Pages

Sunday, March 30, 2014

ORF-Gremien im "Staatsferne"-Schnelltest

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 25.03.2014 (Pressemitteilung; im Blog dazu hier) den ZDF-Gremien mangelnde Staatsferne attestiert. Da derzeit gerade die Bestellung der ORF-Gremien im Gange ist und dazu mit 15. April 2014 auch eine Änderung des ORF-Gesetzes in Kraft treten wird (Beschluss des Nationalrats vom 27.03.2014; vom Bundesrat ist kein Widerstand zu erwarten), ist es verlockend zu überlegen, wie das österreichische System im "Staatsferne"-Test des deutschen Bundesverfassungsgerichts abschneiden würde.

Das Ergebnis vorweg: Weder Publikumsrat noch Stiftungsrat hätten auch nur die geringste Chance, den "Staatsferne"-Test zu bestehen.

Ist "Unabhängigkeit" weniger als "Staatsferne"?
Die Rechtslage in Österreich ist mit jener in Deutschland nur beschränkt vergleichbar - ein Staatsferne"-Gebot, wie es das deutsche Bundesverfassungsgericht aus einem kurzen Satz in Art 5 Grundgesetz ("die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet") abgeleitet hat, wurde in der österreichischen Verfassungsrechtsprechung noch nicht entwickelt, auch wenn die Rundfunkfreiheit, in Deutschland in Art 5 GG garantiert, im österreichischen Recht ebenso im Verfassungsrang steht, nämlich aufgrund des - innerstaatlich als Verfassungsgesetz geltenden - Art 10 EMRK (vgl VfSlg 10.948/1986).*)

Wohl aber gibt es in Österreich ein Unabhängigkeitsgebot, das in Art I des Bundesverfassungsgesetzes über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks zum Ausdruck kommt. Damit bietet das österreichische Recht - allein vom Verfassungstext her - eigentlich einen konkreteren Anhaltspunkt für Organisationsanforderungen an den (öffentlich-rechtlichen) Rundfunk als das deutsche Grundgesetz (aber Verfassungstext ist eben ein wenig auch wie Beton: "es kommt darauf an, was man draus macht"). Organisationsanforderungen für die Gremien des ORF hat der Verfassungsgerichtshof daraus bislang jedenfalls noch nicht abgeleitet - einen Antrag, die Bestimmungen über die Bestellung der Stiftungsratsmitglieder aufzuheben, hat der VfGH 2003 aus formalen Gründen zurückgewiesen (es ging wie so oft um die korrekte Abgrenzung des Anfechtungsumfangs; laut VfGH war der Antrag "zu eng gefasst", weil nur Z 1 bis 4, nicht aber Z 5 des § 20 ORF-G angefochten wurden).

Dafür gibt es ein gesetzliches "Politikerverbot" in ORF-Gremien in Österreich schon seit 1. Jänner 2002. Nach den Unvereinbarkeitsbestimmungen des ORF-Gesetzes (§ 20 Abs 2 ORF-G für den Stiftungsrat und § 28 Abs 2 ORF-G für den Publikumsrat) wäre es in Österreich - anders als bislang in Deutschland - unmöglich, dass Regierungsmitglieder oder Abgeordnete (vom MEP bis zum einfachen Gemeinderatsmitglied) einem Organ des ORF angehören könnten. Viele Fragen, die in Deutschland nun aktuell zu lösen sind, stellen sich daher in Österreich nicht (mehr).

Je 6 "staatsnahe" Stiftungs- und Publikumsratsmitglieder
Aber das deutsche Bundesverfassungsgericht hat nicht nur den Anteil von PolitikerInnen, sondern auch von weiteren "staatsnahen" Personen in den Aufsichtsgremien begrenzt. Zu diesen staatsnahen Personen zählt das BVerfG insbesondere von politischen Parteien entsandte Mitglieder.

In den ORF-Stiftungsrat werden gemäß § 20 Abs 1 Z 1 ORF-G sechs Mitglieder von der Bundesregierung unter Bedachtnahme auf die Vorschläge der politischen Parteien entsandt und wären im Sinne des BVerfG-Urteils damit wohl als "von politischen Parteien entsandte Mitglieder" anzusehen (die Bundesregierung hat nach dem Gesetz keine Auswahlfreiheit, sie ist an die Vorschläge der Parteien gebunden). Damit ergibt sich für den Stiftungsrat ein direkter "Staatsanteil" von gerade einmal einem Fünftel der Mitglieder (6 von 30, ohne die Belegschaftsvertreter gerechnet), also deutlich unter dem vom BVerfG akzeptierten Drittel.

Ähnliches gilt für den Publikumsrat, in dem die sechs von den politischen Akademien entsandten Mitglieder (§ 28 Abs 3 Z 5 ORF-G) wohl als staatsnah im Sinne des BVerfG-Urteils anzusehen wären. Der direkte "Staatsanteil" im Publikumsrat ist damit ähnlich niedrig wie im Stiftungsrat (6 von 31).

Keine staatsferne Bestellung der Mehrheit der weiteren Mitglieder
Das BVerfG hat sich nicht darauf beschränkt, lediglich den Anteil der "staatsnahen" Personen zu begrenzen, sondern hat auch Vorgaben für eine "staatsferne" Bestellung der weiteren Gremienmitglieder gemacht. Legt man diese Maßstäbe auf die ORF-Gremien an, dann könnten sie den "Staatsferne"-Test nicht einmal annähernd bestehen. In Abs 66-67 des Urteils schreibt das BVerfG (Hervorhebung hinzugefügt):
"Regierungsmitglieder und sonstige Vertreterinnen und Vertreter der Exekutive dürfen auf die Auswahl und Bestellung der staatsfernen Mitglieder keinen bestimmenden Einfluss haben. [...]
Eine ihnen [den Regierungen] frei anheimgestellte oder nur durch allgemein auf Lebensbereiche abstellende Regelungen angeleitete Auswahl der Personen, die als staatsferne Mitglieder in den Gremien mitwirken, ist deshalb mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar [...]. Ebenso sind substantielle Auswahlfreiräume von Regierungsmitgliedern oder sonstigen Vertreterinnen und Vertretern der Exekutive bei der Bestellung von Mitgliedern nach Vorschlägen gesellschaftlicher Gruppierungen ausgeschlossen [...].
- Stiftungsrat
Derzeit werden nach § 20 Abs 1 Z 2 und 3 ORF-G je 9 Mitglieder des ORF-Stiftungsrates von den Ländern (ein Mitglied pro Land) und von der Bundesregierung bestellt. Welche Personen dabei bestellt werden, ist den Ländern bzw der Bundesregierung "frei anheimgestellt" und wäre damit nach dem Urteil des BVerfG mit der in Deutschland geforderten Staatsferne nicht vereinbar. Damit aber wären schon 24 von 30 der nicht von Belegschaftsvertretern gestellten Stiftungsratsmitglieder "staatsnah" oder "nicht staatsfern bestellt". Da auch der Publikumsrat nicht hinreichend staatsfern bestellt ist (siehe die folgenden Absätze), schlägt dies auch auf die von ihm gemäß § 20 Abs 1 Z 4 zu bestellenden 6 Mitglieder des Stiftungsrates durch (vgl Abs 103 des BVerfG-Urteils).

