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Friday, July 29, 2011

Noch einmal: Der General steht nicht zur Wahl (und weitere kleinliche Anmerkungen)

Dass die Bestellung des ORF-Generaldirektors/der ORF-Generaldirektorin keine Wahl ist, habe ich schon gelegentlich angemerkt (zuletzt hier; näher begründet hier); schon gar nicht ist es eine Wahl, bei der die KandidatInnen von politischen Parteien nominiert werden.

Natürlich ist es auch politischen Parteien nicht verwehrt, Personen zur Bewerbung motivieren zu wollen - aber bewerben müssen sich diese schon selbst (bzw können nach Ansicht des Stiftungsrates KandidatInnen auch ohne vorherige Bewerbung von den Mitgliedern des Sitftungsrates - die sind übrigens gemäß § 19 Abs 2 ORF-Gesetz "an keine Weisungen und Aufträge gebunden" - nominiert werden). Und über die Bestellung entscheiden schließlich - auch dabei: "an keine Weisungen und Aufträge gebunden" - die Mitglieder des Stiftungsrates. Diese sind, auch das steht im Gesetz, "soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, zur Verschwiegenheit über alle ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit bekannt werdenden Umstände der Stiftung und der mit ihr verbundenen Unternehmen verpflichtet."

Und nun ein paar Beispiele aus der Praxis (von mir oberflächlich "anonymisiert", weil es mir nicht um die jeweiligen Parteien und Personen, sondern nur um die beispielsweise Darstellung der Symptomatik geht):
  • Eine frühere Generaldirektorin (zu deren Amtszeit § 19 Abs 2 ORF-G schon in Kraft stand) meinte in einem Presse-Interview vor kurzem, eine (bestimmte) politische Partei habe "nicht nur das Recht, sondern die Pflicht" einen Kandidaten zu suchen.
  • Ein anderer früherer Ex-Chef des ORF teilte in einem profil-Interview mit, er sei im Frühjahr 2009 vom Bundeskanzler gefragt worden, ob er sich vorstellen könnte, den ORF zu führen. Seine Entscheidung, sich nicht zu bewerben, begründet er - so fasst das jedenfalls profil zusammen - im Wesentlichen damit, dass er nicht bereit sei, parteipolitische Personalwünsche willfährig umzusetzen. Dass er selbst mit dem Bundeskanzler - der auf die Entscheidung des Stiftungsrates über die Bestellung des Generaldirektors keinen Einfluss nehmen darf - und auch mit Politikern der ÖVP, die genauso wenig Einfluss nehmen dürfen, über eine mögliche Bewerbung gesprochen hat, war ihm offenbar kein Problem.
  • Ähnlich scheint das auch bei einem weiteren Kandidaten zu sein, der sich öffentlich darüber beklagt, dass es an der Spitze des ORF "keinen Platz für politisch und wirtschaftlich unabhängige Kandidaten mit internationaler Medienerfahrung" gebe, aber (laut demselben profil-Bericht) offenbar Gespräche mit dem Klubobmann einer politischen Partei über eine Bewerbung für die Funktion des ORF-Generaldirektors geführt hat.
  • Ein Partei-Generalsekretär kündigte "eine geschlossene Vorgangsweise der [Partei]-Stiftungsräte" an, was entweder eine ziemliche Nullmeldung ist (denn es gibt nur ein auf Vorschlag dieser Partei bestelltes Stiftungsratsmitglied, das wie jedes andere Mitglied nur eine Stimme hat, sodass ich mir eine "nicht geschlossene Vorgangsweise" dieses einen Mitglieds schwer vorstellen kann), oder er hat zuverlässige Kenntnis davon, wie sich mehrere politisch in dieser Partei beheimatete Stiftungsratsmitglieder verhalten werden (was wiederum die Frage aufwirft, wie er zu diesen Informationen gekommen ist und ob es zutrifft, dass sich mehrere Stiftungsratsmitglieder lange vor Ende der Bewerbungsfrist schon einmal darauf verständigen, jedenfalls einheitlich abzustimmen, unabhngig davon, wer sich denn bewerben wird; mangels Syndikatsvertrag oder anderer zulässiger Stimmrechtsbindungen im ORF-Stiftungsrat müsste man sich in dem Fall auch nach der von diesen Stiftungsratsmitglieder aufgewendeten Sorgfalt in der Auswahlentscheidung fragen).
  • Ein Klubobmann und Mediensprecher einer politischen Partei bedauert in einem APA-Interview (hier im Standard), dass die Entpolitisierung des ORF "nur zum Schein stattgefunden" habe; ein paar Tage zuvor stand im Wirtschaftsblatt, dass derselbe Klubobmann und Mediensprecher Mitte Juni einem langjährigen Medienmanager "die Unterstützung [seiner politischen Partei] im Falle einer Bewerbung für den Posten des ORF-Generaldirektors angeboten" habe. 
  • Ein Parteiobmann sagte vor ein paar Tagen laut APA (zitiert in der Presse), dass die "Wiederwahl von Alexander Wrabetz zum ORF-Generaldirektor [...] (noch) keine ausgemachte Sache" sei (so als ob irgendjemand das mit ihm zu besprechen oder gar auszumachen hätte), und dass es - immerhin! - "keinen Deal" gebe, wohl aber "laufend Gespräche"; für seine Partei gebe es "noch einige offene Fragen, die es zu beantworten gelte. Erstens müsse geklärt werden, wie es mit dem ORF-Standort weitergehe, darüber hinaus sei auch die Frage der Gebührenerhöhung zu klären." Bei beiden Fragen hat der Parteiobmann - aufgrund eines Gesetzes, das er selbst, damals als Nationalratsabgeordneter, mitbeschlossen hat - nichts mitzureden. Und vielleicht sollte ich noch anmerken, dass Stiftungsratsmitglieder, die zB Unterlagen zum Standort oder zu den Finanzen des ORF, die ihnen als Stiftungsratsmitglieder zugekommen sind, mit dem Parteiobmann (oder vielleicht mit der Lieblingstante, mit einem Taxifahrer, ...) erörtern, ihre gesetzlich festgelegte Verschwiegenheitspflicht verletzen.
Bemerkenswert finde ich - nach all den Berichten, die in den letzten Wochen über politische Gespräche oder "Deals" in Sachen ORF-Generaldirektor/in und weiterer ORF-Spitzenposition zu lesen waren - das geradezu demonstrative Schweigen des Stiftungsrates und seiner Mitglieder, die es offenbar nicht für notwendig fanden, irgendwann einmal deutlich darauf hinzuweisen, dass nicht "die Politik", sondern - "an keine Weisungen und Aufträge gebunden" - der Stiftungsrat über die Bestellung des Generaldirektors/der Generaldirektorin (und auf dessen/deren Vorschlag der DirektorInnen und LandesdirektorInnen) zu entscheiden hat. Und wenn sich ein Stiftungsratsmitglied schon einmal zu Wort meldet, dann wirkt das auch nicht gerade wie ein Signal für die Unabhängigkeit der Stiftungsratsmitglieder, wenn dabei auf noch laufende Gespräche einer politischen Partei verwiesen wird. An all dem ist weniger interessant, dass "die Politik" (wie das in ORF-Zusammenhängen gerne gesagt wird, typisch diesbezüglich Ex-Info-Direktor Oberhauser)  versucht, Einfluss zu nehmen, sondern mehr, dass Stiftungsratsmitglieder dem zumindest öffentlich nicht entgegentreten.

