Sprache. Das tun sie natürlich nicht aus eigenem Entschluss, sondern weil es der Gesetzgeber so vorgegeben hat: "Energie-Control Austria", "KommAustria", "Schienen-Control Kommission", oder im Telekombereich eben "Telekom-Control-Kommission". Die Häufung von Behörden, die ein "Control" im Namen tragen, bedeutet allerdings nicht, dass es sich dabei um "Kontrollstellen" etwa für Energie, Schienen oder Telekommunikation handeln würde; vielmehr sind es Regulierungsbehörden, die überwiegend Aufgaben wahrzunehmen haben, die aufgrund von EU-Richtlinien zwingend nationalen Regulierungsbehörden zu übertragen sind.

Der Hintergrund der merkwürdigen Bezeichnung ist nur historisch zu erklären: er liegt bei der Luftverkehrskontrolle, englisch: air traffic control. Diese wird in Europa seit fast 50 Jahren im Rahmen der EUROCONTROL kordiniert ("Its name comes from its original mission which was to organise air traffic control" steht unter den FAQs auf der Website). Da die Sprache der Luftfahrt englisch ist, lag es nahe, für die österreichische Luftverkehrskontrolle, ausgehend von der EUROCONTROL, die Bezeichnung Austro Control zu wählen, als das ehemalige Bundesamt für Zivilluftfahrt aufgelöst und seine Aufgaben auf einen aus der klassischen Verwaltung ausgegliederten Rechtsträger übertragen werden sollten. Auf Grund der gesetzlichen Ermächtigung im Austro Control Gesetz wurde gegen Ende des Jahres 1993 die Austro Control Österreichische Gesellschaft für Zivilluftfahrt mit beschränkter Haftung (Austro Control GmbH) gegründet.

Das Ausgliederungsmodell der Austro Control wurde juristisch heftig bekämpft, da damit in Österreich erstmals in einem nicht unwesentlichen staatlichen Aufgabenbereich die behördliche Vollziehung durch eine ausgegliederte GmbH erfolgen sollte, was verschiedenste staatsrechtliche Fragen, insbesondere auch zum Rechtsschutz, aufwarf. Mit dem wegweisenden "Austro Control-Erkenntnis" des Verfassungssgerichtshofes vom 14.03.1996, VfSlg 14.473, wurde das Austro Control-Modell (mit gewissen Rahmenbedingungen) aber als verfassungskonform anerkannt, und damit war der Weg frei, auch im Rahmen der zu diesem Zeitpunkt gerade legistisch vorbereiteten Liberalisierung des Telekommunikationsrechts die Vollziehung einer GmbH zu übertragen.

Einem damaligen Modetrend entsprechend sollten nämlich möglichst viele Aufgaben von einem privatrechtlich organisierten Rechtsträger übernommen werden; eine GmbH war dabei sozusagen das Mindeste, in einem Alternativentwurf wurde sogar die Organisation der Regulierungsbehörde als Aktiengesellschaft gefordert. Und weil es den Namen Austro Control schon gab, und das eben gewonnene Austro Control-Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof vom Verkehrsministerium gewissermaßen als gutes Omen genommen wurde, benannte man die neu zu schaffende GmbH gleich als "Telekom Control Österreichische Gesellschaft für Telekommunikationsregulierung mbH" (Telekom Control GmbH). Und weil die Telekom-Regulierungsbehörde auch Entscheidungsbefugnisse im Kernbereich der civil rights bekommen sollte, musste zusätzlich zur GmbH auch ein Tribunal im Sinne des Art 6 EMRK, die Telekom-Control-Kommission, geschaffen werden. Bei der Einrichtung der Eisenbahn- und Energieregulierungsbehörden orientierte man sich dann einfach am Muster der Telekom-Regulierungsbehörde, bis hin zur Übernahme des eher absurden Namensbestandteils "Control".

Seit 14 Jahren gibt es mittlerweile also - in der Bezeichnung unverändert - die Telekom-Control-Kommission, die als zentrale österreichische Regulierungsbehörde im Bereich der Telekommunikation die wesentlichsten Entscheidungen trifft (zB in der Marktanalyse und Auferlegung spezifischer Verpflichtungen oder bei Frequenzvergaben für Mobilfunkunternehmen etc).

