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Monday, December 12, 2016

Kurze Mitteilung: Nein, die EU-Staaten haben heute nicht der endgültigen Abschaffung der Roaming-Gebühren zugestimmt

"Die EU-Staaten haben am Dienstag auf Fachebene der endgültigen Abschaffung der Roaming-Gebühren ab 15. Juni 2017 zugestimmt." So steht es in einer aktuellen Agenturmeldung (übernommen zB auf futurezone, derstandard.at [update: dort jetzt ergänzt um nähere Angaben zum Stimmverhalten], ähnlich NZZ). Das folgt dem Spin der EU-Kommission, ist aber inhaltlich doppelt falsch.

Erstens: keine Zustimmung
Zunächst einmal gab es heute keine Zustimmung in Sachen Roaming-Gebühren. Der Kommissionsvorschlag für eine Durchführungsverordnung zur Roaming-Verordnung lag dem Kommunikationsausschuss ("COCOM") vor, einem Ausschuss, der im Prüfverfahren nach Art. 5 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 dazu eine Stellungnahme abgeben hätte können: entweder zustimmend (dann erlässt die Kommission die DurchführungsVO) oder ablehnend (dann dürfte die Kommission die VO nicht erlassen). Gewählt hat der Kommunikationsausschuss eine dritte Möglichkeit: keine Stellungnahme abzugeben. In diesem Fall, so sieht es Art. 5 Abs. 4 der VO 182/2011 ausdrücklich vor, kann die Kommission (von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen) den im Entwurf vorgesehenen Durchführungsrechtsakt erlassen. Genau das war der Fall: keine Zustimmung, aber auch keine Blockade.

Das ist durchaus bemerkenswert, denn zuletzt haben sich sogar Kommissions-Vizepräsident Ansip und Kommissar Oettinger in einem offenen Brief (via twitter) an die Minister gewandt, um für eine Zustimmung zum Kommissionvorschlag zu werben - eine eher seltsame Aktion im Hinblick auf Beratungen im Komitologie-Verfahren, also auf einfacher Fachbeamten-Ebene. Die jetzt nicht erteilte Zustimmung bedeutet: die Mitgliedstaaten lassen die Kommission zwar weiter werken, glücklich sind sie aber mit der Durchführunsgverordnung nicht.

Zweitens: keine endgültige Abschaffung
Worüber im COCOM heute beraten wurde, hat mit der "Abschaffung" der Roaming-Zuschläge nur indirekt zu tun. Die Grundsatzentscheidung, dass Roaming-Zuschläge bis 15. Juni 2017 im EU-Raum weitgehend (aber nicht gänzlich!) der Vergangenheit angehören sollen, wurde schon in der letzten Änderung der Roaming-Verordnung vor mehr als einem Jahr getroffen. Die aktuell diskutierte Durchführungsverordnung betrifft nur die "Fair Use Policy" im Sinn des Art. 6b der Roaming-Verordnung (eine solche "Fair Use Policy" können Anbieter vorsehen, "um eine zweckwidrige oder missbräuchliche Nutzung regulierter Roamingdienste auf Endkundenebene durch Roamingkunden zu vermeiden, wie etwa die Nutzung solcher Dienste durch Roamingkunden in einem Mitgliedstaat, der nicht der ihres jeweiligen Anbieters ist, für andere Zwecke als vorübergehende Reisen.")

Die DurchführungsVO kann weder die "endgültige Abschaffung der Roamingentgelte" bewirken noch ihr entgegenstehen. Eine vollständige Abschaffung solcher Entgelte ist in der Roaming-Verordnung einfach nicht vorgesehen, daher kann sie auch durch eine DurchführungsVO nicht bewirkt werden.

Und ob es überhaupt zur weitgehenden "Abschaffung" der Roaming-Zuschläge kommen wird, hängt nicht von der heute im COCOM diskutierten DurchführungsVO ab, sondern von der in Art. 6a der Roaming-Verordnung genannten Bedingung: demnach muss ein Gesetzgebungsakt "zur Änderung der Großkundenentgelte für regulierte Roamingdienste" erlassen und am 15. Juni 2017 anwendbar sein.

Über den Vorschlag der Kommission für diese Verordnung wird - nach einer Abstimmung im zuständigen Ausschuss des Europäischen Parlaments und einer Debatte beim Rat am 01.01.2016 - derzeit informell zwischen den Institutionen verhandelt, um eine Einigung in erster Lesung zu erzielen. Die Vorstellungen sind zwar offenbar nicht mehr so weit auseinander wie zu Beginn der Diskussion, aber immer noch weit genug, um noch keine genauere Einschätzung geben zu können. [Update 14.12.2016: in einer ersten Runde des informellen Trilogs am 14.12.2016 kam es zu keiner Einigung zwischen den Institutionen; nach Angaben eines Trilog-Teilnehmers liegen die Vorstellungen von EP und Rat hinsichtlich der Obergrenzen noch um 300% auseinander.] Eines traue ich mich aber jetzt schon zu sagen: weder Rat noch Parlament (noch Kommission) können es sich erlauben, das Wirksamwerden der weitgehenden Abschaffung der Roaming-Zuschläge per 15. Juni 2017 in ernsthafte Gefahr zu bringen. Also wird die Verordnung für die Roamingentgelte auf Vorleistungsmärkten in irgendeiner Form wohl rechtzeitig beschlossen werden. [Update 06.04.2017: heute hat das Plenum des Europäischen Parlaments nach einer am 01.02.2017 im Trilog getroffenen Verständigung über die Verordnung abgestimmt; die Beschlussfassung im Rat ist demnächst zu erwarten; Update: 25.04.2017: der Rat hat heute der Verordnung zugestimmt, der Beschlusstext ist hierGegenstimmen kamen von Kroatien, Griechenland, Spanien und Zypern]. 

Die wahren Probleme werden erst danach beginnen: zum einen durch mögliche Veränderungen des Marktangebots (die je nach Inhalt der Verordnung über die Roamingentgelte auf Vorleistungsmärkten sehr unterschiedlich ausfallen können), etwa durch - auch national wirksame - Einschränkungen bei Verträgen auf flat-rate-Basis oder mit hohen Datenvolumina, oder auch - wie sich schon aktuell abzeichnet - durch zunehmende Angebote, in denen Roamingdienste erst gar nicht enthalten sind (denn auch die "Abschaffung" der Roamingentgelte zwingt keinen Betreiber, Verträge mit Roamingmöglichkeit überhaupt anzubieten). [Update dazu, 02.01.2017: auch der Regulator warnt nun vor Tarifen, die kein Roaming enthalten.]

Zum anderen aber werden auch die Streitigkeiten um die Auslegung (und wohl auch um die Gültigkeit) der "Fair Use"-Durchführungsverordnung zur Roaming-Verordnung ab 15. Juni 2017 so richtig beginnen. Klarheit und Rechtssicherheit bringt der nun in den nächsten Tagen von der Kommission zu beschließende Text nämlich nicht (aber dazu habe ich schon viel geschrieben, zuletzt hier).

[Update 15.12.2016: der heute beschlossene Text der Durchführungsverordnung: Haupttext, Anhang 1, Anhang 2]
[Update 17.12.2016: hier die Veröffentlichung der Durchführungsverordnung im Amtsblatt]

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