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Wednesday, August 31, 2016

BEREC-Leitlinien zur Netzneutralität - oder: als wieder einmal das Internet gerettet wurde (oder auch nicht)

"Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch." Mit diesen Worten Hölderlins kann man das Narrativ zusammenfassen, das von NetzaktivistInnen rund um die gestern veröffentlichten BEREC-Leitlinien zur Netzneutralität gewoben wurde: Die Netzneutralität sei in großer Gefahr gewesen und nun von der Zivilgesellschaft gerettet worden ("Zivilgesellschaft rettet Netzneutralität", titelte etwa MEP Julia Reda, um nur ein Beispiel von vielen zu zitieren).

Dass fast eine halbe Million Menschen im Konsultationsverfahren zu den BEREC-Leitlinien Stellung genommen haben, ist natürlich ein deutliches politisches Signal. Das ändert aber nichts daran, dass die tatsächliche Bedeutung der Leitlinien eine andere (und zwar: deutlich geringere) ist als sie etwa den von der US-Regulierungsbehörde FCC erlassenen Regelungen zum "Open Internet" zukommt: Während die FCC Regelungen schafft, können die BEREC-Leitlinien nur die bestehenden Regeln der Netzneutralitäts-Verordnung" unverbindlich auslegen. Daher zunächst ein paar Basics zu dieser Verordnung, bevor ich mehr zu den Leitlinien schreibe:

Die "Netzneutralitäts-Verordnung"
Seit 30. April dieses Jahres gilt in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union - unmittelbar, ohne nationale Umsetzungsmaßnahmen - die Verordnung (EU) 2015/2120 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet*), oft auch kurz als "Netzneutralitäts-Verordnung" bezeichnet (obwohl das Wort Netzneutralität darin gar nicht vorkommt). Der Verordnungstext ist Ergebnis einer mühsamen Kompromissfindung im komplexen Gesetzgebungsverfahren der EU (ich habe dazu auch einiges gebloggt), und er ist auch deshalb in manchen Punkten nicht so klar, wie es für die reibungslose Anwendung in der Praxis wünschenswert wäre.

Art. 3 der Verordnung verlangt von den Anbietern von Internetzugangsdiensten ("IAS") die Gleichbehandlung des gesamten Verkehrs - "ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung, sowie unabhängig von Sender und Empfänger, den abgerufenen oder verbreiteten Inhalten, den genutzten oder bereitgestellten Anwendungen oder Diensten oder den verwendeten Endgeräten." Angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen sind zulässig, und auch das Anbieten von "Spezialdiensten" wird explizit erlaubt (auch wenn die Verordnung das Wort "Spezialdienste" vermeidet und sie etwas verunglückt umschreibt: "andere Dienste, die keine Internetzugangsdienste sind, [...] die für bestimmte Inhalte, Anwendungen oder Dienste oder eine Kombination derselben optimiert sind"). Schließlich verpflichtet die Verordnung in ihrem Art. 4 die Anbieter von Internetzugangsdiensten auch zu gewissen Transparenzmaßnahmen.

Den nationalen Regulierungsbehörden (NRAs) wird in Art. 5 der Verordnung die Aufgabe übertragen, die Einhaltung der in Art. 3 und 4 enthaltenen Verpflichtungen zu überwachen und durchzusetzen. Hier kommt nun auch BEREC ins Spiel (deutsch GEREK, das durch die Verordnung (EG) Nr. 1211/2009 eingerichtete Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation): "Um einen Beitrag zur einheitlichen Anwendung dieser Verordnung zu leisten", so Art. 5 Abs. 3 der Netzneutralitäts-Verordnung, "gibt das GEREK spätestens bis zum 30. August 2016, nach Anhörung der Interessenträger und in enger Zusammenarbeit mit der Kommission, Leitlinien für die Umsetzung der Verpflichtungen der nationalen Regulierungsbehörden nach diesem Artikel heraus."