Sollte man daher nicht erwarten können, dass Journalisten, die zu Telekom-Themen schreiben, die Behörde bei ihrem richtigen Namen nennen?

Offensichtlich nicht: denn als vor mehr als einem Monat News ein Interview mit Peter Hochegger brachte (auf orf.at recht zutreffend zusammengefasst in der Schlagzeile "Hochegger patzt alle an"), in dem er auch behauptete, bei der Besetzung der "Telekom-Kontroll-Kommission" irgendwie mitgewirkt zu haben, da verwendete nicht nur News die falsche Behördenbezeichnung, auch alle anderen Medien schrieben gedankenlos ab (zB PresseORFStandard uva).

Nun ist die falsche Schreibweise der Behörde natürlich das geringste Problem in diesem Zusammenhang, aber dennoch irgendwie bezeichnend: denn offenbar hat es kein Medium für wert befunden, der Sache wenigstens ansatzweise inhaltlich nachzugehen. Wenn jemand auch nur versucht hätte, mit der Telekom-Control-Kommission Kontakt aufzunehmen, hätte ihm die richtige Bezeichnung kaum verborgen bleiben können. So aber bleibt das Gefühl, dass Hocheggers Geschichten einfach ungeprüft weitererzählt werden, und dass er genauso gut eine Behörde einfach erfinden hätte können, es wäre genauso wenig hinterfragt worden.

Nun könnte man auch meinen, dass Hocheggers Erzählungen betreffend die Telekom-Control-Kommission nicht glaubwürdig, nicht besonders aufregend oder zum relevanten Zeitpunkt ohnehin zumindest in der Fachwelt bekannt waren, aber das verträgt sich schlecht damit, dass die Medien gerade auch diese behauptete Einflussnahme durchaus prominent in ihren Berichten erwähnten (meist mit fetten Zwischenüberschriften). Wenn es aber schon eine Zwischenüberschrift wert war, wäre es dann nicht vielleicht auch einen kurzen reality check wert gewesen? Checkt in den Redaktionen eigentlich niemand, ob es die Behörde, auf deren Zusammensetzung Hochegger Einfluss genommen haben will, wenigstens überhaupt gibt?

PS: die Liste der Mitglieder der Telekom-Control-Kommission im Jahr 2007 (alt und neu) findet man zB auf Seite 22 des Kommunikationsberichts 2007.

PPS: Der erste Beweisbeschluss des Untersuchungsausschusses zur Klärung von Korruptionsvorwürfen, der sich auch mit der "Telekom Affäre" auseinandersetzen soll, wurde am 18.11.2011 gefasst und ist auf der Website des Parlaments verfügbar.

PPPS (Update 24.04.2012): Aus Anlass eines Kommentars zu meinem Folgeposting, habe ich in einem Kommentar auch kurz dargestellt, weshalb die quasi-offizielle, aber eher konter-intuitive Abkürzung für Telekom-Control-Kommission "TKK" lautet (und nein, das steht nicht für Telekom-Kontroll-Kommission!).

Thursday, November 24, 2011

EuGH: generelle Internetsperre mit Unionsrecht nicht vereinbar

In der Rechtssache C-70/10 Scarlet Extended hatte sich der EuGH mit der Frage zu befassen, ob eine gerichtliche Anordnung an einen Internet Provider, seinen Kunden generell den Zugang zu urheberrechtlich geschützten Daten aus dem Repertoire einer Verwertungsgesellschaft zu verunmöglichen, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. In seinem heutigen Urteil folgt der EuGH den Schlussanträgen des Generalwalts und ist zum Ergebnis gekommen, dass das Unionsrecht einer derartigen generellen Anordnung entgegensteht.

