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Monday, September 17, 2012

Der Telekom-Wisser (Geschichten aus dem U-Ausschuss)

Kann sein, dass der Untersuchungsausschuss zur Klärung von Korruptionsvorwürfen demnächst - ich formuliere das ganz neutral - seine Arbeit beenden wird (man kann das auch etwas anders formulieren).

Natürlich wäre es interessant, auch zu den noch verbliebenen Untersuchungsgegenständen etwas zu erfahren; aus der Sicht dieses Blogs vor allem zu dem die Telekom Austria Group betreffenden Thema 1d - "die lukrative Zwischenschaltung von parteinahen Personen und Unternehmen in den Erwerb ausländischer Beteiligungen (insb. Mobiltel Bulgarien, MDC Weißrussland, Mobtel Serbien)" - sowie natürlich zu den Themen 4 und 5 (Inserate von staatsnahen Unternehmen und Organisationen sowie Inserate und Medienkooperationen von Bundesministerien). Aber vielleicht wird das ja noch schnell in ein/zwei Sitzungen erledigt ...

Auf jeden Fall aber kann man mit Interesse dem Abschlussbericht entgegensehen. Ich halte zwar die im Untersuchungsausschuss praktizierte Befragungsmethode - mit stets nach kurzer Zeit wechselnden FragestellerInnen, die thematisch "herumspringen" und auch erkennbar unterschiedliche Zielsetzungen mit der Befragung verfolgen - nicht unbedingt für den zielführendsten Weg, die relevanten Geschehnisse aufzuklären und den Sachverhalt verlässlich festzustellen. Aber man sollte wohl nicht von vornherein ausschließen, dass sich die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss doch noch zusammenfinden, um in gemeinsamer Kraftanstrengung aus den bisherigen und den allenfalls noch kommenden Aussagen der Auskunftspersonen, aus den nur den Abgeordneten vorliegenden Akten und vielleicht unter Beiziehung von Sachverständigen zu einem soliden, faktenbasierten Endbericht wenigstens zu den schon verhandelten Themen zu kommen. Am Abschlussbericht - und seiner Behandlung im Nationalrat - wird zu messen sein, wie ernst es dem Nationalrat mit dem Auftrag zur "Klärung von Korruptionsvorwürfen" wirklich war.

