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Tuesday, February 11, 2014

EGMR: Fall Tešić - falsche Kritik an Anwalt im öffentlichen Interesse?

Ist wirklich jede Kritik an einem Anwalt, auch wenn sie keine Faktengrundlage hat, im öffentlichen Interesse? Nach dem vom EGMR heute verkündeten Urteil im Fall Tešić gegen Serbien muss man im Zweifel wohl davon ausgehen. Das Urteil bietet aber auch sonst Grund für kritische Anmerkungen - die in der abweichenden Meinung des ungarischen Richters András Sajó deutlich zum Ausdruck kommen.

Ausgangsfall
Die Angelegenheit nahm ihren Ausgang mit einem Artikel in der Tageszeitung Dnevnik; darin wurde berichtet, dass ein namentlich genannter Anwalt die Beschwerdeführerin vor dem EGMR, Frau Tešić, in einem Zivilverfahren absichtlich schlecht vertreten habe, was von der Polizei bestätigt worden sei.

Strafverfahren: In einem gegen die Beschwerdeführerin angestrengten strafgerichtlichen Verfahren hielt das Gericht in Novi Sad fest, dass für diese Behauptungen jegliche Tatsachengrundlage fehlten und sie nur darauf gerichtet gewesen seien, die Ehre und den guten Ruf des Anwalts (und früheren Richters) zu verletzen. Das Strafurteil wurde in der Instanz bestätigt, dann auf Antrag der Beschwerdeführerin wieder aufgenommen und schließlich neuerlich bestätigt; ein Rechtsmittel vor dem serbischen Verfassungsgericht ist noch anhängig. Das erstinstanzliche Gericht hatte allerdings festgehalten, dass die Polizei die Strafverfolgung des Anwalts beantragt hatte ("criminal complaint"), was aber von der Staatsanwaltschaft wegen Verjährung abglehnt wurde.

Zivilverfahren: Außerdem wurde die Beschwerdeführerin vom Anwalt zivilrechtlich verklagt und zu einer Entschädigung sowie Kosten von insgesamt umgerechnet rund 4.900 € verurteilt. Auch das Zivilgericht kam zum Ergebnis, dass die Anschuldigungen keinerlei Tatsachengrundlage gehabt hätten. Das Urteil wurde in der Instanz bestätigt; eine Verfassungsbeschwerde blieb erfolglos.

Vollstreckung: Der Anwalt betrieb die Hereinbringung der ihm zugesprochenen Entschädigung; das Gericht bewilligte die Überweisung von zwei Dritteln der Pension der (1934 geborenen und an diversen Krankheiten leidenden) Beschwerdeführerin, sodass dieser nur mehr 60 € im Monat verblieben.

Verfahren gegen die Redakteurin und die Zeitung: in gesonderten Verfahren waren auch die Journalistin, die den Artikel verfasst hatte, die Zeitung und die Gründerin der Zeitung zu einer Entschädigung in der selben Höhe wie die Beschwerdeführerin verurteilt worden.

Das Urteil des EGMR:
Zunächst weist der EGMR die Beschwerde insoweit zurück, als sie sich gegen die strafgerichtliche Verurteilung richtet, da diesbezüglich das Verfahren vor dem Verfassungsgericht noch anhängig ist und damit vor Beschwerdeerhebung nicht alle innerstaatlichen Rechtsmittel ausgeschöpft wurden. Auch die Beschwerden wegen überlanger Verfahrensdauer wurden als offensichtlich unzulässig beurteilt.

Der EGMR behandelt dann die Beschwerde gegen das Urteil im Zivilverfahren und gegen die Vollstreckungsmaßnahmen zusammen: Beides sei ein Eingriff in das das Recht auf freie Meinungsäußerung, der auf gesetzlicher Grundlage beruhe und einem legitimen Ziel diene.