Konkret hat der EuGH ausgesprochen, dass die Richtlinien 2000/31/EG (E-Commerce RL), 2001/29/EG (Urheberrecht-HarmonisierungsRL), 2004/48/EG (Urheberrecht-DurchsetzungsRL),  95/46/EG (DatenschutzRL) und 2002/58 (DatenschutzRL für elektronische Kommunikation)
"in Verbindung miteinander und ausgelegt im Hinblick auf die sich aus dem Schutz der anwendbaren Grundrechte ergebenden Anforderungen, [...] dahin auszulegen [sind], dass sie der Anordnung an einen Anbieter von Internetzugangsdiensten entgegenstehen, ein System der Filterung 
– aller seine Dienste durchlaufenden elektronischen Kommunikationen insbesondere durch die Verwendung von „Peer-to-Peer“-Programmen,
– das unterschiedslos auf alle seine Kunden anwendbar ist,
– präventiv,
– auf ausschließlich seine eigenen Kosten und
– zeitlich unbegrenzt
einzurichten, das in der Lage ist, im Netz dieses Anbieters den Austausch von Dateien zu identifizieren, die ein Werk der Musik, ein Filmwerk oder audiovisuelles Werk enthalten, an denen der Antragsteller Rechte zu haben behauptet, um die Übertragung von Dateien, deren Austausch gegen das Urheberrecht verstößt, zu sperren.
Nun überrascht nicht wirklich, dass der EuGH den ausführlich begründeten Schlussanträgen von Generalanwalt Cruz Villalón (dazu hier) im Ergebnis gefolgt ist, zumal die zur Debatte stehende Sperrverpflichtung tatsächlich besonders umfassend war und keine Abwägung, wie sie bei einem Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen Standard ist, erkennen ließ. Mit Spannung war aber erwartet worden, ob sich der EuGH auch grundsätzlicher mit der Reichweite und Bedeutung der Informationsfreiheit nach Art 11 der Grundrechtecharta (GRC) im Hinblick auf Internetsperren bzw Internetfilter auseinandersetzen würde.

Generelle Sperrverpflichtung als Verstoß gegen Art 15 Abs 1 E-Commerce-RL
Zur grundrechtlichen Dimension ist das Urteil aber zunächst einmal recht zurückhaltend und handelt die Fragen im Wesentlichen auf der Richtlinienebene ab, vor allem auch unter Bezug auf das Urteil in der Rs C-324/09 L'Oréal (dort ging es um Markenschutz im Hinblick auf Online-Marktplätze, konkret eBay). Demnach müssen die Mitgliedstaaten "Vermittlern" (zu denen der EuGH in Rn 30 pauschal auch "Provider" zählt) zwar auch Maßnahmen auftragen können, die Verletzungen an Rechten des geistigen Eigentums vorbeugen sollen. Die dafür zu schaffenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften müssen aber (unter anderem) die Beschränkungen der E-Commerce-RL beachten und dürfen daher einen vermittelnden Dienstleister wie einen Provider nicht verpflichten, "sämtliche Daten jedes Einzelnen seiner Kunden aktiv zu überwachen, um jeder künftigen Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums vorzubeugen" (Rn 36).

Da im konkreten Fall feststand, dass die dem ISP aufgetragene "präventive Überwachung eine aktive Beobachtung sämtlicher elektronischen Kommunikationen im Netz des betreffenden Providers erfordern und mithin jede zu übermittelnde Information und jeden dieses Netz nutzenden Kunden erfassen" würde, steht der Anordnung schon Art 15 Abs 1 der E-Commerce-RL entgegen (Rn 41).

Grundrechtliche Abwägung: Eigentumsrecht / unternehmerische Freiheit
Grundrechtliche Positionen waren von beiden Verfahrensparteien des Ausgangsverfahrens ins Spiel gebracht worden und das vorlegenden Gericht hatte ausdrücklich auf Art 8 und 10 EMRK Bezug genommen. Der EuGH prüfte daher weiter, ob dieses - auf Grund der E-Commerce-RL erzielte - Ergebnis mit den Grundrechten im Einklang stand. Dabei liegt der Schwerpunkt - auf den ersten Blick eher überraschend - auf einer Abwägung zwischen dem Eigentumsrecht nach Art 16 GRC und der unternehmerischen Freiheit nach Art 17 GRC.

