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Tuesday, July 31, 2012

EGMR: Recht eines Journalisten auf Informationszugang ist zivilrechtlicher Anspruch nach Art 6 EMRK

In seinem heutigen Urteil im Fall Shapovalov gegen Ukraine (Appl. no. 45835/05) hat der EGMR nicht nur anerkannt, dass das Recht eines Journalisten auf Zugang zu bestimmten Dokumenten dem Recht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 EMRK) unterfällt, sondern auch, dass es sich dabei um ein "civil right" (einen zivilrechtlichen Anspruch) im Sinne des Art 6 EMRK handelt. Konsequenz dieser Beurteilung ist, dass in Streitigkeiten über den Informationszugang die Verfahrensgarantien des Art 6 EMRK (unabhängiges, unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Gericht; öffentliche Verhandlung, angemessene Frist) zur Anwendung kommen.

Die Anwendbarkeit des Art 6 EMRK in solchen Angelegenheiten war bislang durchaus offen; in einer Entscheidung zu einer ehrenamtlich tätigen Wahlbeobachtergruppe (Geraguyn Khorhurd Patgamavorakan Akumb) war sie vom EGMR verneint, bei einer Umweltschutzorganisation offengelassen worden (Sdružení Jihočeské Matky; ebenfalls Unzulässigkeitsentscheidung). Ausschlaggebend für das klare Urteil im heute entschiedenen Fall war der berufliche Konnex: der Beschwerdeführer als Journalist brauchte die Information für seine Berufsausübung (die Angelegenheit ist damit vergleichbar dem Fall Kenedi, in dem ein auf Art 10 EMRK gestütztes Recht auf Informationszugang durch einen Historiker vom EGMR bereits den Garantien des Art 6 EMRK unterworfen wurde). Wörtlich heißt es im heutigen Urteil:
The Court notes that in the present case the applicant is a journalist and claimed the requested information to practice his profession (see, a contrario, Andre Loersch and Nouvelle Association du Courrier v. Switzerland, cited above), i.e. for elections related publications. This includes covering presidential elections, and unsuccessful performance of this undertaking could thus damage his professional reputation and career. The dispute before the domestic courts therefore appeared to be important to the applicant’s personal and professional interests. Furthermore, his right, as a participant of information relationship, to obtain necessary documents is recognised under domestic law [...]. Thus the Court considers that the right of access to particular documents, which fell within the applicant’s freedom of expression, is a “civil right” for the purposes of Article 6 § 1 of the Convention.

Zur Reichweite des Rechts auf Informationszugang ist aus dem konkreten Fall nicht viel zu gewinnen, da anerkannt war, dass der Journalist aufgrund nationaler Rechtsvorschriften Anspruch auf die von ihm verlangten Dokumente hatte. Eine Verletzung des Art 10 EMRK wurde nicht festgestellt, weil der Beschwerdeführer - der sich über mangelnden Zugang zu Dokumenten einer Wahlkommission beschwert hatte - im Ergebnis einige Dokumente doch bekommen hatte und alle anderen Dokumente (mit einer Ausnahme) an der Informationstafel der Wahlkommission angeschlagen wurden (die nicht sehr ins Detail gehenden, eher kursorischen Ausführungen zur Verneinung eines Verstoßes gegen Art 10 EMRK mögen einerseits auf fehlendes Vorbringen der Parteien zurückgehen, andererseits dürfte dem Beschwerdefüher sein  nach der Sachverhaltsschilderung fast querulatorisch wirkendes Verhalten gegenüber der Wahlkommission wohl auch keinen Sympathiebonus gebracht haben).

Im Übrigen, so der EGMR abschließed, sei der Beschwerdeführer als Journalist nicht gehindert worden, den Wahlvorgang zu behandeln und, wenn er die fraglichen Vorkommnisse als gesetzwidrig oder willkürlich ansah, auch darüber zu berichten und die Öffentlichkeit auf mögliche Irregularitäten aufmerksam zu machen.

EGMR: Geleakte Aufzeichnung einer Telefonüberwachung als Verletzung des Art 8 EMRK

(Ausschnitt eines litauischen Antikorruptionsposters:
Išgirdau. Pamačiau.Pranešiau - ich habe gehört - gesehen - berichtet)

Staatsbürgerschaften für Russen im Gegenzug gegen Spenden für den Wahlkampf und Tonbandaufzeichnungen darüber geführter Gespräche, die öffentlich bekannt werden -- das klingt zwar verdächtig nach dem, was in Kärnten "no na net part of the game" gewesen sein könnte (in der Wikipedia ins Deutsche übersetzt mit "selbstverständlich Teil des Spiels"), aber im heute verkündeten Urteil des EGMR im Fall Drakšas gegen Litauen (Appl. no.36662/04) ging es um Vorkommnisse in Litauen.

