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Monday, February 06, 2023

Wo wächst das Geld, wenn nicht auf den Bäumen? Kurze Anmerkungen zur Finanzierung des österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Sich zu österreichischer Medienpolitik aus rechtlicher Sicht zu äußern ist ein ziemlich undankbares und weitgehend sinnloses Unterfangen (vielleicht gibt es auch deshalb so wenige einschlägige rechtswissenschaftliche Arbeiten). Das gilt auch für die Frage der zukünftigen ORF-Finanzierung, und bei manchen der jüngst bekannt gewordenen politischen Äußerungen dazu frage ich mich, ob denn der Wahlkampf (im Häupl'schen Sinne) schon begonnen hat (wobei ich mir nicht sicher bin, dass "fokussiert" hier wirklich das richtige Adjektiv wäre). Dennoch folgen hier ein paar kurze Anmerkungen zur aktuellen ORF-Finanzierungsdebatte, beginnend mit den Basics:

1. Gesetzlicher Auftrag: Der Österreichische Rundfunk (ORF) hat einen gesetzlich festgelegten öffentlich-rechtlichen Auftrag zu erfüllen. Den Umfang dieses Auftrags kann man im ORF-Gesetz (dort insbesondere in den §§ 3 bis 5a) und in den auf der Grundlage des ORF-Gesetzes erstellten - von der Regulierungsbehörde geprüften - Angebotskonzepten nachlesen.

 2. Gesetzlich geregelte Finanzierung: Auch die Finanzierung des ORF ist im ORF-Gesetz geregelt, das diesbezüglich im Wesentlichen zwei Anforderungen gerecht werden muss: einerseits muss die Finanzierung die verfassungsrechtlich vorgegebene Unabhängigkeit des Rundfunks gewährleisten (der Verfassungsgerichtshof spricht von einer aus dem BVG Rundfunk folgenden "Funktions- und Finanzierungsverantwortung des Gesetzgebers  für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk", siehe VfGH 30.6.2022, G 226/2021, Rn. 45). Andererseits muss das Finanzierungssystem auch den Anforderungen des EU-Beihilfenrechts entsprechen, die sich vor allem aus der sogenannten "Rundfunkmitteilung" der Kommission und spezifisch für Österreich aus der Entscheidung der Kommission vom 28.10.2009, Staatliche Beihilfe E 2/2008 –Finanzierung des ORF, ergeben. 

3. Fast zwei Drittel aus Programmentgelt: Das aktuelle Finanzierungssystem beruht einem Gutteil auf Einnahmen aus dem Programmentgelt (fälschlich oft als "GIS-Gebühr" bezeichnet). Von den Umsatzerlösen von ziemlich genau 1 Mrd. € im Jahr 2021 machten die Erlöse aus dem Programmentgelt ca. 645 Mio. € aus, weitere 228 Mio. €  waren Werbeerlöse und 127 Mio. € sonstige Erlöse, etwa Lizenzeinnahmen (siehe den Anhang zum Jahresabschluss 2021). 

4. Der ORF legt das Programmentgelt selbst fest: zur Beschlussfassung über das Programmentgelt stellt der Generaldirektor einen Antrag an den Stiftungsrat (der Publikumsrat darf - mit einem "suspensiven Veto" - auch ein wenig mitreden), und zuletzt prüft die Regulierungsbehörde, ob der Beschluss den gesetzlichen Vorgaben entspricht (wenn nicht, hat sie den Beschluss des Stiftungsrates aufzuheben). Das alles ist in § 31 ORF-Gesetz geregelt.

5. Die Grenzen des Programmentgelts: Der ORF darf freilich das Programmentgelt nicht beliebig hoch (aber auch nicht beliebig tief) festsetzen: das Gesetz schreibt vor, dass die Höhe des Programmentgelts so festzulegen ist, "dass unter Zugrundelegung einer sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Verwaltung der öffentlich-rechtliche Auftrag erfüllt werden kann". Die Höhe des Programmentgelts ist zudem "mit jenem Betrag begrenzt, der erforderlich ist, um die voraussichtlichen Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags angesichts der zu erwartenden Zahl der zur Entrichtung des Programmentgelts Verpflichteten in einem Zeitraum von fünf Jahren ab Festlegung des Programmentgelts (Finanzierungsperiode) decken zu können."

