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Monday, June 23, 2014

Von Fakten ungezähmte Kreativität: my two cents zu Meldungen über Roamingentgelte und EuGH-Verfahren

"Pünktlich zum 1. Juli hat die EU-Kommission eine weitere Absenkung der Auslandstarife für mobiles Telefonieren und Datenabfrage angeordnet." Mit dieser Einleitung beginnt ein Beitrag zu Roamingentgelten, der am Wochenende - als übernommene Agenturmeldung - flächendeckend in vielen Online-Medien zu finden war, von FAZ über Standard, Salzburger Nachrichten, Kleine Zeitung oder Wirtschaftsblatt bis zu Krone und Heute und vielen anderen. Den meisten Quellenangaben zufolge kam die Story offenbar zuerst von der dpa und  - einen Tag später in Österreich - von der APA.

Roamingverordnung (2012): von Parlament und Rat beschlossen
Wahrer Kern der Geschichte ist, dass die Höchstentgelte für Roaming innerhalb der EU ab 1. Juli sinken werden - weil das in der vor zwei Jahren beschlossenen Roamingverordnung des Europäischen Parlaments und des Rates (siehe Artikel 8 und 9) so vorgesehen ist. Die Kommission kann da natürlich gar nichts anordnen, auch nicht "pünktlich zum 1. Juli", was ja so klingt, als sei das gerade erst geschehen (im Kommissionsvorschlag, der zur Roamingverordnung führte, hatte die Kommission übrigens deutlich höhere Entgelte vorgesehen, als Parlament und Rat schließlich beschlossen haben).

Ich kann auch nicht nachvollziehen, wie man auf die Idee kommt, dass die Kommission eine Senkung der Roamingentgelte anordnen könnte, noch dazu wo in der selben Meldung von Plänen der Kommission die Rede ist, dass die "Extrakosten gänzlich entfallen" sollen, was "inzwischen auch vom EU-Parlament abgesegnet" worden sei: das wäre ja wohl nicht notwendig, wenn die Kommission so etwas einfach anordnen könnte. Dass die Pläne der Kommission vom Parlament "abgesegnet" worden wären, stimmt übrigens auch nicht, es gab da ziemlich gravierende Änderungen zum Kommissionsvorschlag in der ersten Lesung, und für eine verbindliche Regelung braucht es natürlich noch eine Einigung mit dem Rat, die noch aussteht (laut Pressemitteilung zur jüngsten Ratssitzung, in der der Vorschlag diskutiert wurde, wurde die Roamingfrage noch nicht im Detail geprüft).

My two cents one cent zu den Roamingentgelten
Ein Fehler hat sich auch bei den angegebenen Entgelten eingeschlichen: das Höchstentgelt für ankommende Sprachanrufe beträgt nämlich nicht 6 Cent, sondern 5 Cent (wie alle anderen in den Meldungen genannten Entgelte zuzüglich Mehrwertsteuer). Das alles kann man einfach auf der Kommissionswebsite lesen, wenn man sich schon den Blick in die Rechtsvorschrift dazu nicht antun will. Auf futurezone.at ist das immerhin jemand aufgefallen; dort steht zwar noch die Einleitung mit der Kommissions-Anordnung, aber das richtige Entgelt.

Woher kommt die Geschichte?
Auslöser für die Meldung scheint eine Pressemitteilung eines deutschen "Vergleichsportals" zu sein, in der aber die sachlichen Fehler der dpa/APA-Meldung noch gar nicht enthalten sind. In der Pressemitteilung wird vergleichsweise nüchtern darauf hingewiesen, dass die Roaming-Entgelte damit "zum insgesamt achten Mal" sinken, woraus in den Agenturmeldungen folgender Satz wird: "Das ist der achte Preisschritt nach unten, wie das Vergleichsportal Verivox ausgerechnet hat." - als ob das "Ausrechnen" eine besondere Leistung wäre, für die es das "Vergleichsportal" gebraucht hätte. Andererseits: dass die Agenturen, wenn sie die Anzahl der Preissenkungsschritte schon für relevant und nachrichtenwürdig halten, das selbst hätten "ausrechnen" (= selbst kurz auf einer einschlägigen Website nachschauen) hätten können, ist angesichts der sonstigen Qualität dieser Meldung wohl eher fraglich. Egal, das "Vergleichsportal" kann sich über gelungene Gratis-PR freuen.

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Das Vorabentscheidungsverfahren, ein unbekanntes Wesen
Ich habe schon einmal über die Berichterstattung zu Vorabentscheidungsverfahren geschrieben (hier), und ich wiederhole neuerlich, dass ich journalistische Verkürzungen und Vereinfachungen durchaus für notwendig halte, um zielgruppenadäquat berichten zu können; hinzu kommt natürlich der Zeitdruck, unter denen Meldungen verfasst werden, sodass wahrlich nicht alles auf die Goldwaage zu legen ist. Als Jurist sollte man also nicht empfindlich sein, solange die Kernaussage zutrifft. Die Eckpunkte einer juristischen Geschichte aber sollte man - gerade als Nachrichtenagentur - nicht einfach erfinden.

