Wenn ich hier über Urteile und Entscheidungen des EGMR berichte, dann geht es in der Regel um das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK, oft auch in Verbindung mit dem Schutz des Privat- und Familienlebens nach Art 8 EMRK. Doch auch die reichhaltige Rechtsprechung des EGMR zum "Recht auf Leben" nach Art 2 EMRK hat gelegentlich Bezug zu rundfunk- bzw medienrechtlichen Themenstellungen. Denn das Recht auf Leben wird auch verletzt, wenn staatliche Behörden nicht ausreichend Schutz gegen potentiell tödliche Angriffe gewähren - und manchmal können Journalisten buchstäblich "in die Schusslinie" geraten.
So auch im Fall Trévalec gegen Belgien (Appl no. 30812/07), in dem der EGMR mit Urteil vom 14.06.2011 eine Verletzung des Rechts auf Leben durch Belgien feststellte. Ein französicher Journalist hatte von der Polizei in Liège die Erlaubnis bekommen, die Arbeit einer "Anti-Banden-Einheit" zu filmen. Während eines Einsatzes gegen vermummte und bewaffnete Bandenmitglieder (später stellte sich heraus, dass es Jugendliche mit nachgemachten Waffen waren), kam der Journalist in die Schusslinie einer anderen Polizeieinheit: zwei Polizisten hatten die Kamera des Journalisten mit einer Waffe verwechselt und sieben Schüsse auf ihn abgegeben und am Bein verletzt.
Die umgehend durchgeführte Untersuchung des Zwischenfalls wurde auch vom EGMR als effektiv anerkannt (und daher diesbezüglich keine Verletzung des Art 2 EMRK festgestellt). Was sich aber bei der Untersuchung herausstellte war, dass die anderen Polizeieinheiten, die auch zu dem Einsatz gerufen wurden, nicht über die Anwesenheit des Filmteams informiert gewesen waren. Zwar hatte es eine allgemeine Information auch in der Funkzentrale gegeben, dass "vom 9. bis 13. Jänner" gefilmt würde, aber die Details, wann und wo der Journalist die Einsatzeinheit begleiten würde, war weder der Funkzentrale noch den andreren Polizeieinheiten bekannt. Auch wenn dem Journalisten die Gefahr bewusst sein musste, wenn er bei einem Einsatz gegen möglicherweise gefährliche Personen dabei sein wollte, und auch wenn er selbst nicht vorsichtig genug war, so kam der EGMR doch zum Schluss, dass die belgischen Behörden nicht ausreichend für seinen Schutz vorgesorgt und damit sein Recht auf Leben verletzt hatten.
Den beiden Polizisten, die auf den Journalisten geschossen hatten, war übrigens kein Vorwurf zu machen; die belgische Untersuchung - die vom EGMR nicht beanstandet wurde - war zum Ergebnis gekommen, dass sie in Notwehr gehandelt hatten, weil sie die Kamera mit einer auf sie gerichteten Waffe verwechselt hatten. Vielleicht nicht zu unrecht, denn wie sagt schon Ani DiFranco: "Every tool is a weapon, if you hold it right"
Für Polizeieinheiten, die Journalisten auf ihre Einsätze mitnehmen wollen, ist das Leben mit diesem Urteil allerdings nicht gerade einfacher geworden.
Update 25.06.2013: Mit Urteil vom 25.06.2013 hat der EGMR nun dem Beschwerdeführer Schadenersatz (Satisfaction équitable) in der Höhe von € 50.000 zugesprochen.
Blog zum österreichischen und europäischen Recht der elektronischen Kommunikationsnetze und -dienste
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Tuesday, June 21, 2011
Sunday, June 19, 2011
"Health Nazi" geht zu weit: aggressive Interviews und Art 10 EMRK
Im englischen Sprachgebrauch muss der Begriff "Nazi" nicht immer auf einen Nationalsozialisten im engeren historischen Sinn hinweisen, manchmal soll damit auch schlicht jemand bezeichnet werden, der anderen seine Meinungen aufzwingt ("one who imposes his views on others", so der England and Wales High Court in [2010] EWHC 1756 (QB)). Als Hörfunk-Interviewer sollte man dennoch auch in England seinen Interviewpartner, selbst wenn dieser als Stadtrat Rauchern keine Pflegekinder mehr anvertrauen will, nicht unbedingt als "health Nazi", "health fascist", einfach nur "Nazi" oder schließlich "ignorant pig" und "ignorant idiot" bezeichnen, denn das kann von Ofcom als Verletzung des Broadcasting Code (Verstoß gegen das Verbot von "offensive language") beurteilt werden (Ofcom Broadcast Bulletin 133, Jon Gaunt, Talksport).
Jon Gaunt, der dieses bemerkenswerte Interview geführt hatte, war allerdings der Auffassung, dass sein Verhalten (für das er sich später entschuldigt hatte) durch das Recht auf freie Meinungsäußerung im Sinne des Art 10 EMRK geschützt sei, und er bekämpfte die Entscheidung von Ofcom - die nur die Verletzung des Broadcasting Code durch den Hörfunkveranstalter feststellte - beim High Court. Im Urteil wurde das Interview so beschrieben:
Update 29.09.2016: tatsächlich hat sich Gaunt an den EGMR gewandt, der mit seiner Entscheidung vom 06.09.2016, Gaunt gegen Vereinigtes Königreich (Appl. no. 26448/12) die Beschwerde als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen hat (und ja, Oberschlick Nr. 2 wird in dieser Entscheidung auch zitiert).
Der österreichische Paradefall in Sachen (angeblich) aggressiver Interviewführung ist das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 21.6.1989, B 1701/88 und B 1847/88 (VfSlg 12.086). Dort ging es um ein Interview, das Peter Rabl und Hans Benedict vom ORF mit Bundespräsident Waldheim führten - die aus heutiger Sicht völlig unspektakulären Fragen waren einigen Fernsehzusehern und auch der Rundfunkkommission zu hart und nicht objektiv genug. Der Verfassungsgerichtshof musste klarstellen, dass es in der Natur der Sache eines derartigen Interviews liegt, dass die Interviewenden in ihre Fragen und Aussagen in erster Linie bisher laut gewordene kritische Stimmen und Äußerungen miteinbeziehen und dass die Grenzen akzeptabler kritisch-provokativer Fragestellung in Bezug auf einen im öffentlichen Leben stehenden Politiker grundsätzlich weiter gezogen sind als in Bezug auf eine Privatperson.
Jon Gaunt, der dieses bemerkenswerte Interview geführt hatte, war allerdings der Auffassung, dass sein Verhalten (für das er sich später entschuldigt hatte) durch das Recht auf freie Meinungsäußerung im Sinne des Art 10 EMRK geschützt sei, und er bekämpfte die Entscheidung von Ofcom - die nur die Verletzung des Broadcasting Code durch den Hörfunkveranstalter feststellte - beim High Court. Im Urteil wurde das Interview so beschrieben:
"It is scarcely possible to convey the general and particular tone of this interview in a short written summary, and the full transcript is in this respect incomplete. You have to hear it for its full impact. As we have said, it degenerated into a shouting match from the point when [Mr Gaunt] first called Mr Stark 'a Nazi'. That first insult was not said with particular vehemence, but 'you ignorant pig' was said with considerable venom and was we think gratuitously offensive. The interview as a whole can fairly be described as a rant."Nachdem er beim High Court verloren hatte, wollte Jon Gaunt es auch noch vom Court of Appeals wissen, aber auch dieser gab ihm mit Urteil vom vergangenen Freitag, [2011] EWCA Civ 692, nicht recht. Der Court of Appeals - das Urteil schrieb Lord Neuberger, Master of the Rolls - setzte sich eingehend mit der Rechtsprechung des EGMR auseinander und betonte die notwendige Gesamtbetrachtung, nach der schließlich keine Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung gegeben sei:
"the interview must be considered as a whole and in its context, as both Ofcom and the Divisional Court said. It would be wrong to focus too hard individually, let alone exclusively, on (i) Mr Gaunt's specific insults, such as 'health Nazi' or 'ignorant pig', (ii) his hectoring tone and bullying manner, (iii) his persistent interruptions, (iv) his failure to let Mr Stark develop any argument or even answer the points made by Mr Gaunt, including telling Mr Stark to 'shut up', or (v) his treating more than one innocuous comment by Mr Stark as an insult. All these points must be considered together, together with the fact that the interview was permitted to run on for many minutes after it had become clear that it had got out of hand. [...]Ob Jon Gaunt vielleicht noch bis zum EGMR weiter um das Recht kämpfen will, seinen Interviewpartner einen Nazi zu nennen? Ich würde das zwar als ziemlich aussichtslos einschätzen, aber aus didaktischen Gründen hätte eine (Nichtzulassungs-)Entscheidung des EGMR einen gewissen Reiz: man könnte dann den Fall Gaunt dem Fall Oberschlick Nr. 2 gegenüberstellen und die Unterschiede herausarbeiten. Oberschlick schrieb: "Ich werde Jörg Haider erstens keinen Nazi nennen, sondern zweitens einen Trottel"; die deswegen erfolgte Verurteilung wurde vom EGMR als Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung beurteilt. Gaunt nannte seinen Interviewpartner erstens einen "Nazi", zweitens einen Trottel ("idiot"), und drittens ein dummes Schwein ("ignorant pig"), und anders als Oberschlick dürfte Gaunt wohl kaum eine nachvollziehbare Begründung und eine ausreichende Tatsachengrundlage für seine Beleidigung darlegen können.