Bei aller Ernsthaftigkeit der Sache selbst hatte der Untersuchungsausschuss aber immer wieder auch unterhaltsame Momente - auch wenn man bei der Lektüre der Protokolle oft nicht weiß, ob man wirklich nur lachen oder sich nicht doch einfach nur gruseln soll. Ein besonderes, sagen wir: interessantes, Sittenbild lieferten zum Beispiel die Aussagen der Auskunftsperson Klaus Witttauer, MBA, Landwirt und ehemaliger FPÖ- dann "F-BZÖ"-Abgeordneter zum Nationalrat (siehe das Protokoll des U-Ausschusses vom 27.02.2012, ab Seite 3). Beim Lesen seiner Aussagen muss man sich stets vergegenwärtigen, dass Wittauer einmal Industrie- und Verkehrssprecher einer Regierungspartei war, der später auch zehn- oder hunderttausende Euro von der Telekom Austria erhalten hat, angeblich für Leistungen im Zusammenhang mit der Integration der eTel in die TA. Auf die Frage, was seine Leistung dabei war, antwortete er übrigens so (Protokoll, S. 23)
Klaus Wittauer: Meine Aufgabe war es, Konzepte zu entwickeln. Okay, geben wir einfache Geschichten: Wie kann das Festnetz ... Meine Idee war immer zu 100 Prozent Festnetz, den Rest verkaufen wir.
Wie man sieht, ist der Mann Experte, oder - wie er es nennt - "Telekom-Wisser" (Protokoll, S 22f):
Klaus Wittauer: Jeder weiß – und die Staatsanwaltschaft hat das ausführlich überprüft; inzwischen hat sie auch schon sehr viele Kenntnisse über die Telekom –, dass ich ein Telekom-Wisser bin und mich sehr intensiv auch mit der Telekom auseinandergesetzt habe. (Abg. Dr. Pilz: Dass Sie was sind?) – Wisser heißt, alles, was Telekommunikation, und alles, was jetzt – sage ich einmal – die Bedürfnisse und die Richtungen betrifft, dass ich dort sehr viel Bescheid oder doch eine große Ahnung habe.
Wieviel Ahnung er hat, zeigte er zB auch mit folgender Aussage (Protokoll, S. 30):
Jeder, der sich damit auseinandersetzt, erinnert sich ein bisschen: Davor waren die 800er-Nummern von diesen Mehrwertdingen besetzt, und dann sind alle hinübergehüpft auf die 900er-Nummern.
Ich erinnere mich da zwar "ein bisschen" anders, aber egal. Der Telekom Austria war das Wissen von Klaus Wittauer jedenfalls einiges wert - sogar die Finanzierung einer MBA-Ausbildung. Wittauer, der sich laut Wirtschaftsblatt in dieser einen Sitzung des Untersuchungsausschusses 19 mal der Aussage entschlug, wollte allen Ernstes auch die Frage, bei welcher akademischen Einrichtung er den MBA gemacht hat, unter Berufung auf § 7 der Verfahrensordnung nicht beantworten (siehe S 63f des Protokolls). Nach einer kurzen Sitzungsunterbrechung rechtfertigte er die Aussageverweigerung so:
Da die Telekom mir mein Studium bezahlt hat und da die Telekom gesagt hat, sie holt sich jetzt von allen möglichen Leuten das Geld zurück, stehe ich auf dem Standpunkt, ich sage nichts dazu, weil ich mich einer gewissen Gefahr aussetze
Allzu geheim blieb die "akademische Einrichtung" aber nicht; ATV-Journalist Martin Thür fand noch während der Sitzung heraus, dass es sich um eine gewisse "WWEDU World Wide Education GmbH" handelte (siehe auch diese "Ehrentafel"). Wittauers dort angenommene Masterthese "über die Synopsis der Zustände, Trends und Herausforderung für die Telekombranche am Beispiel der Telekom Austria" ist allerdings noch nicht zugänglich, da die nach § 86 Abs 2 UG 2002 verhängte "Sperrfrist" erst Ende 2013 ausläuft.* Geht man - den Ausführungen Wittauers im Untersuchungsausschuss folgend - davon aus, dass der Sperrantrag wegen der Verwendung von Firmeninterna der Telekom Austria gestellt wurde, so hätte es die Telekom Austria freilich in der Hand, Klaus Wittauer von einer diesbezüglichen Verschwiegenheitsverpflichtung schon jetzt zu befreien. Und wenn die Telekom Austria, was wohl zu erwarten ist, im Gegenzug zur Finanzierung des Studiums auch Verwertungsrechte für die Arbeit gesichert hat, dann könnte sie diese natürlich auch veröffentlichen.

Wie auch immer: ich werde nach Ablauf der Sperrfrist (also frühestens im Dezember 2013) jedenfalls versuchen, die Arbeit einzusehen. Von soviel Telekom-Wissen kann ich sicher nur profitieren.

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*) Einem Sperrantrag ist nach dem Gesetz "stattzugeben, wenn die oder der Studierende glaubhaft macht, dass wichtige rechtliche oder wirtschaftliche Interessen der oder des Studierenden gefährdet sind." Das ist typischerweise dann der Fall, wenn im Zuge der wissenschaftlichen Arbeit vertrauliche Daten eines Unternehmens verwendet werden sollen, die nur unter der Bedingung einer entsprechenden Sperrfrist herausgegeben werden.