Die BEREC-Leitlinien zur Netzneutralität
Pünktlich am letzten Tag der dafür eingeräumten Frist hat BEREC nun die Leitlinien veröffentlicht (Leitlinien, Presseaussendung, Präsentation), zugleich mit einem Bericht über die durchgeführte Konsultation. Die Leitlinien waren in den Grundzügen ja schon durch das Konsultationsdokument bekannt und wurden - erwartbar - nach der Konsultation zwar angepasst, aber weder strukturell noch in der Substanz wesentlich geändert. Auch die Bezeichnung blieb gleich: "BEREC Guidelines on the Implementation by National Regulators of European Net Neutrality Rules" (BEREC hat sich, was man positiv anmerken muss, bei den Begriffen für einen No-Nonsense-Zugang entschieden: "Netzneutralität" und "Spezialdienste" werden auch als solche bezeichnet, selbst wenn die Verordnung diese Begriffe sorgfältigst vermieden hat).

- Adressat: nationale Regulierungsbehörden
Entsprechend der Vorgabe in der Verordnung richten sich die Leitlinien an die nationalen Regulierungsbehörden: diese sollen die ihnen durch Art. 5 der Verordnung übertragenen Aufgaben der Aufsicht und Durchsetzung der Art. 3 und 4 der Verordnung möglichst einheitlich handhaben. Etwas anordnen kann BEREC nicht, einen gewissen Hebel für die faktische Wirksamkeit der Leitlinien bildet Art. 3 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1211/2009: demnach tragen die Regulierungsbehörden allen von BEREC verabschiedeten Leitlinien "weitestgehend Rechnung."

- Inhalt
Die Leitlinien lesen sich über weite Strecken wie ein juristischer Kommentar zu einem neu geschaffenen Gesetz: da wird in vielen Worten der - auch wiedergegebene - Text der Verordnung und der Erwägungsgründe einfach vorsichtig neu formuliert, etwas erweitert um Querverweise, Zitate und Fußnoten, einfach um den spröden Rechtstext besser erschließen zu können. Wo man sich halbwegs sicher ist, werden Beispiele genannt, aber in strittige Fragen bleibt man etwas vage und wartet dann doch lieber die Rechtsprechung ab, oder zumindest die ersten Erfahrungen aus der praktischen Anwendung.

In ähnlicher Wiese sind die Leitlinien aufgebaut: Text der Verordnung, Text der Erwägungsgründe, dann Satz für Satz/Absatz für Absatz noch einmal die - sprachlich etwas vereinfachte und entflochtene - Wiederholung des im Rechtstext und den Erwägungsgründen Gesagten, das dann - wo sich der Norminhalt vergleichsweise leicht erschließen lässt - auch mit Beispielen angereichert wird. Bei heiklen Fragen kann es dann auch etwas unscharf werden, das erkennt man an den Konjunktiven (zB "might" in Abs. 73, "could" in Abs. 115), oder wenn auf die umfassende Beurteilung anhand mehrerer Kriterien ("comprehensive assessment", zB in Abs. 46) oder auf eine notwendige Einzelfall-Prüfung ("case-by-case" in Abs. 112) verwiesen wird.

Dennoch enthalten die Leitlinien viele brauchbare Erläuterungen zur Verordnung und auch einige Entscheidungen, die man von BEREC - notorisch mittlerweile auch kein monolithischer Block einheitlicher Interessen mehr - gar nicht erwartet hätte. Zu zero-rating etwa werden in den Abs. 40 bis 42 vergleichsweise konkrete Positionen eingenommen: eine Praxis des zero-rating, bei der alle anderen Anwendungen nach Erreichen des data caps blockiert oder verlangsamt werden, soll nach Auffassung von BEREC demnach eindeutig eine Verletzung der Verordnung darstellen. Bei allen anderen Varianten des zero-rating ist umfassende Abwägung notwendig, die zB auch die Marktpositionen der Beteiligten berücksichtigen soll.

Zur zweiten großen Streitfrage, den Spezialdiensten, sind die Leitlinien etwas vorsichtiger: zunächst wird in einer merkwürdig kontextfreien Fußnote (Fn. 26 zu Abs. 101) festgehalten, dass Network-Slicing in 5G-Netzwerken für Spezialdienste verwendet werden kann - mehr ein Signal an die Industrie ("ihr dürft in diese Richtung weiterarbeiten!") als von aktueller Bedeutung. Auch das im Konsultationsdokument enthaltene Erfordernis logischer Trennung zwischen Spezialdiensten und Internetzugangsdiensten in Abs. 110 wurde etwas aufgeweicht: nunmehr ist die diese logische Trennung nur mehr ein Beispiel (andere Beispiele gibt es aber nicht). Ein wenig schlägt auch die Ratlosigkeit durch, die die gesamte Spezialdienste-Diskussion kennzeichnet: wir wissen eigentlich nicht, von welchen (kommenden) Diensten wir da reden (Abs. 112: "we do not know what specialised services may emerge in the future").