In my view, the combination of the five points [...] render it impossible to accept the contention that the publication of the Finding, which contained no sanction, other than the stigma of the publication of an adverse finding by the statutory regulator, represented an interference with Mr Gaunt's right to freedom of expression under Article 10."
Update 29.09.2016: tatsächlich hat sich Gaunt an den EGMR gewandt, der mit seiner Entscheidung vom 06.09.2016, Gaunt gegen Vereinigtes Königreich (Appl. no. 26448/12) die Beschwerde als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen hat (und ja, Oberschlick Nr. 2 wird in dieser Entscheidung auch zitiert).
Der österreichische Paradefall in Sachen (angeblich) aggressiver Interviewführung ist das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 21.6.1989, B 1701/88 und B 1847/88 (VfSlg 12.086). Dort ging es um ein Interview, das Peter Rabl und Hans Benedict vom ORF mit Bundespräsident Waldheim führten - die aus heutiger Sicht völlig unspektakulären Fragen waren einigen Fernsehzusehern und auch der Rundfunkkommission zu hart und nicht objektiv genug. Der Verfassungsgerichtshof musste klarstellen, dass es in der Natur der Sache eines derartigen Interviews liegt, dass die Interviewenden in ihre Fragen und Aussagen in erster Linie bisher laut gewordene kritische Stimmen und Äußerungen miteinbeziehen und dass die Grenzen akzeptabler kritisch-provokativer Fragestellung in Bezug auf einen im öffentlichen Leben stehenden Politiker grundsätzlich weiter gezogen sind als in Bezug auf eine Privatperson.
Tuesday, June 14, 2011
EGMR: Berichterstattung über anwaltliches Verhalten im Gerichtssaal - Gerichtsprotokoll ist nicht einzige Quelle der Wahrheit
Der EGMR hat heute in seinem Urteil Aquilina und andere gegen Malta (Appl. no. 28040/08) zwei wichtige Aussagen für die journalistische Berichterstattung über Gerichtsverfahren getroffen:
Das war allerdings nicht (oder nicht ganz) richtig; Dr. A beschwerte sich heftig, und schon am darauffolgenden Tag brachte die Times eine Entschuldigung und erklärte, dass es keine "contempt of court"-Verurteilung gegeben habe. Tatsächlich hattte das Gericht in einer Entscheidung vom 20. Juni 1995 "nur" festgehalten, dass das Verhalten des Dr. A an Missachtung des Gerichts grenzte ("verged on contempt of the court"); im Protokoll der Verhandlung fand sich dazu nichts.
Aber konnte man das Missverständnis der Gerichtsberichterstatterin wirklich vorwerfen? Sogar der Ankläger hatte nämlich - wie er im nachfolgenden, von Dr. A angestrengten Rufschädigungsverfahren aussagte - verstanden, dass Dr. A der Missachtung des Gerichts für schuldig befunden worden sei:
Vor dem EGMR war nicht strittig, dass ein gesetzlich vorgesehener Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung vorlag, der auch ein legitimes Ziel - Schutz des guten Rufs anderer - verfolgte. Der Eingriff war allerdings, wie der EGMR einstimmig entschied, in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig und verletzte die Beschwerdeführer daher in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK.
In seinem Urteil stellte der EGMR zunächst knapp seine einschlägige Rechtsprechung dar (im Wesentlichen: public watchdog-Funktion der Presse [zB Bladet Tromsø], aber auch Verpflichtung von Journalisten zu verlässlicher und präziser Information in Übereinstimmung mit journalistischer Berufsethik [zB Fressoz und Roire]; erforderliche besondere Rechtfertigung, bevor von einer Verifizierung von Tatsachenmeldungen abgesehen werden kann [McVicar]). Nachdem er noch festhält, dass das berufliche Verhalten von Anwälten, jedenfalls in öffentlichen Gerichtsverhandlungen, von öffentlichem Interesse ist (Nr. 46), führt der EGMR in der Sache aus:
- das berufliche Verhalten von Anwälten - jedenfalls in öffentlichen Gerichtsverhandlungen - ist von öffentlichem Interesse;
- Journalisten dürfen berichten, was sie im Gerichtssaal mit eigenen Augen und Ohren gesehen und gehört haben, auch wenn es im Protokoll der Verhandlung dann anders steht.
Das war allerdings nicht (oder nicht ganz) richtig; Dr. A beschwerte sich heftig, und schon am darauffolgenden Tag brachte die Times eine Entschuldigung und erklärte, dass es keine "contempt of court"-Verurteilung gegeben habe. Tatsächlich hattte das Gericht in einer Entscheidung vom 20. Juni 1995 "nur" festgehalten, dass das Verhalten des Dr. A an Missachtung des Gerichts grenzte ("verged on contempt of the court"); im Protokoll der Verhandlung fand sich dazu nichts.
Aber konnte man das Missverständnis der Gerichtsberichterstatterin wirklich vorwerfen? Sogar der Ankläger hatte nämlich - wie er im nachfolgenden, von Dr. A angestrengten Rufschädigungsverfahren aussagte - verstanden, dass Dr. A der Missachtung des Gerichts für schuldig befunden worden sei:
"The prosecutor related that he had tried to keep the magistrate calm and was nearly found guilty of contempt himself because he was playing defence lawyer. [...] He had also understood, at that moment, that the magistrate found Dr A. to be in contempt of court because he did not appear. The prosecutor reiterated that, at that moment, the magistrate was very angry and that he understood that he had found Dr A. guilty of contempt. When asked whether the impugned article reflected what really went on in the court room, the prosecutor replied 'effectively it reflects what happened in court in short'."Dennoch wurden der verantwortliche Redakteur, die Gerichtsberichterstatterin und der Drucker der Zeitung verurteilt (Schadenersatz wegen Rufschädigung von insgesamt etwa € 720).
Vor dem EGMR war nicht strittig, dass ein gesetzlich vorgesehener Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung vorlag, der auch ein legitimes Ziel - Schutz des guten Rufs anderer - verfolgte. Der Eingriff war allerdings, wie der EGMR einstimmig entschied, in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig und verletzte die Beschwerdeführer daher in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK.
In seinem Urteil stellte der EGMR zunächst knapp seine einschlägige Rechtsprechung dar (im Wesentlichen: public watchdog-Funktion der Presse [zB Bladet Tromsø], aber auch Verpflichtung von Journalisten zu verlässlicher und präziser Information in Übereinstimmung mit journalistischer Berufsethik [zB Fressoz und Roire]; erforderliche besondere Rechtfertigung, bevor von einer Verifizierung von Tatsachenmeldungen abgesehen werden kann [McVicar]). Nachdem er noch festhält, dass das berufliche Verhalten von Anwälten, jedenfalls in öffentlichen Gerichtsverhandlungen, von öffentlichem Interesse ist (Nr. 46), führt der EGMR in der Sache aus:
"47. [...] The Court notes that the second applicant drew her conclusion from what she had seen and heard, namely the statements of the magistrate during the court proceedings, which it has not been disputed were chaotic. [...] Moreover, two individuals present in the court room heard, independently of each other, the magistrate find Dr A. to be in contempt of court. Indeed, the prosecutor present in the same courtroom confirmed the second applicant's version on oath during the defamation proceedings. More importantly, during the defamation proceedings not a single witness was produced to assert that the magistrate had not found Dr A. to be in contempt of court. [...] Indeed, all the evidence heard, apart from the court record, clearly suggested that Dr A. had been found to be in contempt of court.