Saturday, September 15, 2012

GIS: Eintreibungsrisiko trägt das Inkassobüro

"Wer die GIS aber als pures 'Inkassobüro' sieht, der irrt." So steht es in der Pressemappe auf der Website der GIS Gebühren Info Service GmbH, jener ORF-Tochtergesellschaft, die mit der "Einbringung der [Rundfunk-]Gebühren und sonstiger damit verbundener Abgaben und Entgelte" betraut ist (§ 4 RGG).*

Und das stimmt natürlich, denn Inkassobüro-Aufgaben wurden längst ausgegliedert outgesourct, was angeblich zu höherer Zahlungsmoral geführt hat (hier, Seite 12). Wie aber die dahinterliegende Vertragskonstruktion zwischen GIS und Inkassobüro ausschaut, habe ich eher zufällig bei der Durchsicht von Vergaberechts-Entscheidungen gelernt. Das Bundesvergabeamt (BVA) hatte nämlich letztes Jahr über einen Nachprüfungsantrag zu entscheiden, den ein Inkassobüro im Zusammenhang mit einer Ausschreibung der GIS "zur Beschaffung von Inkassodienstleistungen" mit einem geschätzten Auftragswert von € 608.000 gestellt hat.

Mit Bescheid des BVA vom 28.07.2011, N/0057-BVA/13/2011-23, wurde der Nachprüfungsantrag als unzulässig zurückgewiesen, da es sich nicht um einen Dienstleistungsauftrag, sondern um einen Dienstleistungskonzessionsvertrag gehandelt hat. Die juristischen Feinheiten dieser Unterscheidung will ich hier nicht ausbreiten, wesentlich ist, dass der GIS laut ihrer Ausschreibung "durch die Betreibung der Inkassodienstleistungen keine Kosten entstehen" sollen. Das Inkassobüro soll die säumigen TeilnehmerInnen mahnen und das Risiko der Einbringlichkeit tragen; das Vorbringen der GIS im Verfahren vor dem BVA wird im Bescheid so wiedergegeben:
"Aus wirtschaftlicher  und damit aus vergaberechtlicher Sicht bedeute das ausgeschriebene Inkassogeschäft,  wie es bei Großgläubigern üblich sei, dass das Risiko der Eintreibung das Inkassounternehmen allein trage. Sollte das Inkassounternehmen nicht erfolgreich sein und keine Inkassogebühren einbringlich machen, habe das Inkassounternehmen seine mit den Beteiligungen verbundenen Kosten (zum Beispiel Personalkosten, Anwaltskosten, Raumkosten  etc.) selbst zu tragen, ohne eine Vergütung seitens des Gläubigers zu erlangen."
Mit anderen Worten: zahlen die Gebührenschuldner nicht, dann kann das Inkassobüro auch der GIS als Auftraggeberin (Gläubigerin) keine Kosten verrechnen. Und hier wird es zivilrechtlich spannend: ich zitiere einfach aus dem Bericht zur Lage der KonsumentInnen 2009/2010 des Konsumentenschutzministeriums; dort heißt es (auf Seite 54; Hervorhebung hinzugefügt):
Seit dem Zinsrechtsänderungsgesetz [ZinsRÄG, BGBl I 2002/118] kann der Kostenersatz für außergerichtliche Betreibungs- und Einbringungsmaßnahmen aus dem Titel des Schadenersatzes verlangt werden. Demnach muss den GläubigerInnen selbst ein Schaden erwachsen sein. Oft sehen Vereinbarungen zwischen GläubigerInnen und Inkassobüro aber vor, dass die GläubigerInnen gar keine Inkassokosten an das Inkassobüro zu zahlen haben, sondern dass diese von den SchuldnerInnen einkassiert werden. [...]
Wenn aber die GläubigerInnen gar keine Inkassokosten an das Inkassobüro als Aufwandsersatz für die Tätigkeit zu zahlen haben, dann kann ihnen auch kein Schaden entstanden sein, für den sie von den säumigen SchuldnerInnen Ersatz verlangen könnten."
Man kann jedenfalls gespannt sein, ob auch die (wohl erst nach der Nationalratswahl) zu erwartende Haushaltsabgabe von der GIS unter Mitwirkung von Inkassobüros kassiert werden soll. 
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*) "Der Startschuss für die intensive Kundenorientierung des Unternehmens fiel bereits im Mai 2000, als der Name von 'Gebühren Inkasso Service' auf 'Gebühren Info Service' geändert wurde." steht in der GIS-Pressemappe weiter. Diese Kundenorientierung hatte nur ein Problem: sie war nicht gesetzeskonform. Denn der Firmenwortlaut war gesetzlich in § 4 RGG festgelegt und wurde erst mit 01.07.2003 durch das Budgetbegleitgesetz 2003 geändert. Der Verfassungsgerichtshof musste den "kundenorientierten" GIS-Managern erst erklären, dass sie eine gesetzlich festgelegte Firma nicht einfach mit einer Firmenbucheintragung ändern konnten (Erkenntnis vom 15.12.2004, G 57/04):
"Der Umstand, daß handelsrechtlich (vgl §17 HGB) von einer Identität der Gesellschaft auszugehen ist, ändert nichts daran, daß Adressat der gesetzlichen Beleihung mit hoheitlichen Aufgaben durch das RundfunkgebührenG [...] ein privater Rechtsträger mit einer bestimmten, vom Gesetzgeber festgeschriebenen Bezeichnung ist. Wenn der Gesetzgeber die hoheitliche Aufgabe der Einbringung von Abgaben einem bestimmten, mit der Firma bezeichneten Rechtsträger des Privatrechts überträgt, dann wird damit auch die äußere Erscheinungsform desjenigen festgelegt, der als Träger von Hoheitsrechten auftritt. Eine Änderung dieser Firmenbezeichnung liegt in einem solchen Fall allein in der Hand des Gesetzgebers."