Aktuell werden nur Voice over LTE, lineare IP-basierte Rundfunkdienste mit besonderen Dienstequalitätsanforderungen und Echtzeit-Gesundheitsdienste als mögliche Spezialdienste genannt, sowie die in Erwägungsgrund 16 etwas kryptisch erwähnten "einigen" Dienste, "die einem öffentlichen Interesse entsprechen" und Diensten der Maschine-Maschine-Kommunikation. Für VPNs sagt Abs. 115: es kommt drauf an.

Dass für das Anbieten von Spezialdiensten keine ex-ante-Bewilligung der Regulierungsbehörde erforderlich ist, halten die Leitlinien ausdrücklich fest, ist aber ebenso eine Selbstverständlichkeit wie der vollkommen gehaltfreie doppelte Hinweis auf die Grundrechtecharta in Abs. 20 und 82. Dieser Hinweis hat aber immerhin die offenbar gewünschte symbolische Wirkung: Markus Beckedahl schreibt auf netzpolitik.org etwa, dass der Hinweis in Abs. 20 der Leitlinien "zu einem späteren Zeitpunkt noch entscheidend werden [könnte], wenn der Europäische Gerichtshof über Netzneutralität zu entscheiden hat." Rechtlich kann man dazu nur sagen: nein, dieser Hinweis wird nie entscheidend sein, er ist nur wörtlich von Erwägungsgrund 33 der Verordnung - wo er genauso überflüssig ist - abgeschrieben. Ob die Verordnung tatsächlich die Grundrechte wahrt, wird der EuGH nicht anhand dieses Erwägungsgrunds, und noch weniger anhand der Wiederholung des Erwägungsgrunds in den Leitlinien, entscheiden.

- Rechtsfolgen der Leitlinien
Damit bin ich auch bei den Rechtsfolgen: Wie schon erwähnt, schaffen die Leitlinien kein neues Recht; was nicht schon aus der Verordnung abzuleiten ist, kann durch die Leitlinien nicht eingeräumt werden. Weder räumen die Leitlinien Endnutzern oder Zugangsdiensteanbietern Rechte ein, noch erlegen sie ihnen Verpflichtungen auf (vgl. zu den - rechtstechnisch ähnlich verankerten - Marktanalyse-Leitlinien der Kommission das Urteil des EuGH vom 12.05.2011, C-410/09, Polska Telefonia Cyfrowa). Dass die Regulierungsbehörden den Leitlinien "weitestgehend Rechnung" zu tragen haben, gebietet im Streitfall eine Auseinandersetzung mit den Leitlinien, nicht aber deren "Befolgung" - wobei festzuhalten ist, dass die Leitlinien wirkliche Streitfälle ohnedies offen lassen und der Einzelfall-Beurteilung der Regulierungsbehörden überantworten.

Und festzuhalten ist auch, dass die in den Leitlinien getroffenen (eher spärlichen) Festlegungen, etwa zu zero-rating, nicht sicherstellen können, dass Anbieter von Internetzugangsdiensten sich daran halten werden. Es ist durchaus denkbar, dass etwa ein Netzbetreiber eine Form des zero-rating praktiziert, die nach Ansicht von BEREC nach Abs. 41 der Leitlinien unzulässig ist. Will die Regulierungsbehörde die Rechtsansicht der Leitlinien durchsetzen, muss sie gegen diesen Anbieter nach Art. 5 der Verordnung vorgehen - und natürlich hat der Anbieter gegen die Entscheidung der Regulierungsbehörde einen Rechtsbehelf im Sinne des Art. 4 der Rahmenrichtlinie.

