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Monday, July 27, 2009

Postraub: Was das Volk begehren soll

Nach dem österreichischen Strafgesetzbuch begeht einen Raub, "wer mit Gewalt gegen eine Person oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89) einem anderen eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz wegnimmt oder abnötigt, durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern". Postraub - also ein Raub, der auf die Wegnahme von Sachen wie zB Briefen oder Geld gerichtet ist, die sich im Gewahrsam der Post befinden - ist in Österreich, anders als zB in den USA, kein besonders qualifiziertes Delikt.

Ganz sicher kein Postraub ist es, wenn die Österreichische Post AG eigene Filialen schließt (schließen will), denn dabei wird ihr weder etwas weggenommen oder abgenötigt, sondern es geht um ihre unternehmerische Entscheidung, die allerdings bestimmten Beschränkungen auf Grund des von der Post zu erbringenden Universaldienstes unterworfen ist (siehe dazu näher schon in diesem Beitrag).

Dennoch ist gerade für Postamtsschließungen der Begriff "Postraub" wieder in Mode gekommen: Die Sozialistische Jugend protestiert gegen die geplanten Filialschließungen unter der Domain http://www.postraub.at/, und die Christgewerkschafter haben unter dem Slogan "Stopp dem Postraub" ein Volksbegehren initiiert. Da genügend Unterstützungserklärungen vorgelegt wurden, hat die Innenministerin die Eintragungswoche (27. Juli bis 3. August 2009) festgelegt; in dieser Woche müssen 100.000 Eintragungen erfolgen, damit das Volksbegehren im Parlament behandelt werden muss (die schon vorgelegten Unterstützungserklärungen werden eingerechnet).

Die Initiatoren des Volksbegehrens haben den Weg gewählt, nicht einen fertigen Gesetzesantrag zu stellen, sondern eine bloße "Anregung" (vergleiche § 3 Abs 1 des Volksbegehrengesetzes). Hier der Wortlaut:
„Wir fordern: Aufrechterhaltung der Infrastruktur und dadurch Sicherung von Postdienstleistungen zu gleichen Bedingungen für die gesamte Bevölkerung. Novellierung des Postgesetzes und Erhebung in den Verfassungsrang;
Fixierung von mindestens 1300 Postfilialen im Postgesetz welche durch die Post AG zu führen sind.
Schaffung von rechtlichen Rahmenbedingungen die auch nach der Liberalisierung Brief einen fairen Wettbewerb sicher stellen.“
Die Kundmachung der Entscheidung der Innenministerin über die Einleitung des Volksbegehrens erfolgte im Amtsblatt zur Wiener Zeitung am 27. März 2009 (da die Wiener Zeitung das gedruckte Amtsblatt ja als letzte Rettung vor dem Staatschaos sieht, ist die Kundmachung natürlich nicht mehr frei elektronisch zugänglich - sonst könnte das ja vielleicht jeder lesen! - und ich kann daher nicht darauf verlinken - mittlerweile sind die Informationen aber auf der Website des BMI verfügbar).

Dass zur Richtlinienumsetzung eine Novelle des Postgesetzes kommen wird müssen, ist klar; spannender wären konkrete Vorstellungen, was in dieser Novelle aus der Sicht der Initiatoren des Volksbegehrens stehen sollte, abgesehen von der Mindestanzahl an Filialen, die von der "Post AG" (gemeint sicher: "Österreichische Post AG") geführt werden sollen. Interessant wäre vor allem, wie sich die Initiatoren konkret die Sicherung des fairen Wettbewerbs vorstellen. Denn über das Gebot des fairen Wettbewerbs sind sich wohl alle einig (jedenfalls ist mir keine Forderung bekannt, die auf die Ermöglichung unfairen Wettbewerbs abzielt), Streit gibt es meist erst, wenn es um konkrete Maßnahmen geht.

Update 04.08.2009: Vorläufiges Endergebnis des Volksbegehrens (mit Grafiken): 140.622 gültige Eintragungen - das Volksbegehren ist daher vom Nationalrat zu behandeln. Ebenfalls vom Nationalrat zu behandeln ist die am 28.07.2009 im Ministerrat beschlossene Regierungsvorlage für ein neues Postmarktgesetz.

Sunday, July 26, 2009

Wir Besserwisser: ORF-Stiftungsrätin moderiert selbst

Im heutigen Kurier, auf den ORF angesprochen, meint Helga Rabl-Stadler: "Die Weltgeschichte sollte von 30-jährigen kommentiert werden, nicht immer von uns Besserwissern."

Da trifft es sich gut, dass die Salzburger Festspiele nichts mit der Weltgeschichte zu tun haben, denn die Moderation von Gesprächsrunden zu den Festspielen, deren Präsidentin sie ist, übernimmt Rabl-Stadler doch gerne selbst. Und so kann man also demnächst im ORF-Programm TW1 sehen, wie die Festspielpräsidentin, die zugleich ORF-Stiftungsrätin ist, Gespräche zu den Festspielen moderiert (was kommt als Nächstes? Könnte man vielleicht ORF-Stiftungsrat Domany, Ex-Vorstand des Flughafens Wien, als Moderator einer Diskussionssendung zum Skylink am Flughafen Wien gewinnen?) .

Da Rabl-Stadler für die Moderation wohl kein Arbeitsverhältnis mit dem ORF oder seiner Tochtergesellschaft TW1 eingehen wird, liegt eine Unvereinbarkeit im Sinne des § 20 Abs 3 Z 1 oder 3 ORF-G nicht vor. Und was potentielle Interessenkonflikte betrifft, so bastelt der Stiftungsrat seit zumindest 2006 an einem Corporate Governance-Kodex, der "weit über die gesetzlichen Vorgaben hinaus, Rahmenbedingungen und Qualitätsnormen für Stiftungsratsmitglieder schaffen" soll (so Stiftungsratsvorsitzender Pekarek laut einer APA-Meldung vom 9.7.2007; siehe in diesem Blog auch hier). Und auch wenn zuletzt sogar das Regierungsprogramm einen Corporate Governance-Kodex für den ORF, "differenziert nach Organmitgliedern und MitarbeiterInnen", gefordert hat: geben tut es ihn bis heute nicht.

Ob diese Verzögerung beim Corporate Governance-Kodex auch damit zu tun hat, dass es "in den Aufsichtsgremien an fachlicher Kompetenz" fehlt, wie Rabl-Stadler, selbst Mitglied des wesentlichsten Aufsichtsgremiums, als Unterzeichnerin der "Rettet den ORF"-Erklärung meint? Oder bezog sich die Kritik an der Fachkompetenz vielleicht nur darauf, dass Mitglieder des Stiftungsrates (wie zB Rabl-Stadler) Maßnahmen zugestimmt haben, die nach Auffassung von Rabl-Stadler "dem ORF untragbare finanzielle Lasten gebracht" haben (siehe dazu schon hier)?

PS: Auch ohne Moderatorinnen-Tätigkeit kann sich Stiftungsrätin Rabl-Stadler über mangelnde Präsenz im ORF nicht beklagen: zB Frühstück bei mir, Morgenjournal - und vor wenigen Wochen auch Club 2, in dem sie bedauerte, dass es ihr (als Festspielpräsidentin) auf Grund der Antikorruptionsbestimmungen nicht einmal möglich sei, den ORF-Generaldirektor zu den Salzburger Festspielen einzuladen.

PPS (update 26.7.2009, 16 Uhr): Praktischerweise sorgt der ORF per Presseaussendung auch gleich für die Weiterverbreitung der Aussagen der Festspielpräsidentin, die - ausgerechnet bei Claudia Stöckl, die doch "Botschafterin des guten Gesprächs" im Dienste von ORF und Kraft Foods ist - "erbost" auf Kritik von Martin Kusej, Gerard Mortier und Ioan Holender reagierte.