48. In the instant case, the record of the proceedings did not mention that Dr A. was found to be in contempt of court. Records of proceedings are usually brief minutes of the res gestae, and [...] they do not contain a detailed record of all that takes place during proceedings. Thus, while such record is certainly important for the purposes of a court case, it cannot be considered the sole source of truth for other purposes, including court reporting. To limit court reporting to facts reproduced in the records of proceedings, and to bar reports based on what a journalist has heard and seen with his or her own eyes and ears, as corroborated by others, would be an unacceptable restriction of freedom of expression and the free flow of information.[...]
49. In the present case, the Court attaches importance to the fact that, even if not reflected in the record of the proceedings, the second applicant's contention that the magistrate had found Dr A to be in contempt of court was expressly confirmed by the evidence of the prosecutor in the bigamy case, who stated that the second applicant's article was a true summary of what had occurred at the hearing. The Court is struck by the fact that, although this evidence was plainly relevant and came from an independent eye-witness to the events in question, little or no attention appears to have been paid to it by the Civil Court in the defamation proceedings. [...]
50. Moreover, the Court finds no reason to doubt the second applicant's account that she attempted to verify her perception of what had taken place in the court room [...]. For the Court, such a course of action would be entirely in line with best journalistic practices. In the circumstances of the present case, the second applicant could not reasonably have been expected to take any further steps, especially since news is a perishable commodity and to delay its publication, even for a short period, may well deprive it of all its value and interest [...].
The Court further notes that the applicants published an apology [...] two days [nach meiner Zählung nur einen Tag] after the publication of the impugned article. Bearing in mind these considerations, the Court finds that the second applicant had at all times acted in good faith and in accordance with her duty of responsible reporting [...]. [Hervorhebung hinzugefügt]
Thursday, June 09, 2011
Der EuGH ist am Zug: ist die Schienen-Control-Kommission vorlageberechtigt?
Im letzten Blogpost habe ich über den Bundeskommunikationssenat (BKS) geschrieben, der in der Rechtssache C-195/06 KommAustria vom EuGH als vorlageberechtigtes Gericht akzeptiert wurde (was man mit Generalanwalt Colomer auch anders hätte sehen können, siehe hier). Mittlerweile ist der BKS nur mehr zweitinstanzliche Behörde (mit allen Tribunalgarantien), sodass sich bei seinem jüngsten Vorabentscheidungsersuchen nicht mehr die Frage stellt, ob überhaupt eine Streitigkeit vorliegt.
Das unterscheidet den BKS allerdings von der Schienen-Control Kommission, einer zwar ebenfalls als Tribunal im Sinne des Art 6 EMRK eingerichteten Regulierungsbehörde, die aber (überwiegend) erstinstanzlich tätig wird. Im Lichte des Telekom Austria- Beschlusses des EuGH (siehe dazu hier) gehe ich davon aus, dass derartige erstinstanzliche Regulierungsbehörden als Verwaltungsorgane anzusehen sind und keine richterliche Funktion haben (vor kurzem habe ich das in einem Referat [schlechte pdf-Version der Folien] ohne Zögern etwa auch hinsichtlich der neuen Regulierungskommission der E-Control vertreten). Mit anderen Worten: mangels Vorliegen einer Streitigkeit wären erstinstanzliche Regulierungsbehörden, auch wenn sie als Tribunal eingerichtet sind, nicht als vorlageberechtigte Gerichte im Sinne des Art 267 AEUV anzusehen.
Umso überraschter war ich vom Vorlagebeschluss der Schienen-Control-Kommission in der Sache Westbahn Management GmbH gegen ÖBB Infrastruktur AG* (anhängig beim EuGH unter C-136/11). Die Schienen-Control-Kommission will es offensichtlich wirklich wissen, und sie hat im Vorlagebeschluss ordentlich alle vom EuGH geforderten Merkmale eines vorlageberechtigten Gerichts angeführt: gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ständiger Charakter, Unabhängigkeit, obligatorische Gerichtsbarkeit, streitiges Verfahren und Anwendung von Rechtsnormen. Außer dem Vorliegen eines streitigen Verfahrens sind alle anderen Punkte meines Erachtens klar; zu den Streitigkeiten schreibt die Schienen-Control Kommission Folgendes:
Update 07.06.2012: Generalanwalt Jääskinen hat in seinen Schlussanträgen von heute keine Zweifel an der Vorlageberechtigung der Schienen-Control-Kommission (siehe RNr 26-30).
Update 02.12.2012: In seinem Urteil vom 22.11.2012 ist der EuGH der Ansicht des Generalanwalts gefolgt und hat die Zulässigkeit der Vorlage durch die Schienen-Control Kommission bestätigt. Aus dem Urteil:
Update 14.03.2013: die heutigen Schlussanträge von Generalanwalt Jääskinen in der Rechtssache C-509/11, ÖBB-Personenverkehr AG, enthalten interessante Ausführungen zur Gerichtsqualität der Schienen-Control Kommission:
Das unterscheidet den BKS allerdings von der Schienen-Control Kommission, einer zwar ebenfalls als Tribunal im Sinne des Art 6 EMRK eingerichteten Regulierungsbehörde, die aber (überwiegend) erstinstanzlich tätig wird. Im Lichte des Telekom Austria- Beschlusses des EuGH (siehe dazu hier) gehe ich davon aus, dass derartige erstinstanzliche Regulierungsbehörden als Verwaltungsorgane anzusehen sind und keine richterliche Funktion haben (vor kurzem habe ich das in einem Referat [schlechte pdf-Version der Folien] ohne Zögern etwa auch hinsichtlich der neuen Regulierungskommission der E-Control vertreten). Mit anderen Worten: mangels Vorliegen einer Streitigkeit wären erstinstanzliche Regulierungsbehörden, auch wenn sie als Tribunal eingerichtet sind, nicht als vorlageberechtigte Gerichte im Sinne des Art 267 AEUV anzusehen.
Umso überraschter war ich vom Vorlagebeschluss der Schienen-Control-Kommission in der Sache Westbahn Management GmbH gegen ÖBB Infrastruktur AG* (anhängig beim EuGH unter C-136/11). Die Schienen-Control-Kommission will es offensichtlich wirklich wissen, und sie hat im Vorlagebeschluss ordentlich alle vom EuGH geforderten Merkmale eines vorlageberechtigten Gerichts angeführt: gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ständiger Charakter, Unabhängigkeit, obligatorische Gerichtsbarkeit, streitiges Verfahren und Anwendung von Rechtsnormen. Außer dem Vorliegen eines streitigen Verfahrens sind alle anderen Punkte meines Erachtens klar; zu den Streitigkeiten schreibt die Schienen-Control Kommission Folgendes:
"Das Verfahren vor der Schienen-Control Kommission ist ein streitiges Verfahren, da den Parteien gemäß § 37 AVG die Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen gegeben wird. Dies kann auch in einer mündlichen Verhandlung erfolgen, zu der eventuelle Zeugen und Sachverständige geladen werden (§§ 39 Abs 2, 40ff AVG)."Ob das wirklich reicht, um eine Streitigkeit anzunehmen?
Update 07.06.2012: Generalanwalt Jääskinen hat in seinen Schlussanträgen von heute keine Zweifel an der Vorlageberechtigung der Schienen-Control-Kommission (siehe RNr 26-30).