Bei der Prüfung, ob der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sei, hält der EGMR zunächst fest, dass die zugesprochene Entschädigung (inklusive der Kosten) mehr als das Sechzigfache der monatlichen Pension der Beschwerdeführerin ausmache und zudem etwa jener Entschädigung entspreche, zu der auch die Zeitung und deren Gründerin - zwei finanziell wesentlich bessergestellte juristische Personen - verurteilt wurden.

Dann hält der Gerichtshof fest, dass es zwar wahr sei, dass die von der Polizei angestrengte Strafverfolgung des Anwalts von der Staatsanwaltschaft abgelehnt worden sei, dass aber nicht gesagt werden könne, dass es sich bei der Aussage der Beschwerdeführerin um einen bloß grundlosen persönlichen Angriff ("gratuitous personal attack") gehandelt habe. Immerhin habe die Polizei eine gewisse Berechtigung in den Vorwürfen gesehen und eine von der Beschwerdeführerin angestrengte Subsidiaranklage sei erst fast zwei Jahre nach Veröffentlichung des Artikels vom Gericht abgelehnt worden. Dann sagt der der Gerichtshof (Abs 66):
Moreover, the Government’s proposition that a discussion of a practising lawyer’s professional conduct is clearly a matter of no public interest is in itself a dubious one, particularly bearing in mind the role of lawyers in the proper administration of justice.
Und dann kommt noch die niedrige Pension ins Spiel (Abs 67):
Finally but most strikingly, on 14 July 2009 the Novi Sad Municipal Court issued an enforcement order whereby two thirds of the applicant’s pension were to be transferred to Mr NB’s bank account each month, until the sums awarded to him have been paid in full [...], all this notwithstanding that Article 156 § 1 of the Enforcement Procedure Act 2004 had provided that up to two thirds of a debtor’s pension might be withheld, thus clearly leaving room for a more nuanced approach [...] In May 2012 the applicant’s monthly pension was some EUR 170. After deductions, she was hence left with approximately EUR 60 on which to live and buy her monthly medication [...]. Since the latter would cost her approximately EUR 44, she maintained, and the Government never contested this assertion, that she can no longer afford to buy it [...]. This is in the Court’s opinion a particularly precarious situation for an elderly person suffering from a number of serious diseases [...].
Das war es dann auch schon: kein grundloser persönlicher Angriff (aber falsche Anschuldigung), öffentliches Interesse am Verhalten von Anwälten und eine Forderungsexekution, die nur einen sehr geringen Pensionsanteil frei lässt - darauf gründet sich das Mehrheitsvotum, dass der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig gewesen sei.

Anmerkung: Leider enthält das Urteil keine näheren Informationen darüber, welches konkrete Verhalten dem Anwalt vorgeworfen worden war, und es setzt sich auch nicht damit auseinander, ob die Beurteilung der nationalen Gerichte, dass die Anschuldigungen keine Tatsachengrundlage hatten, als zutreffend angesehen wurde - stattdessen reicht es offenbar, dass die Polizei zunächst etwas untersuchte und das Gericht einige Zeit brauchte, um den Subsidiarantrag abzulehnen, um zum Ergebnis zu kommen, dass kein grundloser persönlicher Angriff vorlag - ohne dass damit klargestellt würde, ob eine ausreichende Tatsachengrundlage gegeben war. Das lässt einen etwas ratlos zurück: kann es wirklich sein, dass es zwar keinerlei Tatsachengrundlage für die Anschuldigungen gab, es sich aber dennoch nicht um einen grundlosen persönlichen Angriff handelte und sich der Anwalt das gefallen lassen muss, weil sein Handeln immer von öffentlichem Interesse ist?
Das Urteil ist nicht endgültig, binnen drei Monaten kann die Verweisung an die Große Kammer beantragt werden - da auch das Abstellen auf die Einkommensverhältnisse der Beschwerdeführerin höchst ungewöhnlich*) ist, würde es mich nicht wundern, wenn Serbien einen entsprechenden Antrag stellt.