Dort hatte die Staatssicherheit ein Gespräch zwischen Jurij Borisov - einem russischen "Geschäftsmann", der zum Präsidentschaftswahlkampf von Rolandas Paksas eine namhafte Summe beigetragen hatte - und Algirdas Drakšas (damals Parteikollege des Präsidenten und Stadtrat in Vilnius) abgehört, in dem Borisov sich ziemlich verärgert zeigte, dass der Präsident die ihm gemachten Zusagen nicht einhalten wolle. Borisov kündigte in diesem Telefonat unter anderem an, dass er sein Geld zurückholen werde, wenn der Präsident die Zusagen nicht einhalte; "the President, you understand, is a corpse already", heißt es an einer Stelle im vom EGMR übersetzten Transkript der Aufzeichnung. (Als Präsident hat Rolandas Paksas tatsächlich nicht überlebt, er wurde 2004 nach einem Urteil des Verfassungsgerichts vom Parlament seines Amtes enthoben; zu Borisov - später wegen Erpressung verurteilt und seiner Staatsbürgerschaft wieder verlustig gegangen - gibt es auch ein Urteil des EGMR.)

Gegen Drakšas waren nach dem ersten von der Staatssicherheit abgehörten Gespräch von den Justizbehörden weitere Überwachungen angeordnet worden, auch im Zusammenhang mit anderen Vorwürfen gegen ihn wie zB des Schmuggels. Die Aufzeichnung des Gesprächs mit Borisov wurde später - unter nie aufgeklärten Umständen - geleakt und im Fernsehen gespielt; andere Gesprächsaufzeichnungen aus der weiteren Telefonüberwachung wurden im Zuge des Verfahrens gegen den Präsidenten vor dem Verfassungsgericht öffentlich vorgespielt.

Der EGMR, der von Drakšas wegen Verletzung seines Rechts auf Privatleben nach Art 8 EMRK angerufen wurde, fand sowohl die von der Staatssicherheit durchgeführte als auch die von den Justizbehörden angeordnete Telefonüberwachung gesetzlich gedeckt, ausreichend begründet, einem legitimen Ziel (nationale Sicherheit und Verbrechensverhütung) dienend und erforderlich.

Hinsichtlich der Veröffentlichung der Telefonaufzeichnungen unterschied der EGMR zwischen dem geleakten Gespräch mit Borisov und den Gesprächen mit dem Präsidenten und Geschäftspartnern, die im Zuge des Amtsenthebungsverfahrens öffentlich gemacht wurden. Zum Gespräch mit Borisov hielt der EGMR fest, dass dieses zwar vom Geheimdienst deklassifiziert wurde, aber nach der litauischen Strafprozessordnung dennoch hätte vertraulich bleiben müssen. Weiter heißt es in Absatz 60 des Urteils:
Nonetheless, the conversation became known to the public. [...] The Court thus concludes that despite the legal provisions designed to ensure that the surveillance is carried out in strict accordance with the law in order to protect a person’s privacy against abuse, the actual practice followed in this case was different. Whilst acknowledging the Government’s argument that the public had a right to information about one of its civil servants, the Court nevertheless considers that the SSD [State Securit Department] was responsible for keeping the information confidential. Lastly, the Court cannot fail to observe that to this day the Lithuanian authorities have not discovered who leaked the conversation to the media [...]. In these circumstances, the Court concludes that the lack of protection exercised in respect of the applicant’s telephone conversation with J.B. was not in accordance with the law. This gives rise to a violation of Article 8 of the Convention.
Schon der faktisch unterbliebene Schutz vor einer - gesetzlich nicht gedeckten - Veröffentlichung des abgehörten Telefonats führte also zur Feststellung einer Verletzung des Art 8 EMRK!

Anders lag das bei den Gesprächen, die der Beschwerdeführer mit Geschäftsparnern und dem Präsidenten geführt hatte, denn diese wurden entsprechend den nationalen Gesetzen im Zuge des Amtsenthebungsverfahrens und mit Bewilligung der Strafverfolgungsbehörde öffentlich gemacht. Dass dabei - wie vom Beschwerdeführer vorgebracht - von ihm selbst wie auch vom Präsidenten(!) "words which were obscene and used only in a very familiar environment" verwendet worden waren, wird vom EGMR zwar berücksichtigt, reicht aber nicht, um angesichts der konkreten Umstände die Veröffentlichung als Verletzung des Art 8 EMRK zu beurteilen: 
Given the bad language used by the applicant during those telephone calls, the Court attaches a certain weight to his sentiment that the disclosure thereof might to a certain extent have discredited his name in business circles and with public in general. That being so, the Court cannot overlook the fact that those conversations were disclosed in the framework of Constitutional Court proceedings strictly adhering to the requirements of the domestic law and having obtained authorisation from a prosecutor [...]. Moreover, the reasons to play the conversations, on the basis of which the State President was later impeached, at the Constitutional Court’s hearing appear to be weighty. On this point the Court also reiterates that reporting, including comment, on court proceedings contributes to their publicity and is thus perfectly consonant with the requirement under Article 6 § 1 of the Convention that hearings be public. Not only do the media have the task of imparting such information and ideas; the public also has a right to receive them. This is all the more so where public figures are involved, such as, in the present case, the applicant, who was a founding member of the State President’s political party and a member of the Vilnius City Municipality Council, and the head of State. Such persons inevitably and knowingly lay themselves open to close scrutiny by both journalists and the public at large [...]. Furthermore, as it appears from the materials presented by the parties, the disclosed telephone conversations did not contain any details about the applicant’s private life. The Court therefore concludes that the disclosure of the applicant’s telephone conversations during the Constitutional Court proceedings was in accordance with the law and can be regarded as necessary in a democratic society for the protection of the rights of others. In view of the above, the Court finds no violation of Article 8 of the Convention as regards this part of the complaint.
Der EGMR stellte weiters auch eine Verletzung des Art 13 EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde) fest, weil der Beschwerdeführer in den spezifischen Umständen seines Falles kein wirksames Rechtsmittel gegen die Handlungen der Staatssicherheit hatte, und sprach dem Beschwerdeführer 4.000 Euro Entschädigung zu.