Noch ein update (01.08.2009): Der Standard vom 29.07.2009 berichtete über diese Sache. Ich lerne daraus a) TW1 sieht keinen Interessenkonflikt und b) es handelt sich um "die Fernsehfassung einer Radiosendung aus dem Studio Salzburg"; dass es sich um abgefilmten Hörfunk handelt, wurde in der TW1-Aussendung leider nicht erwähnt. Zum Interessenkonflikt: wenn ich richtig unterrichtet bin, sieht der Entwurf für den Verhaltenskodex eine Unvereinbarkeit bei der "Mitwirkung an der Gestaltung einer Sendung/eines Beitrags, die/der sich auf die eigene Person oder auf Personen bezieht, zu denen eine enge Beziehung besteht".

Wednesday, July 22, 2009

EGMR: Journalistin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks darf Programmpolitik kritisieren

So etwas soll ja auch in Österreich schon vorgekommen sein: ein Journalist des öffentlich-rechtlichen Fernsehens kritisiert seinen Arbeitgeber - und erntet daraufhin "einen heftigen Rüffel" seiner Chefin. Mehr als bloß eine öffentliche Rüge gab es allerdings im Fall einer Journalistin der öffentlich-rechtlichen polnischen TVP: Helena Wojtas-Kaleta hatte in einem Interview und in einem offenen Brief Kritik an der Einstellung zweier Klassiksendungen geäußert und erhielt deshalb eine förmliche Verwarnung ihres Arbeitgebers nach dem polnischen Arbeitsgesetzbuch. Sie zog dagegen vor die nationalen Gerichte und verlor, denn nach Auffassung auch des letztinstanzlichen Gerichtes habe sie ihre Loyalitätspflicht gegenüber ihrem Arbeitgeber verletzt und zu dessen Nachteil gehandelt. Dass die Journalistin zugleich auch Gewerkschaftsvorsitzende war, nutzte ihr vor dem nationalen Gericht nichts, da die Kritik an der Programmgestaltung (zB am gesendeten "pseudo-musikalischen Kitsch") nicht auf den Schutz der Arbeitnehmerrechte abgezielt habe.

Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte Helena Wojtas-Kaleta nun mehr Erfolg: der Gerichtshof stellte in seinem Urteil vom 16. Juli 2009, Wojtas-Kaleta v. Poland (Application no. 20436/02), einstimmig eine Verletzung des Artikel 10 EMRK fest. Der EGMR sah es nicht als notwendig an, in der Analyse zwischen den Rollen der Klägerin als Angestellte, als Gewerkschafterin und als Journalistin zu unterscheiden, zumal die Freiheit der Meinungsäußerung auch im Arbeitsleben gilt; er bemerkt aber, die Funktion als Journalistin und Gewerkschafterin müsse bei der Abwägung, ob der Eingriff in die Meinungsfreiheit im Sinne des Art 10 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war, berücksichtigt werden.

Im Hinblick auf die Rolle der Journalisten in der Gesellschaft und ihre Verantwortung, zur öffentlichen Diskussion beizutragen und sie zu fördern, hält der Gerichtshof fest (Abs. 46), dass die Verpflichtung zur Verschwiegenheit und Zurückhaltung ("discretion and constraint") nicht in gleicher Weise auf Journalisten angewendet werden kann, da es in der Natur ihrer Aufgaben liegt, Informationen und Meinungen mitzuteilen.

Die Programmpolitik öffentlicher Medien ("public media"; in diesem Zusammenhang dürften damit eher öffentlich-rechtliche Medien bzw. Medien im öffentlichen Eigentum gemeint sein) ist, so der EGMR, eine Angelegenheit des öffentlichen Interesses; Artikel 10 Abs 2 EMRK lässt daher wenig Raum für eine Einschränkung der Debatte.

Eher beiläufig und ohne direkte Herleitung aus der Rechtsprechung oder auch der EMRK trifft der EGMR dann eine durchaus grundsätzliche Aussage (Abs. 47): "Where a State decides to create a public broadcasting system, the domestic law and practice must guarantee that the system provides a pluralistic audiovisual service."

Und die Diskussion über die Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seine Rolle in der Gesellschaft ist jedenfalls eine Angelegenheit des öffentlichen Interesses; die Verpflichtungen der Journalistin zur Loyalität und Zurückhaltung mussten daher gegen den öffentlichen Charakter des Unternehmens abgewogen werden, für das sie tätig war. Die bloße Teilnahme an einer öffentlichen Diskussion über die Programmpolitik und die Kritik an dieser Programmpolitik darf nicht zum Anlass arbeitsrechtlicher Maßnahmen genommen werden; die nationalen Gerichte hätten eine entsprechende Abwägung vornehmen müssen. Verleumderische Anschuldigungen ohne Grundlage oder in schlechtem Glauben sind durch die Meinungsfreiheit nicht geschützt; im konkreten Fall habe aber der Arbeitgeber gar nicht behauptet, dass die Kritik ohne Tatsachengrundlage sei. Außerdem habe es sich teilweise um Werturteile gehandelt, die einem Beweis nicht zugänglich sind. Und schließlich sei auch nie behauptet worden, dass die Kritik der Journalistin als grundloser persönlicher Angriff auf jemanden hätte gesehen werden können, oder dass sie in verletzender Absicht geäußert worden wäre. Der EGMR hielt auch fest, dass der Tonfall der Kritik maßvoll ("measured") war und keine persönlichen Beschuldigungen gegen namentlich genannte Mitglieder des Managements vorgebracht wurden.

Der EGMR kommt daher zum Schluss, dass Art 10 EMRK verletzt wurde (Abs. 52 und 53):
"Being mindful of the importance of the right to freedom of expression
on matters of general interest, of the applicant's professional obligations and
responsibilities as a journalist and of the duties and responsibilities of
employees towards their employers, and having weighed up the other different
interests involved in the present case, the Court comes to the conclusion that
the interference with the applicant's right to freedom of expression was not
'necessary in a democratic society'. Accordingly, there has been a violation of
Article 10 of the Convention."

Sunday, July 19, 2009

Räte-Republik-Rundreise (Teil 3): Werberat - don't copy this advice

Auf meiner kleinen Rundreise durch die Räte-Republik (Teil 1, Teil 2) kann ich natürlich am "Österreichischen Werberat" nicht vorbei.

Der Werberat ist eine Selbstregulierungseinrichtung der Werbewirtschaft. Er beschränkt seine Tätigkeit ausschließlich auf "Wirtschaftswerbung" und schließt politische Werbung, Werbung aus dem Bereich Kunst und Kultur sowie von und für Non-Profit-Organisationen ausdrücklich aus seinem Zuständigkeitsbereich aus (Art 2 Abs 2 und 4 der Verfahrensordnung). Der Werberat befasst sich einerseits mit Beschwerden, und andererseits kann er auch "Vorprüfungen von Werbemaßnahmen im Rahmen des Services 'Copy Advice' vornehmen" (Art 2 Abs 7 der Verfahrensordnung).

Bei Beschwerden sieht der Werberat die Abgrenzung der Wirtschaftswerbung sehr eng: so hat er jüngst etwa die Auffassung vertreten, dass es sich bei einem Spiel auf der Website einer "volkstümlichen" Musikgruppe nicht um Wirtschaftswerbung bzw. kommerzielle Kommunikation handle (obgleich die Website zumindest der mittelbaren "Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds" dieser Musikgruppe diente und daher durchaus als kommerzielle Kommunikation angesehen werden könnte).

Anders hält es der Werberat offenbar beim "Copy Advice"-Service. Auch dieses Service sollte nach der Verfahrensordnung nur für Wirtschaftswerbung angeboten werden - ausgerechnet bei der "Es gibt keinen Gott"-Kampagne hat der Werberat aber eine Ausnahme gemacht und eine Vorprüfung durchgeführt. Er hätte es besser nicht getan, denn das Ergebnis ist erschreckend:
"'Wir sind mit einer sehr knappen Mehrheit zur Überzeugung gekommen, dass auch für den Atheismus das Prinzip der Religionsfreiheit gilt', sagte [Werberat-]Geschäftsführer Markus Deutsch." (Der Standard)
Das muss man langsam und nochmals lesen, um es verarbeiten zu können: da erzählt der Geschäftsführer der zentralen Selbstregulierungseinrichtung der österreichischen Werbewirtschaft ganz unbekümmert, dass der Werberat nur mit einer sehr knappen Mehrheit zur Überzeugung gekommen sei, dass die Religionsfreiheit auch für den Atheismus gelte. Mit anderen Worten: fast die Hälfte der Werberatsmitglieder ist offenbar der Ansicht, dass ein elementares Menschenrecht für Atheisten nicht gelten solle (wieviele und welche Werberatsmitglieder an der Entscheidung beteiligt waren, wurde nicht bekannt gegeben, auf der Website des Werberats steht zu diesem Fall gar nichts - ist wohl auch besser so).