Alle 30 nicht vom Zentralbetriebsrat zu bestellenden Stiftungsratsmitglieder wären daher - legte man die Maßstäbe des deutschen Bundesverfassungsgerichts an - entweder "staatsnah" oder "nicht hinreichend staatsfern bestellt".

- Publikumsrat
17 Publikumsratsmitglieder werden nach § 28 Abs 11 (ab 15.04.2014: Abs 6) ORF-G vom Bundeskanzler auf Grund von Vorschlägen bestellt, die er zuvor von Einrichtungen bzw Organisationen, die für bestimmte "Bereiche bzw. Gruppen repräsentativ sind," einzuholen hat. Der Bundeskanzler ist dabei nur insoweit an die Vorschläge gebunden, als er Personen, die nicht vorgeschlagen wurden, auch nicht bestellen darf. Er kann aber auswählen, welche Vorschläge von welchen Organisationen ihm besonders zusagen. Damit kommen ihm also - im Sinne des BVerfG-Urteils - "substantielle Auswahlfreiräume" bei der Bestellung von Mitgliedern nach Vorschlägen gesellschaftlicher Gruppierungen zu, eine "staatsferne" Bestellung ist damit nicht gewährleistet (dass er von seiner Auswahlfreiheit auch einen Gebrauch macht, der die vorschlagenden Gruppen nicht uneingeschränkt freut, kann man manchen Presseaussendungen dieser Tage entnehmen).

Die weiteren Mitglieder des Publikumsrates bestellen die Wirtschaftskammer Österreich, die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs, die Bundesarbeitskammer und der Österreichische Gewerkschaftsbund (je ein Mitglied), die Kammern der freien Berufe (gemeinsam ein Mitglied), die römisch-katholische und die evangelische Kirche (je ein Mitglied) sowie die Akademie der Wissenschaften (ein Mitglied). Bei diesen Bestellungen kommt dem Bundeskanzler oder anderen Vertretern der Exekutive keine Auswahlmöglichkeit zu.

Vertreter der Industrie- oder Handelskammer (in Deutschland so genannte "funktionale Selbstverwaltung") hat das Bundesverfassungsgericht nicht als "staatsnah" angesehen (Abs 60 des Urteils), dies allerdings mit der wesentlichen Begründung, diese stünden "typischerweise nicht in staatlich-politischen Entscheidungszusammenhängen, die vom Wettbewerb um Amt und Mandat geprägt sind". Auch wenn man das in der doch auch deutlich parteipolitisch geprägten Welt der österreichischen Sozialpartner vielleicht anders sehen könnte, so würde ich - mich auf der vorsichtigen Seite bewegend - für eine erste Bewertung die Vertreter der Kammern und des ÖGB abstrakt als hinreichend staatsfern ansehen (und konkret, auf die jeweils entsandten Personen abstellend, gilt ohnehin das allgemeine "Politikerverbot" nach § 28 Abs 2 ORF-G). Auch die Vertreter der Kirchen sind - im Sinne des BVerfG-Urteils - nicht als "staatsnah" anzusehen und werden auch unmittelbar von den Kirchen - und damit hinreichend staatsfern" - bestellt. Schließlich gelten Vertreter der Hochschulen laut BVerfG als hinreichend staatsfern (Abs 60), was wohl auch für das von der Akademie der Wissenschaften bestellte Mitglied angenommen werden kann.

Zusammenfassend sind damit von den 31 Mitgliedern des Publikumsrats in seiner künftigen Zusammensetzung 6 als "staatsnah" und 17 als "nicht hinreichend staatsfern bestellt" im Sinne des BVerfG-Urteils anzusehen - eine gute Zwei-Drittel-Mehrheit.

Was noch fehlt: Diversifizierung, Geschlechtergleichstellung und Transparenz
Das deutsche Bundesverfassungsgericht verlangt in seinem Urteil auch, zur Gewährleistung der Vielfalt "einer Dominanz von Mehrheitsperspektiven sowie einer Versteinerung in der Zusammensetzung der Rundfunkgremien entgegenzuwirken" (Abs 72). Wie das im Detail ausschauen soll, hat das BVerfG dann nicht mehr ausgeführt, weil die gesetzgebenden Körperschaften die Zusammensetzung des ZDF-Fernsehrats ohnehin insgesamt neu zu regeln haben und sie dabei auch über die Frage, wie die Mitglieder hinsichtlich der Mitglieder gesichert werden soll, neu zu entscheiden haben - unter Beachtung der "verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine möglichst aktuelle und plurale Zusammensetzung auch in Blick auf Minderheiten, sowie Art. 3 Abs. 2 GG". (Abs 100).

Dieses Problem stellt sich natürlich auch in Österreich: so ist zB festgeschrieben, dass Vertreter der katholischen und der evangelischen Kirche je ein Mitglied des Publikumsrates bestellen - andere Religionsgemeinschaften oder Konfessionslose haben kein derartiges Recht. Religiöse, ethnische, gesellschaftliche oder politische Minderheiten können nicht einmal Vorschläge für die vom Bundeskanzler zu bestellenden Publikumsratsmitglieder machen, da in der dafür maßgebenden Bestimmung nur hinsichtlich der Volksgruppen auch Minderheiten vorkommen, sonst aber sehr große "Bereiche bzw Gruppen" genannt sind, für die lediglich "repräsentative" Einrichtungen vorschlagsberechtigt sind.

§ 30f ORF-G verlangt, dass bei der Bestellungen von Mitgliedern von Gremien "auf eine ausgewogene Vertretung beider Geschlechter Bedacht zu nehmen" ist. Aktuell ist freilich noch eine spürbare Geschlechterdisparität in den Gremien zu erkennen, weniger im Publikumsrat (ein Drittel Frauen) als im Stiftungsrat (nur ein Fünftel Frauen). Das deutsche BVerfG verlangt ausdrücklich die Beachtung des Gleichstellungsauftrags nach Art 3 Abs 2 GG (zB Abs 39 und 100 des Urteils) - ob es sich mit einer doch recht weichen Norm wie § 30f ORF-G zufrieden geben würde, ist meines Erachtens offen.

Das BVerfG hat eine Verfassungswidrigkeit der Regeln über den ZDF-Fernsehrat auch in der mangelnden Transparenz gesehen: Der Gesetzgeber müsse dafür Sorge tragen, dass in den Gremien "ein Ausgleich zwischen dem Grundsatz der Öffentlichkeit der Rundfunkaufsicht und den Vertraulichkeitserfordernissen einer sachangemessenen Gremienarbeit" hergestellt werde. Das BVerfG verlangt nicht zwingend die Sitzungsöffentlichkeit, wohl aber "Regeln, die ein Mindestmaß an Transparenz gewährleisten. Hierzu gehört jedoch, dass die Organisationsstrukturen, die Zusammensetzung der Gremien und Ausschüsse sowie die anstehenden Tagesordnungen ohne weiteres in Erfahrung gebracht werden können und dass zumindest dem Grundsatz nach die Sitzungsprotokolle zeitnah zugänglich sind oder sonst die Öffentlichkeit über Gegenstand und Ergebnisse der Beratungen in substantieller Weise unterrichtet wird."

Das ORF-Gesetz kennt derartige Transparenzvorschriften im Hinblick auf die Gremienarbeit nicht, sondern geht grundsätzlich eher von der Vertraulichkeit aus: Nach § 19 Abs 4 ORF-G sind sämtliche Mitglieder der Stiftungsorgane, "soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, zur Verschwiegenheit über alle ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit bekannt werdenden Umstände der Stiftung und der mit ihr verbundenen Unternehmen verpflichtet." Der Publikumsrat hält seine Sitzungen in der Regel zwar öffentlich, dies ist aber lediglich in seiner Geschäftsordnung, nicht aber bereits im Gesetz vorgesehen und würde damit den Anforderungen des BVerfG nicht genügen.

