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Thursday, March 31, 2011

Der österreichische Presserat im medienethischen Dilemma: veröffentlichen, worüber zu schweigen man verpflichtet ist

Der österreichische Presserat ist zwar nur für Holzmedien und ihre Online-Ableger zuständig, der heute veröffentlichte "Tätigkeitsbericht 2010" widmet sich aber zuallererst einem Fall aus dem Rundfunkbereich, nämlich der Auseinandersetzung um die Reichweite des Redaktionsgeheimnisses im Zusammenhang mit der ORF-Sendung "Am Schauplatz" zum Thema Neonazis (dazu im Blog hier, hier, hier und hier). Das geschieht unter der Überschrift "Aktuelle Fragen zur Pressefreiheit in Österreich", wobei natürlich auch noch der Fall der beiden profil-Journalisten, die auf Grund eines deutschen Rechtshilfeersuchens wegen der nach deutschem Recht wohl unzulässigen Veröffentlichung aus Akten eines anhängigen Strafverfahrens als Beschuldigte vernommen wurden, erwähnt wird. Conclusio des Presserats: "Die Grundrechte der Kommunikationsfreiheit, die für eine Demokratie unverzichtbar sind, können auch bei uns schwerwiegenden Angriffen ausgesetzt sein, die es abzuwehren gilt, auch seitens des Presserats." Jetzt wäre natürlich noch interessant zu wissen, wie der Presserat Fehler von Staatsanwälten oder Fehlurteile eines Gerichts abwehren will ...

Katholiken unter sich
Der Presserat berichtet im Tätigkeitsbericht erstmals auch über "Entscheidungen", wobei im Jahr 2010 vier Beschwerden und eine "Mitteilung" eingebracht wurden, aber keine einzige Entscheidung eines Senats in einem Beschwerdeverfahren ergangen ist. Eine Beschwerde wurde von einem Ombudsman bereinigt und führte zur großartigen Lösung, dass dem Beschwerdeführer, der sich von der Presse falsch zitiert fühlte, die Möglichkeit einer Stellungnahme in einem Leserbrief eingeräumt wurde(!). Online ist der Artikel, um den es hier ging, natürlich immer noch in der Originalfassung - ohne Hinweis auf eine Richtigstellung der Zitate - abrufbar, den Leserbrief habe ich online nicht gefunden (aus dem Bericht des Presserats geht auch nicht hervor, ob der Beschwerdeführer - über seine im Artikel beschriebene Protestaktion kann man hier mehr lesen - wirklich falsch zitiert wurde; seine Aussagen dürften sich übrigens auch in der von ihm bereinigten Version nicht allzu sehr von jenen unterscheiden, wie sie Hoffer und Annen in Deutschland vorgeworfen wurden; deren Verurteilung wurde vom EGMR nicht als Verletzung des Art 10 EMRK beurteilt, siehe im Blog dazu hier).

Vielleicht war es im konkreten Fall ganz passend, dass die Beschwerde des ultra-katholischen Aktivisten gegen die der katholischen Kirche nicht gerade fernstehende "Presse" vom Ombudsmann Dr. Feichtlbauer betreut wurde, der laut KathPress ja der Auffassung ist, "die 'bewusste, gezielte oder auch gleichgültige Verletzung religiöser Gefühle durch Medien' könnte durchaus Gegenstand eines Verfahrens durch den Presserat sein". [Im Original steht übrigens: "Die 'bewusste, gezielte oder auch gleichgültige Verletzung religiöser Gefühle durch Medien' könnte durchaus Gegenstand eines Verfahrens durch den Presserat sein und sei auch ein berechtigtes Anliegen, führte der katholische Publizist aus." Dass der katholische Publizist und Presserats-Ombudsmann die Verletzung religiöser Gefühle tatsächlich als berechtigtes Anliegen beurteilt, halte ich dennoch für nicht sehr plausibel],