Update 02.12.2012: In seinem Urteil vom 22.11.2012 ist der EuGH der Ansicht des Generalanwalts gefolgt und hat die Zulässigkeit der Vorlage durch die Schienen-Control Kommission bestätigt. Aus dem Urteil:
29 Der Gerichtshof stellt nach ständiger Rechtsprechung bei der Beurteilung der rein unionsrechtlichen Frage, ob es sich bei der vorlegenden Einrichtung um ein Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV handelt, auf eine Reihe von Merkmalen ab, wie z. B. gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ständiger Charakter, obligatorische Gerichtsbarkeit, streitiges Verfahren, Anwendung von Rechtsnormen durch die Einrichtung sowie deren Unabhängigkeit (vgl. u. a. Urteile vom 14. Juni 2007, Häupl, C‑246/05, Slg. 2007, I‑4673, Randnr. 16, vom 18. Oktober 2007, Österreichischer Rundfunk, C‑195/06, Slg. 2007, I‑8817, Randnr. 19, sowie vom 10. Dezember 2009, Umweltanwalt von Kärnten, C‑205/08, Slg. 2009, I‑11525, Randnr. 35).Dass die Anwendung des AVG "den streitigen Charakter des Verfahrens" gewährleiste, ist eine etwas originelle Ansicht (um das jetzt einmal zurückhaltend und möglichst respektvoll zu formulieren), aber da im Ausgangsfall tatsächlich widerstrebende Interessen der Parteien zu beurteilen waren, kann man insgesamt das Vorliegen einer Streitigkeit wohl bejahen (was aber, sagen wir einmal so: nicht übertrieben konsistent mit dem zur Telekom-Control-Kommission ergangenen zurückweisenden Beschluss C-256/05 Telekom Austria AG, zumal auch bei der dort im Ausgangsfall vorzunehmenden Marktanalyse nach dem TKG 2003 über widerstreitende Interessen mehrerer Verfahrensparteien - siehe C-426/05 Tele2 - zu entscheiden war).
28 Insoweit ist, anknüpfend an die Ausführungen des Generalanwalts in Nr. 28 seiner Schlussanträge, darauf hinzuweisen, dass die Schienen-Control Kommission durch § 81 Abs. 1 EisbG als ständige Einrichtung geschaffen wurde. Die §§ 81 bis 84 EisbG zeigen, dass die Schienen-Control Kommission die Kriterien der gesetzlichen Grundlage, der ständigen und obligatorischen Gerichtsbarkeit, der Anwendung von Rechtsnormen sowie der Unabhängigkeit einer solchen Einrichtung erfüllt.
29 Außerdem ist zum einen festzustellen, dass auf das Verfahren vor der Schienen-Control Kommission nach den Angaben in der Vorlageentscheidung das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz Anwendung findet, was den streitigen Charakter des Verfahrens vor dieser Einrichtung gewährleistet, in dem die Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen haben und die streitige Erörterung zu einer mündlichen Verhandlung führen kann, zu der Zeugen und Sachverständige geladen werden können.
30 Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass für die Schienen-Control Kommission nach § 84 EisbG das Allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht maßgebend ist und dass ihre Entscheidungen nicht der Aufhebung im Verwaltungsweg unterliegen, sondern der gerichtlichen Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof.
31 Daraus folgt, dass die Schienen-Control Kommission als Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV anzusehen ist, so dass der Gerichtshof für die Beantwortung der vorgelegten Fragen zuständig ist.
Update 14.03.2013: die heutigen Schlussanträge von Generalanwalt Jääskinen in der Rechtssache C-509/11, ÖBB-Personenverkehr AG, enthalten interessante Ausführungen zur Gerichtsqualität der Schienen-Control Kommission:
49. [...] Wie durch die vom Gerichtshof in der mündlichen Verhandlung gestellten Fragen geklärt worden ist, hat die Schienen-Control Kommission zwei Arten von Funktionen.
50. Erstens wird sie in Fällen wie denen, um die es im Urteil Westbahn Management ging, quasi als Verwaltungsgericht im Kontext eines kontradiktorischen Zwei-Parteien-Verfahrens tätig. Wie der Gerichtshof in diesem Urteil bestätigte, besitzt sie die erforderlichen Eigenschaften, um die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Kriterien in Bezug auf Unabhängigkeit und Zusammensetzung zu erfüllen.
51. Im vorliegenden Verfahren hat die Schienen-Control Kommission dagegen die Rolle einer Verwaltungsbehörde, der im Rahmen der Durchsetzung der Verordnung Nr. 1371/2007 die Aufgaben der zuständigen nationalen Stelle übertragen wurden.
[...]
56. Diese Entscheidung [der Schienen-Control Kommission] kann von dem Eisenbahnunternehmen vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochten werden. Die Schienen-Control Kommission hat dann die Rolle des Beklagten im gerichtlichen Verfahren. Daher kann die Schienen-Control Kommission in einem derartigen Kontext nicht als Gericht betrachtet werden, weil sie die gegnerische Partei im Rechtsstreit mit der ÖBB-Personenverkehr AG ist.
*) Zur Anonymisierung siehe schon im letzten Blogpost; der im Web veröffentlichte Beschluss der Schienen-Control-Kommission ist "anonymisiert"; beim EuGH werden die Namen der Parteien ausgeschrieben.
Kurzberichterstattungsrecht als entschädigungslose Enteignung? ORF gegen Sky Österreich erreicht den EuGH
Art 15 der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (RL 2010/13/EU, AVMD-RL) regelt das Recht auf Kurzberichterstattung. Die Mitgliedstaaten haben dafür zu sorgen, dass jeder Fernsehveranstalter "zum Zwecke der Kurzberichterstattung einen fairen, angemessenen und diskriminierungsfreien Zugang zu Ereignissen hat, die von großem öffentlichen Interesse sind und die von einem der Rechtshoheit der Mitgliedstaaten unterworfenen Fernsehveranstalter exklusiv übertragen werden." Fernsehveranstalter dürfen daher vom Exklusivrechteinhaber kurze Ausschnitte aus dem Sendesignal übernehmen, diese jedoch ausschließlich für allgemeine Nachrichtensendungen verwenden.
Nach Art 15 Abs 6 der AVMD-RL sorgen die Mitgliedstaaten "nach Maßgabe ihres Rechtssystems und im Einklang mit ihren Gepflogenheiten dafür, dass die Modalitäten und Bedingungen für die Bereitstellung solcher kurzen Ausschnitte näher festgelegt werden, insbesondere hinsichtlich etwaiger Kostenerstattungsregelungen, der Höchstlänge der kurzen Ausschnitte und der Fristen für ihre Übertragung. Wird eine Kostenerstattung vorgesehen, so darf sie die unmittelbar mit der Gewährung des Zugangs verbundenen zusätzlichen Kosten nicht übersteigen." (Hervorhebung hinzugefügt)
Mit Bescheid der KommAustria vom 22.12.2010 wurde in einem Verfahren zwischen dem Österreichischen Rundfunk und der Sky Österreich GmbH* über das Kurzberichterstattungsrecht bei den "im Rahmen der UEFA Europa League ausgetragenen Spiele der österreichischen Fußballvereine Red Bull Salzburg und SK Rapid Wien" entschieden. Dabei wurde ausgesprochen, dass Sky "ein Ersatz für die unmittelbar mit der Gewährung des Zugangs zum Satellitensignal verbundenen zusätzlichen Kosten" zusteht, diese Kosten belaufen sich aber "aufgrund eines dem ORF von der Sky Österreich GmbH kostenlos zur Verfügung gestellten Abonnements auf EUR 0,-."
Sowohl der ORF als auch Sky erhoben dagegen Berufung, und im Berufungsverfahren hat der nun zur Entscheidung zuständige Bundeskomunikationssenat (BKS) nun beschlossen, dem EuGH folgende Frage vorzulegen (update 12.7.2011: beim EuGH unter der Zahl C-283/11 anhängig):
In der Rechtssache C-195/06 KommAustria hat der EuGH auch akzeptiert, dass der BKS als vorlageberechtigtes Gericht anzusehen ist (was man - mit Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer - bezweifeln hätte können, siehe hier). Nun, da der BKS nur mehr zweitinstanzliche Behörde - mit allen Tribunalgarantien - ist, stellt sich auch die im Fall C-195/06 meines Erachtens kritische Frage, ob überhaupt eine Streitigkeit vorliegt, nicht mehr. Anders sieht es wohl im Fall der Schienen-Control-Kommission aus - dazu mehr im nächsten Blogpost.