Ergebnis (und Disclaimer)
Würde man die vom deutschen Bundesverfassungsgericht im ZDF-Urteil angewandten Maßstäbe tatsächlich auf die Bestimmungen im ORF-Gesetz betreffend Publikums- und Stiftungsrat anwenden, so würden die ORF-Gremien diesen "Staatsferne-Test" meines Erachtens nicht bestehen: einerseits wegen der überwiegend "nicht hinreichend staatsfernen" Bestellung der Mitglieder, andererseits aber auch wegen der fehlenden gesetzlichen Vorkehrungen für Vielfalt in den Gremien und für ausreichende Transparenz.

Das ist natürlich nur ein Gedankenexperiment, und diese Überlegungen sind keinesfalls dahin zu verstehen, dass ich die Positionen des deutschen Bundesverfassungsgerichts als für Österreich relevant ansehen würde. Auch für Deutschland müssen sich diese Positionen zudem erst bewähren (ich bin insbesondere sehr gespannt, wie die Gesetzgeber etwa die "möglichst aktuelle und plurale Zusammensetzung auch in Blick auf Minderheiten" so sicherstellen können, dass dies auch vom BVerfG akzeptiert wird). Die Überlegungen zu "staatsnahen" oder "nicht staatsfern bestellten" Gremienmitgliedern bringen natürlich auch keine Bewertung der konkreten Personen zum Ausdruck. Und zu aktuellen Bestellungen oder Vorschlägen betreffend die ORF-Gremien sage ich bewusst gar nichts.

---
*) Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat sein Ergebnis im ZDF-Urteil übrigens auch am Maßstab des Art 10 EMRK gemessen, gleich nach der Zusammenfassung der zentralen Aussagen des Urteils (Abs 48-49).
Zusammenfassend verlangt das Gebot der Staatsferne damit eine Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die - orientiert an dem Ziel der Vielfaltsicherung und zugleich zur Verhinderung der politischen Instrumentalisierung des Rundfunks - staatsfernen Mitgliedern in den Aufsichtsgremien einen bestimmenden Einfluss einräumt und die eventuelle Mitwirkung staatlicher und staatsnaher Mitglieder begrenzt.
Diese Erfordernisse entsprechen den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention. Nach der Auslegung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verpflichtet Art. 10 EMRK die Konventionsstaaten, durch gesetzliche Ausgestaltung die Vielfalt im Rundfunk zu gewährleisten und diese Pflicht insbesondere nicht dadurch zu unterwandern, dass eine gewichtige ökonomische oder politische Gruppe oder der Staat eine dominante Position über eine Rundfunkanstalt oder innerhalb einer Rundfunkanstalt einnehmen kann und hierdurch Druck auf die Veranstalter ausüben kann (vgl. EGMR, Manole and Others v. Moldova, no. 13936/02 [im Blog dazu hier], §§ 95-102; EGMR (GK), Centro Europa 7 S.r.l. u.a. v. Italien, Urteil vom 7. Juni 2012, Nr. 38433/09 [im Blog dazu hier], NVwZ-RR 2014, S. 48 <52 f.="">, §§ 129 ff.; jeweils unter Hinweis auf Entschließungen und Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates).

Thursday, March 27, 2014

EuGH: auch allgemeine Netzsperren möglich - unter Beachtung des Grundrechts der Internetnutzer auf Informationsfreiheit

Der EuGH ist heute in seinem Urteil in der Rechtssache C-314/12, UPC Telekabel Wien GmbH (Pressemitteilung des EuGH), zum Ergebnis gekommen, dass es zum Schutz von Rechteinhabern grundsätzlich zulässig ist, Internet Providern mit gerichtlicher Anordnung zu verbieten, den Zugang von Kunden zu bestimmten rechteverletzenden Websites (im Anlassfall war das kino.to) zu ermöglichen. Der EuGH verlangt nicht, dass die Anordnungen spezifizieren, welche Maßnahmen ein Provider zu treffen hat, sondern lässt ein generelles "Erfolgsverbot" zu und weicht damit deutlich und in einem wesentlichen Punkt von den Schlussanträgen von Generalanwalt Cruz Villalón (zu diesen siehe hier) ab. Bemerkenswert ist, dass der EuGH die Rechte der von einer Sperre betroffenen Internetnutzer anerkennt und verlangt, dass diese sich gegen eine Sperre auch gerichtlich wehren können.

Internet Provider als Vermittler im Sinne der RL 2001/29
Keine Überraschung ist, dass der EuGH - in diesem Punkt wie bereits der Generalanwalt - Internet Provider als Vermittler im Sinne der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft beurteilt (nach Art 8 Abs 3 der RL müssen die Mitgliedstaaten sicher stellen, "dass die Rechtsinhaber gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler beantragen können, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt werden."). Der EuGH hält (in RNr 30 des Urteils) fest, dass sich der in Art 8 Abs 3 der RL 2001/29 verwendete Begriff "Vermittler" auf jede Person bezieht, "die die Rechtsverletzung eines Dritten in Bezug auf ein geschütztes Werk oder einen anderen Schutzgegenstand in einem Netz überträgt." Das sind auch Internet Provider:
Der Anbieter von Internetzugangsdiensten ist an jeder Übertragung einer Rechtsverletzung im Internet zwischen einem seiner Kunden und einem Dritten zwingend beteiligt, da er durch die Gewährung des Zugangs zum Netz diese Übertragung möglich macht (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 19. Februar 2009, LSG-Gesellschaft zur Wahrnehmung von Leistungsschutzrechten, C‑557/07, Slg. 2009, I‑1227, Rn. 44). Infolgedessen ist davon auszugehen, dass ein Anbieter von Internetzugangsdiensten wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, der seinen Kunden den Zugang zu Schutzgegenständen ermöglicht, die von einem Dritten im Internet öffentlich zugänglich gemacht werden, ein Vermittler ist, dessen Dienste zur Verletzung eines Urheberrechts oder eines verwandten Schutzrechts im Sinne von Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 genutzt werden.
Ein Nachweis, dass bestimmte Kunden des Providers tatsächlich auf die rechteverletzende Website (oder noch spezifischer: auf bestimmte zB Filme oder Musikwerke, an denen die Rechteinhaber Schutzrechte haben) zugegriffen haben, ist nach Ansicht des EuGH nicht erforderlich, weil die Richtlinie von den Mitgliedstaaten nicht nur Maßnahmen verlangt, um Verstöße gegen Schutzrechte abzustellen, sondern auch, solchen Verstößen vorzubeugen (Rnr 36-37).

Grundrechte-Abwägung
Bei der Anwendung der nationalen Regeln zur Umsetzung der RL 2001/29 haben die nationalen Gerichte dem Unionsrecht und "somit insbesondere, im Einklang mit Art. 51 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), den Anforderungen Rechnung zu tragen, die sich aus dem Schutz der anwendbaren Grundrechte ergeben" (RNr 45).

