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Wednesday, February 17, 2016

EuGH: "Schwarze Sekunden" zwischen Werbespots sind in die zulässige Höchstdauer der Fernsehwerbung einzurechnen

In seinem heutigen Urteil in der Rechtssache C-314/14, Sanoma Media Finland Oy, hatte der EuGH wieder einmal Bestimmungen zur Fernsehwerbung in der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-RL) auszulegen. Dabei ging es um die Abgrenzung von Werbung und sonstigem Programm bei der Split-Screen-Werbung, um die Einbeziehung von Sponsorhinweisen außerhalb gesponserter Sendungen in die zulässige Werbezeit und schließlich um die etwas esoterisch klingende Frage, ob auch "schwarze Sekunden" in die zulässige Werbezeit einzurechnen sind.

Split-Screen: der geteilte Bildschirm ist ein ausreichender Werbetrenner
Nach Art 19 Abs 1 AVMD-RL müssen Fernsehwerbung und Teleshopping "als solche leicht erkennbar und vom redaktionellen Inhalt unterscheidbar sein" (Satz 1). Außerdem müssen müssen Fernsehwerbung und Teleshopping "durch optische und/oder akustische und/oder räumliche Mittel eindeutig von anderen Sendungsteilen abgesetzt sein." (Satz 2)

Wird am Ende einer Sendung der Bildschirm in zwei Spalten geteilt, wobei in einer Spalte der Abspann zur Sendung gezeigt wird, in der anderen Spalte "eine Programmtafel mit der Präsentation der nachfolgenden Sendungen des Diensteanbieters" (wobei ich annehme, dass dieser Teil als Werbung anzusehen ist, sonst bleibt das Urteil nämlich unverständlich), so reicht die durch die Teilung des Bildschirms erzielte räumliche Trennung aus, um die Anforderungen des Art 19 Abs 1 zweiter Satz AVMD-RL zu erfüllen. Aus dem Urteil:
36   Wie insbesondere aus der doppelten Verwendung von „und/oder“ hervorgeht, lässt dieser zweite Satz den Mitgliedstaaten die Möglichkeit offen, einige dieser Mittel auszuwählen und andere auszuschließen.
37   Folglich müssen Fernsehwerbung und Teleshopping zwar unter Anwendung der einzelnen in Art. 19 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste aufgezählten Mittel klar von den Fernsehsendungen getrennt werden. Diese Mittel müssen aber gemäß dieser Bestimmung nicht kumulativ angewendet werden. Wenn nämlich schon mit einem von ihnen, sei es optisch, akustisch oder räumlich, sichergestellt werden kann, dass die Anforderungen, die sich aus Art. 19 Abs. 1 Satz 1 dieser Richtlinie ergeben, in vollem Umfang eingehalten werden, brauchen die Mitgliedstaaten nicht den kombinierten Einsatz dieser Mittel vorzusehen.
Die Mitgliedstaaten dürfen gemäß Art 4 Abs 1 AVMD-RL strengere Regeln vorsehen; tun sie das aber nicht (wie zB auch der österreichische Gesetzgeber), so reicht also eine entweder optische oder akustische oder räumliche Trennung, um die Anforderungen des Art 19 Abs 1 zweiter Satz AVMD-RL zu erfüllen. Ob damit aber auch schon die Anforderungen des ersten Satzes erfüllt sind (leichte Erkennbarkeit als Werbung und Unterscheidbarkeit vom redaktionellen Inhalt), müssen die nationalen Gerichte beurteilen.

Generalanwalt Szpunar war in diesem Punkt in seinen Schlussanträgen noch zu einem anderen Ergebnis gekommen und hatte die Auffassung vertreten, "dass allein die Aufteilung des Bildschirms in verschiedene Teile, von denen einer für Werbung bestimmt ist, keine ausreichende Trennung dieser Werbung vom redaktionellen Inhalt darstellt."

[Allerdings lässt mich das Urteil des EuGH in diesem Punkt eher ratlos zurück, da es (in RNr 28) von einem geteilten Bildschirm spricht, "in dem der Programmabspann einer Fernsehsendung in einer Spalte und eine Programmtafel mit der Präsentation der nachfolgenden Sendungen des Diensteanbieters in einer anderen Spalte angezeigt werden, um die Sendung, die endet, von der Fernsehwerbeunterbrechung, die ihr nachfolgt, zu trennen". Da eine Programmtafel nicht zwingend Werbung sein muss, und das "Nachfolgen" zeitlich auch heißen kann, dass die Werbung erst nach Ende des Abspanns und der Programmtafel gesendet wird, könnte man das auch dahin verstehen, dass es um die Trennung von einer erst nach dem Split Screen mit Abspann/Vorschau gesendeten Werbung geht (ähnlich auch in RNr 38, wo neuerlich von der Fernsehwerbeunterbrechung die Rede ist, die einer Sendung "nachfolgt"). In den Schlussanträgen des Generalanwalts wird hingegen eindeutig auf eine Trennung zwischen Programmabspann auf der einen Seite des Split Screens und Fernsehwerbung auf der anderen Seite Bezug genommen, und nur wenn man dieses Verständnis des Sachverhalts auch dem EuGH-Urteil zugrundelegt, ergibt es Sinn.]