Das Urteil wurde mit wechselnden - aber jeweils 6:1 ausfallenden - Mehrheiten beschlossen. Richter Pinto de Albuquerque sieht in seinem Sondervotum auch in der Veröffentlichung des Gesprächs mit Borisov keine Verletzung des Art 8 EMRK, die litauische Richterin Jočienė spricht sich gegen die Zuerkennung der Entschädigung aus, und Richter Sajó vertritt in seinem Sondervotum die Auffassung, dass auch die Veröffentlichung der Gespräche im Zuge des Amtsenthebungsverfahrens eine Verletzung des Art 8 EMRK darstellte, da es sich dabei nicht um ein Strafverfahren gehandelt habe.

PS: Rolandas Paksas - dessen lebenslanger Ausschluss vom passiven Wahlrecht als Folge seiner Amtsenthebung in einem Urteil der Großen Kammer des EGMR vom 06.01.2011 als unverhältnismäßig beurteilt wurde (Verstoß gegen Art 3 1. ZP EMRK) - ist übrigens seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments. Er gehört dort der - laut Standard - "euroskeptischen und nationalistischen Rechtsfraktion" "Europa der Freiheit und Demokratie" an, die aber die Aufnahme der FPÖ-Abgeordneten abgelehnt hat (was immerhin weitere Kärnten-Vergleiche erspart!).

Monday, July 30, 2012

VfGH zum Fernmeldegeheimnis: polizeiliche Ermittlung der IP-Adresse zu bekannter Nachricht ist ohne richterliche Genehmigung zulässig

Der Verfassungsgerichtshof hat mit seinem heute bekanntgegebenen Erkenntnis vom 29.06.2012, B 1031/11, erstmals zur Reichweite des Fernmeldegeheimnisses nach Art 10a StGG im Internet Stellung genommen.

Anlassfall war eine Beschwerde gegen einen Bescheid der Datenschutzkommission. Der Beschwerdeführer hatte sich im Recht auf Geheimhaltung schutzwürdiger personenbezogener Daten beschwert gefühlt, weil die Bundespolizeidirektion Wien "Verkehrsdaten des Internetverkehrs, nämlich die ihm zugewiesene IP-Adresse, ohne richterlichen Beschluss ermittelt" hatte. Das Vorgehen der Bundespolizeidirektion stützte sich auf § 53 Abs 3a SPG (in der Fassung BGBl I 2007/114), wonach die Sicherheitsbehörden berechtigt sind, von Betreibern öffentlicher Telekommunikationsdienste (§ 92 Abs 3 Z 1 TKG 2003) und sonstigen Diensteanbietern (§ 3 Z 2 ECG) unter anderem Auskunft über "Namen und Anschrift eines Benutzers, dem eine IP-Adresse zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen war", zu verlangen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme einer konkreten Gefahrensituation rechtfertigen. Eine solche Situation lag vor, da der Beschwerdeführer in einem unter Nickname geführten Chat den Eindruck erweckt hatte, er wäre bereit, "im zeitlichen Konnex" sexuelle Handlungen mit Unmündigen ("7-11jährige, oder wenn gewünscht auch jünger") zu vermitteln. Die Polizei war darüber vom Chatpartner in Kenntnis gesetzt worden und konnte die beteiligten Provider zunächst die (dynamische) IP-Adresse, von der die Nachricht versandt worden war, und mit dieser dann auch die Stammdaten dess Beschwerdeführers ermitteln.

Die Datenschutzkommission wies die Beschwerde ab, und auch mit der dagegen gerichteten Beschwerde an den VfGH hatte der Beschwerdeführer nun keinen Erfolg.