*) Im veröffentlichten Bescheid des BKS sind die Parteienbezeichnungen anonymisiert, in jenem der KommAustria nicht. Um wen es sich handelt, weiß man aber auch im Fall der "Anonymisierung", sodass ich hier keine Bedenken habe, die allseits bekannten Parteiennamen auch auszuschreiben (was auch der EuGH so halten wird, wenn der BKS nicht schon den Vorlagebeschluss anonymisert hat, siehe Nr. 25 der neuen Hinweise zur Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen durch die nationalen Gerichte)
Nach Art 15 Abs 6 der AVMD-RL sorgen die Mitgliedstaaten "nach Maßgabe ihres Rechtssystems und im Einklang mit ihren Gepflogenheiten dafür, dass die Modalitäten und Bedingungen für die Bereitstellung solcher kurzen Ausschnitte näher festgelegt werden, insbesondere hinsichtlich etwaiger Kostenerstattungsregelungen, der Höchstlänge der kurzen Ausschnitte und der Fristen für ihre Übertragung. Wird eine Kostenerstattung vorgesehen, so darf sie die unmittelbar mit der Gewährung des Zugangs verbundenen zusätzlichen Kosten nicht übersteigen." (Hervorhebung hinzugefügt)
Mit Bescheid der KommAustria vom 22.12.2010 wurde in einem Verfahren zwischen dem Österreichischen Rundfunk und der Sky Österreich GmbH* über das Kurzberichterstattungsrecht bei den "im Rahmen der UEFA Europa League ausgetragenen Spiele der österreichischen Fußballvereine Red Bull Salzburg und SK Rapid Wien" entschieden. Dabei wurde ausgesprochen, dass Sky "ein Ersatz für die unmittelbar mit der Gewährung des Zugangs zum Satellitensignal verbundenen zusätzlichen Kosten" zusteht, diese Kosten belaufen sich aber "aufgrund eines dem ORF von der Sky Österreich GmbH kostenlos zur Verfügung gestellten Abonnements auf EUR 0,-."
Sowohl der ORF als auch Sky erhoben dagegen Berufung, und im Berufungsverfahren hat der nun zur Entscheidung zuständige Bundeskomunikationssenat (BKS) nun beschlossen, dem EuGH folgende Frage vorzulegen (update 12.7.2011: beim EuGH unter der Zahl C-283/11 anhängig):
"Ist Art. 15 Abs. 6 der [RL 2010/13/EU] mit Art. 17 sowie Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bzw. mit Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (1. ZProtEMRK) vereinbar?"Der Vorlagebeschluss ist nicht online vefügbar (update 12.09.2011: nun hier im RIS), wohl aber der Bescheid, mit dem die Aussetzung des anhängigen Berufungsverfahrens beschlossen wurde. Die Bedenken des Bundeskommunikationssenates beziehen sich im Wesentlichen auf Art 17 der Grundrechte-Charta (Eigentumsrecht); wörtlich heißt es im Bescheid:
"Der Bundeskommunikationssenat hat erwogen, dass eine Richtlinienbestimmung, die die Möglichkeit der behördlichen Anordnung einer Entschädigung für den Fall der Eigentumsbeschränkung eines Exklusivrechteinhabers durch Einräumung eines Kurzberichterstattungsrechtes in jedem Fall ausschließt, in Widerspruch zu Art. 17 der Charta der Grundrechte der EU stehen könnte."Der BKS legt damit dem EuGH nicht einmal zwei Monate nach der Vorlagefrage im Fall Publikumsrat des ORF gegen ORF (C-162/11) - siehe dazu hier - zum insgesamt dritten Mal eine Frage zur Auslegung der AVMD-RL (bzw der RL "Fernsehen ohne Grenzen") vor (zur Rechtssache C-195/06 KommAustria gegen Österreichischer Rundfunk siehe zB hier).
In der Rechtssache C-195/06 KommAustria hat der EuGH auch akzeptiert, dass der BKS als vorlageberechtigtes Gericht anzusehen ist (was man - mit Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer - bezweifeln hätte können, siehe hier). Nun, da der BKS nur mehr zweitinstanzliche Behörde - mit allen Tribunalgarantien - ist, stellt sich auch die im Fall C-195/06 meines Erachtens kritische Frage, ob überhaupt eine Streitigkeit vorliegt, nicht mehr. Anders sieht es wohl im Fall der Schienen-Control-Kommission aus - dazu mehr im nächsten Blogpost.
*) Im veröffentlichten Bescheid des BKS sind die Parteienbezeichnungen anonymisiert, in jenem der KommAustria nicht. Um wen es sich handelt, weiß man aber auch im Fall der "Anonymisierung", sodass ich hier keine Bedenken habe, die allseits bekannten Parteiennamen auch auszuschreiben (was auch der EuGH so halten wird, wenn der BKS nicht schon den Vorlagebeschluss anonymisert hat, siehe Nr. 25 der neuen Hinweise zur Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen durch die nationalen Gerichte)
EuGH: Schleichwerbung setzt nicht voraus, dass ein Entgelt gezahlt wird
Kann "Schleichwerbung" im Sinne der Richtlinie Fernsehen ohne Grenzen (RL 89/552/EWG idF RL 97/36/EG) nur vorliegen, wenn ein Entgelt oder eine sonstige Gegenleistung entrichtet wird? Diese Frage stellte sich dem EuGH in einem Vorabentscheidungsersuchen des griechischen Staatsrats (Συμβούλιο της Επικρατείας) in der Rechtssache C-52/10 Eleftheri Tileorasi A. E. "ALTER CHANNEL" und Konstantinos Giannikos. Der Staatsrat wollte vom EuGH wissen, ob Art 1 lit d der RL "Fernsehen ohne Grenzen" dahin auszulegen sei, "dass die Entrichtung eines Entgelts oder einer Zahlung oder Gegenleistung anderer Art im Rahmen der 'Schleichwerbung' einen unerlässlichen begrifflichen Bestandteil des Werbezwecks darstellt".
Schaut man in den deutschen Richtlinientext, so scheint die Frage wenig Raum für Zweifel offen zu lassen, denn Schleichwerbung ist dort wörtlich so definiert (Hervorhebung hinzugefügt):
Das heutige Urteil des EuGH zeigt aber, weshalb der Συμβούλιο της Επικρατείας doch Zweifel hatte: in der griechischen Sprachfassung fehlte nämlich das Wort "insbesondere" (ιδίως)! Bemerkenswerter Weise ist dieses Wort aber in der griechischen Sprachfassung der neuen AVMD-RL nun doch zu finden, obwohl sich etwa in der deutschen, englischen und französischen Sprachfassung nichts geändert hat.
Der EuGH konnte daher - da ja alle Sprachfassungen gleichwertig sind - nicht einfach auf das Wort "insbesondere" ("in particular", "notamment", etc.) hinweisen und eine schlampige "Übersetzung" rügen, sondern musste eine Auslegung "nach dem Zusammenhang und dem Zweck der Regelung" vornehmen. Und dieser Zweck ist nach Ansicht des EuGH eindeutig: der umfassende und angemessene Schutz der Interessen der Verbraucher als Zuschauer. Wörtlich heißt es im Urteil:
Schaut man in den deutschen Richtlinientext, so scheint die Frage wenig Raum für Zweifel offen zu lassen, denn Schleichwerbung ist dort wörtlich so definiert (Hervorhebung hinzugefügt):
"die Erwähnung oder Darstellung von Waren, Dienstleistungen, Namen, Marke oder Tätigkeiten eines Herstellers von Waren oder eines Erbringers von Dienstleistungen in Programmen, wenn sie vom Fernsehveranstalter absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen ist und die Allgemeinheit hinsichtlich des eigentlichen Zwecks dieser Erwähnung oder Darstellung irreführen kann. Eine Erwähnung oder Darstellung gilt insbesondere dann als beabsichtigt, wenn sie gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung erfolgt."Auch die Schleichwerbungsdefinition in Art 1 Abs 1 lit j der neuen Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste 2010/13/EU (AVMD-RL) entspricht im Wesentlichen dieser Definition, vor allem der letzte Satz ist wörtlich gleichlautend.
Das heutige Urteil des EuGH zeigt aber, weshalb der Συμβούλιο της Επικρατείας doch Zweifel hatte: in der griechischen Sprachfassung fehlte nämlich das Wort "insbesondere" (ιδίως)! Bemerkenswerter Weise ist dieses Wort aber in der griechischen Sprachfassung der neuen AVMD-RL nun doch zu finden, obwohl sich etwa in der deutschen, englischen und französischen Sprachfassung nichts geändert hat.