Glücklicherweise sind aber die Menschenrechte in Österreich keine Sache der persönlichen Überzeugung von Werberatsmitgliedern. Dennoch ist es zutiefst erschütternd, welches Grundrechtsverständnis bei einem substanziellen Teil der Werberatsmitglieder hier zutage getreten ist.

PS - Falls noch jemand überzeugt werden muss, dass die Religionsfreiheit auch die Freiheit der Atheisten ist: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte betont in ständiger Rechtsprechung die Bedeutung der Religionsfreiheit auch für Atheisten, Agnostiker, Skeptiker und "the unconcerned" - hier ein Zitat aus dem Urteil der Großen Kammer des EGMR vom 10.11.2005, LEYLA ŞAHİN v. TURKEY, Application no. 44774/98:
"The Court reiterates that, as enshrined in Article 9, freedom of thought, conscience and religion is one of the foundations of a 'democratic society' within the meaning of the Convention. This freedom is, in its religious dimension, one of the most vital elements that go to make up the identity of believers and their conception of life, but it is also a precious asset for atheists, agnostics, sceptics and the unconcerned. The pluralism indissociable from a democratic society, which has been dearly won over the centuries, depends on it. That freedom entails, inter alia, freedom to hold or not to hold religious beliefs and to practise or not to practise a religion". [Betonung hinzugefügt]
PPS: Bisherige Stationen Räte-Republik-Rundreise waren der "Medienrat" und der PR-Ethik-Rat; bei Gelegenheit werde ich die Reise fortsetzen und dabei nochmals auf den Werberat zurückkommen

Saturday, July 18, 2009

Spanien: Werbefreiheit für öffentlich-rechtliches Fernsehen - dafür Steuern für Privat-TV und Telcos

Das "französische Modell" zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks macht Schule: ab Jänner 2010 wird auch in Spanien die (teilweise) Werbefinanzierung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens Geschichte sein, dafür werden kommerzielle Veranstalter und Telekomunternehmen mit neuen Abgaben belegt (3% des Umsatzes bei Free-TV-Anbietern [Artículo 6.4 der Regierungsvorlage], 1,5% des Umsatzes bei Pay-TV-Anbietern [Artículo 6.5] und 0,9% der Bruttoeinnahmen bei Telekombetreibern [Artículo 5.10]). Das Gesetz wurde vom Kongress am 8. Juli 2009 beschlossen, es muss nun noch durch den Senat, mit dessen Zustimmung aber gerechnet wird.

PS: das französische Gesetz (LOI n° 2009-258 du 5 mars 2009 relative à la communication audiovisuelle et au nouveau service public de la télévision) kann man hier nachlesen (in französischer Sprache).

Friday, July 17, 2009

TKG-Novelle in Kraft getreten

Die Novelle zum Telekommunikationsgesetz (siehe zum Initiativantrag hier) wurde am 15. Juli 2009 im Bundesgesetzblatt (BGBl I 2009/65) kundgemacht. Da keine besonderen Inkrafttretens- oder Übergangsbestimmungen vorgesehen sind, trat die Novelle am 16. Juli 2009 in Kraft. Gegenüber dem Initiativantrag gab es im Plenum des Nationalrats nur mehr geringfügige redaktionelle Änderungen (Z 4a und Z 20 des Antrags, siehe die Änderungsübersicht), sodass ich für eine inhaltliche Übersicht auf meine Ausführungen zum Initiativantrag verweisen kann; eine Zusammenfassung der Änderungen findet sich auch im aktuellen Telekom Newsletter der RTR.

Update: 27.09.2011/06.10.2011: Die Vorgeschichte zu dieser Novelle ist Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage des Abg. Dr. Pilz; die A1 Telekom Austria AG hat "Spekulationen, wonach es im Zuge der Novellierung des Telekommunikationsgesetzes 2009 zu unrechtmäßigen Absprachen gekommen sei," in einer Presseaussendung zurückgewiesen.

Thursday, July 16, 2009

"Sport Plus": ein kurzes follow up

Mein letzter Beitrag hier befasste sich mit der vom ORF - durch seinen Informationsdirektor - angekündigten Einstellung von Sport Plus (siehe links einen Screenshot vom Bericht auf der ORF-Website; Stand 16.7.2009, 23:45 Uhr; obwohl der Generaldirektor mittlerweile "klargestellt" hat, dass die Einstellung doch noch nicht beschlossen ist, gibt es dazu bislang keine Korrektur, nur eine Folgemeldung).

Ich habe in meinem Post im Wesentlichen nur angemerkt, was ohnehin für jeden, der einen Blick ins ORF-Gesetz wirft, offensichtlich ist: dass nämlich der ORF den Sport-Spartenkanal ohne Gesetzesänderung nicht einfach einstellen kann (besser: nicht einstellen darf). Das ist eine einfache Rechtsfrage, keine Frage nach der medienpolitischen und/oder ökonomischen Sinnhaftigkeit eines Sport-Spartenprogramms im Allgemeinen oder von Sport Plus im Besonderen, und es ist auch keine Frage der aktuellen Sparkonzepte.

Aber auch das Evidente auszusprechen (bzw hier in diesem Blog kurz zu notieren), ist offenbar so ungewöhnlich, dass mein Post von der APA aufgegriffen und zitiert wurde (leider wurde dabei auch auf meinen Beruf Bezug genommen, der aber mit dem Blog nichts zu tun hat). Manche haben meinen schlichten Hinweis auf derzeit geltendes Recht außerdem als medienpolitisches Statement missverstanden. Das war jedenfalls nicht beabsichtigt: dieses Blog befasst sich mit Rechtsfragen und will nicht in eine medienpolitische Diskussion eingreifen.

Für medienpolitische Diskussionen ist der beste Ort ohnehin der Nationalrat: der Nationalratsabgeordnete Mag. Hans Langreiter sagte dazu anlässlich der parlamentarischen Diskussion über die Novelle des ORF-Gesetzes, mit dem die Verpflichtung zum Betreiben des Sport-Spartenprogrammes geschaffen wurde, folgendes (S 273 des Protokolls der 129. Sitzung):
"ich meine, medienpolitische Diskussionen kann man immer ein bisschen indifferent oder differenziell, wie auch immer, führen, eigentlich beides, ist ja Wurscht."

"Der öffentlich-rechtliche Auftrag hat mit der Programmverpflichtung des öffentlich-rechtlichen Senders nichts zu tun"

Natürlich muss man davon ausgehen, dass ORF-Informationsdirektor Oberhauser das ORF-Gesetz zumindest so weit kennt, dass er über die Grundzüge des öffentlich-rechtlichen Auftrags informiert ist. Zu diesen "basics" zählen zB die Bestimmungen über die vom ORF zwingend im Rahmen seines öffentlich-rechtlichen Auftrags zu veranstaltenden Fernsehprogramme, darunter auch gemäß § 3 Abs 8 iVm § 9a ORF-G ein Sport-Spartenprogramm. Das Sport-Spartenprogramm (derzeit als "ORF Sport Plus" bezeichnet) ist also gesetzlich ausdrücklich vorgesehener Pflichtbestandteil des öffentlich-rechtlichen Auftrags und unterliegt als solcher nicht der Disposition des ORF.

Nun berichtet aber (auch) der ORF auf seiner Website, dass ORF Sport Plus "aus Budgetgründen eingestellt" werde. Informationsdirektor Oberhauser habe den Spartenkanal "bereits aus der Budgetplanung für nächstes Jahr gestrichen und die Politik sowie die Bundessportorganisation (BSO) und einzelne Sportverbände darüber informiert, dass der Randsportsender aus dem Programm fallen wird."