Letztlich wird es an dem zur Auslegung des Unionsrechts zuständigen EuGH liegen, die sich aus der Netzneutralitäts-Verordnung ergebenden Rechte und Pflichten abzugrenzen. Der EuGH wird die Leitlinien bei der Auslegung berücksichtigen, vor allem wo es um technische Fragen geht (etwa Latenz oder jitter bei der Dienstequalität), gebunden ist er daran freilich nicht. Wiederum anders als in den USA ("Chevron deference"), gibt es im Europarecht nämlich auch keinen Grundsatz, wonach sich ein Gericht in der Regel an jene Auslegung einer Rechtsvorschrift halten muss, die von der Behörde vertreten wird, die diese Rechtsvorschrift zu vollziehen hat.

Dass die in den BEREC-Leitlinien vertretenen Rechtsansichten nicht widerspruchslos von allen Betroffenen geteilt werden, zeigt die Stellungnahme von ETNO, eines Verbands vor allem großer europäischer Netzbetreiber. Dieser Verband und seine Mitglieder werden, so heißt es in der Stellungnahme, die Leitlinien gründlich analysieren und dabei besonders darauf achten, ob sie mit der Netzneutralitäts-Verordnung und den darin den Regulierungsbehörden zugewiesenen Aufgaben konsistent sind. Das ist diplomatisch ausgedrückt, heißt aber nicht viel mehr als: wir werden uns wohl vor Gericht sehen.

Vielleicht muss ja das Internet demnächst wieder einmal gerettet werden.

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*) Voller Titel: Verordnung (EU) 2015/2120 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet und zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten sowie der Verordnung (EU) Nr. 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union; der zweite, Roaming betreffende Teil der VO ist aber hier irrelevant

PS (01.09.2016): eine redigierte und etwas gekürzte Fassung dieses Beitrags ist auf lto.de zu lesen.

Monday, August 08, 2016

Glücksspiel, Gebühren und Generaldirektoren-"Wahlanfechtung": drei Anmerkungen im Vorfeld der ORF-Generaldirektoren-Bestellung

Morgen, am 9. August 2016, entscheidet der ORF-Stiftungsrat über die Bestellung des Generaldirektors für die kommende Funktionsperiode (gendern wäre zwecklos, es stehen nur zwei Männer zur Auswahl; laut Medienberichten kamen auch die weiteren sechs Bewerbungen von Männern).

Wie Armin Wolf schon vor ein paar Tagen getwittert hat, ist der "Wahlkampf" mittlerweile in die "Häupl-Phase" eingetreten ("Zeit fokussierter Unintelligenz"). Ich will auch deshalb nichts zu den im "Wahlkampf" diskutierten Fragen schreiben und die - vom Standard zum Download zur Verfügung gestellten - Konzepte der zwei noch in Frage stehenden Bewerber nicht kommentieren.

Und so schwer es mir auch fällt: selbst die Shakespeare-Tangente des Generals-Bestellung werde ich nicht weiter verfolgen (wer das versäumt hat: der aktuelle Generaldirektor hat Shakespeare ins Spiel gebracht, was bei mir freilich einige Fragen offen ließ). Denn wie schrieb Georg Christoph Lichtenberg schon vor gut 240 Jahren: "Was auf Shakespearisch in der Welt zu tun war, hat Shakespeare größtenteils getan." Nur zwei Zitate noch: wer immer es wird, es möge heißen:
The worthy fellow is our general: he's the rock, the
oak not to be wind-shaken.
(Shakespeare, Coriolanus; Act V, Scene 2), und:
Success unto our valiant general,
And happiness to his accomplices!
(Shakespeare, Henry VI, Part I, Act V, Scene 2)
Was hier folgt: drei kurze Anmerkungen zu ORF-Themen, jeweils aus aktuellem Anlass:

1. Der ORF und das Glücksspiel
Die Redaktion von Dossier hat am 03.08.2016 einen Beitrag über den "ORF im Glück" online gestellt, ergänzt mit einem Interview mit Mitarbeitern der Lotterien (Pressesprecher Martin Himmelbauer, Marketingleiterin Elisabeth Römer-Russwurm, Leiterin der Rechtsabteilung Barbara Hoffmann-Schöll und Bereichsleiter "Responsible Gaming" Herbert Beck). Beides ist höchst lesenswert, selbst wenn die recht engen - auch gesellschaftsrechtlichen - Verbindungen des ORF mit der Glücksspielbranche als solche keine Neuigkeit sind.