Der EuGH konnte daher - da ja alle Sprachfassungen gleichwertig sind - nicht einfach auf das Wort "insbesondere" ("in particular", "notamment", etc.) hinweisen und eine schlampige "Übersetzung" rügen, sondern musste eine Auslegung "nach dem Zusammenhang und dem Zweck der Regelung" vornehmen. Und dieser Zweck ist nach Ansicht des EuGH eindeutig: der umfassende und angemessene Schutz der Interessen der Verbraucher als Zuschauer. Wörtlich heißt es im Urteil:
"31 [Art 1 lit d d Satz 2 der RL] darf jedoch nicht eng in dem Sinne ausgelegt werden, dass eine solche Erwähnung oder Darstellung nur dann als beabsichtigt gelten kann, wenn sie gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung erfolgt.
32 Diese Auslegung ergibt sich nämlich weder aus dem Wortlaut der in dieser Bestimmung aufgestellten Vermutung noch aus der Systematik und dem Zweck der Richtlinie 89/552.
33 Eine solche Auslegung würde im Gegenteil den umfassenden und angemessenen Schutz der Fernsehzuschauer, den die Richtlinie 89/552 insbesondere durch das Verbot der Schleichwerbung in Art. 10 Abs. 4 der Richtlinie sicherstellen soll, in Frage stellen und könnte darüber hinaus diesem Verbot seine praktische Wirksamkeit nehmen, da es in manchen Fällen schwierig oder gar unmöglich sein dürfte, im Zusammenhang mit einer Werbung, die alle in Randnr. 19 des vorliegenden Urteils aufgeführten Merkmale einer Schleichwerbung aufweist, die Existenz eines Entgelts oder einer ähnlichen Gegenleistung festzustellen.
34 Folglich stellt die Existenz eines Entgelts oder einer ähnlichen Gegenleistung zwar ein Kriterium dar, anhand dessen sich die Werbeabsicht eines Fernsehveranstalters feststellen lässt, aus dem Wortlaut von Art. 1 Buchst. d der Richtlinie 89/552 sowie deren Systematik und Zweck ergibt sich jedoch, dass diese Absicht bei Fehlen eines solchen Entgelts oder einer solchen ähnlichen Gegenleistung nicht ausgeschlossen werden kann."
Tuesday, June 07, 2011
EGMR: Ausstellung kinderpornographischer Bilder auch in kritischem Kunstprojekt nicht durch Meinungsfreiheit geschützt
Ulla Karttunen - oder auch "ultra b" (für "ultra bad or worse") - ist eine finnische Künstlerin, die sich laut einer ihrer Websites als Malerin auf "Nagellack und andere Flüssigkeiten" spezialisiert hat. Über sich sagt sie: "Karttunen refuses to trust common sense and is constantly getting in trouble because of her opinions." Und auch wenn man sich beim Rest dieses "about"-Textes nicht ganz sicher sein kann, wie wörtlich das alles zu nehmen ist, dieser Satz stimmt ganz sicher.
Denn im Jahr 2008 stellte Karttunen im Rahmen der Ausstellung "Ekstatische Frauen" ihr Werk mit dem Titel "Neitsythuorakirkko" ("Jungfrauenhurenkirche", laut Übersetzung im art-Magazin) aus. Dieses Werk, so wieder das art-Magazin, "besteht aus einer Garagenkonstruktion, deren Innenraum mit rund 150 pornografischen Bildern ausgelegt ist. Dabei handele es sich um vorgefundenes Material, das die Künstlerin von öffentlich zugänglichen Seiten bezog." In der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 10.5.2011, Karttunen gegen Finnland (Appl. no. 1685/10), liest sich das, basierend auf den Angaben von Frau Karttunen, so: "The work included hundreds of photographs of teenage girls or otherwise very young women in sexual poses and acts. The pictures had been downloaded from free Internet pages and some of them were extremely violent or degrading."
Kurz nach der Ausstellungseröffnung beschlagnahmte die Polizei die Bilder und die Ausstellung wurde geschlossen; einige Tage später wurde auch der Computer der Künstlerin beschlagnahmt (siehe auch die Berichte von Helsingin Sanomat hier, hier und hier). In der Folge wurde Karttunen wegen Besitz und Verbreitung sexuell obszöner Bilder von Kindern verurteilt. Da das Gericht der Auffassung war, dass die Künstlerin eine allgemeine Diskussion über Kinderpornographie provozieren wollte, wurde über sie keine Strafe verhängt, die Bilder wurden aber beschlagnahmt.
Karttunen erhob, gestützt auf Art 10 EMRK, Beschwerde an den EGMR, da ihr Recht als Künstlerin auf freie Meinungsäußerung verletzt worden sei. Sie habe die pornographischen Bilder in ihr Werk integriert, um die Diskussion zu fördern und das Bewusstsein dafür zu heben, wie weit verbreitet und leicht zugänglich Kinderpornographie sei. Pornodarsteller würden so viel Publicity wie möglich wollen und daher sei die Notwendigkeit, deren Ruf oder deren Privatsphäre zu schützen weniger wichtig als das Recht der Beschwerdeführerin auf Freiheit der Meinungsäußerung.
Der EGMR konnte dieser Argumentation nicht folgen. Er hielt zunächst fest, dass auch Künstler den möglichen Beschränkungen der Meinungsfreiheit nach Art 10 Abs 2 EMRK unterworfen seien:
Dass die Künstlerin mit ihrer Arbeit gute Absichten verfolgt habe, sei von den nationalen Gerichten anerkannt und durch Absehen von der Verhängung einer Strafe berücksichtigt worden; dennoch sei der Besitz und die Verbreitung von sexuell obszönen Bildern von Kindern strafrechtlich verboten; der EGMR konnte nicht erkennen, dass die Verurteilung der Künstlerin, unter den Umständen des Einzelfalles, nicht eine echte gesellschaftliche Notwendigkeit (genuine social need) gewesen sei.
Die Beschwerde wurde daher einstimmig als offensichtlich unbegründet und damit unzulässig beurteilt. Wie die Künstlerin die Angelegenheit sieht ("Revealing reality is illegal in Finland"), kann man hier nachlesen.
Denn im Jahr 2008 stellte Karttunen im Rahmen der Ausstellung "Ekstatische Frauen" ihr Werk mit dem Titel "Neitsythuorakirkko" ("Jungfrauenhurenkirche", laut Übersetzung im art-Magazin) aus. Dieses Werk, so wieder das art-Magazin, "besteht aus einer Garagenkonstruktion, deren Innenraum mit rund 150 pornografischen Bildern ausgelegt ist. Dabei handele es sich um vorgefundenes Material, das die Künstlerin von öffentlich zugänglichen Seiten bezog." In der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 10.5.2011, Karttunen gegen Finnland (Appl. no. 1685/10), liest sich das, basierend auf den Angaben von Frau Karttunen, so: "The work included hundreds of photographs of teenage girls or otherwise very young women in sexual poses and acts. The pictures had been downloaded from free Internet pages and some of them were extremely violent or degrading."
Kurz nach der Ausstellungseröffnung beschlagnahmte die Polizei die Bilder und die Ausstellung wurde geschlossen; einige Tage später wurde auch der Computer der Künstlerin beschlagnahmt (siehe auch die Berichte von Helsingin Sanomat hier, hier und hier). In der Folge wurde Karttunen wegen Besitz und Verbreitung sexuell obszöner Bilder von Kindern verurteilt. Da das Gericht der Auffassung war, dass die Künstlerin eine allgemeine Diskussion über Kinderpornographie provozieren wollte, wurde über sie keine Strafe verhängt, die Bilder wurden aber beschlagnahmt.
Karttunen erhob, gestützt auf Art 10 EMRK, Beschwerde an den EGMR, da ihr Recht als Künstlerin auf freie Meinungsäußerung verletzt worden sei. Sie habe die pornographischen Bilder in ihr Werk integriert, um die Diskussion zu fördern und das Bewusstsein dafür zu heben, wie weit verbreitet und leicht zugänglich Kinderpornographie sei. Pornodarsteller würden so viel Publicity wie möglich wollen und daher sei die Notwendigkeit, deren Ruf oder deren Privatsphäre zu schützen weniger wichtig als das Recht der Beschwerdeführerin auf Freiheit der Meinungsäußerung.