Zunächst hält der EuGH fest, dass mit der strittigen Anordnung das Ziel verfolgt wurde, den Schutz der Urheberrechte sicherzustellen. Der Schutz des Rechts am geistigen Eigentum ist zwar in Art 17 Abs 2 der Grundrechtecharta verankert, dieses Recht ist jedoch, wie der EuGH in Rn 43-45 des Urteils darlegt, nicht schrankenlos und sein Schutz daher nicht bedingungslos zu gewährleisten (der EuGH verweist dazu insbesondere auf Rn 62 bis 68 des Urteils Promusicae; zu diesem Urteil siehe hier). Weiter heißt es:
"46   Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens müssen die nationalen Behörden und Gerichte daher u. a. ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Schutz des Rechts am geistigen Eigentum, das Inhaber von Urheberrechten genießen, und dem Schutz der unternehmerischen Freiheit, der Wirtschaftsteilnehmern wie den Providern nach Art. 16 der Charta zukommt, sicherstellen."
Abgewogen wird also zunächst nicht mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit nach Art 11 GRC, sondern mit dem für den betroffenen Provider unmittelbarer relevanten Schutz der unternehmerischen Freiheit (für Juristen interessant: Art 17 GRC gewährt kein Recht auf unternehmerische Freiheit, diese Freiheit wird vielmehr nur "nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten" anerkannt; Dogmatiker sehen darin ganz bedeutende Unterschiede, die den EuGH hier aber offensichtlich nicht an einer direkten Abwägung gehindert haben). Der EuGH stellt jedenfalls fest, dass die strittige Anordnung
"zu einer qualifizierten Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit des Providers führen [würde], da sie ihn verpflichten würde, ein kompliziertes, kostspieliges, auf Dauer angelegtes und allein auf seine Kosten betriebenes Informatiksystem einzurichten, was im Übrigen gegen die Voraussetzungen nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 verstieße, wonach die Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein dürfen. 
49   Somit ist davon auszugehen, dass die Anordnung, das streitige Filtersystem einzurichten, das Erfordernis der Gewährleistung eines angemessenen Gleichgewichts zwischen dem Schutz des Rechts am geistigen Eigentum, das Inhaber von Urheberrechten genießen, und dem Schutz der unternehmerischen Freiheit, die Wirtschaftsteilnehmern wie den Providern zukommt, nicht beachtet."
Weitere Grundrechtsdimension: Datenschutz und Informationsfreiheit
Erst in einem dritten Schritt kommen dann die in der Vorlagefrage primär angesprochenen Rechte auf Datenschutz und Informationsfreiheit ins Spiel (das vorlegende Gericht hatte auf Art 8 und Art 10 EMRK als "Gemeinschaftsgrundrechte" Bezug genommen, wohl weil die Grundrechtecharta zum relevanten Zeitpunkt der Ausgansgverfahrens noch nicht in Kraft war; der EuGH erwähnt Art 8 und 10 EMRK in diesem Zusammenhang aber gar nicht mehr und bezieht sich ausschließlich auf Art 8 und 11 GRC). Dass der EuGH erst am Ende seiner Analyse auf diese Bestimmungen eingeht, ist allerdings durchaus folgerichtig: denn die tragenden Gründe für das Ergebnis des konkreten Vorabentscheidungsverfahrens ließen sich schon auf Richtlinienebene finden, im zweiten Schritt war zu prüfen, ob dieses Ergebnis die betroffenen Verfahrensparteien als Grundrechtsträger beeinträchtigte, und erst im dritten - nicht mehr fallentscheidenden! - Schritt ging der EuGH auf die vom vorlegenden Gericht vorrangig angesprochenen Grundrechte ein.