Interessant wird es vor allem im Interview, wenn über die "mediale Unterstützung" durch den ORF gesprochen wird. Zitate daraus:
Der ORF hat sieben Glücksspielsendungen im Programm [...]. Eine Frage zu Money Maker: Warum läuft die Sendung nur im Sommer?
Römer-Russwurm: Das hing mit der Frage zusammen, wann es möglich wäre, im ORF so eine Sendung unterzubringen. Das war nur im Sommer möglich. Da haben wir gesagt, wir machen ein saisonales Produkt von Juni bis September mit der TV-Ziehungsübertragung im Juli und August. [...]
Welche dieser Glücksspielsendungen wird von den Lotterien finanziell unterstützt, und wie hoch ist diese finanzielle Unterstützung?
Himmelbauer: Natürlich fließt Geld, unentgeltlich macht es der ORF nicht. Das wäre ja blauäugig. Zur Höhe der Unterstützung: Bei geschäftlichen Vereinbarungen ist bei uns im Land Usus, sie nicht an die große Glocke zu hängen. [...]
Was genau ist „mediale Unterstützung“, und wie viel Geld wird dafür ausgegeben?
Hoffmann-Schöll: Das stammt aus dem Jahr 1986. [...] Damit wollte man eine positive Grundstimmung schaffen, weil man befürchtete: Was, wenn Lotto 6 aus 45 eingeführt wird, und es geht keiner hin? Oder in allen Medien gesagt wird: Das ist ein Blödsinn, schade ums Geld. Das wollte die Republik Österreich nicht. So hat sie dieses Konstrukt, das aus juristischer Sicht einzigartig ist, geschaffen: die generelle mediale Unterstützung. Später ist das in unsere Hände gewandert, weil man nach dem Beitritt zur Europäischen Union vermeiden wollte, auch nur in den Geruch des Anscheins einer staatlichen Beihilfe zu kommen. [Hervorhebung hinzugefügt]
Tatsächlich ist die "mediale Unterstützung" ein einzigartiges juristisches Konstrukt, wie das die Leiterin der Rechtsabteilung der Lotterien so schön ausgedrückt hat. Es fließt hier Geld, so sehen das die VertreterInnen der Lotterien, damit Leute Lotto (oder ein anderes Glücksspiel der Lotterien) spielen bzw. damit die Medien (der ORF ist ja nicht der einzige Geldempfänger) nicht negativ darüber berichten ("schade ums Geld") - so offenherzig habe ich das bisher noch nie gelesen oder gehört. Wenn das aber so ist, dann klingt das doch sehr nach einem klassischen Fall kommerzieller Kommunikation im Sinne des § 1a Z 6 ORF-G: kommerzielle Kommunikation dient der "unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds natürlicher oder juristischer Personen, die einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen" oder "der Unterstützung einer Sache oder Idee" gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung. (Dass man mit dem Geld auch eine allfällige negative Berichterstattung etwa in Informationssendungen verhindern könne, wird wohl auch bei den Lotterien nicht wirklich geglaubt - es wäre zudem jedenfalls gesetzwidrig, denn kommerzielle Kommunikation darf gemäß § 13 Abs. 3 Z 7 ORF-G die redaktionelle Unabhängigkeit nicht beeinträchtigen).

Als Einnahmen aus Werbung, Product Placement oder Sponsoring werden die Zahlungen zur "medialen Unterstützung" beim ORF aber nicht gerechnet. Dossier zitiert aus dem Jahresbericht 2015 des ORF; demnach entfielen von den im Jahr 2015 insgesamt 27,6 Mio. Euro erwirtschaften Erträgen aus Koproduktionen/Lizenzen "14,5 Mio. Euro auf Erträge aus Koproduktionen vorwiegend mit anderen Rundfunkanstalten und inklusive der Erträge in Zusammenhang mit der medialen Unterstützung der Lotterien." Die Erträge aus der "medialen Unterstützung" der Lotterien werden also gemeinsam mit Lizenzerträgen und Erträgen aus (sonstigen?) Koproduktionen erfasst.