Ein Eingriff in das Fernemeldegeheimnis ist nach Art 10a StGG nur "auf Grund eines richterlichen Befehles in Gemäßheit bestehender Gesetze zulässig". Eine richterliche Genehmigung ist aber nach dem klaren Gesetzeswortlaut des § 53 Abs 3a Z 2 und 3 SPG für die Auskunftserteilung auch über (dynamische) IP-Adressen und über Namen und Anschrift eines Benutzers, dem eine IP-Adresse zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen war, nicht vorgesehen. Der VfGH musste daher prüfen, ob die Nachrichten im Chatroom vom Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses im Sinne des Art 10a StGG erfasst sind. Er stellte dabei zunächst klar, dass Art. 10a StGG bei seiner Einfügung in das Staatsgrundgesetz im Jahr 1974 primär auf den Telegraphen‐ und Fernmeldeverkehr ausgerichtet war, der Schutz aber nicht auf Telefonate und Telegramme beschränkt ist, sondern sich nunmehr "auf alle Arten der Telekommunikation, einschließlich des Nachrichtenaustausches über das Internet" bezieht.
"Ob eine im Wege des Internets übermittelte Nachricht vom Schutzbereich des Art. 10a StGG erfasst ist, hängt also davon ab, ob es sich um eine Kommunikation handelt, die dem Telegraphen‐ und Fernmeldeverkehr entspricht. Der Nachrichtenaustausch ist daher jedenfalls dann geschützt, wenn bestimmte Teilnehmer miteinander kommunizieren wollen und die Nachricht jeweils nur für diese Teilnehmer bestimmt ist (es sich [...] also um eine sogenannte geschlossene Kommunikation – wie etwa beim E‐Mail‐Verkehr – handelt). [...]
Art. 10a StGG gewährleistet somit die Vertraulichkeit der Telekommunikation, schützt also jedenfalls den Inhalt einer auf diesem Weg weitergegebenen Nachricht, nicht aber sämtliche anderen damit zusammenhängenden Daten; Gegenstand des Fernmeldegeheimnisses sind somit alle Inhaltsdaten, nicht aber der gesamte Telekommunikationsverkehr schlechthin [...]"
Der VfGH kommt zum Schluss, dass § 53 Abs 3a Z 2 SPG den Sicherheitsbehörden die Ausforschung einer IP‐Adresse ausschließlich auf Grund einer bestimmten, ihnen (wie hier) durch Mitteilung eines Kommunikationspartners oder durch offene (jedermann zugängliche) Internetkommunikation bekannt gewordenen Nachricht erlaubt und die anhand einer solchen Nachricht unter den sonstigen Voraussetzungen des § 53 Abs 3a Z 2 und 3 SPG seitens der Sicherheitsbehörde ermittelten (Einzel‐)Daten daher nicht vom Schutzbereich des Art 10a StGG erfasst sind.
"Sobald also der Inhalt einer solchen Nachricht von den Sicherheitsbehörden aus einer offenen Kommunikation rechtmäßig ermittelt wurde oder aus einer geschlossenen Kommunikation von einem der Teilnehmer der Sicherheitsbehörde zugänglich gemacht wurde, steht sie daher nicht unter dem Schutz des Art. 10a StGG, sodass die Übermittlung der Verkehrsdaten, die in weiterer Folge die Ermittlung jener Personen, die an dem Nachrichtenverkehr teilgenommen haben, ermöglicht, nicht als Eingriff in das Fernmeldegeheimnis zu qualifizieren ist.
Die Vorschriften des § 53 Abs. 3a Z 2 und 3 SPG gestatten Sicherheitsbehörden somit von vornherein weder die geheime Überwachung des Internetverkehrs oder den Zugang zu einer Nachricht aus einem geschlossenen Internetforum noch ermächtigen sie zur vorsorglichen anlasslosen Speicherung oder zur systematischen (etwa die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen ermöglichende) Verknüpfung von Datensträngen, unabhängig davon, ob diese Daten auch dem Schutzbereich des Art. 10a StGG unterliegen [...].
Der Sicherheitsbehörde dürfen vom Betreiber vielmehr bloß punktuelle Auskünfte erteilt werden, die keinen Rückschluss auf andere (nicht bereits bekannte) Inhalte erlauben.
Die Auskunftsverpflichtung des Betreibers setzt überdies voraus, dass dieser überhaupt (noch) über gespeicherte Daten verfügt; eine über die Speicherverpflichtungen nach dem TKG (insbesondere zu Verrechnungszwecken gemäß § 99 Abs. 2 TKG 2003) hinausgehende Pflicht zur Speicherung von Verkehrsdaten enthält § 53 Abs. 3a SPG nicht (vgl. VfSlg. 18.830/2009)."
Das Erkenntnis des VfGH steht im Ergebnis - keine Notwendigkeit eines richterlichen Befehls für die Ermittlung einer dynamischen IP-Adresse - im Einklang mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 13.04.2011, 15 Os 172/10y, zur Sicherstellung nach § 110 Abs 1 Z 1 und Abs 4 StPO (das der VfGH allerdings, wenig überraschend, nicht erwähnt). Der Vollständigkeit halber bzw zur Vermeidung von Missverständnissen ist noch anzmerken, dass das einschlägige Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.05.2009, 2007/05/0280, zur früheren Fassung des § 53 Abs 3a SPG (vor der Novelle BGBl I 2007/114) ergangen ist und daher für die vom VfGH zu beurteilende Rechtslage nicht relevant war.

Mittlerweile ist am 01.04.2012 - im Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung - durch BGBl I 2011/33 eine weitere Änderung des § 53 Abs 3a SPG erfolgt (aktuelle Fassung). An der Grundstruktur der Auskunft (auch) über dynamische IP-Adressen zur Abwehr (näher bestimmter) konkreter Gefahren ohne richterliche Genehmigung hat sich dabei nichts geändert; ausdrücklich ergänzt wurde, dass die Auskunft, wem eine IP-Adresse zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen war, auch zu erteilen ist, wenn dazu die Verwendung von Vorratsdaten gemäß § 99 Abs. 5 Z 4 iVm § 102a TKG 2003 erforderlich ist.

Der VfGH hat im Verfahren übrigens der Innenministerin einige Fragen unter anderem zum Ablauf der Ermittlungen dynamischer IP-Adressen gestellt; die Antworten der Ministerin sind im Erkenntnis (auf den Seiten 5 bis 8) nachzulesen.
PS: dass der Beschwerdeführer "wegen Missbrauchs Angeklagter" war, wie offenbar die APA verbreitet (Standard, Krone), geht weder aus dem Erkenntnis des VfGH noch aus dem Bescheid der Datenschutzkommission hervor; dort steht nur, dass er bei der Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht wurde.