Noch zwei Anmerkungen zum Stiftungsrat:
  • erstens gibt es noch immer keinen Corporate Governance Kodex für Stiftungsratsmitglieder, trotz "reaktivierter" Arbeitsgruppe und mittlerweile mindestens fünfjähriger Vorbereitungszeit (mehr dazu hier), dafür  wurde nun der "Verhaltenskodex für alle an journalistischen ORF-Programmangeboten und –inhalten als programmgestaltende bzw. journalistisch eigenverantwortlich gestalterisch mitwirkenden Mitarbeiter/innen" per Dienstanweisung am 12. Juli 2011 in Kraft gesetzt (das brauchte immerhin "nur" drei Monate ab Vorliegen der notwendigen Zustimmungen, zuletzt des Publikumsrates am 12. April 2011);
  • zweitens schreibt die Presse, dass der Stiftungsrat "unabhängige Gutachten [man beachte auch die Mehrzahl!] zur Lösung der Rechtsfrage [ob ein ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments vom Amt der Generaldirektorin ausgeschlossen ist] in Auftrag gegeben" habe. In § 26 Abs 2 ORF-Gesetz heißt es: "Mit den Funktionen des Generaldirektors, [...] dürfen Mitglieder [...] des Europäischen Parlaments, [...] und Personen, die eine der genannten Funktionen innerhalb der letzten vier Jahre ausgeübt haben, nicht betraut werden." Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass von einem Gremium, dem immerhin eine Rechtsanwältin und zwei Rechtsanwälte (und ein früherer Rechtsanwalt) angehören, und das als Organ des ORF auch den Grundsätzen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit verpflichtet ist, tatsächlich mindestens zwei Gutachten über die - vorsichtig gesagt - nicht sonderlich komplexe Frage der Auslegung des § 26 Abs 2 ORF-G im Hinblick auf die Bestellung eines früheren MEP zur Generaldirektorin in Auftrag gegeben wurden. Insofern muss ich wohl davon ausgehen, dass es in diesen Gutachten um andere Fragen geht (aber um welche? und wer sind die GutachterInnen?). Und: könnte man nicht vielleicht auch ein, ach was, besser: mehrere (natürlich unabhängige) Gutachten in Auftrag geben, ob eine Bewerbung per Zeitungsartikel zulässig ist?
PS: ich weiß, es sind kleinliche Anmerkungen, aber ein verregneter Urlaubstag bringt einfach unerwartete Freizeit, die ich auch zum Lesen (und eben auch zum Schreiben kleinlicher Anmerkungen) genutzt habe. Mit den heute im Amtsblatt zur Wiener Zeitung veröffentlichten Jahresabschlüssen des ORF und des ORF-Konzerns (direkte Links kann ich nicht angeben, ein paar Tage lang sind sie auf www.wienerzeitung.at zugänglich) werde ich mich aber jetzt nicht mehr näher beschäftigen. Auch zu den weiteren Vorgängen rund um die anstehende Bestellung des ORF-Generaldirektors werde ich mich übrigens nicht äußern.

Update 07.08.2011: ORF-Generaldirektor Wrabetz in den OÖ Nachrichten: "Genau genommen sprechen wir ja auch nicht unbedingt von einer Wahl, sondern da geht es um die Bestellung des Geschäftsführers eines großen Unternehmens".

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