6. Der ORF muss sparsam wirtschaften: so verlangt es das Gesetz. Aber wer legt fest, was das im Detail bedeutet und wie wird das überprüft? Nun: der Generaldirektor führt die Geschäfte des ORF, er wird dabei durch den Stiftungsrat überwacht. Der Stiftungsrat hat auch die langfristigen Pläne für Technik und Finanzen und die "Stellenpläne" zu genehmigen und damit die wesentlichen Weichenstellungen zu treffen. 

7. Gebarungskontrolle: Die Gebarung des ORF unterliegt nicht nur der Kontrolle des Rechnungshofs, sondern das ORF-Gesetz sieht eine besondere Finanzkontrolle durch eine "Prüfungskommission", bestehend aus zwei Wirtschaftstreuhandgesellschaften, vor. Diese kann sich der ORF allerdings nicht frei aussuchen, sondern sie werden von der Regulierungsbehörde bestellt. 

8. Die Medienministerin kann die Sparsamkeit des ORF nicht überprüfen (Stichwort "Kassasturz"): das ORF-Gesetz sieht ausdrücklich vor, dass sich die Aufsicht des Bundes über den ORF "auf eine Aufsicht nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes, unbeschadet der Prüfung durch den Rechnungshof", beschränkt. Eine Aufsicht der Medienministerin, die im ORF-Gesetz nicht vorgesehen ist, gibt es daher nicht. Das hindert eine Politikerin natürlich nicht, beliebig irgendetwas zu fordern, egal ob Kassasturz beim ORF, Schönwetter in den Alpen oder warme Eislutscher für alle, um beliebige Beispiele zu nennen.

9. "ORF-Rabatt": Was soll ein "ORF-Rabatt für die Österreicherinnen und Österreicher" sein, den die Medienministerin zuletzt gefordert hat? Ehrlich gesagt: keine Ahnung. Die Medienministerin will, so lässt sie verlauten, "dass die Menschen in Zukunft weniger als jetzt für den ORF zahlen müssen." Sofern das Ziel durch Einsparungen beim ORF erreicht werden soll (good luck!), wäre das Aufgabe des Generaldirektors und des Stiftungsrates, die entsprechende Sparpläne vorlegen/genehmigen müssten. Allerdings ist der ORF dabei dadurch begrenzt, was der öffentlich-rechtliche Auftrag ihm abverlangt. Einfach Radio Niederösterreich (oder Wien oder Vorarlberg) einzustellen zum Beispiel ist dem ORF ohne gesetzliche Änderung des Auftrags nicht möglich. 

10. Auftragsänderung durch Gesetzesänderung: Das führt zur nächsten Überlegung: wenn die Medienministerin Einsparungen vom ORF verlangt, dann hat sie einen wesentlichen Hebel: sie kann gesetzliche Änderungen vorbereiten und, wenn ihre Regierungskolleg:innen zustimmen, eine Regierungsvorlage auf den Weg bringen, die den öffentlich-rechtlichen Auftrag des ORF einschränkt. Das könnte ein Wegfall eines Kanals genauso sein wie der Verzicht auf ein Online- Angebot, was auch immer ihr (bzw. ihrer politischen Gemeinschaft) im Weg ist. Gegen eine gesetzliche Änderung des öffentlich-rechtlichen Auftrags wäre der ORF machtlos - das ist eben die Aufgabenverteilung: der Gesetzgeber legt den Auftrag fest, der ORF hat ihn zu erfüllen (den Rahmen für den einfachen Gesetzgeber steckt auch hier das BVG Rundfunk ab, aber der Spielraum des Gesetzgebers bei der Definition des Auftrags ist da ziemlich hoch). Die unionsrechtlichen (beihilfenrechtlichen) Grenzen wären aber jedenfalls zu beachten.