Monday, July 23, 2012

EuG: Klage auf Zugang zu Dokumenten aus Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich zur Vorratsdaten-RL anhängig

Mit Urteil vom 29.07.2010, C-189/09, hat der EuGH festgestellt, dass Österreich der Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Daten nicht nachgekommen war. Das daraufhin von der Kommission eingeleitete Verfahren zur Überprüfung, ob Österreich dem EuGH-Urteil entsprochen hat (Verfahren nach Art 260 AEUV) wurde laut Pressemitteilung der Kommission vom 31.05.2012 - nach Inkrafttreten der TKG-Novelle zur Vorratsdatenspeicherung - eingestellt.

Dennoch beschäftigen Fragen rund um diese Verfahren das EuG (Gericht des Gerichtshofs der Europäischen Union), und zwar aufgrund einer Klage von Patrick Breyer, der nicht nur Vorsitzender der Piratenfraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag ist, sondern sich auch schon in seiner juristischen Dissertation im Jahr 2004 mit der Vorratsdatenspeicherung auseinandergesetzt hat (Verfahren T-188/12 Breyer / Kommission). Breyer hat, gestützt auf die Verordnung (EG) Nr 1049/2001, Anträge auf Zugang zu Dokumenten im Zusammenhang mit der Vorratsdaten-RL an die Kommission gestellt, und zwar einerseits betreffend ein Rechtsgutachten des Juristischen Dienstes der Kommission und andererseits betreffend Dokumente "bezüglich der Umsetzung oder Nichtumsetzung der Richtlinie 2006/24/EG durch Österreich und Deutschland, einschließlich aller Dokumente betreffend das Gerichtsverfahren C-189/09." Die Kommission verweigerte die Herausgabe des Gutachtens des juristischen Dienstes und der Schriftsätze Österreichs im Verfahren C-189/09, sodass Breyer Klage beim EuG erhoben hat (Pressemitteilung, Klagsschrift).

In der Folge hat die Kommission das Gutachten des juristischen Dienstes "freiwillig" herausgegeben (kritische Anmerkungen dazu von Patrick Breyer), die Klage wurde entsprechend eingeschränkt. Damit ist die Klage nur mehr gegen die Verweigerung des Zugangs zu den österreichischen Dokumenten anhängig. Die Argumentation der Kommission, weshalb der Zugang verweigert werden soll, ist in der Ablehnung nachzulesen, die der Klagsschrift angeschlossen ist.
Interessant ist dabei, dass sich die österreichischen Behörden sogar geweigert haben, Dokumente aus dem bereits abgeschlossenen Vertragsverletzungsverfahren C-189/09 zugänglich zu machen (was selbst  die Kommission als nicht gerechtfertigt ansieht). Und das Argument, dass die im nachfolgenden Überprüfungsverfahren, ob Österreich dem EuGH-Urteil nachgekommen ist, vorgelegten Dokumente noch dem "Schutz von Gerichtsverfahren und der Rechtsberatung" im Sinn des Art 4 Abs 2 VO 1049/2001 dienen, ist spätestens seit der Einstellung dieses (Folge-)Verfahrens Ende Mai 2012 nicht mehr haltbar.

Angesichts dessen würde ich eher nicht erwarten, dass die - im Grundsätzlichen durchaus interessanten - Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Zugang zu Dokumenten aus Vertragsverletzungsverfahren in diesem Fall tatsächlich ausjudiziert werden (Leitentscheidung des EuGH dazu ist übrigens das in der Kommissionsentscheidung auch zitierte Urteil vom 21.09.2010, C-514/07 ua, Schweden / API / Kommission). Aber ganz abgesehen davon ist es schon bemerkenswert, dass Österreich sich gerade im Fall der Vorratsdatenspeicherung so nachhaltig weigert, Zugang zu den Verfahrensdokumenten zuzulassen (und damit die Sache natürlich umso interessanter macht).

Friday, July 13, 2012

Große Kammer des EGMR: Verbot der Plakatkampagne des Mouvement raëlien suisse war keine Verletzung des Art 10 EMRK

Können Schweizer Behörden ein Plakatkampagne verbieten, wenn auf den Plakaten nichts Verbotenes steht, wohl aber ein Link zu einer Website, die wieder auf eine weitere Website verlinkt, auf der schließlich Dienste angeboten werden, die in der Schweiz unzulässig sind und gegen die öffentliche Ordnung verstoßen? Das klingt einigermaßen unwahrscheinlich, aber nach dem heutigen Urteil der Großen Kammer des EGMR im Fall Mouvement raëlien suisse gegen Schweiz (Appl. no. 16354/06; Pressemittteilung des EGMR) lautet die Antwort: ja - wenn auch nur unter ganz, ganz besonderen Umständen, wie sie in diesem Fall gerade noch gegeben waren (zum Fall und zur Entscheidung der Ersten Kammer des EGMR, in der ebenfalls - mit 5:2 Stimmen - keine Verletzung des Art 10 EMRK festgestellt wurde, siehe bereits hier).