Dissenting opinion
Richter András Sajó kann dem Mehrheitsvotum auch nichts abgewinnen. Er teilt zwar das methodische Herangehen der Mehrheit, das Vorliegen einer Verletzung des Art 10 EMRK nur anhand dieses Artikels im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu bestimmen, weist allerdings darauf hin, dass die Große Kammer des EGMR insbesondere im Fall Axel Springer AG (siehe dazu im Blog hier) dazu übergegangen ist, bei Konflikten zwischen dem Schutz des Privatlebens (und des guten Rufs) und der freien Meinungsäußerung eine Abwägung ("balancing exercise") zu verlangen. Egal welche Methode (Abwägung oder Verhältnismäßigkeitsprüfung) man verwende, es seien jedenfalls bestimmte Elemente zu berücksichtigen, wie zB ob der von der üblen Nachrede Betroffene eine "public figure" sei, welche Funktion die übel nachredende Person ausübe ("social watchdog"?), ob es um eine Angelegenheit des öffentlichen Interesses gehe, ob die Anschuldigungen wahr oder zumindest in gutem Glauben gemacht worden seien. Nichts davon liege im Beschwerdefall vor:
here, the applicant willingly and actively brought to the knowledge of the general public a factually untrue, defamatory statement which was likely to have severe consequences for the defamed person (that is, debarment).
Dass es eine Untersuchung gegeben habe, sei kein Hinweis auf den Wahrheitsgehalt der Anschuldigungen, denn wenn etwas gemeldet werde, müssten die Behörden dem ernsthaft nachgehen. Das private Interesse, persönliche Unzufriedenheit dadurch auszudrücken, dass öffentlich falsche Anschuldigungen erhoben werden, werde durch die EMRK nicht geschützt.

Auch mit dem zweiten Argument der Mehrheit, dass eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse - "given the role of lawyers in the proper administration of justice" - betroffen sei, hat Richter Sajó Schwierigkeiten:
This uncontroversial truth cannot be seen to be relevant here, as the statement related to a personal grievance. In the present case the activities of the lawyer cannot be attributed to the State; the lawyer acted within the traditional client-lawyer relationship without any impact on the public interest in the administration of justice.
Und schließlich dürfe die auf das Schadenersatzrecht gestützte Entschädigung, so lange sie nicht im Hinblick auf das Unrecht unverhältnismäßig sei, mit Rücksicht auf die finanziellen Probleme der zum Ersatz Verpflichteten ausgemessen werden:
Freedom of expression entails responsibilities, and these responsibilities cannot be different on the grounds of existential difficulties affecting the speaker. Poverty cannot be an excuse for irresponsible private injury. [...]
Furthermore, the approach applied in this case seems to tip the balance between the rights in question to the detriment of reputation and private life. An individual will receive fair compensation only if there is a deep pocket to compensate that individual. This logic is hard to reconcile with the fundamentals of modern tort law, which is based on the assumption that the damage caused has to be undone, irrespective of the status of the parties involved. People are entitled on an equal footing to the protection of their reputation.
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*) (Update 01.05.2014): Franz Zeller (BAKOM / Universität Bern) hat mich darauf hingewiesen, dass die Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse durchaus eine gewisse Tradition hat, beginnend beim Urteil Steel und Morris gegen Vereinigtes Königreich, wo es zB heißt: "The Court notes on the one hand that the sums eventually awarded in the present case [...], although relatively moderate by contemporary standards in defamation cases in England and Wales, were very substantial when compared to the modest incomes and resources of the two applicants." Auch in den Fällen Kasabova gegen Bulgarien und Koprivica gegen Montenegro wurde die Höhe des Einkommens bzw der Pension berücksichtigt.