Sponsorzeichen außerhalb des gesponserten Programms: in Werbezeit einzurechnen
Nach Art 23 Abs 1 AVMD-RL darf der Anteil von Fernsehwerbespots und Teleshopping-Spots an der Sendezeit innerhalb einer vollen Stunde 20 % nicht überschreiten. Fraglich war , ob in die Werbezeit auch Sponsorenhinweise einzurechnen sind, die außerhalb der gesponserten Sendung gebracht werden. Solche Sponsorenhinweise wurden im Ausgangsfall etwa in den Programmhinweisen zur gesponserten Sendung oder in anderen Sendungen gebracht (eine Praxis, die auch in Österreich durchaus üblich ist).

Der EuGH ist hier knapp und argumentiert, dass nach Art 10 Abs 1 lit c der RL Sponsorenhinweise "zum Beginn, während und/oder zum Ende der Sendung" zu platzieren sind; werden sie außerhalb der Sendung gebracht und nicht in die zulässige Werbezeit eingerechnet, würden damit die Bestimmungen über die höchstzulässige Werbezeit umgangen. Solche Hinweise sind daher in diese maximal zulässige Sendezeit für Werbung innerhalb einer vollen Stunde einzuberechnen. Ohne weitere Argumentation vorausgesetzt wird dabei, dass es sich bei diesen Sponsorenhinweisen außerhalb der Sendungen um Fernsehwerbung handelt.

"Schwarze Sekunden" zwischen Werbespots sind Werbezeit
Zwischen redaktionellem Programm und Werbung sowie zwischen einzelnen Werbespots wird zur optischen Trennung häufig eine Schwarzblende eingesetzt. Im Ausgangsfall ließ der Fernsehveranstalter jedem "ausgestrahlten Werbespot schwarze Bilder mit einer Dauer von 0,4 bis 1 Sekunde vor- und nachfolgen, die als 'schwarze Sekunden' bezeichnet werden." Da unter Einrechnung dieser "schwarzen Sekunden" eine Gesamtwerbezeit von 12 Minuten und 7 (!) Sekunden in einer vollen Stunde erreicht wurde, hatte die Regulierungsbehörde eine Rechtsverletzung festgestellt.

Der EuGH hält fest, dass sich allein anhand des Wortlauts von Art 23 Abs 1 AVMD-RL nicht ermitteln lässt, ob diese Bestimmung dahin auszulegen ist, dass sie vorschreibt, "schwarze Sekunden" in die Grenze von 20 % (einer Stunde) einzuberechnen. Daher ist der Status der "schwarzen Sekunde" im Hinblick auf die Zielsetzung von Art. 23 Abs. 1 AVMD-RL zu bestimmen. Die Bestimmung, so der EuGH, folgt der Absicht des Unionsgesetzgebers, das ordnungsgemäße Erreichen des wesentlichen Ziels dieser Richtlinie sicherzustellen, das darin besteht, die Verbraucher als Zuschauer gegen übermäßige Fernsehwerbung zu schützen. Daher erlaube sie den Mitgliedstaaten nicht, "die Mindestsendezeit, die für die Ausstrahlung von Sendungen oder anderen redaktionellen Inhalten bestimmt ist, zugunsten von Werbeelementen auf unter 80 % innerhalb einer vollen Stunde – die in diesem Artikel implizit bestätigte Grenze – herabzusetzen."

"Schwarze Sekunden" zwischen den einzelnen Spots als auch zwischen dem letzten Spot und der Sendung, die der Werbeunterbrechung nachfolgt (nicht aber die "schwarzen Sekunden" vor dem ersten Spot einer Werbeunterbrechung), sind daher als Sendezeit für die Ausstrahlung von Fernsehwerbung für die Zwecke des Art 23 Abs 1 AVMD-RL anzusehen.

Update 26.02.2016: nach einer Schrecksekunde, die immerhin mehr als eine Woche dauerte, melden sich jetzt überrascht die Fernsehveranstalter zu Wort: ORF-Generaldirektor Wrabetz meint, dass das "fast alle Sender seit gefühlten 60 Jahren" so machen (nämlich die schwarzen Sekunden nicht in die Werbezeit einrechnen; siehe Bericht auf DerStandard.at). ATV-Chef Martin Gastinger wird in Medienberichten die Idee einer Anfechtung der EuGH-Entscheidung zugeschrieben (Bericht auf DerStandard.at; mehr auf Horizont.at [mittlerweile richtiggestellt]); tatsächlich hat er aber nur gesagt, dass ATV versuchen werde, "gemeinsam mit anderen Sendern dagegen vorzugehen."

Update 08.04.2016: Die österreichische Rundfunkregulierungsbehörde KommAustria ist nach Analyse des EuGH-Urteils zum Ergebnis gekommen, "dass die bislang in Österreich bestehende Vollzugspraxis bzw. Rechtsprechung in einigen Punkten von der nunmehrigen Rechtsansicht des EuGH abweicht"; sie hat daher mit Schreiben vom 08.04.2016 alle österreichischen Rundfunkveranstalter über Auslegungsfragen nach dem EuGH-Urteil informiert.

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