Vor diesem Hintergrund ist natürlich keine umfassende Auseinandersetzung mit den exakten Grenzen eines Eingriffs in die Rechte auf Datenschutz und Informationsfreiheit erforderlich. Der EuGH weist zunächst darauf hin, dass sich die Wirkungen der Anordnung nicht auf den betroffenen Provider beschränken würden, "weil das Filtersystem auch Grundrechte der Kunden dieses Providers beeinträchtigen kann, nämlich ihre durch die Art. 8 und 11 der Charta geschützten Rechte auf den Schutz personenbezogener Daten und auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen." Zum einen handle es sich bei den zu prüfenden IP-Adressen um personenbezogene Daten, da sie die genaue Identifizierung der Nutzer ermöglichen. Zum anderen könnte die Anordnung die Informationsfreiheit beeinträchtigen, weil das Filtersystem "möglicherweise nicht hinreichend zwischen einem unzulässigen Inhalt und einem zulässigen Inhalt unterscheiden kann, so dass sein Einsatz zur Sperrung von Kommunikationen mit zulässigem Inhalt führen könnte." Das Ergebnis der grundrechtlichen Abwägung zusammenfassend (Rn 53):
"Somit ist festzustellen, dass das fragliche nationale Gericht, erließe es die Anordnung, mit der der Provider zur Einrichtung des streitigen Filtersystems verpflichtet würde, nicht das Erfordernis beachten würde, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen einerseits dem Recht am geistigen Eigentum und andererseits der unternehmerischen Freiheit, dem Recht auf den Schutz personenbezogener Daten und dem Recht auf freien Empfang oder freie Sendung der Informationen zu gewährleisten."
Achtung: wer als ISP selbst filtert, ist nach diesem Urteil nicht geschützt
Der EuGH hat mit diesem Urteil generellen Sperren eine Absage erteilt, konkrete Anordnungen - auf der Grundlage einer entsprechenden gesetzlichen Basis und einer Abwägung der berührten Grundrechtspositionen - sind damit aber keineswegs unzulässig.

Besonders hinweisen möchte ich darauf, dass der Schutz des ISPs in diesem Zusammenhang daran hängt, dass er lediglich die reine Durchleitung im Sinne des Art 12 der E-Commerce-RL anbietet. Das Privileg nach Art 15 Abs 1 der E-Commerce-RL, dass solchen Providern keine allgemeine Überwachungspflicht auferlegt werden darf, fällt weg, wenn der Provider (ua) die übermittelten Informationen auswählt oder verändert. Beginnt der ISP, aus eigenem - sei es auch in vorauseilendem Gehorsam oder im Rahmen einer ihm vielleicht nahegelegten "Selbstregulierung" - ein inhaltliches Filter- oder Sperrsystem aufzubauen, dann verliert er dieses Privileg nach Art 15 Abs 1 E-Commerce-RL, auf dem das ganze hier besprochene EuGH-Urteil aufbaut. 

PS: weitere Blogbeiträge zB bei Telemedicus, RA Stadler, Technollama, s.a. die Pressemitteilung von EDRI mit Q&As; Update 26.11.2011: "5 Fragen zum Netzsperren-Urteil des EuGH" bei Telemedicus, lesenswert auch RA Stadler zur etwas eigenwilligen Interpretation des Urteils durch Prof. Schwartmann (der übrigens relevant genug ist, einen eigenen Wikipedia-Eintrag zu haben, was in Deutschland ja etwas heißen will; erstellt hat den Eintrag übrigens eine studentische Hilfskraft des Professors); zum Verhältnis zur Newszbin-Fall im UK lesenswert auch iOverlord; weiters aus dem UK kNOwfuture, Glyn Moody (der aus meiner Sicht etwas überzogen von einem "turning point in law" schreibt) und IPKat.

Was ist ein Werbespot? EuGH legt FernsehRL aus

In seinem heutigen Urteil im Vertragsverletzungsverfahren C-281/09 Kommission / Spanien
(siehe hier zu den Schlussanträgen des Generalanwalts) musste sich der EuGH mit der Kreativität auseinandersetzen, mit der Spanien die Begrenzung der Werbezeiten nach der FernsehRL zu umgehen versuchte.

Die RL nannte in ihrem Art 18 Abs 1 "Teleshopping-Spots, Werbespots und andere Formen der Werbung mit Ausnahme von Teleshopping-Fenstern" und begrenzte in der Folge die Sendezeit für Werbespots mit 15 v. H. der täglichen Sendezeit; innerhalb einer Stunde war der Anteil an Sendezeit für Werbespots und Teleshopping-Spots nach Art 18 Abs 2 der RL mit 20 v. H. begrenzt (in der nun geltenden Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, 2010/13/EG, wurde die tägliche Begrenzung fallen gelassen, es blieb allerdings die Begrenzung für den Anteil von Fernsehwerbespots und Teleshopping-Spots von maximal 20% innerhalb einer vollen Stunde).