Eine Anordnung, mit der Internet Providern verboten wird, ihren Kunden Zugang zu einer Website zu ermöglichen, kollidiert (!) - so der EuGH in RNr 47 - mit drei Grundrechten:
  • erstens mit den Urheberrechten und den verwandten Schutzrechten, die Teil des Rechts des geistigen Eigentums und damit durch Art. 17 Abs. 2 der Charta geschützt sind, 
  • zweitens mit der unternehmerischen Freiheit, die Wirtschaftsteilnehmer wie die Anbieter von Internetzugangsdiensten nach Art. 16 der Charta genießen, und 
  • drittens mit der durch Art. 11 der Charta geschützten Informationsfreiheit der Internetnutzer .
Allgemeine Sperranordnung als gelinderer Eingriff in die unternehmerische Freiheit
Ganz anders als der Generalanwalt beurteilt der EuGH den Eingriff in die unternehmerische Freiheit der Internet Provider. Während der Generalanwalt eine allgemeine Sperranordnung an den Provider als unzulässig ansah, gerade weil sich dieser damit nicht sicher sein konnte, was da im Detail von ihm verlangt wird, sieht der EuGH die allgemeine Sperrverfügung sogar als gelinderen Eingriff in die Freiheit des Providers an.

Der EuGH hält fest, dass "eine solche Anordnung den Wesensgehalt des Rechts auf unternehmerische Freiheit eines Anbieters von Internetzugangsdiensten" unangetastet lässt (RNr 51), und begründet dies im Wesentlichen damit, dass der Provider zum einen frei ist, die seinen Ressourcen und Möglichkeiten am besten entsprechenden Umsetzungsmaßnahmen zu wählen, und dass er sich zum anderen von der Haftung befreien kann, wenn er alle zumutbaren Maßnahmen getroffen hat und er daher auch nicht verpflichtet ist, "untragbare Opfer zu erbringen" (siehe im Detail RNr 52-53). Der Provider muss daher auch, "bevor gegebenenfalls eine Entscheidung ergeht, mit der ihm eine Sanktion auferlegt wird, nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit vor Gericht geltend machen können, dass er die Maßnahmen ergriffen hat, die von ihm erwartet werden konnten, damit das verbotene Ergebnis nicht eintritt" (RNr 54).

Grundrecht der Internetnutzer auf Informationsfreiheit
Der EuGH nimmt - grundrechtsdogmatisch vielleicht ein wenig verkürzt - die Internet Provider auch in die Pflicht, für die Beachtung des Grundrechts der Internetznutzer auf Informationsfreiheit Sorge zu tragen (RNr 55): 
Der Adressat einer Anordnung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende muss bei der Wahl der Maßnahmen, die er zu ergreifen hat, um der Anordnung nachzukommen, aber auch für die Beachtung des Grundrechts der Internetnutzer auf Informationsfreiheit Sorge tragen.
Der Provider muss hier sehr vorsichtig vorgehen: die von ihm in Umsetzung der Sperranordnung getroffenen Maßnahmen müssen nämlich "in dem Sinne streng zielorientiert sein, dass sie dazu dienen müssen, der Verletzung des Urheberrechts oder eines verwandten Schutzrechts durch einen Dritten ein Ende zu setzen, ohne dass Internetnutzer, die die Dienste dieses Anbieters in Anspruch nehmen, um rechtmäßig Zugang zu Informationen zu erlangen, dadurch beeinträchtigt werden. Andernfalls wäre der Eingriff des Anbieters in die Informationsfreiheit dieser Nutzer gemessen am verfolgten Ziel nicht gerechtfertigt" (RNr 56). Mit anderen Worten: alles, was Nutzer, die auf rechtmäßige Inhalte zugreifen wollen, beeinträchtigt, wäre unverhältnismäßig (und kann daher von Rechteinhabern auch nicht vom Internet Provider verlangt werden).

Wirklich spannend wird es dann in RNr 57 des Urteils: der EuGH verlangt, dass die nationalen Gerichte in der Lage sein müssen zu prüfen, ob eine Maßnahme in diesem Sinne unverhältnismäßig ist - was aber nach österreichischem Recht im Vollstreckungsverfahren nicht möglich ist, wenn keine Beanstandung (offenbar gemeint: durch die Internetnutzer, also die Kunden des Providers!) erfolgt. Der EuGH sieht eine Beteiligung der Nutzer aber als zentral an: 
Damit die im Unionsrecht anerkannten Grundrechte dem Erlass einer Anordnung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, ist es deshalb erforderlich, dass die nationalen Verfahrensvorschriften die Möglichkeit für die Internetnutzer vorsehen, ihre Rechte vor Gericht geltend zu machen, sobald die vom Anbieter von Internetzugangsdiensten getroffenen Durchführungsmaßnahmen bekannt sind.
Recht des geistigen Eigentums 
Der EuGH erkennt an, dass auch eine allgemeine Sperranordnung "nicht zu einer vollständigen Beendigung der Verletzung des Rechts des geistigen Eigentums der Betroffenen führt" (RNr 58). Der Provider muss nämlich nicht alle möglicherweise durchführbaren Maßnahmen ergreifen (sondern nur ihm zumutbare), und es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Maßnahmen umgangen werden können. 