Zuständig für die Entscheidung, ob das Sport-Spartenprogramm aus dem Programm fallen wird, ist freilich "die Politik", die Oberhauser nun großzügig informiert hat. Denn ohne Gesetzesänderung geht die Einstellung jedenfalls nicht. Entweder Oberhauser weiß also schon, dass der Gesetzgeber die Verpflichtung zur Veranstaltung des Sport-Spartenprogramms streichen wird, oder seine Budgetplanung ist, mit Verlaub, doch etwas originell.

Besonders bemerkenswert sind auch die weiteren Aussagen des ORF-Informationsdirektors, wie sie der ORF online wiedergibt:
"Sport Plus habe mit der Programmverpflichtung des öffentlich-rechtlichen Senders 'nichts zu tun'. ... Das ist reines Mäzenatentum.'"
Natürlich kann man der Meinung sein, es wäre besser und/oder billiger, würde der öffentlich-rechtliche Auftrag den ORF nicht auch zur Veranstaltung eines Sport-Spartenprogramms verpflichten. Und man könnte dem Gesetzgeber gegenüber den Wunsch äußern, er möge das ORF-Gesetz entsprechend abändern (zumal im laufenden Beihilfeverfahren die eine oder andere Änderung ohnehin erfolgen wird müssen, gerade auch im Hinblick auf das Sport-Spartenprogramm). Aber das hat Oberhauser nach der ORF-Meldung jedenfalls nicht getan, sondern er hat schlicht die mutige Behauptung aufgestellt, ein gesetzlich festgelegter Teil des öffentlich-rechtlichen Auftrags habe "mit der Programmverpflichtung des öffentlich-rechtlichen Senders nichts zu tun".

Wednesday, July 15, 2009

Die Lottosieger: ORF-Bilanz

"Das schnelle Geld. Am Rad drehen, viel Geld und schöne Preise gewinnen" - so bewarb der ORF seine Brieflos-Show , mit der ein Produkt der Österreichischen Lotterien, an denen der ORF praktischerweise Anteile hält, beworben medial unterstützt wurde.

Das schnelle Geld - zumindest in den Büchern - konnte der ORF aber zuletzt auch selbst mit den Lotterien machen - indem er am Rad der Beteiligungsstruktur drehte. Die frühere direkte Beteiligung von 6% an der Österreichischen Lotterien GmbH wurde nämlich "im Berichtsjahr" (2008) in die Lotto Toto Holding GmbH eingebracht, heißt es in der heute in der Wiener Zeitung veröffentlichten Bilanz (die Wiener Zeitung sperrt den Zugang zu diesen Informationen für Nicht-Abonnenten nach sieben Tagen, der Link wird daher nur kurzfristig funktionieren; hier noch der Link zum Konzernabschluss).

Und siehe da, während der Wert aller Beteiligungen des ORF in der Bilanz des Jahres 2007 noch mit € 6,7 Mio zu Buche stand, steht dort nun ein Wert € von 40,9 Mio. Abgängen bei den Beteiligungen von € 5,3 Mio stehen Zugänge von € 39,5 Mio über - ein Lehrbuchbeispiel für "realisierte stille Reserven". Wörtlich heißt es in den Erläuterungen zur Bilanz:
"Im Berichtsjahr hat der ORF seine 6%igen Anteile an der Österreichischen Lotterien Gesellschaft m.b.H in die Lotto Toto Holding GmbH eingebracht. Dafür hat der ORF einen 18,75% igen Anteil an der Lotto Toto Holding GmbH erhalten. Die Werte der Anteile an der Österreichischen Lotterien Gesellschaft m.b.H wurden als Anschaffungskosten für den Anteil der Lotto Toto Holding GmbH angesetzt. Es erfolgte eine Neubewertung des Anteils, wobei die Bewertung entsprechend dem Fachgutachten KFS/BW 1 der Kammer der Wirtschaftstreuhänder durchgeführt wurde. Als Bewertungsverfahren wurde die Barwertermittlung auf Basis von Zahlungsströmungen (DCF-Verfahren) gewählt unter Anwendung eines Kapitalisierungszinssatzes in Höhe von 7,875%. Auf Grundlage dieses angewandten Verfahrens liegt der Wert der Beteiligung an der Lotto Toto Holding GmbH
bei rd. EUR 39,5 Mio."
Diese "Unterstützung der Lotterien" ist damit wohl deutlich mehr wert als jene, die der ORF zuletzt bei der Fernsehserie "Die Lottosieger" bekommen hat.

Nur noch ein kleiner Rückblick zum letzten Rechungshofbericht zum ORF (siehe dazu auch schon hier, hier und hier) - dort heißt es:
"Der RH empfahl, die Beteiligung an der Österreichischen Lotterien Gesellschaft m.b.H. und Teile der Wertpapiere zu veräußern."
Der ORF habe laut RH dazu vorgebracht, dass bei den Anteilen an der Österreichischen Lotterien Gesellschaft m.b.H. zu berücksichtigen sei, "dass diese ein überaus wichtiger Partner des ORF ist. Eine über diese Position des Geschäftspartners hinausgehende Einflussmöglichkeit bringe dem ORF auch finanzielle Vorteile."

Das sieht man vielleicht bei der Serie "Die Lottosieger", aber natürlich auch bei der ex lege nicht als Product Placement geltenden Werbung medialen Unterstützung des Glücksspiels durch den ORF. So heißt es in § 14 Abs 5 ORF-Gesetz: "Die mediale Unterstützung gemäß § 17 Abs. 7 des Glücksspielgesetzes gilt nicht als Product-Placement."
§ 17 Abs 7 Glücksspielgesetz lautet: "Der Konzessionär sorgt für die generelle mediale Unterstützung. Zur Erlangung dieser medialen Unterstützungsleistungen kann der Konzessionär privatrechtliche Vereinbarungen mit öffentlichen und privaten Medienpartnern sowie gemeinnützigen Organisationen abschließen."

PS - falls sich jemand über das Bild zu diesem Post wundert: Auch auf den ärgsten Baustellen findet man gelegentlich einen Goldesel - so könnten sich die Ersteller der ORF Bilanz bei der Hebung der stillen Reserven gefühlt haben.

Update 17.01.2011: am 17.01.2011 wurde Dietmar Hoscher, Vorstand der Casinos Austria AG, Mitglied des ORF-Stiftungsrates (Bericht zB im Standard hier); die Casinos Austria AG ist Mehrheitsgesellschafterin der Österreichischen Lotterien GmbH, an der der ORF über die Lotto Toto Holding GmbH beteiligt ist.

Monday, July 13, 2009

Karneval: "alles, was sich ein Intendant eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders nur wünschen kann"

Kleine Quizfrage: Was machen
am 17. September 2009 in Wien?

Genau: sie sprechen im Rahmen einer parlamentarischen Enquete (siehe dazu hier) über die "Zukunftschancen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus europäischer Sicht". Denn die drei Ordens- und Funktionsträger sind Fritz Pleitgen (im Enquete-Programm noch als "Präsident EBU" bezeichnet - irgendwer muss da einen schon etwas älteren Lebenslauf bei der Hand gehabt haben), Horst Bachmann (Vorsitzender der KEF, der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, der seine Karnevals-Funktion tatsächlich im Kurzlebenslauf auf der KEF-Website anführt) und schließlich Markus Schächter (Intendant des ZDF und laut einer Laudatio [2006] Inhaber von 60 "Ämtern und Funktionen").

Aus dieser "Laudatio des Oberbürgermeisters Fritz Schramma auf Herrn Markus Schächter, Intendant des ZDF, anlässlich seiner Ernennung zum Ehrenmitglied des Corps à la Suite der Ehrengarde" stammt auch das Zitat in der Überschrift:
"Die Ehrengarde-Sitzung beinhaltet also alles, was sich ein Intendant eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders nur wünschen kann: Kultur, Information, Unterhaltung für jung und alt und eine gehörige Portion Witz."
Aber das werden die Karnevals- und Rundfunkexperten aus Deutschland in Österreich niemandem lange erklären müssen: im Jahr 2007 etwa lag der "Villacher Fasching" an vierter Stelle der meistgesehenen Sendungen im ORF (im Jahr 2008 drängten sich die Topspiele der Fußball-EM vor und verwiesen den Villacher Fasching auf Rang 12). Allerdings sinken die Quoten: 2006 erreichte die Sendung eine Durchschnittsreichweite von 1,68 Mio, 2007 waren es 1,54 Mio und 2008 nur mehr 1,35 Mio. Ob also "Mehr Karneval!" die Zukunftschancen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verbessert?