Wie der EuGH darlegt, hatte Spanien neben Werbespots noch folgende Werbeformen (die daher bei der Berechnung der Werbezeitenbegrenzung nicht berechnet wurden):
"Werbereportagen: Werbebotschaft von längerer Dauer als ein Spot, die im Allgemeinen argumentativ, informativ und beschreibend ist. Es handelt sich ebenfalls um eine Standardproduktion, die mehrfach ausgestrahlt werden kann, obwohl sie in der Regel wegen ihrer einmaligen Merkmale der Dauer und Argumentation nicht mehrfach gesendet wird.
Telepromotions: Werbebotschaften in Verbindung mit einem Programm, für die dieselbe Bühne, dasselbe Bühnenbild, dieselbe Szenografie und/oder dieselben Kostüme verwendet werden wie für das Programm, mit dem sie in Verbindung stehen. Es handelt sich um eine 'Serienproduktion', die nicht in eigenständiger Form, sondern nur im Rahmen der Wiederholung des Programms, in dem sie produziert wurde, mehrfach gesendet werden soll. Da die Telepromotions desselben Produkts in den aufeinanderfolgenden Sendungen eines Programms verschiedenen Aufnahmen entsprechen (denen der verschiedenen Folgen des Programms), sind sie niemals identisch. Eine Telepromotion kann in einer ausschließlich mündlichen Botschaft des Moderators bestehen, soweit diese der Werbung dient.
Sponsoring-Werbespots: Auf Antrag bestimmter Fernsehgesellschaften hat der ehemalige Secretario General de Comunicaciones (Generaldirektor Verkehr im Ministerium für Infrastruktur und Verkehr) entschieden, dass eine besondere Form von Spots – nach der Bezeichnung eines Fernsehveranstalters die 'Euroclaqueta' –, in denen der Hinweis auf das Sponsoring eines Programms und die Werbung des Sponsors gleichzeitig erfolgen, den anderen Formen der Werbung zugerechnet werden, wenn sie die drei folgenden Bedingungen erfüllen:
    – Höchstdauer von 10 Sekunden;
    – Ausstrahlung unmittelbar vor oder nach dem Programm, auf das sie sich beziehen;
    – Produktionseigenschaften, die sich deutlich von der Produktion herkömmlicher Spots unterscheiden.
Mikrowerbespots: Mikrospots, die Werbebotschaften enthalten, werden als 'eine andere Form der Werbung' angesehen, wenn sie länger als 60 Sekunden dauern und wenn es sich nicht um eine bloße Zusammenfassung entfernt zusammenhängender Spots handelt."
Spanien bemühte sich redlich, die Besonderheiten zu betonen, die diese Werbeformen von typsichen Werbespots abheben würden. Besonders nett finde ich das Argument, "dass die vier streitigen Werbeformen nicht nur wegen ihrer Standardlänge, sondern auch wegen ihrer geringeren kommerziellen Aggressivität, ihrer verringerten suggestiven Wirkung auf den Verbraucher und des Umstands, dass sie eine geringere Störung des Programmgenusses für die Zuschauer bewirkten, nicht unter den Begriff der Werbespots fielen." (Rn 34) 