Wie der EuGH schon im Urteil Scarlet Extended (siehe dazu hier) festgehalten hat, ist das Recht des geistigen Eigentums nicht schrankenlos und sein Schutz daher nicht notwendigerweise bedingungslos zu gewährleisten (RNr 61). Aber:
Auch wenn die Maßnahmen zur Durchführung einer Sperranordnung nicht geeignet sein sollten, die Verletzung des Rechts des geistigen Eigentums gegebenenfalls vollständig abzustellen, können sie demnach gleichwohl nicht als unvereinbar mit dem Erfordernis angesehen werden, im Einklang mit Art. 52 Abs. 1 letzter Satzteil der Charta ein angemessenes Gleichgewicht zwischen allen anwendbaren Grundrechten herzustellen; dies setzt allerdings voraus, dass sie zum einen den Internetnutzern nicht unnötig die Möglichkeit vorenthalten, in rechtmäßiger Weise Zugang zu den verfügbaren Informationen zu erlangen, und zum anderen bewirken, dass unerlaubte Zugriffe auf die Schutzgegenstände verhindert oder zumindest erschwert werden und dass die Internetnutzer, die die Dienste des Adressaten der Anordnung in Anspruch nehmen, zuverlässig davon abgehalten werden, auf die ihnen unter Verletzung des Rechts des geistigen Eigentums zugänglich gemachten Schutzgegenstände zuzugreifen.
Dass Umgehungen möglich bleiben, macht eine Sperranordnung also, wie dies auch der Generalanwalt gesehen hat, nicht unzulässig. Die Maßnahmen müssen allerdings "hinreichend wirksam" sein (näher dazu in RNr 62 des Urteils). Wären die dem Provider zumutbaren Maßnahmen nicht hinreichend wirksam, etwa weil nicht nur besonders technikaffine User die Sperren ganz einfach umgehen können (und dies auch tatsächlich tun), dann wäre die Sperranordnung unzulässig. Zu prüfen hat all das das nationale Gericht - der Tenor des Urteils (zur dritten Vorlagefrage) lautet: 
Die durch das Unionsrecht anerkannten Grundrechte sind dahin auszulegen, dass sie einer gerichtlichen Anordnung nicht entgegenstehen, mit der einem Anbieter von Internetzugangsdiensten verboten wird, seinen Kunden den Zugang zu einer Website zu ermöglichen, auf der ohne Zustimmung der Rechtsinhaber Schutzgegenstände online zugänglich gemacht werden, wenn die Anordnung keine Angaben dazu enthält, welche Maßnahmen dieser Anbieter ergreifen muss, und wenn er Beugestrafen wegen eines Verstoßes gegen die Anordnung durch den Nachweis abwenden kann, dass er alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat; dies setzt allerdings voraus, dass die ergriffenen Maßnahmen zum einen den Internetnutzern nicht unnötig die Möglichkeit vorenthalten, in rechtmäßiger Weise Zugang zu den verfügbaren Informationen zu erlangen, und zum anderen bewirken, dass unerlaubte Zugriffe auf die Schutzgegenstände verhindert oder zumindest erschwert werden und dass die Internetnutzer, die die Dienste des Adressaten der Anordnung in Anspruch nehmen, zuverlässig davon abgehalten werden, auf die ihnen unter Verletzung des Rechts des geistigen Eigentums zugänglich gemachten Schutzgegenstände zuzugreifen, was die nationalen Behörden und Gerichte zu prüfen haben.
Conclusio
Schon die Schlussanträge des Generalanwalts wurden mancherorts als eine Art Freibrief für Netzsperren beurteilt. Der EuGH geht in diesem Sinne sogar noch über die Schlussanträge hinaus und sieht nicht nur konkrete Sperrverfügungen (mit Angabe der vom Provider jeweils zu treffenden Maßnahmen), sondern auch allgemeine Anordnungen als - grundsätzlich - zulässig an. Meines Erachtens sollte man aber bei der Interpretation vorsichtig sein: die Zulässigkeit der allgemeinen Sperranordnungen wird vom EuGH nicht als Einschränkung der Rechte des Providers argumentiert, sondern im Gegenteil als Erweiterung seines Spielraums, die von ihm als "Vermittler" zu treffenden Maßnahmen flexibel nach seinen Möglichkeiten zu wählen; eine unbedingte "Erfolgsverpflichtung", bei der der Provider in jedem Fall dafür einstehen müsste, dass tatsächlich niemand seiner Kunden die zu sperrende Website erreicht, ist damit vom Tisch, ebenso eine allgemeine, undifferenzierte Sperre von Websites, die nur teilweise illegale Inhalte anbieten. Für Internet Provider, die zwischen andrängenden Rechteinhabern auf der einen Seite und ihren Kunden, den Internetnutzern, stehen, wird die Situation freilich nicht einfacher: sie trifft nach dem Urteil des EuGH eine Art Garantenstellung, nach der sie für die Beachtung des Grundrechts ihrer Kunden auf Informationsfreiheit Sorge tragen müssen..

---
(Hervorhebungen in den Zitaten jeweils hinzugefügt)

Update 24.07.2014: der OGH hat nun im nationalen Ausgangsverfahren entschieden, siehe im Blog dazu hier.

Tuesday, March 25, 2014

"Nicht kohärent organisierte Perspektiven" abbilden: wenn deutsche Bundesverfassungsrichter Fernsehräte designen

Bei allem Respekt vor der hohen Schule der deutschen Staatsrechtswissenschaft und ihrer Apotheose in Gestalt des Bundesverfassungsgerichts: wie man "Staatsferne" und den deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk (in seiner gelebten Realität) nicht als Widerspruch, sondern als logisch zusammengehöriges Begriffspaar sehen konnte habe ich nie verstanden. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat den Mythos der Staatsferne im Wesentlichen selbst geschaffen (so habe ich das hier einmal geschrieben) - und mit dem heutigen Urteil zum ZDF-Staatsvertrag (Pressemitteilung) versucht das Bundesverfassungsgericht, diesem bei näherem Hinsehen recht unscharfen Begriff irgendwie handhabbare Konturen zu verleihen.

Das BVerfG geht dabei vom Ziel der Vielfaltssicherung aus, an dem von Verfassungs wegen (abgeleitet aus der Rundfunkfreiheit nach Art 5 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz) die institutionelle Ausgestaltung der Rundfunkanstalten auszurichten ist (RNr 35 des Urteils). Die Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks "mit einer binnenpluralistischen Struktur, bei welcher der Einfluss der in Betracht kommenden Kräfte unter maßgeblicher Einbeziehung der Zivilgesellschaft intern im Rahmen von Kollegialorganen vermittelt wird," ist weiterhin (! - das heißt, man hat überlegt und hält daran fest) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Wird ein solches binnenpluralistisches Modell gewählt, ist dann auch die nähere Ausgestaltung der Organisation am "Funktionsauftrag" zu orientieren (RNr 38). Wie aber macht man das? Das BVerfG gibt Anleitung (RNr 39):
Die Zusammensetzung der Kollegialorgane muss darauf ausgerichtet sein, Personen mit möglichst vielfältigen Perspektiven und Erfahrungshorizonten aus allen Bereichen des Gemeinwesens zusammenzuführen. Dabei hat der Gesetzgeber insbesondere darauf Bedacht zu nehmen, dass nicht vorrangig amtliche und sonstige Perspektiven und Sichtweisen, die für die staatlich-politische Willensbildung maßgeblich sind, abgebildet werden, sondern maßgeblich ein breites Band von Sichtweisen vielfältiger gesellschaftlicher Kräfte zum Tragen kommt [...]. Er hat dafür zu sorgen, dass bei der Bestellung der Mitglieder dieser Gremien möglichst unterschiedliche Gruppen und dabei neben großen, das öffentliche Leben bestimmende Verbänden untereinander wechselnd auch kleinere Gruppierungen, die nicht ohne weiteres Medienzugang haben, Berücksichtigung finden und auch nicht kohärent organisierte Perspektiven abgebildet werden. Die Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat sich so auch hinsichtlich der Zusammensetzung der Gremien an dem Auftrag auszurichten, Vielfalt über die Programmdiversifizierung des privaten Angebots hinaus zu gewährleisten [...]. Dabei hat der Gesetzgeber auch den Gleichstellungsauftrag hinsichtlich des Geschlechts aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG zu beachten [...].
Die Aufsichtsgremien, so das BVerfG dann, sind nicht Träger der Rundfunkfreiheit, sondern "Sachwalter des Interesses der Allgemeinheit":
Die Bestellung von Mitgliedern unter Anknüpfung an verschiedene gesellschaftliche Gruppen setzt diese nicht als Vertreter ihrer jeweiligen spezifischen Interessen ein, sondern dient nur als Mittel, Sachwalter der Allgemeinheit zu gewinnen, die unabhängig von den Staatsorganen sind, Erfahrungen aus den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen einbringen und dafür Sorge tragen, dass das Programm nicht einseitig einer Partei oder Gruppe, einer Interessengemeinschaft, einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung dient und in der Berichterstattung die Auffassungen der betroffenen Personen, Gruppen oder Stellen angemessen und fair berücksichtigt werden [...] [RNr 40]
"Vertreterinnen und Vertretern aus dem staatlichen Bereich" darf dabei auch ein Anteil eingeräumt werden. Begründung: "Gerade diese Akteure sind in einer Demokratie in besonderer Weise auf eine offene, facettenreiche und kritische Berichterstattung angewiesen und sind zugleich prägender Bestandteil des demokratischen Gemeinwesens. Es entspricht ihrer politischen Gesamtverantwortung, dass sie auch selbst Aspekte des gemeinen Wohls in die Arbeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einbringen können." Das heißt, dass weiterhin, wenn auch "in eng zu begrenzemdem Umfang" Regierungsvertreter, "auch im Rang eines Ministerpräsidenten", weiterhin in die Organe berufen werden können. "Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, auch staatliche Vertreter zur Mitwirkung zu berufen." (RNr 41)