Friday, July 10, 2009

Coming up: ein "Public Value"-September mit Rundfunkforum und Parlamentsenquete

Am 17. und 18. September 2009 findet in Wien das 5. Österreichische Rundfunkforum, veranstaltet vom Forschungsinstitut für das Recht der elektronischen Massenmedien (REM), statt. Der Termin wurde schon beim 4. Rundfunkforum im September 2008 festgelegt, und auch das Thema steht seit längerem fest: "Public Value". Als daher vor zwei Wochen bekannt wurde, dass der Nationalrat für den 16. September 2009 eine Enquete zum Thema "Öffentlich-rechtlicher Rundfunk – Medienvielfalt in Österreich" plante, schien das bestens zusammenzupassen: zunächst eine eher medienpolitische Erörterung im Parlament, und an den nächsten beiden Tagen dann die überwiegend auf rechtliche Fragen hin ausgerichtete Veranstaltung des REM, mit dem engeren Fokus auf "Public Value".

Nun gibt es zwar eine leichte Terminkollision, denn der Nationalrat wird seine Enquente erst am 17. September abhalten, sodass es am Nachmittag zu einer teilweisen Überschneidung mit dem Rundfunkforum kommt. Das wird aber dem 5. Rundfunkforum keinen Abbruch tun - unter anderem stehen folgende Vorträge auf dem Programm:
Die Einladung zum 5. Rundfunkforum wird demnächst versandt werden [full disclosure: ich bin Vorstandsmitglied des Veranstalters].

Im Parlament wird es dafür grundsätzlich hergehen, neben den führenden österreichischen Medienpolitikern und - wenn's wahr ist - EG-Wettbewerbskommissarin Nellie Kroes werden in einem ersten Themenblock zu den Zukunftschancen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unter anderem Armin Walpen (bald ex-SRG-Chef; "hinterlässt einen Scherbenhaufen" schrieb die NZZ vor kurzem) und Fritz Pleitgen (längst ex-ARD-Chef und mittlerweile auch schon ex-EBU-Chef) Statements abgeben. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk scheint die Zukunft offenbar vor allem in der Weisheit des Alters zu liegen: das Publikum wird immer älter, die Qualitätssicherung im ORF erfolgt durch einen Experten mit langer Berufs- und danach noch Konsulentenerfahrung - und schließlich sind die ORF-Retter ja auch im Schnitt 67.

Deutlich jünger ist von den an der Parlamentsenquete teilnehmenden Vertretern der öffentlich-rechtlichen Anstalten (neben ORF-GD Alexander Wrabetz) nur Mark Thompson, Generaldirektor der BBC (vielleicht kann sich der ORF-Generaldirektor Unterstützung holen für allfällige Gehaltsverhandlungen: Armin Walpen [von Blick als "Porsche-Walpen" bezeichnet] erhielt im Jahr 2008 immerhin - inklusive Boni - rund 460.000 €; Mark Thompson bekam gar etwa 950.000 €). Die ganze Liste der zur Parlamentsenquete eingeladenen Herren (Kommissarin Kroes ist tatsächlich die einzige Frau in dieser Riege) steht im Standard (update 21.07.2009: nun steht die Liste der Teilnehmer und die Tagesordnung auch hier auf der Parlaments-Website).

Noch etwas Neues bringt der Herbst in Sachen "public vlaue": auf der Website http://www.public-value.at/, die im Rahmen eines Projektes der FH Wien erstellt wird, soll es "viele spannende Dinge zum Thema Public Value zu entdecken geben" (so verspricht es jedenfalls der auf dieser Site derzeit zu findende Teaser).

Wednesday, July 08, 2009

Neue "Nummerierungs-Verordnung": KEM-V 2009 kundgemacht

Die Verordnung der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH, mit der Bestimmungen für Kommunikationsparameter, Entgelte und Mehrwertdienste festgelegt werden (Kommunikationsparameter-, Entgelt- und Mehrwertdiensteverordnung 2009 – KEM V 2009) wurde gestern im Bundesgesetzblatt kundgemacht (Direktlink zum Text, die umfangreichen Anlagen betreffen nur die geografische Abgrenzung der Ortsnetze). Mit 129 Paragraphen ist die KEM-V wiederum etwas länger geworden und nur mehr knapp unter der Paragraphenanzahl des TKG 2003.

Die KEM-V 2009 stellt eine völlige Neuerlassung der bisherigen KEM-V dar; laut RTR gibt es folgende wesentliche inhaltliche Änderungen:
  • "befristete Erweiterung der Ausnahme der Mehrwertdienste-Definition neben der Nachrichtendienste auch für Sprachdienste,
  • Anpassung der Nutzungsfristen zum Zwecke einer vereinfachten Administration auf Seiten der Betreiber und der Regulierungsbehörde,
  • Anpassungen in den Bestimmungen zu den Mehrwertdiensten zum besseren Schutz der Nutzer und einer erhöhten Transparenz und
  • allgemein kleinere Änderungen als Beitrag zur Verbesserung sowie der leichteren Verständlichkeit der Bestimmungen."
Ich habe mir die Details noch nicht angeschaut; zur Unterstützung des Vergleichs hat die RTR auf ihrer KEM-V-Seite dankenswerterweise nicht nur Erläuterungen, sondern auch eine Hilfsdatei mit Änderungsmarkierungen zur Verfügung gestellt. Und für die wahren Fans gibt es nun auch eine kml-Datei, um sich die Ortsnetzabgrenzung in Google Earth anzuschauen: hier der Link zur gezippten kml-Datei.

PS: besonders hervorheben muss ich noch, dass die RTR nun endlich auch einen RSS-Feed für ihre aktuellen Meldungen bereitstellt. Das Service wäre freilich noch ausbaubar: Feeds wären insbesondere auch für alle Entscheidungsveröffentlichungen (differenziert nach den Sachmaterien) wünschenswert.

Saturday, July 04, 2009

TV2 - ein Fernsehspiel in Fortsetzungen: restrukturieren, retten, umstrukturieren, ...

Vor kurzem habe ich im Zusammenhang mit den diversen ORF-Rettern auf das Instrument der "Rettungsbeihilfe" im Gemeinschaftsrecht hingewiesen (nachzulesen hier), die allerdings im Hinblick auf den ORF nicht zur Diskussion steht.

Anders in Dänemark: dort wird ja seit langem versucht, irgendwie eine Zukunft für TV2 zu finden, ob öffentlich-rechtlich, privat bzw. kommerziell - oder auch irgendwie beides gemeinsam. Klar ist jedenfalls, dass der Sender immer wieder Geld braucht und manchmal auch bekommt - was wiederum zu diversen Beihilfeverfahren vor der Kommission geführt hat - die dann auch vor Gericht weitergeführt wurden und werden. Vor dem EuG noch offen ist die Sache T-12/05 TV Danmark ua / Kommission und T-16/05 Viasat / Kommission (gegen die Kommissionsentscheidung N 313/2004); vor dem EuG erledigt, mit für TV2 günstigem Ausgang, ist die Sache T-309/04 TV2/Kommission ua (betreffend die Kommissionsentscheidung C 2/2003, Amtsblatt am 23. März 2006); siehe dazu hier, hier und hier.

Nun hat die Kommission die vertiefte Prüfung der von der dänischen Regierung gewährten Umstrukturierungsbeihilfe angekündigt (Presseaussendung; der Beschluss der Kommission ist noch nicht veröffentlicht, er wird demnächst auf dieser Case-Site verfügbar sein). Im vergangenen Jahr hatte die Kommission schon eine Rettungsbehihilfe in Form eines Darlehens für TV2 genehmigt, nun geht es um die Umstrukturierung.