Thursday, September 06, 2012

Zum Salzburger Telekom-Forum - und zur schwierigen Dreiecksbeziehung Kommission - Regulierungsbehörde - Gerichte

Edmundsburg, Uni Salzburg
Das Salzburger Telekom-Forum, veranstaltet von der österreichischen Telekom-Regulierungsbehörde RTR, der Universität Salzburg und der Europäischen Kommission, ist so etwas wie das Klassentreffen der Telekom-Regulierungsszene in Österreich. Die Kommissionsvertreter übernehmen da ganz gerne auch den Part der gestrengen, aber irgendwie doch gütigen Lehrer: alle freuen sich, dass sie kommen, aber deshalb muss man noch nicht immer mit ihnen einer Meinung sein.

So war es im Wesentlichen auch in diesem Jahr, als sich am 27. und 28. August 2012 über hundert TeilnehmerInnen in der Edmundsburg einfanden. Und weil ohnehin so gut wie alle an der Sache Interessierten dabei waren, spare ich mir eine genauere Nacherzählung und bringe nur ein paar kurze Anmerkungen (die meisten Vortragsfolien sind hier auf der RTR-Website zu finden). Am ersten Tag war jedenfalls die Zeit großer Worte:
  • Prof. Georg Götz von der Justus-Liebig-Universität Gießen präsentierte seine von der Deutschen Telekom finanzierten Forschungsergebnisse (und war dementsprechend der Auffassung, dass man mit höheren Zugangsentgelten "die beste aller Welten" haben könnte).
  • Jakob Bluestone von der Credit Suisse forderte mehr "regulatory certainty" (und sah, wie auch Prof. Götz, ein wenig Hoffnung für seine Position im Breitband-Policy Statement von Kommissionvizepräsidentin Kroes vom 12..07.2012).
  • Der Geschäftsführer für den Fachbereich Telekom und Post der RTR (und aktueller BEREC-Vorsitzender) Georg Serentschy will "Regulation 2.0" (meint aber damit etwas anderes als Cass Sunstein): "Investment-freundliche Regulierung für Infrastruktur- und Servicebetreiber" und eine "flexible Interpretation des bestehenden Rechtsrahmens"; schließlich wünscht er sich auch ein "level playing field zwischen Telcos und OTTs" (unter OTTs - over the top players - versteht er zB Apple oder Google), was im Wesentlichen weniger Regulierung für Telcos und mehr Regulierung für OTTs bedeuten soll (als Beispiel nannte Serentschy die AGBs, die derzeit für Telcos von der Regulierungsbehörde im Detail geprüft werden, für OTTs aber nicht).
  • Direktor Gerard de Graaf von der Europäischen Kommission, DG Connect, zog eine Zwischenbilanz der Digitalen Agenda und was die Kommission da so vorhat. Die von Kroes für "so bald wie möglich im Herbst" angekündigten Vorlagen ("Empfehlung für Diskriminierungsfreiheit" [das Wort Netzneutralität wird möglichst vermieden], Kostenrechnungsempfehlung für Zugangsentgelte, und wohl auch eine revidierte Märkteempfehlung) sind, ebenso wie der für "im Laufe dieses Jahres" angekündigte Legislativvorschlag zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Netzausbau ("gemeinsame, sektorenübergreifende Nutzung von Kabelkanalinfrastrukturen", "schnellere Erteilung von Genehmigungen" etc), demnach eher erst um Ostern 2013 zu erwarten. 