Dann versucht das BVerfG den Spagat mit der Staatsferne: der Stehsatz dazu, zitiert gleich zu Beginn der RNr 39, lautet: "Die Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks muss als Ausfluss aus dem Gebot der Vielfaltsicherung zugleich dem Gebot der Staatsferne genügen, das das Vielfaltsgebot in spezifischer Hinsicht konkretisiert und mit näheren Konturen versieht". Das muss erst mal etwas relativiert werden, um es in der Realität handhabbar zu machen - also wird am Ende von RNr 40 die Rechtsprechung des BVerfG gewissermaßen authentisch interpretiert:
Entsprechend zielte die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch für die Zusammensetzung der Rundfunkanstalten nie darauf ab, dass diese in Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft als vollständig oder auch nur möglichst weitgehend staatsfrei auszugestalten sei, sondern setzte die Möglichkeit einer gewissen und auch nicht nur völlig marginalisierten Mitwirkung von staatlichen Vertretern in den Anstalten stets voraus [...].
Was ist Staatsferne?
Das Gebot der Staatsferne, so das BVerfG, "bringt eine spezifische Form der Verantwortung zum Ausdruck: Der Staat hat den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zwar zu organisieren und dessen Auftrag durch eigene Anstalten zu erfüllen, muss dabei aber Sorge tragen, dass die Gestaltung des Programms und dessen konkrete Inhalte nicht in die allgemeine staatliche Aufgabenwahrnehmung eingebunden und als deren Teil ausgestaltet sind". Dann folgen (in RNr 46) wieder einige Sätze im typischen Bundesverfassungsgerichts-Stil:
Die Organisation der für die Erfüllung des Funktionsauftrags maßgeblichen Gremien ist demnach aus dem Prozess staatlich-repräsentativer Willensbildung herauszulösen und so zu gestalten, dass sich in ihr die Vielfalt des Gemeinwesens und gesellschaftliche Pluralität widerspiegeln. Der Staat trägt lediglich eine Strukturverantwortung und ist auf diese begrenzt. Sie ist nicht Teil oder Vorstufe inhaltlicher Vollverantwortung, sondern einer staatlichen Verantwortung für das konkrete Programm entgegengesetzt. Während die Erbringung staatlicher Dienstleistungen in der Regel dazu dient, eine von politisch rückgebundenen Amtsträgern inhaltlich verantwortete Qualität zu gewährleisten und dabei aus der Vielzahl der Möglichkeiten diejenigen zu bestimmen, die konkret zum gemeinen Wohl beitragen, geht es hier darum, die Berichterstattung in Distanz zu einer inhaltlichen Überformung durch die sonst zum Handeln berufenen Amtsträger zu gestalten. Qualität bildet sich insoweit nicht mittels staatlicher Aggregation divergierender Interessen, sondern im Offenhalten von Divergenz und Diversifikation. Das Gebot der Staatsferne zielt darauf, die Darstellung, Verarbeitung und Interpretation der Wirklichkeit in ihren vielfältigen Bewertungen sowie zahlreichen Brechungen des Gemeinwesens ins Werk zu setzen.
Alles klar? Worauf also zielt das Gebot der Staatsferne? Natürlich darauf, "die Darstellung, Verarbeitung und Interpretation der Wirklichkeit in ihren vielfältigen Bewertungen sowie zahlreichen Brechungen des Gemeinwesens ins Werk zu setzen." Nein, darauf kann man von alleine nicht kommen, dazu braucht man wirklich das BVerfG. Aber keine Angst, auch das BVerfG weiß, dass man das nochmal übersetzen muss, und bietet auch eine Zusammenfassung an (RNr 48):
Zusammenfassend verlangt das Gebot der Staatsferne damit eine Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die - orientiert an dem Ziel der Vielfaltsicherung und zugleich zur Verhinderung der politischen Instrumentalisierung des Rundfunks - staatsfernen Mitgliedern in den Aufsichtsgremien einen bestimmenden Einfluss einräumt und die eventuelle Mitwirkung staatlicher und staatsnaher Mitglieder begrenzt.
Ein Dritttel ist genug
Im zweiten Teil der Urteilsbegründung (ab RNr 50) wird es dann richtig praktisch, und das BVerfG dekretiert Vorgaben für den Gesetzgeber. Vor allem ist der "Einfluss der staatlichen und staatsnahen Mitglieder in den Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten [...] konsequent zu begrenzen. Ihr Anteil darf ein Drittel der gesetzlichen Mitglieder des jeweiligen Gremiums nicht übersteigen." Die Begründung für genau dieses Drittel ist eher sketchy: staatsnahe Mitglieder sollen keine Mehrheit haben, außerdem sind sie gut vernetzt ("Freundeskreise"), was man nie unterschätzen soll ("Dabei ist auch die Prägekraft staatlicher und dabei insbesondere parteipolitisch gegliederter Kommunikationsstrukturen zu berücksichtigen"), und so braucht es eben zwei nichtstaatliche Aufpasser für ein staatsnahes Mitglied: "Hinreichend ausgeschlossen ist ein bestimmender Einfluss der staatlichen und staatsnahen Mitglieder in diesem Sinne nur dann, wenn jedem staatlichen und staatsnahen Mitglied mindestens zwei staatsferne Mitglieder gegenüberstehen". Das soll auch für die Ausschüsse gelten.

Wer ist staatlich oder staatsnah?
"Wer im Sinne dieser Anteilsbegrenzung als staatliches und staatsnahes Mitglied zu gelten hat, bestimmt sich nach einer funktionalen Betrachtungsweise," hält das BVerfG (in RNr 57) fest. Dazu zählen Mandatare in einem öffentlichen Amt, "soweit sie ein Interesse an der Instrumentalisierung des Rundfunks für ihre Zwecke der Machtgewinnung oder des Machterhalts haben können"; das BVerfG zählt dazu Mitglieder einer Regierung, politische Beamtinnen und Beamte, Wahlbeamte in Leitungsfunktion (insbesondere Bürgermeister oder Landräte) und Vertreter von Kommunen (RNr 59); auch als staatnsah zählen von politischen Parteien entsandte Mitglieder (RNr 61).

Personen, die von Hochschulen, aus der Richterschaft oder aus der funktionalen Selbstverwaltung wie etwa den Industrie- und Handelskammern in die Aufsichtsgremien entsandt werden, sind laut BVerfG aber nicht als staatliche oder staatsnahe Mitglieder anzusehen, weil sie typischerweise "nicht in staatlich-politischen Entscheidungszusammenhängen [stehen], die vom Wettbewerb um Amt und Mandat geprägt sind". (RNr 60)

Bei der Auswahl der staatlichen und staatsnahen Mitglieder ist dem Grundsatz der Vielfaltssicherung Rechnung zu tragen, wobei auch kleinere politische Strömungen einzubeziehen sind. "Gleichfalls hat der Gesetzgeber darauf zu achten, dass möglichst vielfältig weitere perspektivische Brechungen - etwa föderaler oder funktionaler Art - berücksichtigt werden" ("Brechungen" ist offenbar ein aktuelles Lieblingswort des BVerfG). Der Geschlechter-Gleichstellungsauftrag gilt natürlich auch hier.