Die Kommission will drei Fragen klären:
  1. Ist angesichts der finanziellen Aussichten von TV 2 Danmark A/S davon auszugehen, dass das Unternehmen ohne langfristige staatliche Unterstützung nicht auf dem Markt bestehen könnte?
  2. Würde sich die Einführung von Gebühren für das öffentlich-rechtliche Programm TV 2 insgesamt positiv auf den Wettbewerb auswirken und sollten diese Gebühren bis 2012 automatisch, d. h. ohne eine vorherige Marktuntersuchung, eingeführt werden?
  3. Ist die einzige Maßnahme, die vorgeschlagen wurde, um beihilfebedingte Wettbewerbsverzerrungen abzufedern, nämlich der Verzicht auf neue Pay-TV-Programme, angesichts der starken Position von TV 2 auf dem dänischen Markt angemessen?

Da die Beihilfe nicht nur dem öffentlich-rechtlichen Programm TV 2 zugute kommt, sondern auch den kommerziellen Tätigkeiten der Rundfunkanstalt, kommen die besonderen Regeln für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (siehe dazu insbesondere die Rundfunkmitteilung) nicht zur Anwendung.

Thursday, July 02, 2009

Die neue Rundfunkmitteilung, eine erste "Differenzanalyse"

Nach zwei Konsultationen (und Abwarten der Parlamentswahl) hat die Kommission heute die lange angekündigte Neufassung der "Rundfunkmitteilung" beschlossen ("Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk", siehe auch die Presseaussendung dazu; außerdem die Beiträge bisher in diesem Blog hier, hier und hier; update 27.10.2009: heute wurde die Mitteilung im Amtsblatt veröffentlicht). Substanzielle Änderungen gegenüber dem Konsultationsentwurf sind erwartungsgemäß nicht auszumachen; dennoch hier einmal eine Übersicht über die vorgenommenen Änderungen (im Vergleich zum zweiten Konsultationsentwurf).
  • Ein weiterer ausdrücklicher Hinweis auf das Amsterdam-Protokoll findet sich nun in Absatz 3 (am Ende).
  • Eine kurze Darlegung des Inhalts der Empfehlung des Europarates betreffend den Auftrag der öffentlich-rechtlichen Medien in der Informationsgesellschaft (Absatz 14).
  • Absatz 29 wurde (nur redaktionell?) gestrafft: Bisher hieß es: "Dabei muss die Kommission alle rechtlichen und wirtschaftlichen Elemente berücksichtigen, die für das Rundfunksystem des jeweiligen Mitgliedstaates von Bedeutung sind. Obgleich die rechtlichen und wirtschaftlichen Elemente, die für eine solche Prüfung relevant sind, in allen bzw. in den meisten Mitgliedstaaten Gemeinsamkeiten aufweisen, befürwortet die Kommission eine Einzelfallprüfung" - nunmehr: "Angesichts all der Elemente, die für die Rundfunksysteme der einzelnen Mitgliedstaaten von Bedeutung sind, befürwortet die Kommission eine Einzelfallprüfung".
  • Redaktionell geändert wurde in Absatz 31 die Aufzählung der Prüfreihenfolge.
  • In Abs. 40 wurde eingefügt, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung der Kommission "vor allem auf der Grundlage der von den Mitgliedstaaten vorzulegenden Informationen" erfolgt.
  • Die aus österreichischer Sicht interessante "Kleinstaatenklausel" in Absatz 42 wurde wieder etwas abgeschwächt, denn die Kommission muss demnach, wenn sie den "Schwierigkeiten mancher kleiner Mitgliedstaaten" Rechnung trägt, neu "dabei aber auch die potenziellen [!] Bedenken vonseiten anderer Medien in diesen Mitgliedstaaten berücksichtigen."
  • In Abs. 47 wurde ein weiterer (durchaus selektiver) Hinweis auf die Rechtssache T-442/03 SIC eingefügt: "Wie das Gericht erster Instanz festgestellt hat, rechtfertigt sich ein derart weit gefasster öffentlich-rechtlicher Auftrag nur, wenn an die Dienstleistungen öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten qualitative Anforderungen gestellt werden".
  • In Abs. 48 werden drei wichtige Worte eingefügt (in der Folge fett hervorgehoben): "Die Kommission hat weder zu entscheiden, welche Programme als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse anzubieten und zu finanzieren sind, ..."
  • Im selben Absatz wird bei der Aufzählung von Tätigkeiten, die in der Definition des öffentlich-rechtlichen Auftrags einen offensichtlichen Fehler darstellen würden, statt wie im Entwurf auf "kommerzielle Gewinnspiele" nun auf die "Verwendung von Mehrwert-Telefonnummern für Gewinnspiele" verwiesen - mit einer Fußnote auf - welche Überraschung - die "Quiz Express"-Entscheidung des EuGH (dazu zuletzt hier); der Hinweis auf unverhältnismäßige Wettbewerbsverzerrungen und die Beeinträchtigung des
    grenzüberschreitenden Handels in diesem Absatz ist weggefallen.
  • Eine eher nur redaktionelle Ännderung erfolgte in Absatz 52, demnach kann die Betrauung mit einem neuen Dienst "unmittelbar durch die in Abschnitt 6.7. dargelegte Prüfung" erfolgen (statt bisher nach der).
  • Eine nette Änderung gibt es auch in Absatz 54: den Mitgliedstaaten obliegt es demnach nicht mehr, wie noch nach dem Entwurf, "nötigenfalls geeignete Abhilfemaßnahmen zu beschließen", sondern diese "zu veranlassen" - der bloßen Beschlussfassung traut die Kommission also nicht.
  • Eine geringfügige redaktionelle Anpassung gibt es im ersten Satz des Abs. 61.
  • Eine gewisse Relativierung lässt Abs. 70 zur Überkompensierung erkennen (die fett hervorgehobenen Worte wurden neu eingefügt): "stellt eine Überkompensierung grundsätzlich eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe dar, die gemäß den in diesem Abschnitt enthaltenen Ausführungen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk an den Staat zurückzuzahlen ist."
  • Das zieht sich in Abs. 71 weiter - auch hier wurde ein relativierendes "grundsätzlich" eingefügt: "... darf jedoch der Betrag der öffentlichen Ausgleichszahlung grundsätzlich die Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags auch unter Berücksichtigung anderer direkter oder indirekter Einnahmen aus diesem Auftrag nicht übersteigen."
  • In Abs. 73 formuliert die Kommission nun - im Hinblick auf "jährliche Überkompensierungen" etwas strikter: diese dürfen nur mehr zur Sicherung der FInanzierung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen einbehalten werden (an der 10%-Daumenregel ändert sich dadurch nichts); darüber hinausgehende Überkompensierungen sind nunmehr nicht nur "grundsätzlich", sondern "grundsätzlich ohne unangemessene Verzögerung" zurückzufordern.
  • Redaktionelle Anpassungen finden sich auch bei den außerordentlichen Rücklagen (Abs. 74 bis 76) sowie in der Folge bei den Finanaufsichtsmaßnahmen (Abs. 77 bis 79).
  • Verknappt wurde Abs. 80: nunmehr geht es nur mehr um die Frage,
    "inwiefern die Beihilfenvorschriften [nicht: das Protokoll von Amsterdam] auch auf audiovisuelle Dienste anwendbar sind, die über herkömmliche Rundfunktätigkeiten hinausgehen".
  • In Abs. 81 ist die Feststellung der Kommission entfallen, "dass eine Reihe von Mitgliedstaaten die Finanzierung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten dadurch erleichtern wollen, dass sie es ihnen gestatten, im Rahmen ihres öffentlich-rechtlichen Auftrags neue audiovisuelle Dienste gegen direkte Bezahlung vonseiten der Zuschauer anzubieten." Dafür wurde in diesem Absatz eingefügt, dass die Rundfunkveranstalter die neuen Finanzierungsquellen nicht einfach nur "in zunehmendem Maße" nutzen, sondern dies "bei der Erfüllung ihres öffentlich-rechtlichen Auftrags" tun.
  • In Abs. 83 erfolgte für Dienste mit Entgeltelement eine etwas genauere Spezifizierung; es kommt darauf an, dass "das Entgeltelement nicht die besondere Charateristik des öffentlich-rechtlichen Dienstes in Frage stellt, die in der Befriedigung sozialer, demokratischer und kultureller Bedürfnisse der Gesellschaft besteht und anhand deren sich der öffentlich-rechtliche Dienst von rein kommerziellen Tätigkeiten unterscheidet."
  • In Abs. 85 ist die folgende Erläuterung zum Begriff der neuen Dienste entfallen: "Wenn beispielsweise Inhalte, die bereits über eine herkömmliche Verbreitungsplattform (wie Fernsehen oder Radio) ausgestrahlt werden, lediglich gleichzeitig über eine neue Plattform (wie Internet oder Mobilgeräte) verbreitet werden, so ist dies nicht als 'neuer' Dienst zu betrachten."
  • In Abs. 88 wurden die Anforderungen an das markte impact assessment neu formuliert; nun heißt es:
    "Im Rahmen der Prüfung der Auswirkungen auf den Markt sind beispielsweise folgende Aspekte zu untersuchen: das Vorhandensein ähnlicher bzw. substituierbarer Angebote, der publizistische Wettbewerb, die Marktstruktur, die Marktstellung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt, der Grad des Wettbewerbs und die potenziellen Auswirkungen auf Initiativen privater Marktteilnehmer. Diese Auswirkungen müssen gegen den Wert abgewogen werden, die die betreffenden Dienste für die Gesellschaft haben. Sind die Auswirkungen auf den Markt überwiegend nachteilig, so dürfte eine staatliche Finanzierung zugunsten der audiovisuellen Dienste nur dann verhältnismäßig sein, wenn sie durch den Mehrwert, der sich aus der Erfüllung sozialer, demokratischer und kultureller Bedürfnisse der Gesellschaft ergibt, gerechtfertigt ist, wobei auch das gesamte bestehende öffentlich-rechtliche Angebot zu berücksichtigen ist."
  • In Abs. 95 verlangte die Kommission im Entwurf eine Prüfung, ob öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten "im Zusammenhang mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag systematisch überhöhte Gebote für Premiumprogrammrechte abgeben" - nun wurde diese Formulierung in eine Fußnote verbannt, der Text fragt bloß noch, "ob sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf den Erwerb von Premiumrechten einhalten".
  • Neu gegenüber dem Konsultationsentwurf ist der Abschnitt 7 über die zeitliche Begrenzung der Anwendung, nach denen die neue Mitteilung auf alle angemeldeten Beihilfen angewendet wird, wenn die Entscheidung nach der Veröffentlichung der Mitteilung im Amtsblatt erfolgt; bei nicht gemeldeten Beihilfen wird auf zuvor gewährte Beihilfen noch die alte Mitteilung angewendet.