Der EGMR konnte dieser Argumentation nicht folgen. Er hielt zunächst fest, dass auch Künstler den möglichen Beschränkungen der Meinungsfreiheit nach Art 10 Abs 2 EMRK unterworfen seien:
"The Court notes that artists and those who promote their work are certainly not immune from the possibility of limitations as provided for in paragraph 2 of Article 10. Whoever exercises his freedom of expression undertakes, in accordance with the express terms of that paragraph, “duties and responsibilities”; their scope will depend on his situation and the means he uses [...]"Im konkreten Fall sei die Verurteilung der Künstlerin auf eine strafgesetzliche Bestimmung zum Schutz der Moral und der Rechte anderer gestützt worden; vor allem sei es dabei um die Notwendigkeit des Schutzes von Kindern gegen sexuellen Missbrauch und gegen die Verletzung ihrer Privatsphäre gegangen, aber auch moralische Überlegungen hätten eine Rolle gespielt.Auch wenn sich sexuelle Moralvorstellungen in den letzten Jahren verändert hätten, könne - so der EGMR - die Ansicht der finnischen Gerichte nicht als unangemessen beurteilt werden, insbesondere da der Fall Minderjährige betreffe oder Personen, die wahrscheinlich minderjährig seien. Die nationalen Gerichte hätten ausführlich das Verhältnis zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und den Rechten anderer abgewogen und seien zum Ergebnis gekommen, dass das Recht der Beschwerdeführerin auf freie Meinungsäußerung nicht den Besitz und die öffentliche Ausstellung von Kinderpornographie rechtfertige.
Dass die Künstlerin mit ihrer Arbeit gute Absichten verfolgt habe, sei von den nationalen Gerichten anerkannt und durch Absehen von der Verhängung einer Strafe berücksichtigt worden; dennoch sei der Besitz und die Verbreitung von sexuell obszönen Bildern von Kindern strafrechtlich verboten; der EGMR konnte nicht erkennen, dass die Verurteilung der Künstlerin, unter den Umständen des Einzelfalles, nicht eine echte gesellschaftliche Notwendigkeit (genuine social need) gewesen sei.
Die Beschwerde wurde daher einstimmig als offensichtlich unbegründet und damit unzulässig beurteilt. Wie die Künstlerin die Angelegenheit sieht ("Revealing reality is illegal in Finland"), kann man hier nachlesen.
Sunday, June 05, 2011
Ritter der Medienvielfalt: was die Bundeswettbewerbsbehörde so mitteilt
Der Generaldirektor der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) ist ein vielbeschäftigter Mann. So nahm er laut Mitteilung der BWB vom 30.5.2011 jüngst etwa in "Moldawien" (richtig: Republik Moldau) an einer Konferenz der dortigen Wettbewerbsbehörde teil (und "traf dabei mit den Leitern der russischen, moldawischen, ukrainischen, rumänischen und armenischen Wettbewerbsbehörde zusammen"). Ein paar Tage vorher teilte die BWB mit, dass ihr Generaldirektor Thanner und der Präsident des russischen Antimonopolamts, Igor Artemiev, in Moskau ein Übereinkommen unterzeichnet haben, "das die bisher gute Zusammenarbeit noch verstärken soll" (Inhalt dieses Abkommens, laut BWB-Mitteilung: "Übermittlung von Statistiken über die Arbeiten der Behörden, Austausch methodischer Empfehlungen, Informationsaustausch über Weiterentwicklungen der Gesetzgebung, sowie Erfahrungsaustausch in der praktischen Ermittlungsarbeit").
Vom 29. bis 30. Mai war die BWB, laut einer weiteren Mitteilung, "unter der Führung von GD Dr. Thanner [...] mit einigen Mitarbeitern in Ungarn zu Gast um den durchwegs spannenden Podiumsdiskussionen [beim European Competition Day in Budapest] zu folgen und sich über die aktuellen Entwicklungen des Wettbewerbsrechts in Europa zu informieren."
Und noch am selben Tag der EU-Konferenz in Budapest schaffte es der Generaldirektor der BWB immerhin zum "Ritterorden vom heiligen Grab zu Jerusalem", um dort "vor mehr als 50 Personen" über "Wettbewerb im nationalen und internationalen Kontext" zu referieren, was der BWB ebenfalls eine offizielle Mitteilung wert war ("Lebhafte Diskussionen folgten dem spannenden Vortrag"). Leider fehlt in der Aussendung der Ort, an dem dieser Vortrag stattfand, aber ich nehme an, dass dies eher in der Statthalterei Österreich denn in der Zentrale im Vatikan war, zumal die Folien auch nicht in lateinischer oder italienischer Sprache verfasst waren. Das Motto des Ritterordens, laut Vatikan-Website, hat mit der Berufswirklichkeit des Generaldirektors einer Wettbewerbsbehörde immerhin zumindest teilweise zu tun: "lo zelo alla rinuncia in una società di abbondanza, il generoso impegno per i più deboli e i non-protetti, la lotta coraggiosa per la giustizia e la pace" (Hervorhebung hinzugefügt; grob übersetzt: "der Eifer des Verzichts in einer Gesellschaft des Überflusses, der großzügige Einsatz für die Schwachen und Schutzlosen, der mutige Kampf für Gerechtigkeit und Frieden").
Der Generaldirektor der BWB konnte mit den Grabrittern gewissermaßen von Ritter zu Ritter sprechen, ist er - wie man den Acta Apaostolicae Sedis (Vol. 95 aus dem Jahr 2003) entnehmen kann - doch selbst "Cavaliere": ausgezeichnet mit dem päpstlichen Ritterorden vom heiligen Gregor dem Großen, der laut Wikipedia „für den Eifer in der Verteidigung der katholischen Religion“ verliehen wird. Aber die auf der Website der BWB aufgelistete Vortragstätigkeit des Generaldirektors ist keineswegs einseitig: der letzte Vortrag vor dem Ausflug zu den Grabrittern war am 17.11.2010 und fand vor BSA-JuristInnen statt (Vortragstitel: "Die Gefahr des Kartells").
Das in der Mitteilung der BWB erstgenannte Thema des Vortrages vor den Grabrittern war übrigens die Medienvielfalt. Mit dieser Thematik befasst sich auch jene Mitteilung der BWB, die gleich nach den Aussendungen zu den Ausflügen nach Russland, Moldau, Ungarn und zu den Jerusalem-Grabrittern auf der Website der BWB zu finden ist: "Die BWB erhebt Berufung gegen Bescheid der KommAustria". Gemeint ist dieser Bescheid (Presseinfo der KommAustria dazu), mit dem "dem Österreichischen Rundfunk die Veranstaltung eines Informations- und Kultur-Spartenprogramms gemäß § 4c ORF-G nach Maßgabe des am 23.12.2010 vorgelegten Angebotskonzeptes gemäß § 5a ORF-G" unter bestimmten Auflagen genehmigt wurde. In der Mitteilung der BWB heißt es: "Die seitens der KommAustria vorgeschlagenen [richtig: vorgeschriebenen] Auflagen reichen nach Ansicht der BWB derzeit nicht aus, Wettbewerb und Medienvielfalt in diesem Sektor sicherzustellen."
Ich kann zu diesem nun wohl in die Instanz gehenden Verfahren der KommAustria nichts sagen, also auch nicht zur Ankündigung der Berufung durch die BWB. Soweit sich der Generaldirektor der BWB aber in seiner Vortragstätigkeit für Wettbewerb und Medienvielfalt engagiert, ist das natürlich zu begrüßen - und vielleicht kann er darüber bei Gelegenheit auch einmal mit Victor Orbán aus Esztergom-Budapest sprechen, der immerhin gleich nach ihm zum "Cavaliere" des päpstlichen Gregoriusordens wurde (siehe den Ausschnitt aus den Acta Apostolicae Sedis oben links). In Sachen Medienvielfalt wäre das wohl ein interessanter Gesprächspartner, denn nicht jeder teilt die Ansicht von Ernst Strasser, der die Reform des ungarischen Mediengesetzes unter der Regierung Orbán bekanntlich im Europaparlament - ganz offen und so gar nicht "under the undercover" - als "wichtig und richtig" bezeichnet hat.