Tuesday, February 04, 2014

EGMR: Urteil gegen Foto-Journalisten, der bei gewalttätiger Demo Platzverbot missachtete, war keine Verletzung des Art 10 EMRK

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat heute in seinem Urteil im Fall Pentikäinen (Appl. no. 11882/10; Pressemitteilung des EGMR) ausgesprochen, dass die Festnahme und Verurteilung (Schuldspruch ohne Strafe) eines Pressefotografen, der trotz Aufforderung der Polizei den Ort einer (aufgelösten) gewalttätigen Kundgebung nicht verließ, diesen nicht in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK verletzte. (Das Urteil ist nicht endgültig, binnen drei Monaten kann die Verweisung an die Große Kammer des EGMR beantragt werden. Update 07.06.2014: Der Fall wurde mit Beschluss des Grand Chamber Panel vom 02.06.2014 auf Antrag des Beschwerdeführers an die Große Kammer verwiesen; Update 14.10.2015: das Urteil der Großen Kammer wird am 20.10.2015 verkündet werden).

Zum Ausgangsfall:
Am 9. September 2006 fand in Helsinki ein "Asia-Europe-Meeting" statt, gegen das mit einer "Smash ASEM"-Kundgebung demonstriert wurde. Für Journalisten war von den Sicherheitskräften ein eigener Bereich abgegrenzt worden, von dem aus sie die Kundgebung beobachten und fotografieren konnten.

Zu Beginn der Demo wurden Flaschen, Steine und mit Farbe gefüllte Gläser auf die Polizei und umstehende Personen geworfen. Als die Demonstranten die Polizeiabsperrungen durchbrechen wollten, löste die Polizei die gewalttätig gewordene Kundgebung auf und forderte die Demonstranten auf, den Platz zu verlassen. Nachdem hunderte Demonstranten den Platz freiwillig verlassen hatten, wurden die restlichen Demonstranten eingezirkelt; die Polizei erlaubte ihnen, den Platz zu verlassen, stellte aber ihre Identität fest. Eine Kerngruppe von rund zwanzig Demonstranten verblieb jedoch auf dem Platz, obwohl die Polizei angekündigt hatte, sie festzunehmen, wenn sie den Platz nicht verlassen. Unter diesen auf dem Platz verbliebenen Demonstranten war auch der Beschwerdeführer vor dem EGMR, der Pressefotograf Markus Pentikäinen. Er wurde - mit den anderen Demonstranten - festgenommen und blieb fast 18 Stunden in Polizeigewahrsam.

Im nachfolgenden Gerichtsverfahren wegen Nichtbefolgung einer polizeilichen Anordnung wurde der Beschwerdeführer schuldig gesprochen; von der Verhängung einer Strafe wurde jedoch im Hinblick auf die Stellung des Beschwerdeführers als Journalist abgesehen; er habe sich mit widersprüchlichen Erwartungen konfrontiert gesehen, einerseits von der Polizei, die ihn zum Verlassen, und andererseits von seinem Dienstgeber, der ihn zum Bleiben aufgefordert hatte. Das Gericht hielt auch fest, dass nach Zeugenaussagen der Beschwerdeführer nicht zu erkennen gegeben habe, dass er Journalist sei, und dass zwei weitere Foto-Journalisten den Platz unmittelbar vor der Festnahme des Beschwerdeführers unbehelligt verlassen konnten.

Das Urteil des EGMR
Der EGMR beurteilte die Beschwerde einstimmig als zulässig, stellte aber - mit 5:2 Stimmen - keine Verletzung des Art 10 EMRK fest.

Eingriff: auch wenn keine Strafe ausgesprochen wurde, so waren die Festnahme und der Schuldspruch doch die Folge des Verhaltens des Beschwerdeführers als Journalist, sodass die Vermutung eines Eingriffs in sein Recht auf freie Meinungsäußerung besteht (Abs 35 des Urteils).

Gesetzliche Grundlage und legitimes Ziel: Die Festnahme und Verurteilung wegen Nichtbefolgung einer polizeilichen Anweisung hatte eine klare und ausreichende Grundlage in den nationalen Rechtsvorschriften und diente mehreren legitimen Zielen, insbesondere dem Schutz der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung (Abs 36).