De facto wird, so würde ich das Interview mit den VertreterInnen der Lotterien verstehen, also Geld gezahlt, damit der ORF Sendungen bringt (Dossier zählt allein 7 einschlägige Sendungsreihen des ORF auf: Lotto 6 aus 45, Euromillionen, Bingo, Brieflosshow, Money Maker, Zahlenlotto, Toitoitoi). Nun ist allerdings die "Gestaltung von Sendungen oder Sendungsteilen nach thematischen Vorgaben Dritter gegen Entgelt" unzulässig und die Ausstrahlung einer Sendung darf auch "nicht von der Bedingung abhängig gemacht werden, dass ein Beitrag zur Finanzierung der Sendung geleistet wird" (§ 17 Abs. 6 ORF-G). Der ORF darf die Sendungen also nicht nach thematischen Vorgaben der Lotterien machen und müsste sie genauso ausstrahlen, wenn die Lotterien keinen Beitrag dafür zahlen würden.

Aber vielleicht sind die Lotterien nicht ganz davon überzeugt, dass ein Streichen ihres finanziellen Beitrags nichts an der Ausstrahlung dieser Highlights des öffentlich-rechtlichen Programms ändern würde, und so zahlen sie eben weiter.

Der Begriff der "medialen Unterstützung" ist natürlich nicht zufällig gewählt, sondern kommt aus dem Glücksspielgesetz. Aktuell bestimmt § 17 Abs. 7 Glücksspielgesetz:
Der Konzessionär sorgt für die generelle mediale Unterstützung. Zur Erlangung dieser medialen Unterstützungsleistungen kann der Konzessionär privatrechtliche Vereinbarungen mit öffentlichen und privaten Medienpartnern sowie gemeinnützigen Organisationen abschließen.
Auch das macht klar: die Geldleistung ist keine freigiebige Zuwendung, sondern fließt zweckgerichtet "zur Erlangung dieser medialen Unterstützungsleistungen", anders gewendet: der Medienpartner muss für dieses Entgelt Unterstützung leisten, also im Sinne des § 1a Z 6 ORF-G wohl zur "Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds" beitragen.

Übrigens fand sich in § 14 Abs. 5 ORF-Gesetz zwischen 1.1.2002 und 30.9.2010 folgende Bestimmung:
Die mediale Unterstützung gemäß § 17 Abs. 7 des Glücksspielgesetzes gilt nicht als Product-Placement.
Diese Ausnahmeregelung ist - aus guten Gründen, weil mit der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste nicht vereinbar - 2010 entfallen. Seither unterscheidet das ORF-Gesetz nicht mehr, ob ein Entgelt für die "Unterstützung" einer Dienstleistung unter dem Titel "mediale Unterstützung" nach § 17 Abs. 7 GSpG fließt oder einfach für Product Placement, Sponsoring oder Werbeleistungen des ORF - zu beurteilen ist das Ergebnis, ob es sich dabei um Werbung, Product Placement oder Sponsoring handelt (dass der Gesetzgeber in § 1 Werbeabgabegesetz "die mediale Unterstützung gemäß § 17 Abs. 7 des Glückspielgesetzes" nicht als Werbeleistung definiert, ändert daran nichts).

2. "Gebühren" (Programmentgelterhöhung)
Dass der Generaldirektor des ORF noch in diesem Herbst einen Antrag zur Neufestlegung des Programmentgelts stellen wird, ist schon deshalb keine Überraschung, weil er dazu gesetzlich verpflichtet ist (§ 31 Abs. 1 ORF-Gesetz). Auch Medienminister Drozda weiß das, immerhin war er ja selbst Mitglied des ORF-Stiftungsrates, als der letzte Antrag auf Erhöhung des Programmentgelts gestellt (und vom Stiftungsrat beschlossen) wurde. Insofern war es vielleicht etwas überraschend, dass er sich vor wenigen Tagen explizit gegen eine Erhöhung der "ORF-Gebühren" (Programmentgelt) aussprach. Das war zwar erkennbar eher gegen einen der Bewerber gerichtet, der auch das Ausmaß der geplanten Erhöhung bereits in seinem Konzept nennt, aber auch der andere, von Drozda favorisierte Bewerber wird sein Konzept nicht ohne Erhöhung des Programmentgelts durchziehen wollen (das Gesetz spricht nur von einer "Neufestlegung", es könnte also theoretisch auch eine Absenkung erfolgen, realistisch ist freilich nur - wie zuletzt 2011/2012 eine "Anpassung", sprich Erhöhung).