Und wie bestellt man "staatsferne" Mitglieder der Aufsichsgremien?
Das BVerG hält fest, dass Regierungsmitglieder und sonstige Vertreterinnen und Vertreter der Exekutive auf die Auswahl und Bestellung der staatsfernen Mitglieder keinen bestimmenden Einfluss haben dürfen (RNr 66), und dass sich die Auswahl am Ziel der Vielfaltssicherung auszurichten hat (Rnr 68). Dann beschäftigt sich das BverfG sogar mit der Wirklichkeit, und das muss man wieder im Originaltext lesen (RNr 70):
Durch Vertreterinnen und Vertreter einzelner Gruppen kann freilich kein in jeder Hinsicht wirklichkeitsgerechtes Abbild des Gemeinwesens erstellt werden. Gesellschaftliche Wirklichkeit ist in ungeordneter Weise fragmentiert, manifestiert sich in ungleichzeitigen Erscheinungsformen und findet nur teilweise in verfestigten Strukturen Niederschlag, die Anknüpfung für die Mitwirkung in einer Rundfunkanstalt sein können. Insbesondere sind die Interessen der Allgemeinheit nicht mit der Summe der verbandlich organisierten Interessen identisch. Es gibt vielmehr Interessen, die verbandlich gar nicht oder nur schwer organisierbar sind. Verbänderepräsentation ist aus diesem Grund immer nur ein unvollkommenes Mittel zur Sicherung allgemeiner Interessen [...] 
Und was tun, wenn sich die gesellschaftliche Wirklichkeit in ungleichzeitigen Erscheidungsformen manifestiert? Das soll sich der Gesetzgeber überlegen - denn der hat dabei "einen weiten Gestaltungsfreiraum":
Maßgeblich ist allein, dass die gewählte Zusammensetzung erkennbar auf Vielfaltsicherung angelegt und dabei geeignet ist, die Rundfunkfreiheit zu wahren, dass sie willkürfrei sowie unter Beachtung weiterer Vorgaben des Grundgesetzes wie derjenigen des Art. 3 Abs. 2 GG [Geschlechter-Gleichstelung] erfolgt [...]. Die gewählten Auswahlkriterien müssen dabei gleichmäßig angewandt und dürfen nicht ohne sachlichen Grund verlassen werden [...].
Gegen Versteinerung und Dominanz von Mehrheitsperspektiven
Wirklich bemerkenswert ist meines Erachtens - abgesehen von der konsequenten Betonung der Geschlechter-Gleichstellung, die aufgrund der Wiederholung durchaus mehr scheint als eine bloße Pflichtübung - die Ablehnung der "Dominanz von Mehrheitsperspektiven", die das BVerfG im Ergebnis fast dahin führt, so etwas wie Diversität in den Aufsichtsgremien zu verlangen (ohne das freilich so zu nennen). Das BVerfG erkennt das strukturelle Risiko, dass für gesellschaftliche Bereiche "nur die konventionellen Mehrheitsperspektiven der durchsetzungsstärksten Verbände Berücksichtigung finden und kleinere Verbände mit anderen Sichtweisen kaum zum Zuge kommen können".  Neuere wichtig werdende gesellschaftliche Entwicklungen könnten ebenfalls nicht erfasst werden (RNr 73). Wie man damit konkret umgehen soll, sagt das BVerfG nicht, sondern verweist wieder auf den Gesetzgeber, der "eine funktionsgerechte Ausgestaltung der Rundfunkanstalten ins Werk zu setzen und hierbei insbesondere auch das Spannungsverhältnis von Kontinuität und Flexibilität zum Ausgleich zu bringen" hat.

"Persönliche Staatsferne" auch für entsandte Mitgleider gesellschaftlicher Gruppen
Für die staatsfernen Mitglieder müssen auch Inkompatibilitätsregelungen geschaffen werden, damit die "Staatsferne in persönlicher Hinsicht gewährleistet" bleibt (RNr 75). Einfache Parteimitglieder sind ok, wer in einer Partei aber "in herausgehobener Funktion Verantwortung trägt", ist nicht mehr staatsfern genug (RNr 78).

Weisungsfreiheit
Alle Mitglieder der Aufsichtsgremien brauchen nach Ansicht des BVerfG eine hinreichende Absicherung ihrer persönlichen Rechtsstellung zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit bei der Aufgabenwahrnehmung - sie müssen daher weisungsfrei gestellt sein und dürfen nur aus wichtigem Grund abberufen werden (RNr 80-781).

Transparenz
Schließlich verlangt das BVerfG vom Gesetzgeber auch Regelungen, "die für die Arbeit der Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks jedenfalls ein Mindestmaß an Transparenz gewährleisten" (RNr 82). Transparenz kann "heilsame Vorwirkung gegen funktionswidrige Absprachen und Einflussnahmen entfalten und helfen, Tendenzen von Machtmissbrauch oder Vereinnahmungen durch Partikularinteressen frühzeitig entgegenzuwirken." (RNr 84) Das BVerfG lässt offen, ob für die Arbeit in den Gremien der Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit gelten soll. Zu einem Mindestmaß an Transparenz gehört es jedoch, "dass die Organisationsstrukturen, die Zusammensetzung der Gremien und Ausschüsse sowie die anstehenden Tagesordnungen ohne weiteres in Erfahrung gebracht werden können und dass zumindest dem Grundsatz nach die Sitzungsprotokolle zeitnah zugänglich sind oder sonst die Öffentlichkeit über Gegenstand und Ergebnisse der Beratungen in substantieller Weise unterrichtet wird." (RNr 85)

Abweichende Meinung des Richters Paulus
Auf die Anwendung dieser Grundsätze durch das BVerfG im Detail auf die geprüften Rechtsnormen gehe ich hier nicht mehr ein; hinzuweisen ist aber auf die abweichende Meinung des Richters Paulus, der Vertreter der Exekutive von Bund und Ländern generell von Gremien des ZDF ausschließen würde.

Update 26.03.2014: in der ersten Fassung des Urteils, die gestern vom BVerfG zur Verfügung gestellt wurde, waren die Absätze von 1-131 nummeriert, nunmehr liegt eine geänderte Fassung vor, in der die Absatznummerierung geändert wurde (bei den Normzitaten zu Beginn - ab Absatz 12 - wurden 4 weitere Absätze durchnummeriert); ich habe die Zitate nun an die aktuelle Fassung angepasst.

Update: ob die ORF-Gremien den "Staatsferne"-Test des BVerfG bestehen würden, habe ich mir hier angeschaut.

Österreich-Quote (oder "Mundl-Quote"?) für die Fernsehfilmproduktion

"20% der ORF-Gebühreneinnahmen für die Vergabe von Produktionen in Österreich!" fordert eine aktuelle Petition von "Filmfernsehfreunden", hinter der Verbände der österreichischen Filmbranche stehen. Der ORF lehnt eine Quote ab, unter anderem mit dem Argument, dass dann "Interventionen [...] Tür und Tor geöffnet" wären (offensichtlich meint man, sich solcher Interventionen leichter erwehren zu können, wenn ein Ausweichen auf ausländische Produktionen möglich ist).