11. Politischer Hebel: Der Hebel der Medienministerin ist derzeit besonders groß: der Verfassungsgerichtshof hat mit dem schon zitierten Erkenntnis Bestimmungen des ORF-Gesetzes aufgehoben und eine "Reparaturfrist" bis 31.12.2023 gesetzt. Dabei ging es, grob vereinfachend, um die Beschränkung der Pflicht zur Zahlung des Programmentgelts auf jene Haushalte, die "klassische" Rundfunkgeräte betreiben, während jene, die bloß streamen, das Programmentgelt nicht zahlen müssen - das hat der VfGH als verfassungswidrig beurteilt. Rechtstechnisch wäre das Problem leicht zu lösen, politisch ist es natürlich extrem heikel, weil es eine möglicherweise auch wachsende Zahl von Fundamental-Gegner:innen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gibt. Die Zeit, um eine vernünftige Reparatur vorzubereiten, ist mittlerweile sehr knapp geworden. Die Medienministerin hat sich noch nicht ernsthaft zu ihren bevorzugten Optionen geäußert, sondern verlangt gewissermaßen als Vorleistung vom ORF Einsparungen ("Erst wenn dies geklärt ist, kann über eine neue ORF-Finanzierungsform diskutiert werden."). Es ist ein politisches Geschäft: sie macht ihr weiteres politisches Handeln, das in ihren Verantwortungsbereich als Medienministerin fällt, von Handlungen des ORF abhängig, die sie ohne diesen "Hebel" nicht durchsetzen könnte, oder mehr noch: wo ihr jeglicher Einfluss durch den Gesetzgeber bewusst genommen wurde, um die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu sichern.

12. Ein Gespräch unter Fremden: In ihren medialen Äußerungen hat die Medienministerin auch angekündigt, mit dem ORF-Generaldirektor über Einsparungen zu sprechen. Das kann sie natürlich tun, aber es wird - wenn man von gesetzeskonformem Verhalten aller Beteiligten ausgeht - ein wahrscheinlich nicht sehr ergiebiges Gespräch: der Generaldirektor darf keine Interna bekanntgeben, die über das hinausgehen, was der ORF schon bekannt gemacht hat, und das - insbesondere die Jahresabschlüsse und die Jahresberichte - wird die Medienministerin wohl schon gesehen haben. Sämtliche Mitglieder der Stiftungsorgane (dazu gehören etwa der Generaldirektor, aber auch die Mitglieder des Stiftungsrates) sind nämlich nach § 19 Abs. 4 ORF-Gesetz, "soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, zur Verschwiegenheit über alle ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit bekannt werdenden Umstände der Stiftung und der mit ihr verbundenen Unternehmen verpflichtet." Die Medienministerin ist da genauso eine Außenstehende wie zum Beispiel ich: was der Generaldirektor an ORF-Interna mir nicht erzählen dürfte, darf er auch der Medienministerin nicht erzählen.

13. Nochmals zum "Rabatt": Woher kommt jetzt der merkwürdige "Rabatt"-Begriff, den die Medienministerin in diesem Zusammenhang verwendet? Ich habe dafür nur eine halbwegs schlüssige Erklärung: wenn man davon ausgeht, dass derzeit noch nur Haushalte mit "klassischen" Rundfunkgeräten Programmentgelt zahlen, nach einer Neuordnung der Finanzierung im Sinne des VfGH-Erkenntnisses aber die Programmentgeltpflicht entweder auf alle Haushalte ("Haushaltsabgabe", wie zB in Deutschland oder der Schweiz) oder aber auf alle "internetfähigen" Geräte erstreckt wird, dann würden in Hinkunft mehr Personen als heute Programmentgelt zahlen müssen. Da aber die Höhe der gesamten eingenommenen Programmentgelte nicht über das hinausgehen darf, was zur Deckung der Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags erforderlich ist, würde auf die einzelnen Zahler:innen ein geringerer Betrag als heute entfallen. Das könnte man als "Rabatt" für die bestehenden "Gebührenzahler:innen" ansehen, und vielleicht war das auch einmal die Idee hinter dem Begriff. 