PS (Trivia): Der nunmehrige Generaldirektor der BWB hatte übrigens für Ernst Strasser in dessen Zeit als Innenminister zunächst als Kabinettchef und später als Sektionsleiter gearbeitet. Und auch Ernst Strasser erhielt - laut AAS - im Jahr 2002 einen päpstlichen Orden, allerdings nicht das Ritterkreuz, sondern das Komturkreuz, wenn auch von dem laut Wikipedia im Rang unter dem Gregoriusorden stehenden Silvesterorden. Commendatore Strasser, der parlamentarischen Immunität mittlerweile verlustig gegangen, hätte damit immer noch - falls man Wikipedia diesbezüglich trauen darf - ein besonderes Privileg: "das Recht, auf einem Pferd die Treppen zum Petersdom hinaufzureiten."
Update 16.06.2011: Die englische Fassung der BWB-Website ist online - "Aufmacher" der Website sind Moskau und Moldau, der Ausflug zum Ritterorden wurde leider nicht der Übersetzung für wert erachtet, dabei könnte ich sogar mit der richtigen englischen Bezeichnung dafür aushelfen: "Equestrian Order of The Holy Sepulchre of Jerusalem". Und aushelfen wäre wohl das Wort der Stunde, denn die englischen Texte wurden teilweise bemerkenswert holprig vom Deutschen übersetzt, zB zur Zusammenarbeit mit den Regulatoren: "These 'special competition authorities' have been introduced for those special industries, where liberalization processes are going on during the recent years. [...] With exception of application because of merger control regulators can apeal in antitrust law court proceedings. Concerning the application of the Competition Law the Austrian Competition Authority has to work in the to ensure consistency with decisions of the regulators" usw.
Update 16.02.2012: aus aktuellem Anlass habe ich die Links hier aktualisiert, dabei musste ich feststellen, dass die sprachlich "interessanten" englischen Texte immer noch unverändert auf der Website finden.
Vom 29. bis 30. Mai war die BWB, laut einer weiteren Mitteilung, "unter der Führung von GD Dr. Thanner [...] mit einigen Mitarbeitern in Ungarn zu Gast um den durchwegs spannenden Podiumsdiskussionen [beim European Competition Day in Budapest] zu folgen und sich über die aktuellen Entwicklungen des Wettbewerbsrechts in Europa zu informieren."
Und noch am selben Tag der EU-Konferenz in Budapest schaffte es der Generaldirektor der BWB immerhin zum "Ritterorden vom heiligen Grab zu Jerusalem", um dort "vor mehr als 50 Personen" über "Wettbewerb im nationalen und internationalen Kontext" zu referieren, was der BWB ebenfalls eine offizielle Mitteilung wert war ("Lebhafte Diskussionen folgten dem spannenden Vortrag"). Leider fehlt in der Aussendung der Ort, an dem dieser Vortrag stattfand, aber ich nehme an, dass dies eher in der Statthalterei Österreich denn in der Zentrale im Vatikan war, zumal die Folien auch nicht in lateinischer oder italienischer Sprache verfasst waren. Das Motto des Ritterordens, laut Vatikan-Website, hat mit der Berufswirklichkeit des Generaldirektors einer Wettbewerbsbehörde immerhin zumindest teilweise zu tun: "lo zelo alla rinuncia in una società di abbondanza, il generoso impegno per i più deboli e i non-protetti, la lotta coraggiosa per la giustizia e la pace" (Hervorhebung hinzugefügt; grob übersetzt: "der Eifer des Verzichts in einer Gesellschaft des Überflusses, der großzügige Einsatz für die Schwachen und Schutzlosen, der mutige Kampf für Gerechtigkeit und Frieden").
Der Generaldirektor der BWB konnte mit den Grabrittern gewissermaßen von Ritter zu Ritter sprechen, ist er - wie man den Acta Apaostolicae Sedis (Vol. 95 aus dem Jahr 2003) entnehmen kann - doch selbst "Cavaliere": ausgezeichnet mit dem päpstlichen Ritterorden vom heiligen Gregor dem Großen, der laut Wikipedia „für den Eifer in der Verteidigung der katholischen Religion“ verliehen wird. Aber die auf der Website der BWB aufgelistete Vortragstätigkeit des Generaldirektors ist keineswegs einseitig: der letzte Vortrag vor dem Ausflug zu den Grabrittern war am 17.11.2010 und fand vor BSA-JuristInnen statt (Vortragstitel: "Die Gefahr des Kartells").
Das in der Mitteilung der BWB erstgenannte Thema des Vortrages vor den Grabrittern war übrigens die Medienvielfalt. Mit dieser Thematik befasst sich auch jene Mitteilung der BWB, die gleich nach den Aussendungen zu den Ausflügen nach Russland, Moldau, Ungarn und zu den Jerusalem-Grabrittern auf der Website der BWB zu finden ist: "Die BWB erhebt Berufung gegen Bescheid der KommAustria". Gemeint ist dieser Bescheid (Presseinfo der KommAustria dazu), mit dem "dem Österreichischen Rundfunk die Veranstaltung eines Informations- und Kultur-Spartenprogramms gemäß § 4c ORF-G nach Maßgabe des am 23.12.2010 vorgelegten Angebotskonzeptes gemäß § 5a ORF-G" unter bestimmten Auflagen genehmigt wurde. In der Mitteilung der BWB heißt es: "Die seitens der KommAustria vorgeschlagenen [richtig: vorgeschriebenen] Auflagen reichen nach Ansicht der BWB derzeit nicht aus, Wettbewerb und Medienvielfalt in diesem Sektor sicherzustellen."
Ich kann zu diesem nun wohl in die Instanz gehenden Verfahren der KommAustria nichts sagen, also auch nicht zur Ankündigung der Berufung durch die BWB. Soweit sich der Generaldirektor der BWB aber in seiner Vortragstätigkeit für Wettbewerb und Medienvielfalt engagiert, ist das natürlich zu begrüßen - und vielleicht kann er darüber bei Gelegenheit auch einmal mit Victor Orbán aus Esztergom-Budapest sprechen, der immerhin gleich nach ihm zum "Cavaliere" des päpstlichen Gregoriusordens wurde (siehe den Ausschnitt aus den Acta Apostolicae Sedis oben links). In Sachen Medienvielfalt wäre das wohl ein interessanter Gesprächspartner, denn nicht jeder teilt die Ansicht von Ernst Strasser, der die Reform des ungarischen Mediengesetzes unter der Regierung Orbán bekanntlich im Europaparlament - ganz offen und so gar nicht "under the undercover" - als "wichtig und richtig" bezeichnet hat.
PS (Trivia): Der nunmehrige Generaldirektor der BWB hatte übrigens für Ernst Strasser in dessen Zeit als Innenminister zunächst als Kabinettchef und später als Sektionsleiter gearbeitet. Und auch Ernst Strasser erhielt - laut AAS - im Jahr 2002 einen päpstlichen Orden, allerdings nicht das Ritterkreuz, sondern das Komturkreuz, wenn auch von dem laut Wikipedia im Rang unter dem Gregoriusorden stehenden Silvesterorden. Commendatore Strasser, der parlamentarischen Immunität mittlerweile verlustig gegangen, hätte damit immer noch - falls man Wikipedia diesbezüglich trauen darf - ein besonderes Privileg: "das Recht, auf einem Pferd die Treppen zum Petersdom hinaufzureiten."
Update 16.06.2011: Die englische Fassung der BWB-Website ist online - "Aufmacher" der Website sind Moskau und Moldau, der Ausflug zum Ritterorden wurde leider nicht der Übersetzung für wert erachtet, dabei könnte ich sogar mit der richtigen englischen Bezeichnung dafür aushelfen: "Equestrian Order of The Holy Sepulchre of Jerusalem". Und aushelfen wäre wohl das Wort der Stunde, denn die englischen Texte wurden teilweise bemerkenswert holprig vom Deutschen übersetzt, zB zur Zusammenarbeit mit den Regulatoren: "These 'special competition authorities' have been introduced for those special industries, where liberalization processes are going on during the recent years. [...] With exception of application because of merger control regulators can apeal in antitrust law court proceedings. Concerning the application of the Competition Law the Austrian Competition Authority has to work in the to ensure consistency with decisions of the regulators" usw.
Update 16.02.2012: aus aktuellem Anlass habe ich die Links hier aktualisiert, dabei musste ich feststellen, dass die sprachlich "interessanten" englischen Texte immer noch unverändert auf der Website finden.