Veröffentlichung der Entscheidung in einem "amtswegig" geführten Verfahren
Eigentlich sieht die Verfahrensordnung der Beschwerdesenate des Presserates vor, dass die Senatsmitglieder, der Ombudsman und sämtliche Hilfskräfte zur Verschwiegenheit verpflichtet sind und sich die Verschwiegenheitspflicht "auch auf den Inhalt der Verhandlungen, Abstimmungen und Entscheidungen" erstreckt, soweit diese nicht gemäß den §§ 15 und 24 der Verfahrensordnung veröffentlicht wurden. Das heißt insbesondere, dass der Inhalt einer in einem amtswegigen Verfahren getroffenen Entscheidung von den Senatsmitgliedern des Presserats und deren Hilfskräften nicht bekanntgegeben werden darf, was vielfach (auch von mir) kritisiert wurde.

Aber auf der Basis der geltenden Verfahrensordnung kann die nun im Tätigkeitsbericht erfolgte Veröffentlichung des wesentlichen Inhalts der Presseratsentscheidung im Fall Dr. Moser gegen Tageszeitung "Österreich" nicht ohne Verletzung der Verschwiegenheitspflicht zustande gekommen sein. Denn der Tätigkeitsbericht wurde von der Mitgliederversammlung beschlossen, der von den Senaten oder einer "Hilfskraft" offensichtlich über den Inhalt der Enscheidung berichtet worden war. Und nun ist der Inhalt der Entscheidung jedenfalls für jedermann im Tätigkeitsbericht verfügbar. Dass eine Pseudo-Anonymisierung versucht wurde, hilft nichts, denn natürlich ist die "Tageszeitung Ö***" für jedermann erkennbar, genauso wie "Dr. M***", der "als R***-Präsident" oberster Korruptionsbekämpfer der Republik sei. Dass auch der Beschwerdeführer den Tätigkeitsbericht als Veröffentlichung des "Urteils" des Presserats in seiner Beschwerdesache versteht, geht aus der entsprechenden Meldung auf der Website des Rechnungshofs hervor.

Nicht dass ich etwas gegen die Veröffentlichung der Entscheidungen in "amtswegigen" Presserats-Verfahren hätte (im Gegenteil) - aber es ist schon bemerkenswert, wie nonchalant sich der Presserat, nachdem er sich zunächst eine extrem rigide Verfahrensordnung gibt, die jede Information über das Ergebnis einer "amtswegig" behandelten Angelegenheit untersagt, einfach über die selbst geschaffenen Regeln hinwegsetzt. Immerhin hat die Mitgliederversammlung des Presserats nun drei Arbeitsgruppen eingesetzt, die den "Ehrenkodex" überarbeiten, Regeln für die Finanzberichterstattung erarbeiten und die Verfahrensordnung evaluieren sollen.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Geschäftsführer des Presserats heute bei einer Veranstaltung in der Akademie der Wissenschaften unter den Vorteilen des Presserates auch die "größere Flexibilität und Anpassungsfähigkeit im Vergleich zur staatlichen Regulierung mit langwierigen Gesetzgebungsprozessen" aufzählte. Eine gewagte Ansage für einen Verein, dessen Gründung jahrelange Verhandlungen vorangegangen waren, bei dem zwischen Gründung und Aufnahme der operativen Tätigkeit etwa neun Monate vergingen und der es seit der Gründung nicht einmal geschafft hat, den "Ehrenkodex" rudimentär anzupassen (nicht einmal die lange versprochenen und in der Verfahrensordnung schon mit [*] als Platzhalter referenzierten Regeln betreffend die Finanzberichterstattung wurden bis jetzt geschaffen).

Inzwischen warten wir auf die erste offziell veröffentlichte Beschwerdeentscheidung des Presserats: Der Geschäftsführer des Presserats hat heute nämlich auch mitgeteilt, dass es mittlerweile eine erste in einem Beschwerdeverfahren getroffene Entscheidng gäbe, die den Betroffenen bereits mitgeteilt worden sei und die wohl in den nächsten Tagen auf der Website veröffentlicht werde.

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