Das Urteil der Großen Kammer fiel denkbar knapp aus: mit einem Stimmverhältnis von 9 zu 8 Stimmen kam die Große Kammer zum Ergebnis, dass das Verbot keine Verletzung des Art 10 EMRK darstellte. Allzuviel Mühe hat sich die Mehrheit mit der Begründung ihrer Entscheidung nicht gemacht. Sie betonte die Besonderheit des Falles, die sich daraus ergebe, dass es um die Nutzung öffentlich zur Verfügung gestellter Plakatflächen ging (Abs. 57 und 58):
As the Chamber noted, the present case is singular in the sense that it raises the question whether the national authorities were required to permit the applicant association to disseminate its ideas through a poster campaign by making certain public space available to it for that purpose. [...]
In the present case there has been no general ban on imparting certain ideas, only a ban on the use of regulated and supervised facilities in public space. As the Chamber noted, like the Swiss Federal Court before it, individuals do not have an unconditional or unlimited right to the extended use of public space, especially in relation to facilities intended for advertising or information campaigns [...].
Und nachdem durch diese Besonderheit eine Unterscheidung von anderen Fällen getroffen war, in denen Plakatverbote als Verletzung des Art 10 EMRK beurteilt wurden (Tüzel gg Türkei, Tüzel gg Türkei [2]), blieb letztlich der Verweis auf den breiten Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten, in diesem Fall wesentlich erleichtert dadurch, dass auf nationaler Ebene drei Verwaltungsbehörden und zwei Gerichte befasst worden waren, die die Sache gründlich geprüft hatten und übereinstimmend zum Ergebnis gekommen waren, dass das Plakatverbot rechtmäßig sei; vor diesem Hintergrund gebe es auch keinen Anlass, vom Kammerurteil abzuweichen:
70. As regards the reasons as such, the Court would first note, like the Chamber, that the five national authorities which examined the case(the police administration, the municipal council, the Neuchâtel Land Management Directorate, the Administrative Court and the Federal Court)gave detailed reasons for their decisions, explaining why they considered it appropriate not to authorise the poster campaign. The Federal Court, which is the highest domestic court, referred in particular to Article 10 of the Convention and to the Court’s case-law in that area, and examined the proportionality of the impugned measure.
71. In finding the refusal to authorise the campaign in question to be justified, the Federal Court successively examined each of the reasons relied on by the lower courts as justifying such refusal, namely the promotion of human cloning, the advocating of “geniocracy” and the possibility that the Raelian Movement’s literature and ideas might lead to sexual abuse of children by some of its members.
72. Even though some of these reasons, taken separately, might not be capable of justifying the impugned refusal, the Court takes the view that the national authorities were reasonably entitled to consider, having regard to all the circumstances of the case, that it was indispensable to ban the campaign in question in order to protect health and morals, protect the rights of others and to prevent crime. The Chamber found, in particular, as follows (paragraphs 55-57 of the judgment): [...]
The Grand Chamber does not see any reason to depart from the Chamber’s considerations in this connection. Accordingly, the Court finds that the concerns expressed by the national authorities were based on relevant and sufficient reasons.
73. The Chamber lastly took the view that the impugned measure was ultimately limited in scope, as the applicant association remained free“to express its beliefs through the numerous other means of communication at its disposal”; the Chamber also pointed out that “there was never any question of banning the applicant association itself or its website” [...]
75. [The Court ...] finds that a distinction must be drawn between the aim of the association and the means that it uses to achieve that aim. Accordingly, in the present case it might perhaps have been disproportionate to ban the association itself or its website on the basis of the above-mentioned factors [.... To limit the scope of the impugned restriction to the display of posters in public places was thus a way of ensuring the minimum impairment of the applicant association’s rights. [...]
Die neunte, entscheidende Stimme kam vom Präsidenten, der ausdrücklich in einem Sondervotum eingesteht, sich nur mit einigem Zögern ("with some hesitation") der Mehrheit angeschlossen zu haben. Er begründet seine Entscheidung mit vier seiner Ansicht nach besonderen Aspekten des Falles, letztlich ruht aber auch seine  Entscheidung auf dem Akzeptieren eines weiten "margin of appreciation". Vielleicht war die beständige und oft scharfe Kritik, die nicht nur aus dem Heimatstaat des Präsidenten, sondern gerade auch aus der Schweiz (und dort auch vom Bundesgericht) an der Rolle des EGMR als "weiteres Instanzgericht" geäußert wurde, doch nicht so wirkungslos. Dass man die Sache auch anders hätte sehen können, räumt der Präsident am Ende seines Sondervotums noch einmal ausdrücklich ein, bevor er sich auf den weiten Beurteilungsspielraum zurückzieht:
As the dissenting opinions demonstrate, views will undoubtedly differ as to the adequacy of the reasons given by the Federal Court for upholding the refusal of authorisation. In the particular circumstances of the present case and having regard to the margin of appreciation afforded to the national authorities, I find those reasons to have been both relevant and sufficient and accordingly conclude that Article 10 of the Convention was not violated.
Weitere - allerdings ablehnende, dafür deutlich eingehender begründete - Sondervoten kamen von den RichterInnen Tulkens (Belgien), Sajó (Ungarn), Lazarova Trajkovska (FYROM), Bianku (Albanien), Power-Forde (Irland), Vučinić (Montenegro) and Yudkivska (Ukraine), nochmals von den RichterInnen Sajó, Lazarova Trajkovska und Vučinić und schließlich von Richter Pinto de Albuquerque (Portugal).