  • In der Podiumsdiskussion war man sich rasch einig, dass die bisherige Regulierung zu konsumentenzentriert gewesen sei (was insofern nicht überraschte, als keine Konsumentenvertreter am Podium waren); A1 Telekom Austria AG CEO Ametsreiter sah im Falle einer Festschreibung der Netzneutralität 50% der Sprachumsätze seiner Unternehmensgruppe gefährdet; und richtig emotional wurde es erst, als in der Publikumsrunde Hutchison 3G Austria-Geschäftsführer Jan Trionow das noch offene Zusammenschlussverfahren ("Drei" und "Orange") ansprach.
Der zweite Tag war dann den eher juristischen Fragen gewidmet. Hier zeigte Daniela Zimmer von der AK, dass zwar vieles, aber noch nicht alles im Sinne des Konsumentenschutzes erreicht wurde (mit Beispielen aus der Praxis, etwa einem Zitat aus einer Mitteilung über AGB-Änderungen: "... gelten weiterhin Ihre alten AGBs, sofern diese mit den Verbesserungen des neuen TKG nicht in Widerspruch stehen, da die begünstigenden Vorteile der Novelle in jedem Fall gelten." - alles klar?).

Die Gegenposition aus Betreibersicht vertrat Andreas Ney von der WKÖ; er betonte auch ein echtes Dilemma im Zusammenhang mit Prepaid-Verträgen: da Änderungen schriftlich erfolgen müssen, lassen sie sich im Prepaid-Bereich nur durchführen, wenn die in Österreich bisher ausdrücklich anerkannte Anonymität aufgegeben wird. In Deutschland ist diese anonyme Kommunikation mit Wertkarten-Handys derzeit übrigens nicht möglich; Patrick Breyer (zu einem von ihm beim EuG angestrengten Verfahren siehe hier) hat deshalb vor kurzem Beschwerde beim EGMR eingebracht (Volltext der Beschwerdeschrift).

Blick aus dem Fenster des Veranstaltungsorts
Sabine Joham-Neubauer, Gruppenleiterin Telekom/Post im Verkehrsministerium, kündigte erwartungsgemäß keine große Novelle des TKG an, und Wolfgang Feiel setzte sich aus der Sicht der Regulierungsbehörde mit den Erwartungen an die letzte große Novelle auseinander. Er zeigte anhand der stenographischen Protokolle des Nationalrats, dass einige Abgeordnete, die zur TKG-Novelle am Rednerpult standen, erkennbar nicht wussten, was sie damit genau beschlossen (insbesondere war die von Abgeordneten mehrfach angesprochene "Warteschleifen"-Regelung eine deutsche Angelegenheit und nicht Thema der österreichischen TKG-Novelle 2011).