Das Procedere zur Neufestlegung ist jedenfalls gesetzlich klar geregelt: Antrag des Generaldirektors, Beschluss des Stiftungsrates, Genehmigung dieses Beschlusses durch den Publikumsrat (wenn dieser keine Genehmigung gibt, ist ein Beharrungsbeschluss des Stiftungsrates möglich); danach Prüfung durch die KommAustria. Der Medienminister kann keiner dieser Personen bzw keinem dieser Gremien eine Weisung erteilen. Aber er darf natürlich, wie jeder, seine Meinung dazu äußern.

Immerhin zeigt diese Geschichte einen interessanten Aspekt auf: der morgen vom Stiftungsrat zu bestellende Generaldirektor tritt seine Funktion erst im kommenden Jahr an. Der Antrag auf Neufestlegung des Programmentgelts ist aber noch dieses Jahr zu stellen - wenn sich derzeitiger und neuer Generaldirektor unterscheiden sollten, würde der derzeitige Generaldirektor gewissermaßen den Antrag für den neuen stellen. Der Makel der "Gebührenerhöhung" bliebe dem derzeit amtierenden, die "Früchte" der Erhöhung fielen dem kommenden Generaldirektor zu.

1. "Wahlanfechtung":
Die angekündigte Bewerbung des "Staatskünstlers" Florian Scheuba (siehe dazu im Blog hier) ist ausgeblieben (nach einem Bericht im Standard gab es eine Bewerbung, die aber "zu spät abgeschickt" worden sei). Zwar war das Ganze von Beginn nur ein Spaßprojekt, gerade deshalb hätte ich mir aber etwas mehr Professionalität erwartet und zumindest eine rechtzeitige Bewerbung. Eher halblustig wirkt jetzt auch die Ankündigung, die "Wahl" bei der KommAustria anzufechten.

Nun wurde ich schon gefragt, ob und wie man denn diese "Wahl" wirklich anfechten kann. Klare Antwort: 1. es ist keine Wahl (siehe im Blog zuletzt hier, aber auch hier in der Presse!), 2. kann man sie (daher) auch nicht anfechten, aber 3. kann bei der KommAustria die Feststellung einer Verletzung des ORF-Gesetzes natürlich auch wegen allfälliger Rechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Bestellung des Generaldirektors beantragt werden. Antragsberechtigt wäre zunächst einmal jeder, der "durch eine Rechtsverletzung unmittelbar geschädigt zu sein behauptet" - also etwa auch Herr Scheuba, wenn er meint, dass seine Bewerbung doch nicht verspätet gewesen sei und er bei gesetzeskonformem Vorgehen des Stiftungsrates hätte zum Generaldirektor bestellt werden müssen (Voraussetzung dafür wäre natürlich, dass er dafür am besten geeignet wäre - § 27 Abs. 2 ORF-G; nach der Rechtsprechung hat der Stiftungsrat in Personalfragen freilich einen weiten Spielraum; vgl. dazu insbesondere auch VfSlg 7716/1975 - Bestellung von Otto Oberhammer zum Generalintendanten - und VfSlg 8320/1978 - Generalsekretär; beides nicht online verfügbar).

Antragsberechtigt wäre aber auch jeder "Rundfunkteilnehmer" im Sinne des Rundfunkgebührengesetzes (vereinfacht: wer GIS zahlt oder davon befreit ist), sofern seine Beschwerde von mindestens 120 weiteren Rundfunkteilnehmern bzw. deren Haushaltsmitgliedern unterstützt wird. Dass man einen der beiden (oder einen weiteren) Bewerber lieber gehabt hätte, reicht freilich nicht: es muss schon eine Gesetzesverletzung vorliegen. Auch diese "Popularbeschwerde" ist ein Instrument der Rechtsaufsicht über den ORF und eignet sich nicht für ein Spaßprojekt: nach § 35 AVG kann gegen "Personen, die offenbar mutwillig die Tätigkeit der Behörde in Anspruch nehmen", eine Mutwillensstrafe von bis zu 736 € verhängt werden. Auch aus der angekündigten "Wahlanfechtung" der Staatskünstler wird also vermutlich nichts werden.