Aktuelles Beispiel: anlässlich der Entscheidung des irischen High Court, 2013 765JR, Schrems v Data Protection Commissioner, gab es eine APA-Meldung, wiedergegeben etwa auf Presse online oder Heute, die mit folgenden drei Sätzen eingeleitet wird:
Das irische Höchstgericht in Dublin hat eine Beschwerde des Österreichers Max Schrems wegen der Zusammenarbeit von Facebook mit dem US-Geheimdienst NSA abgelehnt. Das Gericht empfahl in einer Entscheidung am Mittwoch, den Fall vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu bringen. Schrems will den Fall nun dort einbringen.
Dazu folgende Anmerkungen
  1. der High Court ist nicht das irische Höchstgericht (das sollte man aus der Geschichte über die Vorratsdatenspeicherung wissen, aber da wurde auch immer wieder vom Höchstgericht geschrieben; ein kleiner Hinweis: "High" heißt nicht "Supreme")
  2. die "Beschwerde" von Schrems wurde nicht abgelehnt (auch nicht abgewiesen), sondern das Verfahren ruht bis zur Entscheidung des EuGH (wie bei Vorabentscheidungsverfahren europaweit Standard); leicht ersichtlich in Absatz 72 des Urteils: "the present proceedings must stand adjourned pending the outcome of the Article 267 reference."
  3. Das Gericht "empfahl" dem Kläger nichts (Gerichte geben in Urteilen selten Empfehlungen), schon gar nicht etwas, wozu der Betroffene rechtlich überhaupt nicht in der Lage wäre: denn natürlich kann Schrems den Fall nicht selbst vor den EuGH bringen, das Vorabentscheidungsersuchen wird vom Gericht gestellt.
  4. Dass Schrems den Fall "nun dort [beim EuGH] einbringen" wolle, kann nur erfunden sein, aus keiner in den Medien wörtlich zitierten Aussage von Schrems wäre das abzuleiten (Schrems selbst hat unrichtige Medienberichte kritisiert, siehe dazu zB ein Interview mit ihm auf netzpolitik.org)
  5. Schrems stellte das Urteil des High Court unmittelbar nach seinem Bekanntwerden auf eine Website und wies zB auf Twitter darauf hin; der nicht allzu lange Originaltext war also rechtzeitig für jedermann leicht einsehbar (ich sehe jetzt gerade, dass "Europe versus facebook" unter dem Stichwort "Myth Busting" auch Fehler der Berichterstattung über das Urteil korrigiert).
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Kleinliche Kritik?
Klar: Fehler passieren, unter Spar- und Zeitdruck öfter als wenn ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen und Zeit keine Rolle spielt. Das Aufzeigen von Fehlern wirkt da schnell kleinlich und besserwisserisch, gerade wenn es wie beim Roaming zB um ein nur um einen Cent zu hoch angegebenes Entgelt geht. Mir geht es aber nicht um solche verzeihlichen Flüchtigkeitsfehler oder Ungenauigkeiten  - der Cent-Fehler bei den Entgelten wäre kein Blogpost und nicht einmal eine Twitter-Nachricht wert.

Was mich aber irritiert, ist der oft - und auch in den beiden hier gezeigten Fällen - zu beobachtende Zugang, eine vielleicht zu trocken scheinende Meldung mit einer frei assoziierten Einleitung behübschen zu wollen. Es ist ein wiederkehrendes Muster: im Hauptteil der Meldung finden sich im Wesentlichen realitätsnahe Informationen, im "Anreißer" - in den ersten Einleitungssätzen - aber schlägt die von Fakten ungezähmte Kreativität zu. Ich weiß nicht, ob sich die JournalistInnen der Gefahr bewusst sind, in die sie sich damit bringen, denn für sachkundige LeserInnen beweisen solche Einleitungen oft, dass die VerfasserInnen selbst nicht wirklich verstanden haben, was sie gleich nach der "kreativen" Einleitung in ihrer Meldung wiedergeben.

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PS - Update 27.06.2014: Es überrascht nicht wirklich, dass die Heldenlegenden über den Kampf der Kommission (und speziell der nun für die digitale Agenda verantwortlichen Kommissarin Kroes) auch Eingang in Printmedien finden. Der Falter kürte Kroes gleich zum Hero der Woche, weil sie "erfolgreich gegen diese Zusatzkosten" gekämpft habe. Dass ab 1. Juli die Roaminggebühren für ausgehende Anrufe auf maximal 19 Cent, "für eingehende sechs Cent" (richtig: fünf Cent) sinken, sei von den "vermeintlichen 'Bürokraten' in Brüssel und vor allem Neelie Kroes" durchgesetzt worden. Richtig ist allerdings, dass die Kommission - mit Kroes - in ihrem Verordnungsvorschlag höhere Tarife vorgesehen hatte und Parlament und Rat eine weitergehende Absenkung gegenüber dem ursprünglichen Wunsch der Kommission beschlossen haben.

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