EGMR: VgT gegen Schweiz (Nr 2)

Hartnäckigkeit kann man dem Verein gegen Tierfabriken Schweiz (VgT) wirklich nicht absprechen - der vor zwanzig Jahren gegründete Verein verfolgt seine Ziele mit äußerster Konsequenz, nicht zuletzt auch in seinen Medienkampagnen. Nun hat der VgT ein zweites Mal vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Recht bekommen und eine weitreichende Grundsatzentscheidung herbeigeführt.

Die Vorgeschichte geht in das Jahr 1994 zurück. Damals lehnte das Schweizer Fernsehen die Ausstrahlung eines VgT-Werbespots ab, in dem unter anderem die Massenhaltung von Schweinen mit Zuständen in Konzentrationslagern verglichen wurde. Der VgT schöpfte alle innerstaatlichen Rechtsmittel bis hin zum Bundesgericht aus, blieb aber - wegen des in der Schweiz geltenden Verbots politischer Werbung im Fernsehen - erfolglos.

Der EGMR stellte allerdings in seinem Urteil vom 28. Juni 2001, VgT gegen Schweiz, eine Verletzung des Art 10 EMRK fest. Wörtlich heißt es in diesem Urteil unter anderem:
"In the Court’s opinion ... the domestic authorities have not demonstrated in a 'relevant and sufficient' manner why the grounds generally advanced in support of the prohibition of political advertising also served to justify the interference in the particular circumstances of the applicant association’s case.
... It therefore mattered little that the pictures and words employed in the commercial at issue may have appeared provocative or even disagreeable."
Im Lichte des nun vorliegenden zweiten Urteils des EGMR vom 30. Juni 2009 in Sachen VgT gegen Schweiz (Nr. 2) sind aus dem ersten Urteil vom 28. Juni 2001 noch folgende Passagen hervorzuheben:
"The Government have also submitted that admitting the applicant association’s claim would be to accept a 'right to broadcast' which in turn would substantially interfere with the rights of the Commercial Television Company to communicate information. ... The Court recalls that its judgment is essentially declaratory. Its task is to determine whether the Contracting States have achieved the result called for by the Convention. ... It is not the Court’s task to indicate which means a State should utilise in order to perform its obligations under the Convention". (Betonung hinzugefügt)
Der VgT ließ es nicht mit dem feststellenden Urteil des EGMR bewenden, sondern versuchte beim Schweizer Bundesgericht die Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen und die Ausstrahlung des Werbespots aus dem Jahr 1994 durchzusetzen. Das Bundesgericht gab diesem Begehren keine Folge, gestützt vor allem auf eine im Einzelnen dargelegte verfahrensrechtliche Argumentation, aber auch unter Hinweis darauf, dass es dem VgT wohl weniger um die Ausstrahlung des alten Werbespots gehe als um die Öffentlichmachung des EGMR-Urteils, in dem eine Verletzung des Rechts des VgT auf freie Meinungsäußerung festgestellt wurde.

Gegen die negative Entscheidung des Bundesgerichts über die Wiederaufnahme des Verfahrens wandte sich der VgT neuerlich an den EGMR. Mit Urteil der 5. Kammer des EGMR vom 4. Oktober 2007 wurde festgestellt, dass die Weigerung, das Verfahren wieder zu eröffnen, eine neuerliche Verletzung des Art 10 EMRK darstellte. Die Schweizer Regierung beantragte daraufhin eine Entscheidung durch die Große Kammer des EGMR, die nun im Urteil vom 30. Juni 2009, VgT gegen Schweiz (Nr. 2), jedoch - mit 11 zu 6 Stimmen - zum selben Ergebnis kam (siehe dazu auch die Presseaussendung des EGMR).

Hätte sich das Bundesgericht auf eine rein prozedurale Argumentation zurückgezogen, wäre es vielleicht nicht zur neuerlichen Verurteilung der Schweiz durch den EGMR gekommen - der Hinweis auf das (angeblich) weggefallene Interesse des VgT an der Ausstrahlung des alten Werbespots eröffnete dem EGMR allerdings einen Ansatzpunkt:
"The Court observes in particular that in dismissing the application to reopen the proceedings, the Federal Court mainly relied on new grounds, namely that because of the time that had elapsed, the applicant association had lost all interest in having the commercial broadcast. By comparison, one of the main arguments put forward by the domestic authorities in refusing permission to broadcast the commercial in the first set of proceedings brought by the applicant association related to the prohibition of political advertising. Accordingly, in the opinion of the Federal Court itself, the general context had evolved to such an extent that it was legitimate to wonder whether the applicant association still had an interest in broadcasting the commercial. That is sufficient to warrant the conclusion that the refusals received after the Court's judgment of 28 June 2001 constitute relevant new information capable of giving rise to a fresh violation of Article 10."
Und auch inhaltlich gab es für die Schweiz in der Sache nichts zu gewinnen - hier die wesentlichen Passagen aus der Begründung des EGMR:

"92. The Court reiterates that there is little scope under Article 10 § 2 of the Convention for restrictions on political speech or, as in this case, on debate of questions of public interest ... This applies all the more in the instant case, having regard to the Court's judgment of 28 June 2001. Moreover, the television commercial concerned battery pig-farming. Accordingly, as it related to consumer health and to animal and environmental protection, it was undeniably in the public interest.
93. The Court further notes that the television commercial was never broadcast, even after the Court's judgment had found that the refusal to broadcast it infringed freedom of expression. However, prior restraints on publication entail such dangers that they call for the most careful scrutiny ...
94. Furthermore, the Court has already found, in its judgment of 28 June 2001, that the interference in issue was not necessary in a democratic society, among other reasons because the authorities had not demonstrated in a relevant and sufficient manner why the grounds generally advanced in support of the prohibition of “political” advertising could serve to justify the interference in the particular circumstances of the case (see Verein gegen Tierfabriken (VgT), cited above, § 75). The Federal Court subsequently dismissed the applicant association's application to reopen the proceedings on the ground that the association had not provided a sufficient indication of its position as to the nature of “the amendment of the judgment and the redress being sought”, as it was formally required to do by section 140 of the former Federal Judicature Act (see paragraph 29 above). On this point, the Grand Chamber shares the view expressed in paragraph 62 of the Chamber judgment that this approach is overly formalistic in a context in which it is clear from the circumstances as a whole that the association's application necessarily concerned the broadcasting of the commercial in question, which had been prohibited by the Federal Court itself on 20 August 1997.
95. The Federal Court further held that the applicant association had not sufficiently shown that it still had an interest in broadcasting the commercial. As the Chamber observed in paragraph 62 of its judgment, the Federal Court thereby took the place of the applicant association, which alone was competent at that stage to judge whether there was still any purpose in broadcasting the commercial. The Grand Chamber shares that view. It further observes that the public interest in dissemination of a publication does not necessarily decrease with the passing of time (see, to similar effect, Editions Plon v. France, no. 58148/00, § 53, ECHR 2004-IV). Moreover, the Federal Court did not offer its own explanation of how the public debate on battery farming had changed or become less topical since 1994, when the commercial was initially meant to have been broadcast. Nor did it show that after the Court's judgment of 28 June 2001 the circumstances had changed to such an extent as to cast doubt on the validity of the grounds on which the Court had found a violation of Article 10. ...
96. Furthermore, the argument that the broadcasting of the commercial might be seen as unpleasant, in particular by consumers or meat traders and producers, cannot justify its continued prohibition. The Court reiterates in this connection that freedom of expression is applicable not only to “information” or “ideas” that are favourably received or regarded as inoffensive or as a matter of indifference, but also to those that offend, shock or disturb. Such are the demands of pluralism, tolerance and broadmindedness without which there is no “democratic society” ...
97. The Court notes, lastly, that the Contracting States are under a duty to organise their judicial systems in such a way that their courts can meet the requirements of the Convention (see mutatis mutandis, Bottazzi v. Italy [GC], no. 34884/97, § 22, ECHR 1999-V, and the case-law cited therein). This principle also applies to the execution of the Court's judgments. Accordingly, it is equally immaterial in this context to argue, as the Government did, that the Federal Court could not in any event have ordered that the commercial be broadcast following the Court's judgment. The same is true of the argument that the applicant association should have instituted civil proceedings."

Zum materiellen Gehalt des Art 10 EMRK bringt das neue EGMR-Urteil nicht viel Neues, sondern im Kern bloß die Bestätigung des ersten VgT-Urteils aus dem Jahr 2001 (zu dem nach Art 10 EMRK unzulässigen gänzlichen Verbot politischer Werbung im Fernsehen siehe inzwischen auch den Fall TV Vest, siehe dazu hier). Von weit reichender Bedeutung aber sind die Aussagen zu den Verpflichtungen der Konventionsstaaten im Hinblick auf die Umsetzung von Entscheidungen des EGMR, die weit in die Organisation des Gerichtswesens hineinreichen.

Wednesday, July 01, 2009

Public Service Teleshopping und "transactional TV gambling services"

Auf dem österreichischen Fernsehmarkt war der "Quiz Express", die Call-In-Show des öffentlich-rechtlichen ORF, kein durchschlagender Erfolg. Laut Stellungnahme des ORF gegenüber dem Bundeskommunikationssenat (siehe dazu bereits hier) hat der "Quiz Express" "keine Erträge abgeworfen" (mit anderen Worten: musste durch Einnahmen aus den Programmentgelten mitfinanziert werden!); abgesehen davon war dieses ORF-Angebot Teleshopping und damit gesetzwidrig, wie der BKS in seinem Bescheid vom 1. September 2008 feststellte (die Sendung ist mittlerweile eingestellt).

Umso nachhaltiger ist der Erfolg dieser Sendung auf europäischer Ebene: wer immer sich mit europäischem Rundfunkrecht und Rundfunkregulierung beschäftigt, kommt nämlich an dem in der "Quiz Express"-Causa ergangenen EuGH-Urteil (C-195/06 KommAustria / ORF) nicht vorbei. Auch der aktuelle siebente Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 89/552/EWG "Fernsehen ohne Grenzen" (KOM(2009)309 vom 20.6.2009) stellt diese Sache gleich an den Anfang des Kapitels über die Anwendung der Werbevorschriften.

Ansonsten ist zu diesem Bericht nicht viel anzumerken, die Kommission erledigt ihre Verpflichtung nach Art 26 der Fernsehrichtlinie, alle zwei Jahre einen Bericht über die Anwendung dieser Richtlinie zu erstellen, mittlerweile routiniert und ziemlich uninspiriert. Der Bericht umfasst schlanke elf Seiten und enthält neben einer groben Skizze des Richtlinienrechts (sowohl in der alten als auch in der bis spätestens 19. Dezember 2009 umzusetzenden Fassung) nur eine eher kursorische und beliebig wirkende Aufzählung verschiedener von der Kommission für relevant erachteter Entwicklungen der beiden vergangenen Jahre. Wirklich Neues erfährt man daraus nicht.

Public Service Teleshopping?
Während in Österreich Teleshopping im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (noch) unzulässig ist, gehen die Briten wieder einmal einen Schritt voraus. Mit einer Änderung des COSTA (Code on scheduling of TV advertising) wird nun auch den öffentlich-rechtlichen TV-Veranstaltern im Vereinigten Königreich die Möglichkeit eingeräumt, bis zu sechs Stunden Teleshopping anzubieten (zwischen 0 und 6 Uhr).

Außerdem hat die britische Regulierungsbehörde Ofcom Änderungen bei der regulatorischen Beurteilung von "transactional TV gambling channels" vorgenommen. Solche Spiele-Sender standen früher unter einer allgemeinen Lizenz als redaktionelle Programme - in Hinkunft werden auch diese Programme als Teleshopping klassifiziert. Mit anderen Worten: Was früher als redaktioneller Inhalt - auch öffentlich-rechtlicher Sender - durchging, wird nun neu als Teleshopping qualifiziert.
Sicher ein Schritt zu mehr Ehrlichkeit - aber irgendwie wirkt es doch merkwürdig, wenn auch Public Service-Broadcastern Formate zugestanden werden, bei denen ein öffentlich-rechtlicher Mehrwert jedenfalls nicht leicht zu erkennen ist. Dass aber die Definition von Public Service-Aufträgen für Rundfunkveranstalter Sache der Mitgliedstaaten ist und diese dabei über weites Ermessen verfügen, hat das EU-Gericht erster Instanz zuletzt etwa in der Sache TV2 (siehe dazu hier) betont; ähnlich auch der EuGH in der Rs C-222/07 UTECA (siehe dazu hier). Die Mitgliedstaaten dürften sogar Must Carry-Verpflichtungen für Teleshopping-Angebote festlegen (siehe dazu hier).

Zumindest in einem Punkt hatte das deutsche Bundesverfassungsgericht in seinem letzten Rundfunk-Leiturteil vom September 2007 recht: "Rundfunk kann für die Verfolgung nicht nur publizistischer, sondern auch wirtschaftlicher Ziele eingesetzt werden."

PS - weil es sachlich dazupasst: die sogenannte "Gewinnspielsatzung" der deutschen Landesmedienanstalten ermöglicht es offenbar, dass nun auch Minderjährige bei Call In-Sendungen angesprochen werden - als hätte es noch eines weiteren Belegs für die Qualität dieses "Regulierungsinstruments" bedurft (siehe dazu in diesem Blog zB schon hier und hier).
Update (10.08.2009): Nach einem Bericht in DWDL.de hat 9Live beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einen Antrag auf einen Normenkontrolle hinsichtlich der Gewinnspielsatzung gestellt; ungeachtet dessen will sich der Sender aber neu positionieren, da Call-In-Formate nicht mehr so gut laufen.