Erfahrungen mit dem Artikel 7a-Verfahren - Zur Dreiecksbeziehung zwischen Kommission, Regulierungsbehörde und nationalen Gerichten
Das aus meiner Sicht juristisch spannendste Thema behandelte Reinald Krüger, Head of Regulatory Coordination & Markets Unit der DG Connect: "Erste Erfahrungen mit dem Verfahren nach Artikel 7a der Rahmenrichtlinie". Dieses vom Ablauf her recht komplexe Verfahren, das der Kommission bei der Auferlegung von "remedies" (spezifischer regulatorischer Verpflichtungen) durch die nationalen Regulierungsbehörden eine erweiterte Mitsprache, aber gerade noch kein Veto, einräumt, wird in der Praxis nun durch informelle "Dreiparteien-Treffen" (Kommission, BEREC, betroffene Regulierungsbehörde) adaptiert; in den meisten Fällen konnte dadurch offenbar eine Einigung erzielt werden. In 12 von 20 Fällen, in denen die Kommission "ernsthafte Zweifel" angemeldet und damit das Phase II-Verfahren eingeleitet hatte (davon 6 gleichgelagerte Fälle betreffend die polnische Regulierungsbehörde UKE), wurden Maßnahmenentwürfe zurückgezogen, in zwei Fällen geändert und in einem Fall wurde das Verfahren wegen eines die Marktdefinition/-analyse betreffenden Vetos nach Art 7 der Rahmenrichtlinie automatisch beendet. Nur in drei von 20 Fällen (zwei Fälle sind noch offen) wurde das Verfahren sozusagen bis zum Ende - bis zu Empfehlungen der Kommission an die nationale Regulierungsbehörde - durchgezogen.

Zwei dieser Empfehlungen (zusammengefasst in einer Entscheidung) ergingen an die niederländische Regulierungsbehörde OPTA und betreffen betreffen die Terminierung in Fest- und Mobilnetzen (Entscheidung der Kommission vom 13.06.2012, C(2012)3770; Fälle NL/2012/1284 und NL/2012/1285). In diesen Fällen war eine ursprüngliche Entscheidung der OPTA vom zuständigen (diesbezüglich erst- und letztinstanzlichen) Gericht (College van Beroep voor het bedrijfsleven - CBb) aufgehoben worden. Das Gericht kam - vereinfacht - zum Ergebnis, dass als Kostenrechnungsmethode BULRIC*) plus (statt wie von der Kommission gewünscht: pure BULRIC) anzuwenden gewesen wäre (was zu höheren Terminierungsentgelten führt). In der Folge legte OPTA einen - der Gerichtsentscheidung entsprechend geänderten - Maßnahmenentwurf vor, gegen den die Kommission "ernsthafte Zweifel" anmeldete. Die Stellungnahme von BEREC folgte zwar inhaltlich der Kommissionsansicht, enthielt sich aber angesichtes der die OPTA bindenden Gerichtsentscheidung einer konkreten Empfehlung für das weitere Vorgehen der Regulierungsbehörde. Da OPTA den Entwurf nicht abänderte, erließ die Kommission schließlich ihre Empfehlung, den Entwurf in Richtung pure BULRIC abzuändern oder ihn zurückzuziehen, OPTA folgte nicht der Kommissionsempfehlung, sondern der Vorgabe des nationalen Gerichts.