Der EuGH ließ sich davon nicht beeindrucken. Vor allem unter Bezugnahme auf das Urteil C-195/06 Österreichischer Rundfunk hob der Gerichtshof hervor, dass "dem Schutz der Verbraucher als Zuschauer gegen übermäßige Werbung im Rahmen des Ziels der Richtlinie 89/552 eine wesentliche Bedeutung zukommt" (Rn 45). Der Begriff Werbespot ist daher "unter Berücksichtigung des Ziels der Richtlinie auszulegen ist, die Ausübung der Werbefreiheit im Fernsehen mit dem zwingenden Gebot in Einklang zu bringen, Fernsehzuschauer gegen ein Übermaß an Werbesendungen zu schützen." Im Ergebnis hielt der EuGH fest,
"dass alle Formen der Fernsehwerbung, die zwischen den Programmen oder während der Pausen gesendet werden, grundsätzlich einen 'Werbespot' im Sinne der Richtlinie 89/552 darstellen, es sei denn, die betreffende Werbeart fällt unter eine ausdrücklich von der Richtlinie vorgesehene andere Form der Werbung, wie dies etwa beim 'Teleshopping' der Fall ist, oder sie nimmt wegen der Art und Weise ihrer Darbietung mehr Zeit in Anspruch als Werbespots, vorausgesetzt, eine Anwendung der für Werbespots vorgesehenen Begrenzungen liefe darauf hinaus, diese Werbeform ohne stichhaltige Rechtfertigung gegenüber Werbespots zu benachteiligen."
Am Ende lief es schlicht auf die Dauer der Sonder-Werbeformen hinaus: da jede der vier Werbeformen im Allgemeinen eine Dauer von höchstens zwei Minuten hat, fallen sie, wie der EuGH in Rn 55 des Urteils ausspricht, unter den Begriff der Werbespots iSd FernsehRL (und wohl auch iSd Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, 2010/13/EG).

Das Königreich Spanien hat daher gegen seine Verpflichtungen aus Art. 3 Abs. 2 der Fernsehrichtlinie (in der Fassung der RL 97/36/EG) verstoßen, indem es duldete, dass bestimmte Formen der Werbung, wie Werbereportagen, Telepromotion-Spots, Sponsoring-Werbespots und Mikrowerbespots, von spanischen Fernsehanstalten mit längerer Dauer ausgestrahlt werden als nach der RL erlaubt.

Tuesday, November 22, 2011

Beleidigter Toter? Der EGMR zum Schutz der Ehre eines seit über 30 Jahren toten Politikers

De mortuis nil nisi bene: die alte lateinische Redensart, dass man über Tote nur Gutes (oder gar nichts) sagen soll, hat ein Sohn und Erbe des 1962 verstorbenen früheren maltesischen Ministerpräsidenten Sir Paul Boffa offenbar nicht nur als moralische, sondern auch als rechtliche Maxime genommen. Denn als eine maltesische Zeitung 1994 einen Leserbrief  veröffentlichte, in dem - eher nebenbei - behauptet wurde, eine Änderung der Flächenwidmung in Xemxija sei erfolgt, weil Sir Boffa dort bauen wollte, klagte der Sohn auf Entschädigung wegen Beleidigung: seinem Vater sei damit eine verwerfliche Absicht unterstellt worden.

Das Verfahren zog sich über mehrere Gerichtsebenen, bis mit einem endgültigen Urteil des Verfassungsgerichtshofs im Oktober 2009 feststand, dass der Leserbriefschreiber John Mizzi (übrigens selbst Journalist, der überdies mit Sir Boffa befreundet gewesen war) dem Sohn von Sir Boffa eine Entschädigung von 700 € wegen der Beleidigung zahlen musste.

Die daraufhin von John Mizzi erhobene Beschwerde hatte vor dem EGMR Erfolg (Urteil vom 22.11.2011, Mizzi gegen Malta, Appl. no. 17320/10; Pressemitteilung des EGMR): Außer Streit stand, dass ein Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung vorlag und dass dafür eine ausreichende gesetzliche Grundlage bestand, die dem legitimen Ziel diente, den guten Ruf und die Rechte anderer zu schützen. Der EGMR verneinte aber, dass der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war.