Eine Verpflichtung, einen bestimmten Anteil der Einnahmen für "Produktionen in Österreich" zu verwenden, wäre freilich aus ganz anderen Gründen problematisch. Sie würde nämlich in mehrere EU-Grundfreiheiten eingreifen: den freien Dienstleistungsverkehr, die Niederlassungsfreiheit, den freien Kapitalverkehr und die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Dies hat der EuGH in der Rechtssache UTECA (Urteil vom 05.03.2009, C-222/07) jedenfalls für das spanische Modell festgehalten, das eine Verpflichtung aller spanischen Fernsehveranstalter vorsah, einen bestimmten Anteil ihres Umsatzes für Produktionen in einer in Spanien als Amtssprache anerkannten Originalsprache auszugeben (zu diesem Urteil im Blog hier, zu den Schlussanträgen hier). Bei einer Verpflichtung, die nicht auf die Amtssprache(n), sondern auf den Produktionsort abstellt, wäre der Eingriff in die Grundfreiheiten noch intensiver (Näheres zu den berührten Grundfreiheiten in der Rechtssache UTECA in den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott, RNr 78-87).

Eine Beschränkung der Grundfreiheiten ist zulässig, "wenn sie zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entspricht, geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist" (EuGH, UTECA, RNr 25). Das Ziel eines Mitgliedstaats, eine oder mehrere seiner Amtssprachen zu schützen und zu fördern, wurde vom EuGH als zwingender Grund im Allgemeininteresse anerkannt. Vor diesem Hintergrund hat der EuGH daher das spanische Förderungsmodell akzeptiert, weil das Anknüpfungskriterium der Maßnahme ein sprachliches war. Dass dieses Kriterium "einen Vorteil für Filmproduktionsunternehmen darstellen mag, die in der Sprache arbeiten, auf die dieses Kriterium abstellt, und die deshalb in der Praxis mehrheitlich aus dem Mitgliedstaat stammen können, in dem diese Sprache eine Amtssprache ist," stehe in einem inneren Zusammenhang mit dem verfolgten Ziel und sei für sich genommen kein Beleg, dass die Maßnahme unverhältnismäßig wäre (EuGH, UTECA, RNr 35).

Eine Anknüpfung an den Produktionsort hingegen stünde jedenfalls im Verdacht, eine "protektionistische, allein aus wirtschaftlichen Gründen erlassene Maßnahme" zu sein, wie Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen im Fall UTECA (RNr 110) unter Hinweis auf das EuGH-Urteil Federación de Distribuidores Cinematográficos (Fedicine) darlegt. In diesem Urteil hatte der EuGH zu einem (wiederum spanischen) Lizenzsystem im Filmverleih festgehalten, dass der damit verfolgte Zweck, den Verleih einer großen Anzahl inländischer Filme sicherzustellen (was zugleich den Produzenten solcher Filme ausreichende Einnahmen sicherte) als ausschließlich wirtschaftliches Ziel anzusehen sei, das keinen Grund der öffentlichen Ordnung darstellen könne.

Der Vorschlag der "Filmfernsehfreunde" bezieht sich allerdings - anders als das spanische Modell - nur auf den ORF, nicht auch auf private Fernsehveranstalter. Er ist damit auch nicht als "allgemeine Regelung" anzusehen, sondern wäre wohl als (versteckte) staatliche Beihilfe zu qualifizieren, da es sich um eine Maßnahme unter unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handelt, die geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, durch die weiters den Begünstigten ein Vorteil gewährt wird, und die schließlich den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht (das Programmentgelt des ORF ist in beihilfenrechtlicher Hinsicht als öffentliche Abgabe anzusehen [siehe RNr 86 der Beihilfenentscheidung der Kommission zur ORF-Finanzierung]; eine gesetzliche Verpflichtung, davon 20% an die österreichische Filmwirtschaft durchzureichen, würde gewissermaßen nur den Begünstigten austauschen: Filmwirtschaft statt ORF).

Nun sind Beihilfen für die Filmwirtschaft weithin üblich (auch in Österreich), unterliegen aber der Kontrolle durch die EU-Kommission und müssen den allgemeinen Voraussetzungen des EU-Beihilfenrechts entsprechen. Die Kommission hat die Rahmenbedingungen, unter denen sie Beihilfen für die Filmwirtschaft genehmigt, im vergangenen November in ihrer Mitteilung über staatliche Beihilfen für Filme und andere audiovisuelle Werke dargelegt. Eine Bevorzugung österreichischer Unternehmen wäre demnach - wie im Beihilfenrecht allgemein - jedenfalls unzulässig: Beihilferegelungen dürfen "nicht so ausgestaltet sein, dass die Beihilfe ausschließ­lich Inländern gewährt wird, und dass der Empfänger ein nach nationalem Handelsrecht im Inland niedergelassenes Unternehmen sein muss" (RNr 49 der Mitteilung).

In gewissem Umfang zulässig ist hingegen die "Territorialisierung" (Verpflichtung, einen bestimmten Anteil der Beihilfenmittel im beihilfegewährenden Gebiet auszugeben bzw eine Berechnung der Beihilfe anhand der Produktionsausgaben im beihilfegewährenden Gebiet). Der Mindestanteil darf jedoch "nicht mehr als 50 % des gesamten Produktionsbudgets betragen. Zudem darf die territoriale Bindung in keinem Fall 80 % des gesamten Produktionsbudgets übersteigen" (RNr 50 der Mitteilung).

Zusammengefasst: Eine gesetzliche Mindestquote für Filme österreichischer Produzenten wäre - egal ob sie für alle Fernsehveranstalter oder nur für den ORF gelten sollte - nicht möglich. Im Lichte des UTECA-Urteils denkbar wäre eine allgemeine Regelung mit Mindestquoten zB für Filme in der österreichischen Varietät des Deutschen, in österreichischen Mundarten (ich habe das hier schon mal als "Mundl-Quote" bezeichnet) oder in den anerkannten Minderheitensprachen.

Eine Förderung von Filmen, die nicht (nur) von österreichischen Produzenten gemacht werden, aber für eine relevante Wertschöpfung im Inland sorgen (überwiegende Produktionsausgaben im Inland, egal ob ein österreichisches oder ausländisches Unternehmen produziert) wäre im Rahmen der oben zitierten Beihilfenmitteilung zur Filmwirtschaft möglich, allerdings mit entsprechender Vorlaufzeit zur notwendigen Genehmigung durch die EU-Kommission. So einfach also die Forderung nach einer "Österreich-Quote" klingt, so heikel wären die Detailfragen einer rechtssicheren Ausgestaltung.*)

Ganz abgesehen von all dem ist der ORF übrigens verpflichtet, für "die angemessene Berücksichtigung und Förderung der österreichischen künstlerischen und kreativen Produktion" zu sorgen, wie dies in § 4 Abs 1 Z 6 ORF-Gesetz als Teil des öffentlich-rechtlichen Kernauftrags festgelegt ist.

---
*) Ergänzung (26.03.2014): Dass die Kommission Filmförderungsmaßnahmen im Wege des ORF aber beihilfenrechtlich nicht von vornherein ablehnend gegenüber steht, kann man aus den Begleitmaßnahmen zur sogenannten "Gebührenrefundierung" herauslesen. Die (mittlerweile ausgelaufene) "Gebührenrefundierung" wurde in der Beihilfenentscheidung der Kommission vom 28.10.2009 bereits vorweg akzeptiert (RNr 215) - und sie war nach § 31 Abs 11 Z 2a ORF-Gesetz geknüpft an den Fortbestand des Film-Fernsehabkommens, was von der Kommission meines Wissens auch nicht beanstandet wurde.