Die Kommission will diese Nichtbeachtung ihrer Empfehlung allerdings nicht einfach so hinnehmen, betonte Reinald Krüger beim Telekom-Forum. Wie man auch aus der Entscheidung ablesen kann, hält die Kommission nämlich das Urteil des CBb für falsch und sieht darin eine Wettbewerbsverzerrung zugunsten niederländischer Betreiber. Ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Niederlande steht also im Raum, auch weil das CBb zu der von ihm vorgenommenen Auslegung der Empfehlung über die Terminierungsentgelte kein Vorabenscheidungsersuchen gestellt hatte. Offen bleibt, ob die Kommission nicht zumindest noch den Ausgang eines weiteren Gerichtsverfahrens nach der neuerlichen OPTA-Entscheidung abwarten will - aber vielleicht soll ja auch nur Stimmung gemacht werden, um das CBb jedenfalls im Fall eines neuerlichen Rechtsmittelverfahrens zumindest zu einem Vorabentscheidungsersuchen zu bewegen.

Das niederländische Verfahren zeigt jedenfalls wieder eindrucksvoll, dass sich zwischen Kommission, nationaler Regulierungsbehörde und nationalen Gerichten ein nicht immer einfaches Dreieck auftut - "an uneasy triangular relationship", wie Pierre Larouche und Maartje de Visser vor einigen Jahren schrieben (siehe dazu auch meine speaking notes zu einem einschlägigen EU-Richterseminar).

Und die polnische Regulierungsbehörde?
Die dritte Empfehlung erging ganz knapp vor dem Telekom-Forum an die polnische Regulierungsbehörde UKE (Entscheidung der Kommission vom 27.08.2012, C(2012)5913, Fall PL/2012/1311; Pressemitteilung der Kommission). Entgegen den Erwartungen hat es die polnische Regulierungsbehörde dann allerdings nicht auf eine weitere Konfrontation mit der Kommission angelegt und am 30.08.2012 erklärt, dass sie sich zwar im Recht sieht, aber die Empfehlung der Kommission akzeptiert, zumal die nächste Marktanalyse schon im kommenden Jahr durchzuführen ist.

Dabei scheint die polnische Regulierungsbehörde (UKE) sonst besonders widerständig zu sein: nicht nur, dass sie allein schon mehr als ein Drittel aller "serious doubts" in Verfahren nach Art 7a auf sich gezogen hat, wollte sie auch ein Veto der Kommission in einem Art 7-Verfahren nicht einfach hinnehmen und hat die Entscheidung mit Nichtigkeitsklage vor dem EuG bekämpft. Die Klage wurde - aus telekomrechtlicher Sicht: leider - aus formalen Gründen zurückgewiesen, da sie von "Rechtsberaterinnen" der UKE eingebracht wurde, die das EuG wegen mangelnder Unabhängigkeit von ihrem Mandanten nicht als "Anwalt" im Sinne des Art 19 der Satzung des Gerichtshofes beurteilt hat (siehe dazu im Blog hier).

Die Sache wurde von der Regulierungsbehörde und von der Republik Polen noch an den EuGH herantgetragen, der mit dem heute ergangenen Urteil C-422/11 P und C-423/11 P, die Rechtsmittel zurückgewiesen hat. Damit ist nun zwar klar, dass Rechtsberater/innen, die in Polen zur Vertretung vor Gericht befugt sind, deshalb noch nicht vor EuG und EuGH vertreten können. Die telekomrechtlich interessante Frage, ob das Kommissions-"Veto" rechtmäßig war, bleibt aber offen.

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*) BULRIC: bottom up long run incremental costs; siehe dazu auch Punkt 2 der Kommissionsempfehlung über die Regulierung der Festnetz- und Mobilfunk-Zustellungsentgelte in der EU: "Es wird empfohlen bei der Bewertung der effizienten Kosten die laufenden Kosten zugrunde zu legen und nach einem Bottom-up-Modell zu verfahren, das sich zur Kostenrechnung auf die Methode der langfristigen zusätzlichen Kosten (LRIC) stützt."