Notwendigkeit in eier demokratischen Gesellschaft: Der EGMR hält zu den konkreten Umständen des Falles zunächst fest, dass der Beschwerdeführer wegen Nichtbefolgung einer polizeilichen Anweisung im Zusammenhang mit einer Demonstration, an der er als Fotograf und Journalist teilgenommen hatte, festgenommen und verurteilt wurde. Eine gesonderte, sichere Zone war für die Presse reserviert gewesen, der Beschwerdeführer hatte es aber vorgezogen, diese nicht zu nutzen, sondern bei den Demonstranten zu bleiben. Der Beschwerdeführer war in keiner Weise am Fotografieren gehindert worden, seine Kamera wurde nicht konfisziert und er konnte die Bilder ohne Einschränkung verwenden.

Der EGMR hält weiter fest, dass die Polizei den Kundgebungsplatz (erst) nach den Gewaltausschreitungen abgeriegelt und die Teilnehmer zum Verlassen des Platzes aufgefordert hat, wofür sie - wie die nationalen Gerichte feststellten - gerechtfertigte Gründe hatte. Die Polizei hatte den Medienvertretern auch gestattet, das abgesperrte Gebiet zu verlassen.

Der Beschwerdeführer hatte, so der EGMR, auf sein Recht, den abgesicherten gesonderten Pressebereich zu nutzen, verzichtet und sich entschlossen, auch nach der polizeilichen Auflösung der Kundgebung bei den Demonstranten zu bleiben. Von der polizeilichen Anordnung, den Platz zu verlassen, war er informiert, und er hätte den Platz ohne Konsequenzen verlassen können. Der Beschwerdeführer hat auch nicht einmal behauptet, dass er seine beruflichen Aufgaben vom gesicherten Pressebereich aus nicht hätte wahrnehmen können, und er habe damit bewusst das Risiko auf sich genommen, wegen Widersetzlichkeit festgenommen zu werden (Abs 45).

Es sei nicht ganz klar, wann die Polizei erfahren habe, dass der Beschwerdeführer Journalist sei; erst als er zum Arrestantenbus gebracht worden sei (also nach der Festnahme), habe er einen Presseausweis vorgezeigt. Der EGMR stellt fest, dass es der Beschwerdeführer unterlassen habe, klare Anstrengungen zu machen, sich als Journalist zu identifzieren, was den vorliegenden Fall vom Fall Najafli gegen Aserbaidschan unterscheide (Abs 46). In Abs 47 des Urteils differenziert der EGMR schließlich im Hinblick auf die polizeiliche Anordnung überhaupt nicht mehr zwischen dem Journalisten und anderen dort anwesenden Personen (Hervorhebung hinzugefügt):
The Court further considers that the applicant was not as such prevented from exercising his freedom of expression and reporting the event. Moreover, he was offered the alternative to follow the demonstration from the secured area reserved to the press. His arrest and conviction only related to disobeying the police as he failed to obey their orders. As the Government pointed out, the fact that the applicant was a journalist did not give him a greater right to stay at the scene than the other people.
Die knapp 18-stündige Anhaltung sei vor allem darauf zurückzuführen, dass nach finnischem Recht eine Vernehmung zur Nachtzeit nicht zulässig sei; der Beschwewrdeführer sei auch - wegen seines Status als Journalist - als einer der ersten entlassen worden. Der EGMR kommt damit zum Ergebnis, dass der Eingriff in die journalistische Freiheit des Beschwerdeführers - im Hinblick auf die ihm offen gestandenen Möglichkeiten, über das Ereignis adäquat zu berichten - nur von begrenztem Ausmaß gewesen sei. Das Verhalten, das zur Verurteilung geführt habe, sei nicht die journalistische Arbeit gewesen, sondern die Weigerung, einer polizeilichen Anordnung zu folgen.

Die Demo war Gegenstand legitimen öffentlichen Interesses und es war daher gerechtfertigt, darüber zu berichten. Die Behörden, so der EGMR, hätten dies auch anerkannt und daher den sicheren abgegrenzten Pressebereich eingerichtet. Das Ereignis habe große Aufmerksamkeit der Medien hervorgerufen, der Beschwerdeführer sei aber der einzige gewesen, der eine Verletzung seiner Meinungsfreiheit behauptet habe.