Update 22.07.2012: kritische Anmerkung zu dieser Entscheidung von Rosalind English im UK Human Rights Blog; siehe auch Marko Milanovic auf EJIL:Talk (quote: "of course the fact that the Raelians are a bunch of nutters didn’t help the cause of free speech much.");
Update 21.08.2012: weitere interessante Blogposts dazu von Charles O'Mahony auf Human Rights in Ireland und von Gabrielle Guillemin auf Inforrm's Blog.

Thursday, July 12, 2012

EuGH: Art 13 GenehmigungsRL hat unmittelbare Wirkung

In seinem heutigen Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-55/11 Vodafone España, C-57/11 Vodafone España und C-58/11 France Telecom España folgt der EuGH vollständig den Schlussanträgen der Generalanwältin Sharpston (siehe dazu hier) und kommt daher - mit sehr knapper Begründung - zum Ergebnis, dass Art 13 der GenehmigungsRL 2002/20/EG unnmittelbare Wirkung hat. Diese Bestimmung steht auch Regelungen entgegen, die von Betreibern elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste Entgelte (Abgaben) für die Nutzung von öffentlichem oder privaten Grundbesitz verlangen, wenn sie nicht Eigentümer der jeweiligen Installationen sind.

Einige spanische Gemeinden waren nämlich auf die Idee gekommen, von Telekomunternehmen auch dann Abgaben zu verlangen, wenn sie nicht selbst Masten oder Leitungen auf kommunalem Grund installierten bzw. verlegten. Die Abgabe war schon dafür zu entrichten, dass die Unternehmen diese Einrichtungen nutzten (etwa weil sie mit den Eigentümern dieser Installationen zusammengeschaltet waren). De facto handelte es sich also um eine Sondersteuer auf Telekomunternehmen, bei der nur formal bei den Installationen angeknüpft wurde (die Berechnung der Abgabe richtete sich auch nicht nach der konkreten Nutzung der Einrichtungen, sondern nach den Marktanteilen). Es überrascht nicht, dass der EuGH ohne allzuviel Begründungsaufwand und im Wesentlichen durch Verweis auf die Schlussanträge diese "Sondersteuer" als unvereinbar mit Art 13 der GenehmigungsRL beurteilt hat. Diese Bestimmung lautet:
"Die Mitgliedstaaten können der zuständigen Behörde gestatten, bei Nutzungsrechten für Funkfrequenzen oder Nummern oder bei Rechten für die Installation von Einrichtungen auf, über oder unter öffentlichem oder privatem Grundbesitz Entgelte zu erheben, die eine optimale Nutzung dieser Ressourcen sicherstellen sollen. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Entgelte objektiv gerechtfertigt, transparent, nichtdiskriminierend und ihrem Zweck angemessen sind, und tragen den in Artikel 8 der Richtlinie 2002/21/EG (Rahmenrichtlinie) genannten Zielen Rechnung."
Dass der EuGH Art 13 der GenehmigungsRL (uneingeschränkt) als umittelbar wirksam beurteilt, könnte vor allem für die Entgelte spannend werden, die von den Mitgliedstaaten für Nutzungsrechte von Funkfrequenzen erhoben werden. Zudem stellen sich ähnliche Fragen im Hinblick auf Art 12 der GenehmigungsRL, der Verwaltungsabgaben begrenzt und zu dem derzeit mehrere Verfahren beim EuGH anhängig sind (C-468/11 Kommission / Spanien; C-485/11 Kommission/Frankreich; C-71/12 Vodafone Malta and Mobisle Communications).


Friday, July 06, 2012

kino.to und kein Ende: neues EuGH-Verfahren zu Internetsperren

Können Rechteinhaber verlangen, dass Internetprovider ihren Kunden den Zugang zu bestimmten Websites sperren, weil dort geschützte Filmwerke ohne Einwilligung der Rechteinhaber zugänglich gemacht werden? Darum geht es in einem Verfahren, das die Inhaber von Rechten an drei Filmen, die auf kino.to zugänglich waren, Ende 2010 gegen den österreichischen Internetprovider UPC Telekabel angestrengt haben. Das Verfahren wird auf Seite der Rechteinhaber mit Unterstützung des "Vereins für Anti-Piraterie der Film- und Videobranche (VAP)" geführt und ist ausdrücklich als Musterprozess angelegt.