Dazu prüfte er zunächst den inkriminierten Satz des Leserbriefs (auch im Original in englischer Sprache, erschienen in der englischsprachigen Sunday Times of Malta): "After the war, during the administration of Dr Boffa, permission was given for buildings to be erected on the northern part of the bay because Dr Boffa wanted to build there".Während die maltesischen Gerichte angenommen hatten, damit sei Sir Boffa die Absicht unterstellt worden, er habe persönlich dort bauen wollen, kam der EGMR - dem Beschwerdeführer folgend - zum Ergebnis, dass man das vernünftig auch dahin verstehen könnte, dass Sir Boffa nicht selbst hätte bauen wollen. Tatsächlich war in der Folge dort gebaut worden, sodass auch eine ausreichende Tatsachengrundlage vorlag. Die Aussage müsse zudem im Zusammenhang des Leserbriefs gelesen werden, zu berücksichtigen wäre, dass es sich bei der beleidigten Person um eine "public fugure" gehandelt hat, und schließlich sollte auch nicht unbeachtet bleiben, dass diese Person zum Zeitpunkt der "Beleidigung" schon mehr als 30 Jahre tot war. Im Detail heißt es im Urteil:
"37. [...] The Court notes that the impugned statement, whatever its meaning may be, was a mere historic sideline to an article which dealt with a totally different subject matter. It held no prominence in the writing; it was of little significance, was written in the calmest of tones and could hardly be considered as provocative or exaggerated in that specific context.
38. Furthermore, the domestic courts did not give any weight to the fact that the person who they found to have been defamed was a former prime minister, and thus a politician and public figure who was subject to wider limits of acceptable criticism (see Lombardo and Others v. Malta, no. 7333/06, § 54, 24 April 2007) and that the article covered a subject of at least some public interest.
39. The Court further notes that the said prime minister was deceased at the time the letter was written. Indeed, the person who sued the applicant and to whom damages were awarded was not the defamed person, but his heir. In this respect, although the possibility of bringing such an action existed in the Maltese legal system, like in other countries, and though this has never raised an issue, as such, before the Court [...], it is of the view that this element should have been considered by the domestic courts when assessing the proportionality of the interference. [...]
40. In conclusion, the Court considers that the domestic courts’ decisions, narrow in scope, reiterating what, in their view, was implied by the impugned statement, and upholding the right of reputation without explaining why this outweighed the applicant’s freedom of expression and without taking into consideration other relevant factors, cannot be considered to fulfil the obligation of the courts to adduce 'relevant and sufficient' reasons which could justify the interference at issue."
Weniger bemerkenswert als das Ergebnis, dass der Beschwerdeführer durch die Verurteilung demnach in seinen Rechten nach Art 10 EMRK verletzt worden war, ist der Umstand, dass das Urteil nicht einstimmig zustandekam, sondern gegen die Stimme des für Malta tätig gewordenen (ad hoc-)Richters David Scicluna (sonst Richter am Strafberufungsgericht in Malta). Seine dem Urteil beigefügte abweichende Meinung zeigt große Entfernung zu allem, was am EGMR in Artikel 10-Fällen mehrheitsfähig ist.

Der Präsident des EGMR und Vorsitzende der hier entscheidenden 4. Kammer, Sir Nicolas Bratza, gab hingegen ein zustimmendes Separatvotum ab, in dem er sich kritisch mit der grundsätzlichen Frage befasst, ob bei Verstorbenen überhaupt eine - von ihren Nachkommen geltend zu machende - Beleidigung in Frage kommt. Er verweist darauf, dass die Veröffentlichungen in den Fällen Editions Plon und Hachette Filipacchi Associés, in denen der EGMR Ansprüche von Hinterbliebenen anerkannt hat, direkte und unmittelbare Auswirkungen auf das Privat- und Familienleben der unmittelbaren Familie des Verstorbenen gehabt hatten; außerdem war es dabei nicht um Beleidigungen gegangen. Bei Beleidigungen müsse anderes gelten:
"In the case of defamation, the situation appears to me to be different: the defamatory statement, while doubtless affecting the reputation of the deceased ancestor, has in my view no direct impact on the private or family life of the descendants. The exposure of an individual in such a case to an action in damages for defaming the deceased ancestor of a family is likely to have a seriously chilling effect on the right of freedom of expression, particularly in a case where many years have passed since the death and the burden of proving the truth of the allegation lies on the defendant in any such action. In my view, even if such an action is in principle compatible with the requirements of Article 10, when striking the balance between the competing interests, the weight to be attached to the reputation of the deceased individual must diminish with the passing of the years and that attaching to freedom of expression must correspondingly increase."