Der EGMR hält fest, dass das finnische Gericht die Angelegenheit unter dem Gesichtspunkt des Art 10 EMRK behandelt und dabei die beteiligten Interessen abgewogen habe; es war zum Ergebnis gekommen, dass es ein zwingendes soziales Bedürfnis ("pressing social need") für die bekämpften Maßnahmen gegeben habe. Vor allem sei es aus Sicherheitsgründen notwendig gewesen, die Kundgebung aufzulösen, weil es zu Gewalttätgkeiten und zur Gefährdung der öffentlichen Sicherheit gekommen war. Der EGMR berücksichtigt auch, dass keine Strafe ausgesprochen wurde und dass keine Eintragung im Strafregister erfolgte.

Abweichende Meinung
Der zypriotische Richter Nicolaou verfasste eine abweichende Meinung, der sich der maltesische Richter De Gaetano anschloss. Die abweichende Meinung macht ein Problem besonders deutlich: die Abhängigkeit des EGMR von der Sachverhaltsdarstellung der Beteiligten. Denn die beiden "abweichenden" Richter bieten eine ganz andere Erzählung der Angelegenheit - hier ist nicht von der Notwendigkeit die Rede, eine gewalttätige Demonstration aufzulösen und auch nicht von der Unklarheit, ob sich der Beschwerdeführer als Journalist zu erkennen gegeben hat. Nach der Darstellung in der abweichenden Meinung gab es zum Zeitpunkt Auflösung der Kundgebung keine Ausschreitungen mehr (was tatsächlich bei rund 20 Demonstranten gegen einen Übermacht von Poliziei schwer vorstellbar wäre): "There is no indication that there was, at that stage, a threat to public order; the riot had already been quelled. That is not to say, of course, that the police orders ceased to have relevance as regards the demonstrators. But the applicant was not one of them. And it has never been suggested that he did anything inconsistent with his journalistic duties."

Die abweichende Meinung kritisiert - meines Erachtens sehr zu Recht - auch die Bedeutung, die die Mehrheit dem abgegrenzten sicheren Pressebereich zumisst, und sie betont die Notwendigkeit, unmittelbar vom Inneren der Demo zu berichten (Hervorhebung hinzugefügt):
Where a demonstration is peaceful, the journalist’s function is essentially one of collecting and transmitting information and, quite often, adding comment. But when tension builds up and violence breaks out, whereupon the authorities resort to suppressive control measures, the journalist assumes the role of "public watchdog" and his task then acquires even greater significance: as to this role of the press, see, for example, Barthold v. Germany, 25 March 1985, Series A no. 90. He is entitled to be in the very thick of things until the very end, and sometimes does so at considerable risk to himself. The reason is because in a democratic society the public have the right to know what happens during such difficult times.
Die abweichende Meinung zweifelt auch daran, dass die Polizei nicht erkennen hätte müssen, dass der Beschwerdeführer als Journalist tätig war - bei nur rund zwanzig verbliebenen Personen. In jedem Fall aber sei seine Identität als Journalist noch bekannt geworden, bevor er in den Polizeibus verfrachtet wurde: "There is a nagging question and it is this: Did the police really care whether the applicant was a journalist or not? The fact that he was prosecuted tends to suggest that they did not."

Die Mehrheitsmeinung habe die Bedeutung der Notwendigkeit, die Kundgebung aufzulösen, vermengt mit der vom nationalen Gericht angenommenen Notwendigkeit, einer Polizeianweisung zu folgen, egal welchen Inhalts sie sei und welchen Zweck sie habe, was zu einer Verurteilung des Journalisten geführt habe, bloß weil er den Mut hatte, seiner Aufgabe zur Förderung des öffentlichen Interesses nachzugehen. Nach Ansicht der Richter Nicolaou und De Gaetano haben die nationalen Gerichte auch keine echte Abwägung der Interessen vorgenommen ("more by way of declaration than by reasoning").