Nachdem im Provisorialverfahren (zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung) die ersten beiden Instanzen dem Internetprovider untersagt hatten, seinen  Kunden den Zugang zu kino.to zu vermitteln, hat der Oberste Gerichtshof nun mit Beschluss vom 11. Mai 2012, 4 Ob 6/12d, dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Das Verfahren ist beim EuGH zu C-314/12 UPC Telekabel Wien anhängig. Die Fragen lauten:
1. Ist Art 8 Abs 3 RL 2001/29/EG (Info-RL) dahin auszulegen, dass eine Person, die ohne Zustimmung des Rechteinhabers Schutzgegenstände im Internet zugänglich macht (Art 3 Abs 2 Info-RL), die Dienste der Access-Provider jener Personen nutzt, die auf diese Schutzgegenstände zugreifen?
2. Wenn Frage 1 verneint wird:
Sind eine Vervielfältigung zum privaten Gebrauch (Art 5 Abs 2 lit b Info-RL) und eine flüchtige und begleitende Vervielfältigung (Art 5 Abs 1 Info-RL) nur dann zulässig, wenn die Vorlage der Vervielfältigung rechtmäßig vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich zugänglich gemacht wurde?
3. Wenn Frage 1 oder Frage 2 bejaht wird und daher gegen den Access-Provider des Nutzers gerichtliche Anordnungen nach Art 8 Abs 3 Info-RL zu erlassen sind:
Ist es mit dem Unionsrecht, insbesondere mit der danach erforderlichen Abwägung zwischen den Grundrechten der Beteiligten, vereinbar, einem Access-Provider ganz allgemein (also ohne Anordnung konkreter Maßnahmen) zu verbieten, seinen Kunden den Zugang zu einer bestimmten Website zu ermöglichen, solange dort ausschließlich oder doch weit überwiegend Inhalte ohne Zustimmung der Rechteinhaber zugänglich gemacht werden, wenn der Access-Provider Beugestrafen wegen Verletzung dieses Verbots durch den Nachweis abwenden kann, dass er ohnehin alle zumutbaren Maßnahmen gesetzt hat?
4. Wenn Frage 3 verneint wird:
Ist es mit dem Unionsrecht, insbesondere mit der danach erforderlichen Abwägung zwischen den Grundrechten der Beteiligten, vereinbar, einem Access-Provider bestimmte Maßnahmen aufzutragen, um seinen Kunden den Zugang zu einer Website mit einem rechtswidrig zugänglich gemachten Inhalt zu erschweren, wenn diese Maßnahmen einen nicht unbeträchtlichen Aufwand erfordern, aber auch ohne besondere technische Kenntnisse leicht umgangen werden können?
Nach Art 8 Abs 3 der Info-RL stellen die Mitgliedstaaten sicher, "dass die Rechtsinhaber gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler beantragen können, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt werden." Der OGH möchte daher zunächst (Frage 1) geklärt haben, ob sozusagen der kino.to-Betreiber nicht nur Dienste seines Access-Providers nutzt, sondern auch Dienste jenes Access-Providers, über den der Betrachter der Filme ins Netz geht. Ist das nicht der Fall,  kommt es darauf an, ob auch die bloßen Nutzer rechtswidrig zugänglich gemachter Inhalte eine Rechtsverletzung begehen, denn dann wäre UPC jedenfalls Vermittler einer Rechtsverletzung im Sinne des Art 8 Abs 3 Info-RL und damit wären Anordnungen nach dieser Bestimmung möglich (Frage 2).

Damit bleiben die Fragen nach dem möglichen Inhalt solcher Anordnungen: Einiges ist durch die EuGH-Urteile in den Rechtssachen Scarlet Extended (im Blog dazu hier) und SABAM (im Blog dazu hier) bereits geklärt; offen scheint aber noch, ob eine allgemeine Sperranordnung (wie hier: den Kunden dürfte der Zugang zu einer bestimmten Website nicht ermöglicht werden) zulässig ist, wenn das Gericht erst im Nachhinein (nach österreichischem Recht wäre das bei der Vollstreckung von Beugestrafen) eine Prüfung vornehmen könnte, ob die Maßnahmen die Grundrechte der Beteiligten angemessen berücksichtigen und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Der OGh geht davon aus, dass die damit verbundene Rechtsunsicherheit bei Abwägung der grundrechtlich geschützten Interessen aller Beteiligten unzumutbar sein dürfte und will mit Frage 3 eine Klarstellung erreichen.

Besonders deutlich werden die Zweifel des OGH gegenüber Sperranordnungen bei der Begründung der Frage 4: wären dem Access Provider konkrete Maßnahmen aufzutragen, so käme die Sperre der Domain des Anbieters auf dem DNS-Server des Access Providers oder die Sperre der jeweiligen IP-Adressen der Website in Betracht. Dabei stelle sich, so der OGH, eine grundlegende Frage:
"Es ist allgemein bekannt, dass die eingangs genannten Sperren auch ohne besondere technische Kenntnisse leicht umgangen werden können. Zudem verhindern sie selbst bei einem vorläufigen Erfolg nicht, dass rechtswidrige Inhalte binnen kurzem unter einer anderen Domain angeboten werden. Die Entwicklung bei kino.to ist insofern bezeichnend: Die Website wurde nicht etwa vom Netz genommen, weil sie wegen einer Sperre durch Access-Provider unrentabel geworden wäre, sondern weil Sicherheitsbehörden in mehreren Staaten gegen die Betreiber vorgegangen waren. Bald darauf waren vergleichbare Inhalte aber wieder - nun auf kinox.to - im Internet verfügbar. Unter diesen Umständen erscheint es von vornherein fraglich, ob die von den Klägerinnen gewünschten Sperren dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen und geeignet sind, zu einem angemessenen Ausgleich zwischen den Grundrechten der Beteiligten zu führen."
Weil das aber von Gerichten in der Europäischen Union unterschiedlich beurteilt wird, soll eine Klärung durch die Antwort auf Frage 4 des Vorlagebeschlusses erreicht werden.

Update 27.11.2013: zu den Schlussanträgen des Generalanwaltes vom 26.11.2013 siehe hier.