14. Automatische Inflationsabgeltung geht nicht: Ob eine Haushaltsabgabe, eine Geräteabgabe oder eine Budgetfinanzierung kommen soll, ist derzeit offenbar noch in Diskussion. Eine Budgetfinanzierung ist sicher unter dem Gesichtspunkt der Unabhängigkeit kritischer zu beurteilen, wenngleich es auch dabei theoretisch bessere Absicherungen gegen tagespolitische Einflussnahmen geben könnte. Eine gelegentlich geforderte automatische Inflationsabgeltung zählt da allerdings nicht dazu, denn diese wäre jedenfalls unionsrechtswidrig, weil sie nicht sicherstellen kann, dass nicht mehr (aber auch nicht weniger) an Beihilfe geleistet wird, als zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags notwendig wäre.

15. Realpolitik: Dass auch die theoretisch unabhängige Festlegung des Programmentgelts durch den ORF selbst (unter Kontrolle der unabhängigen Regulierungsbehörde) vor Versuchen der politischen Einflussnahme nicht schützt, zeigt die aktuelle Diskussion. Es entsteht der Eindruck, dass die Medienministerin einen politischen Wunsch nicht dadurch durchzusetzen versucht, dass sie den ihr offenstehenden Weg über die zuständigen demokratischen Entscheidungsorgane - hier den Nationalrat als Gesetzgeber des ORF-Gesetzes - einschlägt, etwa indem sie einen Gesetzesentwurf vorbereitet, der eine Einschränkung des öffentlich-rechtlichen Auftrags beinhaltet. Statt dessen richtet sie zunächst "Forderungen" an den ORF, der von Verfassungs wegen unabhängig von der Politik zu agieren hat, aber faktisch und realpolitisch wohl kaum daran vorbeikommen wird, auf diese Forderungen irgendwie einzugehen, will er nicht riskieren, dass es nicht zur notwendigen Reparatur des ORF-Gesetzes kommt. 

16. Eine historische Anmerkung: die Verknüpfung von Sparvorgaben mit der Finanzierung des ORF ist nicht neu: in den Jahren 2010 bis 2013 hat der Bund Sonderzuschüsse ("Gebührenrefundierung") an den ORF geleistet, als Gegenleistung musste der ORF einerseits bestimmte Bedingungen (Mehrleistungen) erfüllen (§ 31 Abs. 11 und 12 ORF-G), aber andererseits auch "Strukturmaßnahmen zur mittelfristigen substantiellen Reduktion der Kostenbasis" setzen (§ 31 Abs. 13 ORF-G). Das war allerdings gesetzlich festgelegt und die Einhaltung dieser Bedingungen wurde auch nicht vom Bundeskanzler oder der Medienministerin kontrolliert, sondern von der unabhängigen Regulierungsbehörde (§ 31 Abs. 14 und 15 ORF-G). 

tl;dr: Das Geld für den ORF wächst tatsächlich nicht - worauf die Medienministerin nicht müde wird, hinzuweisen - auf den Bäumen. Der Finanzierungsbedarf wird von den Gremien des ORF festgelegt, von der Regulierungsbehörde überprüft und auch die sparsame, wirtschaftliche und zweckmäßige  Verwendung unterliegt der Kontrolle der ORF-Gremien sowie des Rechnungshofes, der Prüfungskommission und der Regulierungsbehörde. Der Medienministerin kommt dabei keine Rolle zu - sie sollte sich um die politische Aufgabe kümmern, die nach dem VfGH-Erkenntnis zur ORF-Finanzierung notwendige Reparatur des ORF-Gesetzes in Angriff zu nehmen. 

PS: die Diskussion zur Haushaltsabgabe ist alles andere als neu - falls das jemanden interessiert, hier und hier habe ich vor gut zehn Jahren schon mal darüber geschrieben. 

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