Schlussfolgerungen
Wichtigste Lehre aus dem Pentikäinen-Urteil ist wohl, dass Journalisten sich so früh als möglich und jedenfalls beim ersten "ernsten" Polizeikontakt als solche zu erkennen geben sollten. Auch wenn die Mehrheitsmeinung besonderen Wert darauf legt, dass sich der Journalist gewissermaßen freiwillig in Gefahr begeben hat, obwohl ihm auch ein sicherer Pressebereich zur Verfügung gestanden hätte, glaube ich nicht, dass man aus dem Urteil eine Einschränkung des Rechts herauslesen könte, als Journalist auch "in the very thick of things" dabei zu sein und zu berichten - der etwas unklare Sachverhalt erlaubt keine wirklich weitreichenden Schlüsse. Die Aussage aber, dass die Stellung als Journalist dem Beschwerdeführer kein größeres Recht gab, am Ort des Geschehens zu bleiben als den anderen Anwesenden (Abs. 47), scheint mir jedenfalls zu weitgehend und böte Anlass, die Verweisung der Sache an die Große Kammer zu beantragen.

Vergeich mit dem Platzverbot beim "Akademikerball" in Wien?
Das Urteil ist aus Wiener Sicht natürlich gerade vor dem Hintergrund des jüngst ausgesprochenen Platzverbots (nach § 36 SPG) anlässlich des sogenannten "Akademikerballs" von Interesse. Von diesem Platzverbot waren auch Journalisten nicht ausgenommen, ihnen wurde - Medienberichten zufolge - angeboten, nur in einem engen Zeitfenster (eine halbe Stunde, bei einem mehrstündgen Platzverbot) das Sperrgebiet zu betreten, und dies nur in Begleitung von Polizeiorganen.

Der vom EGMR entschiedene Fall ist damit nur sehr eingeschränkt vergleichbar, ging es bei diesem doch um die Auflösung einer bereits gewalttätig gewordenen Demonstration (nach österreichischer Rechtslage wäre das die Auflösung einer Versammlung nach § 13 VersammlungsG und die daran anküpfende Verpflichtung nach § 14 VersammlungsG, den Platz der Kundgebung sofort zu verlassen).

Beim "Akademikerball" war die Sperrzone hingegen eingerichtet worden, um zu verhindern, dass (gewaltbereite oder gewalttätige) Anti-Ball-Demonstranten den Ballgästen zu nahe kommen und es dadurch zu einer Gefährdung dieser Ballgäste bzw überhaupt der öffentlichen Sicherheit kommen könnte. Das durch das Platzverbot beeinträchtigte Berichterstattungsinteresse richtete sich aber - anders als im Sachverhalt des vom EGMR entschiedenen Falles - nicht (nur) auf die Demonstranten, sondern (auch) auf das durch das Platzverbot geschützte Ballereignis - von dem die Journalisten damit de facto (jedenfalls während des Großteils der Zeit) ausgeschlossen waren.

Dass von den Journalisten eine Gefahr für die Ballgäste ausgegangen wäre, ist nicht anzunehmen; einer solchen Gefahr hätte man wohl auch mit den üblichen Akkreditierungsmaßnahmen begegnen können. Schwer nachvollziehbar ist auch, dass Journalisten innerhalb der Platzverbotszone einer so großen Gefahr ausgesetzt gewesen wären, dass sie beim Betreten dieser Zone durch Polizisten geschützt werden müssten, zumal die Ballgäste offenbar nicht in den Genuss einer solchen zwingenden polizeilichen Begleitung gekommen sind (obwohl sie angesichts der Demonstrationen vielleicht mehr Grund zur Sorge hätten haben können). Das präventive Aussperren von Journalisten vom Ort eines Ereignisses, über das zu berichten im legitimen öffentlichen Interesse ist, schien mir daher in diesem Fall überzogen und im Sinne des Art 10 Abs 2 EMRK nicht in einer demokratischen Gesellschaft notwendig.

Update 24.03.2014: siehe nun auch den Beitrag von Dirk Voorhoof auf Strasbourg Observers.